Entscheidungsstichwort (Thema)
Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft. emotionale Verbundenheit. Hintereinander geschaltete Bürgschaftsverträge. Lebensgefährte. Krasse finanzielle Überforderung. Übermäßig finanziell belastete Personalsicherheit. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bewilligung von Prozesskostenhilfe
Leitsatz (amtlich)
Zur Sittenwidrigkeit einer aus emotionaler Verbundenheit erteilten Bürgschaft bei hintereinander geschalteten Bürgschaftsverträgen.
Normenkette
BGB §§ 765, 138 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 09.04.2013; Aktenzeichen 9 U 7/13) |
LG Stuttgart (Entscheidung vom 27.12.2012; Aktenzeichen 21 O 297/12) |
Tenor
Der Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des 9. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 9.4.2013 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird der vorbezeichnete Beschluss aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens einschließlich der Wiedereinsetzung, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 40.000 EUR.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus Bürgschaft in Anspruch.
Rz. 2
Die Beklagte unterzeichnete unter dem 5.1.2002, 29.7.2002 und 16.9.2003 Erklärungen über eine "[b]etragsmäßig beschränkte Bürgschaft", in denen sie sich zunächst i.H.v. 41.000 EUR und sodann i.H.v. 45.000 EUR für Forderungen der Klägerin gegen den Lebensgefährten der Beklagten (künftig auch: Hauptschuldner) verbürgte.
Rz. 3
Am 17.11.2005 unterschrieb sie ein auf den 15.11.2005 datiertes Formular über eine "[b]etragsmäßig beschränkte Bürgschaft", das einen Höchstbetrag von 40.000 EUR auswies und sich auf eine Forderung der Klägerin gegen den Lebensgefährten aus einem näher bezeichneten "Kontokorrentkredit" bis 70.000 EUR und aus einem bestimmt bezeichneten Darlehen über gut 5.000 EUR bezog. Dieser Erklärung der Beklagten lag eine Selbstauskunft vom 6.10.2005 zugrunde, in der sie u.a. ihr monatliches Nettoarbeitseinkommen mit 322 EUR, monatliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit knapp 945 EUR, den Wert eines (tatsächlich in ihrem Alleineigentum stehenden) Wohngrundstücks mit "Vermögen gemeinsam Haus H. ca. 225.000 EUR" und die Summe ihrer Verbindlichkeiten gegenüber einer anderen Bank mit etwas über 171.000 EUR angegeben hatte.
Rz. 4
Im Februar 2007, unter dem 27.4.2009 und unter dem 1.4.2011 auf einem Formular vom 24.3.2011 erklärte die Beklagte erneut eine "[b]etragsmäßig beschränkte Bürgschaft" jeweils über 40.000 EUR, wobei als Hauptschuld (nur noch) eine Forderung der Klägerin aus einem konkret bezeichneten "Kontokorrentkredit" mit wechselndem Kreditrahmen - Februar 2007: bis 80.000 EUR, April 2009: bis 110.000 EUR, April 2011: bis 120.000 EUR - bezeichnet war.
Rz. 5
Im Januar 2012 kündigte die Klägerin die "Geschäftsverbindung" zum (inzwischen insolventen) Hauptschuldner. Anschließend nahm sie die Beklagte als Bürgin in Anspruch.
Rz. 6
Ihrer auf Zahlung von 40.000 EUR nebst Zinsen gerichteten Klage hat das LG stattgegeben, wobei es die Verpflichtung der Beklagten aus dem Bürgschaftsvertrag von November 2005 hergeleitet hat.
