Leitsatz (amtlich)
Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) sind im Wertausgleich bei der Scheidung regelmäßig auch dann ausgleichsreif, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte bereits eine Vollrente wegen Alters bezieht und es nach seinen aktuellen Verhältnissen zu einer Einkommensanrechnung nach § 97a SGB VI käme (Fortführung von Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22, FamRZ 2023, 761).
Normenkette
VersAusglG § 19 Abs. 1-2; SGB VI § 97a
Verfahrensgang
Saarländisches OLG (Entscheidung vom 30.01.2023; Aktenzeichen 6 UF 158/22) |
AG Homburg (Entscheidung vom 15.11.2022; Aktenzeichen 9 F 210/20 S) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des 6. Zivilsenats - Senat für Familiensachen I - des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 30. Januar 2023 aufgehoben.
Auf die Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss des Amtsgerichts Homburg vom 15. November 2022 teilweise abgeändert und im Anschluss an Ziffer 4. wie folgt ergänzt:
Zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin (Ehefrau) bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Versicherungsnummer 57 160256 F 509) wird im Wege der internen Teilung zu Gunsten des Antragstellers (Ehemann) ein Anrecht in Höhe von 2,9241 Entgeltpunkten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auf dessen Versicherungskonto bei der Deutschen Rentenversicherung Saarland (Versicherungsnummer 17 141252 F 001), bezogen auf den 31. August 2020, übertragen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren werden unter den Ehegatten gegeneinander aufgehoben.
Gerichtskosten werden für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht erhoben.
Wert: 1.000 €
Gründe
I.
Rz. 1
Auf den am 25. September 2020 zugestellten Antrag hat das Familiengericht die am 5. Juli 1974 geschlossene Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden und den Versorgungsausgleich geregelt. Während der Ehezeit (1. Juli 1974 bis 31. August 2020; § 3 Abs. 1 VersAusglG) erwarb der Ehemann 49,5775 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 24,7888 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 186.969,18 € in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie 107,89 Versorgungspunkte mit einem Ausgleichswert von 49,61 Versorgungspunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 30.129,54 € in der Ruhegehalts- und Zusatzversorgungskasse Saarland. Die Ehefrau erwarb 22,1883 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 11,0942 Entgeltpunkten bei einem korrespondierenden Kapitalwert von 83.677,85 € in der gesetzlichen Rentenversicherung. Zusätzlich erwarb sie in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Zuschlag von 5,8481 Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (sog. Grundrenten-Entgeltpunkte) mit einem Ausgleichswert von 2,9241 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 22.054,98 €. Beide Ehegatten beziehen bereits eine Vollrente wegen Alters.
Rz. 2
Das Familiengericht hat die Anrechte jeweils intern geteilt mit Ausnahme des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, zu dessen Ausgleich sich die Entscheidung nicht verhält.
Rz. 3
Auf die Beschwerde des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung (Beteiligte zu 1) der Ehefrau hat das Oberlandesgericht ergänzend angeordnet, dass ein Wertausgleich bei der Scheidung hinsichtlich des von der Ehefrau erworbenen Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht stattfinde. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zum Ausgleich des Anrechtes aus dem Zuschlag für langjährige Versicherung bereits bei der Scheidung.
Rz. 5
1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Bei dem Zuschlag für langjährige Versicherung handele es sich um ein eigenständiges, grundsätzlich gesondert von den übrigen Entgeltpunkten auszugleichendes Versorgungsanrecht. Hier sei das Anrecht jedoch wegen Unwirtschaftlichkeit nicht ausgleichsreif, weil der Ausgleichsberechtigte daraus unter Anrechnung seiner Altersnettoeinkünfte von mindestens 1.492,50 € voraussichtlich keinen Versorgungsanspruch erlangen könne.
