Entscheidungsstichwort (Thema)
Häusliches Arbeitszimmer von Außendienstmitarbeitern
Leitsatz (amtlich)
Bei einem Praxis-Consultant, der ärztliche Praxen in betriebswirtschaftlichen Fragen berät, betreut und unterstützt, kann das häusliche Arbeitszimmer auch dann den Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung bilden, wenn er einen nicht unerheblichen Teil seiner Arbeitszeit im Außendienst verbringt.
Normenkette
EStG § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6b, § 9 Abs. 5
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob das Arbeitszimmer des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bildet.
Die Kläger sind Eheleute und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Der Kläger, dem bei seinem Arbeitgeber kein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, ist als sog. Praxis-Consultant tätig, d.h. er berät, betreut und unterstützt ärztliche Praxen in betriebswirtschaftlichen Fragen. Den überwiegenden Teil seiner Arbeiten erledigt der Kläger seit dem 1. April 1997 in einem häuslichen Arbeitszimmer, das er durch bauliche Umgestaltung für diese Zwecke hergerichtet hat. Auf Außendiensttätigkeiten entfielen im Streitjahr (1997) den Angaben des Klägers zufolge etwa 42 v.H. der Gesamtarbeitszeit.
Mit der Einkommensteuererklärung 1997 machten die Kläger für das häusliche Arbeitszimmer Aufwendungen in Höhe von insgesamt 15 953 DM als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte hiervon nur 2 400 DM.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage dem Grunde nach statt. Es sah das häusliche Arbeitszimmer des Klägers als den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen Betätigung an. Das FG berücksichtigte für das Streitjahr allerdings nur zeitanteilige Umbaukosten. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 33 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA geltend, das FG habe § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 b Satz 3 Halbsatz 2 EStG unzutreffend ausgelegt. Es habe insbesondere die Bedeutung des quantitativen Umfangs der Betätigung im häuslichen Arbeitszimmer verkannt. Ein häusliches Arbeitszimmer könne nur dann den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung eines Steuerpflichtigen bilden, wenn dieser nicht dauerhaft im Außendienst tätig sei. Im Fall des Klägers nehme die Außendiensttätigkeit rein zeitlich einen erheblichen Anteil der gesamten Arbeitszeit in Anspruch. Dieser Umstand stehe der Annahme des Mittelpunkts im häuslichen Arbeitszimmer entgegen.
Das FA beantragt, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 1997 dahin gehend zu bestätigen, dass die für 1997 festgesetzte Einkommensteuer … DM beträgt.
Die Kläger treten der Revision entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Das FG hat ohne Rechtsverstoß entschieden, dass das Arbeitszimmer des Klägers den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.
1. Das häusliche Arbeitszimmer eines Steuerpflichtigen, der seinen Beruf teilweise im Arbeitszimmer und teilweise außer Haus ausübt, bildet den Betätigungsmittelpunkt i.S. der Abzugsbeschränkung, wenn dort die für den ausgeübten Beruf wesentlichen und prägenden Tätigkeiten verrichtet werden ("qualitativer" Mittelpunkt - Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. November 2002 VI R 82/01, BFH/NV 2003, 688, Der Betrieb ―DB― 2003, 808; vom 13. November 2002 VI R 104/01, BFH/NV 2003, 691, DB 2003, 807; vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFH/NV 2003, 693, DB 2003, 805). Dies zu beurteilen obliegt nach der Rechtsprechung des Senats in erster Linie dem FG als Tatsacheninstanz.
Der Rechtsauffassung des FA, dass bereits der Umstand einer dauerhaften Außendiensttätigkeit den unbegrenzten Abzug der Kosten des häuslichen Arbeitszimmers ausschließe (so auch Bundesministerium der Finanzen ―BMF― vom 16. Juni 1998 IV B 2 -S 2145- 59/98, BStBl I 1998, 863 Tz. 8), ist der Senat in den genannten Entscheidungen, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, nicht gefolgt.
2. a) Den Feststellungen des FG zufolge hat der Kläger die Tätigkeiten, die seine berufliche Arbeit wesentlich prägen, im Streitjahr ausschließlich im häuslichen Arbeitszimmer verrichtet.
Das FG führte hierzu aus, der Kläger habe nach Durchführung der notwendigen Vorgespräche in den Arztpraxen und der erforderlichen Bestandsaufnahmen die maßgeblichen Praxisanalysen und betriebswirtschaftlichen Auswertungen im häuslichen Arbeitszimmer erstellt und durchgeführt. Diese Arbeiten seien sehr detailliert und daher schon aus sich heraus verständlich gewesen; die nachfolgende Präsentation der Ergebnisse in der jeweiligen Arztpraxis könne daher lediglich als Zusatzleistung angesehen werden. Auch die weiteren im häuslichen Arbeitszimmer erbrachten Leistungen (Erstellung von Seminar-Unterlagen und Konzepten für das Coaching von Mitarbeitern, Softwaresupport, Telefonberatung etc.) hätten nicht den Charakter bloßer Begleitarbeiten, sondern stellten Tätigkeiten dar, die ebenfalls dem Kernbereich der beruflichen Betätigung des Klägers zuzuordnen seien. Auf der Grundlage dieser Ausführungen ist das FG zu der Überzeugung gelangt, dass das häusliche Arbeitszimmer den qualitativen Mittelpunkt der gesamten beruflichen Betätigung des Klägers gebildet hat. Diese Wertung und die ihr zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Sie verstoßen weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze und binden daher den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
b) Der vorliegende Streitfall unterscheidet sich damit wesentlich von demjenigen, der dem Urteil des Senats in BFH/NV 2003, 688, DB 2003, 808 zugrunde lag. Dort hatte das FG entschieden, dass eine angestellte Pharmavertreterin (Produkt- und Fachberaterin für medizinisch-technische Produkte) die ihren Beruf prägenden Tätigkeiten im Außendienst verrichtet habe. Der Senat hat diese Entscheidung bestätigt. Die unterschiedlichen Ergebnisse beruhen nicht auf einer abweichenden ―rechtlichen― Auslegung des Mittelpunktsbegriffs; sie ergeben sich aus den jeweiligen tatsächlichen Feststellungen der Instanzgerichte zum qualitativen Mittelpunkt der konkret ausgeübten beruflichen Betätigungen.
Fundstellen
Haufe-Index 946083 |
BFH/NV 2003, 1117 |
BStBl II 2004, 76 |
BFHE 1974, 303 |
BFHE 2004, 303 |
BFHE 202, 303 |
BB 2003, 1475 |
DB 2003, 1658 |
DStRE 2003, 905 |
HFR 2003, 956 |