Rz. 7
Auf die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht den Hinweis erteilt, es beabsichtige, das Rechtsmittel durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch aus der Bürgschaft von November 2005 zu. Der im November 2005 zwischen den Parteien geschlossene Bürgschaftsvertrag habe eine selbständige Verpflichtung der Beklagten begründet und nicht nur die in den Jahren 2002 und 2003 übernommene Verpflichtung bestätigt. Der Bürgschaftsvertrag sei auch nicht wegen einer krassen finanziellen Überforderung der Beklagten sittenwidrig und nichtig. Dabei könne der tatsächliche Wert des Wohngrundstücks der Beklagten dahinstehen. Denn die Beklagte habe in ihrer Selbstauskunft vom 6.10.2005 angegeben, über Grundeigentum im Wert von "ca. 225.000 EUR" zu verfügen. Abzüglich "der noch valutierenden Darlehen von ca. 171.350 EUR" habe sie nach eigenen Angaben noch "über freies Vermögen von über 50.000 EUR" verfügt, das sie zur vollständigen Tilgung der Bürgschaftsverbindlichkeit habe nutzen können. Damit sei "die Vermutung für eine subjektiv anstößige Ausnutzung" der emotionalen Verbundenheit der Beklagten bei Begründung einer übermäßig finanziell belastenden Personalsicherheit durch die Klägerin widerlegt, weil sie von einer krassen finanziellen Überforderung der Beklagten keine Kenntnis gehabt habe. Dass die Beklagte ihre Angabe zum Wert des Wohngrundstücks mit dem Zusatz "ca." versehen habe, sei unschädlich, weil sie damit lediglich ihr Unvermögen zum Ausdruck gebracht habe, "eine - betragsmäßig - genaue Angabe" zu machen. Die zum Erwerb und zur Sanierung des Wohngrundstücks ursprünglich aufgenommenen Darlehen legten die Richtigkeit der Schätzung der Beklagten nahe. Wertabschläge für einen (nicht absehbaren) "Notverkauf" des Wohngrundstücks oder eine (ebenfalls nicht abschätzbare) Vorfälligkeitsentschädigung im Verhältnis zum dritten Darlehensgeber auf den Wert der Immobilie habe die Klägerin nicht machen müssen.
Rz. 8
Nach Stellungnahme der Beklagten zu diesen Hinweisen hat das Berufungsgericht wie angekündigt entschieden. Ergänzend hat es ausgeführt: An der Wirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtung ändere es nichts, wenn die Bürgschaft von November 2005 durch spätere Bürgschaften in den Jahren 2007, 2009 und 2011 ersetzt worden sei bzw. sämtliche zwischen den Parteien geschlossenen Bürgschaftsverträge seit November 2005 nicht nur ändernden, sondern schuldneuschaffenden Charakter gehabt hätten. Die Klägerin nehme die Beklagte "nicht aus der Bürgschaft vom 17. [...] [November] 2005, sondern allgemein aus der 'Bürgschaft über 40.000 EUR [...]'" in Anspruch. Bis in das Jahr 2012 hätten sich die Kriterien zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten aus Sicht der Klägerin nicht geändert, so dass sämtliche Verträge bis zu dem des Jahres 2011 vor § 138 Abs. 1 BGB Bestand hätten.
Rz. 9
Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
II.
Rz. 10
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu gewähren, weil sie nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Senat fristgerecht sowohl die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt als auch begründet hat (§§ 233, 234 Abs. 1 und 2 ZPO).
Rz. 11
2. Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil der angegriffene Beschluss den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BGH v. 11.5.2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f.; v. 9.2.2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516). Aus demselben Grund ist er gem. § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 12
a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 60, 247, 249; 65, 293, 295 f.; 70, 288, 293; 83, 24, 35). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen eines Beteiligten auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, zumal es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, sich mit jedem Vorbringen in der Begründung seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG setzt eine gewisse Evidenz der Gehörsverletzung voraus. Im Einzelfall müssen besondere Umstände vorliegen, die deutlich ergeben, dass das Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfGE 22, 267, 274; 54, 86, 91 f.; 79, 51, 61; 86, 133, 146; 96, 205, 216f.).
Rz. 13
b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Rz. 14
Das Berufungsgericht hat erstmals in seinem die Berufung zurückweisenden Beschluss nicht mehr - wie zuvor noch in seinem Hinweisbeschluss im Anschluss an die Entscheidung des LG - einen Anspruch der Klägerin (nur) aus dem Bürgschaftsvertrag von November 2005, sondern "allgemein aus der 'Bürgschaft über 40.000 EUR [...]'" abgeleitet. Dabei hat es sämtliche Rechtsgeschäfte bis April 2011 als "neue Verträge" qualifiziert bzw. unterstellt, dass der Bürgschaftsvertrag von November 2005 "durch die späteren Bürgschaften" von Februar 2007, April 2009 und April 2011 "ersetzt worden" sei. Damit ist in dritter Instanz zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass das Berufungsgericht die Vereinbarung von April 2011 als maßgeblich für die Herleitung ihrer Verpflichtung angesehen hat. Zugleich hat das Berufungsgericht angenommen, die Klägerin habe "die Vermutung für eine subjektiv anstößige Ausnutzung durch Nachweis der fehlenden Kenntnis" von einem "möglichen krassen Missverhältnis widerlegt", weil sie sich auf die Angaben der Beklagten in ihrer Selbstauskunft vom 6.10.2005 habe verlassen dürfen. "[B]is zur - erst später erteilten - neuen Selbstauskunft vom 30. [...] [Juni] 2012" hätten "sich die Kriterien zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Beklagten aus Sicht der Klägerin nicht geändert".
