Leitsatz (amtlich)
Die vom Arbeitgeber getragenen Kosten für Kuren bei älteren Arbeitnehmern gehören in der Regel zu deren steuerpflichtigem Arbeitslohn (Abgrenzung zum Urteil des BFH vom 24.Januar 1975 VI R 242/71, BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340).
Normenkette
EStG 1971 § 8 Abs. 1; EStG 1974 § 8 Abs. 1; EStG 1975 § 8 Abs. 1; EStG 1977 § 8 Abs. 1; EStG 1971 § 19 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1974 § 19 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1975 § 19 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1977 § 19 Abs. 1 Nr. 1
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) die Kuraufwendungen, die von ihr für ihre Arbeitnehmer übernommen worden waren, zu Recht von der Lohnbesteuerung ausgenommen hatte.
Nach den von der Klägerin vorgelegten Richtlinien wird die Kur allen ihren Arbeitnehmern gewährt, soweit sie das 50.Lebensjahr vollendet haben und nicht zu den Teilzeitarbeitskräften gehören. Die Kur wird grundsätzlich nur einmal jedem Arbeitnehmer für die Dauer von vier Wochen bewilligt. Sie wird in der Regel als Kneippkur in Bad Wörishofen durchgeführt, jedoch können diejenigen Mitarbeiter, die an chronischen Erkrankungen leiden, gezielt eine Spezialkur wählen. Ob im Einzelfall eine Kneippkur oder eine Spezialkur angezeigt ist, wird jeweils vor Kurantritt durch eine Untersuchung des Betriebsarztes der Klägerin festgestellt. Die Kosten für eine Spezialkur werden dabei nur im Rahmen der Kosten einer Kneippkur übernommen. Die Klägerin zahlt das Gehalt bzw. den Lohn während dieser vierwöchigen Kur wie im Falle eines Urlaubs weiter, so daß dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin kein Verdienstausfall entsteht. Die Kurdauer wird nicht auf den Urlaub angerechnet. Die zur Sicherung des Kurerfolges etwa notwendige Nachkur --in der Regel eine Woche-- hat der Mitarbeiter sich auf seinen Jahresurlaub anrechnen zu lassen. Die Klägerin übernimmt die Kosten der Hin- und Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sowie die für Verpflegung, Unterkunft, ärztliche Behandlung und medizinische Anwendungen (Bäder, Massagen usw.). Ferner erhalten die Kurteilnehmer einen einmaligen Zuschuß in Höhe von 50 DM für die Beschaffung von Kurbekleidung. Die Mitnahme von Familienangehörigen --auch Ehegatten-- ist nicht gestattet.
Die Klägerin hatte die übernommenen Kurkosten bis einschließlich 1974 als Arbeitslohn behandelt und der Lohnsteuer unterworfen. Danach hat sie die Steuerpflicht mit Rücksicht auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 24.Januar 1975 VI R 242/71 (BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340) verneint.
Anläßlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte sich der Prüfer jedoch auf den Standpunkt, daß die übernommenen Kosten für die Kneippkuren der Lohnsteuer zu unterwerfen seien. Er vertrat die Ansicht, daß die von der Klägerin zitierte BFH- Entscheidung im Streitfall keine Anwendung finden könne.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) setzte die entsprechenden Beträge an Lohn- und Lohnkirchensteuer durch Lohnsteuerbescheid gegenüber der Klägerin fest.
Mit ihrer gegen den genannten Bescheid nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage hatte die Klägerin Erfolg. Das Finanzgericht (FG) kürzte die in dem genannten Lohnsteuernachforderungsbescheid streitigen Steuerbeträge, soweit sie auf die Kosten für die Kneippkuren entfielen. Es schloß sich dabei im wesentlichen den Gründen der vorgenannten Entscheidung in BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340 an und vertrat die Auffassung, daß diese Ausführungen auch für den vorliegenden Sachverhalt gelten müßten.
Mit seiner Revision rügt das FA, daß das FG durch die vorstehend genannte Entscheidung § 19 Abs.1 Satz 1 i.V.m. § 8 Abs.1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) verletzt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entgegen der Auffassung des FG ist in den Aufwendungen der Klägerin für die Kneippkuren zugunsten ihrer Arbeitnehmer steuerpflichtiger Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs.1 Nr.1 EStG zu sehen.