Rz. 15
Dabei hat das Berufungsgericht, für das die eigene Einschätzung der Beklagten in Bezug auf ihre Vermögenslage von zentraler Bedeutung für seine Argumentation zu § 138 Abs. 1 BGB war, übersehen, dass die Beklagte bereits in erster Instanz in dem ihr nachgelassenen Schriftsatz vom 6.12.2012 und erneut in ihrer Stellungnahme zu den Hinweisen des Berufungsgerichts mit Schriftsatz vom 25.3.2013 auf ihre Selbstauskunft vom 4.11.2010 - also vor April 2011 - hingewiesen hatte, in der die "Summe der Verkehrswerte" von Immobilien mit "ca. 125.000" EUR beziffert war und diesem Wert Verbindlichkeiten von über 143.000 EUR gegenübergestellt waren. Diese Selbstauskunft hat sie zwar entgegen der Bezugnahme im Schriftsatz vom 6.12.2012 nicht als dessen Anlage 11b, wohl aber bereits mit Schriftsatz vom 21.10.2012 ohne Benennung im Anschluss an die dortige Anlage B 11 vorgelegt. Das Berufungsgericht hat diesen aus seiner Warte in einem zentralen Punkt entscheidungserheblichen Vortrag ebenso außer Acht gelassen wie das in der Berufungsbegründung unter Beweis gestellte Vorbringen der Beklagten, die Klägerin selbst habe aufgrund einer Besichtigung im Jahr 2008 den Wert des Grundstücks auf 125.000 EUR taxiert.
Rz. 16
c) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BVerfGE 7, 95, 99; 60, 247, 250; 62, 392, 396; 89, 381, 392 f.). Das ist der Fall, weil das Berufungsgericht maßgeblich darauf abgestellt hat, die Klägerin habe bis Ende Juni 2012 keinen Anlass gehabt, die Leistungsfähigkeit der Beklagten neu und anders zu beurteilen.
Rz. 17
d) Die Zurückweisung der Berufung kann mit keiner anderen Begründung Bestand haben (BGH, Urt. v. 18.7.2003 - V ZR 187/02, WM 2004, 46, 47 f.; Musielak/Ball, ZPO, 10. Aufl., § 543 Rz. 9k). Insbesondere lässt sie sich nicht mit dem Argument halten, bei unterstellter Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit der Schuldum- oder -neuschaffungen im April 2011 und April 2009 stehe der Klägerin (wenigstens) ein Anspruch aus dem Bürgschaftsvertrag von Februar 2007 zu, so dass es auf Erkenntnisse der Klägerin aufgrund einer Selbstauskunft der Beklagten vom 4.10.2010 bzw. aufgrund einer im Jahr 2008 erstellten eigenen Bewertung nicht ankomme. Denn bei einer Verpflichtung aus Bürgschaftsvertrag von Februar 2007, der überdies möglicherweise durch einen Folgevertrag aufgehoben wurde, handelte es sich um einen anderen Streitgegenstand (vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 144). Zudem fehlen tragfähige Feststellungen zu den subjektiven Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB, weil die Klägerin sich - unbeschadet der Frage, welche Wirkungen der Erklärung für einen Vertragsschluss Ende 2005 zukam - mehr als ein Jahr später nicht auf die Richtigkeit der am 6.10.2005 gemachten Angaben verlassen durfte.