Das FG beruft sich zu Unrecht auf die Entscheidung in BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340. Denn der in jener Entscheidung beurteilte Sachverhalt läßt sich mit dem vorliegenden nicht vergleichen. In jenem Falle hatte die Arbeitgeberin selbst Kreislauftrainingskuren durchgeführt, die durch ihre eigenen Betriebsärzte geleitet wurden. Der Senat hat auf die Art und Weise der Auswahl der Kurteilnehmer, die Planung und Überwachung der Kuranwendungen, Übungen usw. durch die Betriebsärzte und die Art und Weise der Durchführung der Kreislauftrainingskuren --insbesondere die einschneidenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Kurteilnehmer-- hingewiesen und daraus gefolgert, daß unter diesen Umständen der Gedanke einer Bereicherung der Arbeitnehmer gegenüber dem eigenen betrieblichen Interesse des Arbeitgebers zurücktrat. In diesem Zusammenhang war ferner von Bedeutung, daß die Kreislauftrainingskuren nicht auf Antrag oder Anregung der einzelnen Arbeitnehmer, sondern ausschließlich auf betriebliche Initiative verordnet wurden, und daß Voraussetzung für die Teilnahme nicht nur die medizinische Notwendigkeit der Kur war, sondern daß die Kur auch --im betrieblichen Interesse-- erfolgversprechend sein mußte. Das besondere betriebliche Interesse ergab sich in jenem Falle zudem daraus, daß die Arbeitgeberin sich dort einen großen Einfluß auf die Durchführung und den Ablauf der Kur vorbehalten hatte und daß aus diesem Grunde die Kreislauftrainingskuren von Betriebsärzten der Klägerin geplant und überwacht wurden. Von Bedeutung war weiter, daß die Teilnahme an den Kuranwendungen, -übungen und anderen Veranstaltungen (Vorträgen usw.) für die Arbeitnehmer Pflicht war und die Kurärzte gegenüber den Kurteilnehmern weisungsbefugt waren.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfalle nicht gegeben. Schon allein die Tatsache, daß allen Vollzeitarbeitskräften ungeachtet ihrer Stellung und Bedeutung für den Betrieb undifferenziert nach Vollendung ihres 50.Lebensjahres ein Anspruch gegen die Klägerin auf die Bewilligung zumindest der Kosten für eine Kneippkur --automatisch-- zusteht, deutet auf einen den Arbeitnehmern bei Erfüllung der genannten Voraussetzungen gewährten, geldwerten Vorteil hin.
Im übrigen hat es sich im Falle des Urteils in BFHE 114, 496, BStBl II 1975, 340 um sog. Trainingskuren gehandelt, die im wesentlichen aus medizinisch geprägten Sportübungen bestehen. Die Tätigkeit der dort die Aufsicht führenden Betriebsärzte entsprach daher wohl mehr der von Trainern oder Sportärzten. Der Einfluß des Betriebsarztes der Klägerin beschränkte sich dagegen in diesem Zusammenhang lediglich auf die Feststellung, ob bei dem betreffenden Arbeitnehmer unter medizinischen Gesichtspunkten eine Kneippkur --mithin eine wertvolle Hilfe zur Gesunderhaltung-- oder eine anderweitige Spezialkur angebracht erschien. Bei den für die über 50 Jahre alten Arbeitnehmer von der Klägerin übernommenen Kosten für eine Kneippkur handelt es sich somit um zusätzlichen Arbeitslohn.
Es besteht, worauf das FA mit Recht hinweist, eine Wechselwirkung zwischen der Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers und dem Ausmaß der Bereicherung des Arbeitnehmers durch die zum Lohn hinzukommenden Sonderzuwendungen. Je höher aus der Sicht des Arbeitnehmers die Bereicherung anzusetzen ist, desto geringer zählt das aus der Sicht des Arbeitgebers vorhandene eigenbetriebliche Interesse. Im Streitfall stand die Bereicherung der Arbeitnehmer eindeutig im Vordergrund. Sie war somit nach dem Vorhergesagten Gegenleistung für die Zurverfügungstellung ("für die Beschäftigung") der individuellen Arbeitskraft (Dienste) --vgl. Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 5.Aufl., § 19 Anm.7 a--.