Rz. 18
3. Das Berufungsgericht wird in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung das Rangverhältnis der Klagegründe, auf die die Klägerin ihr Begehren stützt, zu klären haben (Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids: "Bürgschaft gem. Vertrag vom 6.6.2000"; Anspruchsbegründungsschrift: 2007, 2009 und 2011 "bestätigt[e]" Bürgschaft vom "17.11.2005"; Schriftsatz vom 28.11.2012: "Bürgschaftsverpflichtung vom 17.11.2005"). Weil es sich bei der Herleitung eines Zahlungsanspruchs aus mehreren selbständigen Bürgschaftsverträgen um mehrere Streitgegenstände handelt, kann wegen §§ 253 Abs. 2 Nr. 2, 308 Abs. 1 und § 322 Abs. 1 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 18.11.1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 166) nicht offen bleiben, auf welcher vertraglichen Vereinbarung zwischen Gläubiger und Bürge und auf welcher Hauptschuld (vgl. BGH, Urt. v. 29.1.2008 - XI ZR 160/07, BGHZ 175, 161 Rz. 30; BGH, Urt. v. 18.11.1993 - IX ZR 244/92, BGHZ 124, 164, 167) die Verurteilung beruht. Eine alternative Klagenhäufung, die es dem Berufungsgericht überlässt, aus der Kette der Bürgschaftsverträge den herauszusuchen, den es als Verpflichtungsgrund gelten lassen will, ist unzulässig (vgl. BGH, Beschl. v. 24.3.2011 - I ZR 108/09, BGHZ 189, 56 Rz. 6 ff.; Urt. v. 13.9.2012 - I ZR 230/11, BGHZ 194, 314 Rz. 18; Urt. v. 25.4.2013 - IX ZR 62/12, WM 2013, 1040 Rz. 12).
Rz. 19
Das Berufungsgericht wird ggf. weiter Anlass haben zu prüfen, ob den Vereinbarungen von 2007, 2009 und 2011 tatsächlich - wie in dritter Instanz zugunsten der Beklagten zu unterstellen - schuldum- oder -neuschaffende Wirkung zukommt. Es wird dabei die von der Beklagten als Anlagen BK 8 bis 11 vorgelegten Schreiben der Klägerin zu bewerten haben, in denen es unter Bezugnahme auf "gegenüber uns neu übernommene[...] Bürgschaften" heißt, jeweils vorangehend erteilte Bürgschaften seien "entwertet zu unseren Akten genommen" worden. Ob die Parteien einen Änderungsvertrag, eine Schuldum- oder eine Schuldneuschaffung gewollt haben (dazu BGH, Urt. v. 8.3.2012 - IX ZR 51/11, WM 2012, 857 Rz. 22; MünchKomm/BGB/Emmerich, 6. Aufl., § 311 Rz. 15; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 311 Rz. 8 ff.), ist durch Auslegung zu ermitteln. Wegen der weitreichenden Folgen einer Schuldum- oder -neuschaffung muss ein dahingehender Vertragswille deutlich erkennbar zum Ausdruck kommen. Wenn Zweifel verbleiben, ist regelmäßig nur von einem Änderungsvertrag auszugehen (BGH, Urt. v. 14.11.1985 - III ZR 80/84, WM 1986, 135, 136; Urt. v. 8.3.2012, a.a.O., Rz. 23; Palandt/Grüneberg, a.a.O., Rz. 8 m.w.N.). Der Umstand, dass eine Erweiterung des Kreditlimits des Hauptschuldners wegen § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht ohne Weiteres zu Lasten des Bürgen wirkt (vgl. BGH, Urt. v. 18.5.1995 - IX ZR 108/94, BGHZ 130, 19, 34; Urt. v. 13.11.1997 - IX ZR 289/96, BGHZ 137, 153, 155 f.; Urt. v. 3.11.2005 - IX ZR 181/04, BGHZ 165, 28, 34), zwingt nicht zu der Annahme, die Parteien hätten bei jeder Erweiterung der Kreditlinie eine Schuldum- oder -neuschaffung vorgenommen. Eine Haftungserweiterung kann auch Gegenstand einer (bloßen) Abänderung des Bürgschaftsvertrages in der Form des § 766 BGB sein (vgl. Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 767 Rz. 10), sofern die Identität der Hauptschuld gewahrt bleibt (vgl. Habersack in MünchKomm/BGB, a.a.O., Rz. 3).
Rz. 20
Sollte das Berufungsgericht feststellen, dass einzelne der zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarungen (lediglich) Änderungsverträge zum Gegenstand hatten, wird es die Untersuchung der Frage, ob der Bürgschaftsvertrag wegen krasser finanzieller Überforderung der Beklagten sittenwidrig und damit nichtig ist, auf den Ausgangsvertrag bezogen zu beantworten haben, sofern die Änderungsverträge lediglich eine Anpassung der Bürgschaft an den Umfang der Hauptschuld und nicht den Umfang der Bürgschaft selbst zum Gegenstand hatten (vgl. BGH, Urt. v. 27.1.1977 - VII ZR 339/74, WM 1977, 399, 400; RGZ 86, 296, 298 f.).
Rz. 21
Bei der Prüfung des § 138 Abs. 1 BGB wird zu bedenken sein, dass eine krasse finanzielle Überforderung ausscheidet, wenn die Bürgenschuld durch den Wert eines dem Bürgen gehörenden Grundstücks abgedeckt ist (BGH, Urt. v. 26.4.2001 - IX ZR 337/98, WM 2001, 1330, 1331 f.). Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nur der im Einzelfall effektiv verfügbare Sicherungswert des Grundeigentums in Ansatz zu bringen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf dem Grundeigentum ruhende dingliche Belastungen sind wertmindernd zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 14.5.2002 - XI ZR 50/01, BGHZ 151, 34, 38 f.; v. 28.5.2002 - XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648; v. 24.11.2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rz. 15; Nobbe in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Hdb., 4. Aufl., § 91 Rz. 98), wobei ausgehend von diesem Zeitpunkt der Umfang der dinglichen Belastung bei Eintritt des Sicherungsfalls zu prognostizieren ist (Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 765 BGB Rz. 93). Darlegungs- und beweispflichtig dafür, die von ihr übernommene Bürgschaft habe bei Stellung der Personalsicherheit ihre Leistungsfähigkeit bei weitem überschritten, ist die Beklagte (vgl. BGH, Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 93/93, BGHZ 125, 206, 217; Federlin in Kümpel/Wittig, Bank- und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl., Rz. 12.261; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast - BGB Schuldrecht BT II, 3. Aufl., § 765 Rz. 4; BGH, Urt. v. 24.11.2009 - XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rz. 16 betrifft die Darlegungslast für eine voraussehbare nachträgliche Wertsteigerung). Wertangaben des Bürgen in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrages erteilten Selbstauskunft, die seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen, widerlegen die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nicht ohne Weiteres (vgl. BGH, Urt. v. 24.3.1988 - III ZR 30/87, BGHZ 104, 102, 108; Urt. v. 24.2.1994 - IX ZR 93/93, BGHZ 125, 207, 212 f., 217; Urt. v. 18.9.2001 - IX ZR 183/00, WM 2001, 2156, 2158; Sack/Fischinger in Staudinger, BGB, Neubearb. 2011, § 138 Rz. 387; großzügiger Habersack in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 765 Rz. 25 a.E.; Nobbe, Kommentar zum Kreditrecht, 2. Aufl., § 765 BGB Rz. 98 m.w.N. zur obergerichtlichen Rechtsprechung; zur wahrheitswidrigen Selbstauskunft Hoffmann in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 2013, Kap. 29 Rz. 28 a.E.). Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten (BGH, Urt. v. 24.2.1994, a.a.O., S. 217). Das bedarf für die Selbstauskunft vom 6.10.2005 näherer Überprüfung, da sie mittels der Wendungen "gemeinsam" und "ca." auf exakte Angaben verzichtete und damit schon aus sich heraus zu Zweifeln an ihrer Verlässlichkeit Anlass gab.
Rz. 22
Sofern das Berufungsgericht dahin gelangen sollte, die Bürgenschuld sei durch den Wert des der Beklagten gehörenden Grundstücks nicht abgedeckt, wird es sich mit der Frage zu befassen haben, ob die Beklagte bei Abschluss des vom Berufungsgericht als maßgeblich ermittelten Bürgschaftsvertrages (wenigstens) in der Lage war, die Zinslast aus dem pfändbaren Teil ihres Einkommens, bei dessen Ermittlung Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit zu berücksichtigen sind, bei Eintritt des Sicherungsfalles dauerhaft zu tragen (vgl. BGH, Urt. v. 19.2.2013 - XI ZR 82/11, WM 2013, 608 Rz. 9 ff. m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 6787138 |
DB 2014, 7 |
EBE/BGH 2014 |
WM 2014, 989 |
WuB 2014, 369 |
ZIP 2014, 1016 |
DZWir 2014, 457 |
JZ 2014, 397 |
MDR 2014, 736 |
NJ 2014, 430 |
BKR 2014, 285 |
ZBB 2014, 186 |
FK 2014, 110 |