Diese Auffassung wird für den Streitfall gerade auch durch das Urteil des Senats vom 17.September 1982 VI R 75/79 (BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39) bestätigt. Denn hier hat der BFH die Aufwendungen für Vorsorgeuntersuchungen bei leitenden Angestellten nicht dem steuerpflichtigen Arbeitslohn dieser Personen zugerechnet, weil für die betreffenden Maßnahmen --wie sich aus den entsprechenden Weisungen des Arbeitgebers ergab-- dessen ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse im Vordergrund stand. Ein solches überwiegend eigenbetriebliches Interesse nimmt der erkennende Senat dann an, wenn der Belegschaft als Gesamtheit ein Vorteil zugewendet wird (z.B. in Fällen von Betriebsveranstaltungen) oder wenn der Vorteil dem Arbeitnehmer aufgedrängt wird, ohne daß diesem eine Wahl bei der Annahme des Vorteils bleibt. Das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse kam im Urteil in BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39 besonders sinnfällig dadurch zum Ausdruck, daß der Arbeitgeber einen mittelbaren Zwang auf die Teilnahme der Arbeitnehmer an den Vorsorgeuntersuchungen dadurch ausübte, daß er finanzielle Nachteile in Aussicht stellte, falls ein Arbeitnehmer sich nicht untersuchen lasse. Darüber hinaus war dort schon durch die auf Grund der Untersuchungen erworbenen Kenntnisse des Betriebsarztes über den Gesundheitszustand jedes einzelnen leitenden Angestellten sichergestellt, daß die Arbeitnehmer in einem dabei evtl. festgestellten Krankheitsfall sich einer Behandlung unterziehen und damit plötzliche Ausfälle aus Gesundheitsgründen seltener sein würden. Ferner sprach in jenem Falle für das ganz überwiegend eigenbetriebliche Interesse der Arbeitgeberin, daß sich auch diejenigen Arbeitnehmer untersuchen lassen mußten, die ihrerseits kein Interesse an den Untersuchungen hatten, da sie sich möglicherweise durch regelmäßige Arztbesuche oder Untersuchungen über ihren Gesundheitszustand im klaren waren. Sie konnten sich nicht den Wünschen und Weisungen der Arbeitgeberin, die an einem objektiven und vereinheitlichten Bild über den Gesundheitszustand aller Führungskräfte interessiert war, widersetzen, wenn sie keine beruflichen (Beförderungschancen) und finanziellen (Weiterzahlung der Bezüge im Krankheitsfall) Nachteile erleiden wollten.
Auch derartige Besonderheiten liegen im Streitfall nicht vor. Vielmehr oblag es der Entscheidung des einzelnen Arbeitnehmers, ob er von dem Kurangebot der Klägerin Gebrauch machen wollte oder nicht. Zwar "sollte" er sich in dem genannten Alter einer Kur unterziehen, aber er "mußte" es nicht, um berufliche Nachteile zu vermeiden, wie im Falle des Urteils in BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39 die leitenden Angestellten hinsichtlich der Teilnahme an der Vorsorgeuntersuchung. Demgegenüber kommt das starke Eigeninteresse des Arbeitnehmers im Streitfalle hinsichtlich der Teilnahme an einer Kur aus den genannten Gründen zum Ausdruck. Zwar mag es auch im Interesse der Klägerin gelegen haben, daß die Arbeitnehmer ihr Recht auf Beteiligung an den individuell gestalteten, ihrer Gesunderhaltung dienenden Kuren wahrnahmen, um so den Krankenstand unter den älteren Arbeitnehmern möglichst gering zu halten. Nur läßt sich daraus nicht folgern, daß dieses Interesse im Verhältnis zu dem der Arbeitnehmer an ihrer eigenen Gesundheit "ganz überwiegend eigenbetrieblich" gewesen ist.
Damit stellen die Leistungen der Klägerin in bezug auf die Übernahme der Kosten für die Kneippkuren steuerpflichtigen Arbeitslohn dar.
Fundstellen
Haufe-Index 61168 |
BStBl II 1987, 142 |
BFHE 148, 61 |
BFHE 1987, 61 |
BB 1987, 182 |
BB 1987, 182-182 (ST) |
DB 1987, 134-135 (ST) |
HFR 1987, 77-77 (ST) |