Rz. 6
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Zutreffend ist das Oberlandesgericht allerdings davon ausgegangen, dass es sich bei dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung (§ 76 g SGB VI) um ein im Versorgungsausgleich auszugleichendes Anrecht handelt (vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - FamRZ 2023, 761 Rn. 8 ff. mwN). Dieser stellt ein eigenständiges Anrecht dar, das im Versorgungsausgleich gesondert intern zu teilen ist und deshalb weder den allgemeinen Entgeltpunkten hinzugerechnet noch solchen im Rahmen einer Geringfügigkeitsprüfung nach § 18 Abs. 1 VersAusglG gegenübergestellt werden darf (§ 120 f Abs. 2 Nr. 3 SGB VI; vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - FamRZ 2023, 761 Rn. 25).
Rz. 8
b) Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts erfüllt der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung auch grundsätzlich die Voraussetzungen der Ausgleichsreife im Sinne von § 19 Abs. 1 und 2 VersAusglG. Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht angenommen, der Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung sei gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 3 VersAusglG deshalb nicht ausgleichsreif, weil sein Ausgleich im konkreten Fall für die ausgleichsberechtigte Person unwirtschaftlich wäre.
Rz. 9
aa) Unwirtschaftlichkeit im Sinne dieser Bestimmung setzt voraus, dass sich der Ausgleich voraussichtlich nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken wird, was etwa dann der Fall ist, wenn der Ausgleichsberechtigte eine erforderliche Wartezeit nicht mehr erfüllen kann. Im Unterschied hierzu kann jedoch grundsätzlich nicht bereits im Versorgungsausgleichsverfahren festgestellt werden, dass die nach § 97 a SGB VI vorgesehene Einkommensanrechnung zu einer Unwirtschaftlichkeit des Ausgleichs insoweit führt. Denn selbst wenn es nach den aktuellen Verhältnissen des Ehemanns zu einer Einkommensanrechnung käme, kann sich dies jährlich ändern (Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - FamRZ 2023, 761 Rn. 21 f. mwN).
Rz. 10
Anzurechnendes Einkommen im Leistungsbezug ist gemäß § 97 a Abs. 2 Nr. 1 SGB VI namentlich das zu versteuernde Einkommen nach § 2 Abs. 5 EStG. Darunter ist das Einkommen zu verstehen, vermindert um die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG und um die sonstigen vom Einkommen abzuziehenden Beträge. Einkommen ist der Gesamtbetrag der der Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen (§ 2 Abs. 4 EStG). Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens werden somit vom Gesamtbetrag der Einkünfte Sonderausgaben wie etwa Vorsorgeaufwendungen, individuelle Freibeträge und außergewöhnliche Belastungen abgezogen. Da sich Art und Höhe der zu berücksichtigenden Abzüge wie beispielsweise hinzutretende Pflegekosten als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) oder Pauschbeträge für Menschen mit Behinderungen (§ 33 b EStG) jährlich ändern können, bieten die vom Oberlandesgericht allein anhand von errechneten Versorgungsbezügen angestellten Erwägungen keine ausreichende Anknüpfung für die Ermittlung eines (dauerhaft) anzurechnenden Einkommens und somit für die Annahme, der Ausgleich werde sich dauerhaft nicht zugunsten der ausgleichsberechtigten Person auswirken (vgl. Senatsbeschluss vom 1. März 2023 - XII ZB 360/22 - FamRZ 2023, 761 Rn. 23 mwN).
Rz. 11
bb) In so gelagerten Fällen begegnet die Durchführung der Teilung auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (aA Schwamb NZFam 2023, 453, 455).
Rz. 12
Zwar kann die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Versorgungsausgleichs entfallen, wenn bei dem Ausgleichspflichtigen eine Anrechtskürzung erfolgt, ohne dass sich dies entsprechend im Erwerb eines selbständigen Anrechts für den Ausgleichsberechtigten auswirkt, und somit der Ausgleichspflichtige ein Opfer erbringt, das im Ergebnis seinen Zweck verfehlt (BVerfGE 153, 358 = FamRZ 2020, 1078 Rn. 50 f.). Eine endgültige Zweckverfehlung kann indessen nicht angenommen werden, solange nicht feststeht, dass der Ausgleichsberechtigte infolge von Einkommensanrechnung dauerhaft keinen Rentenanteil aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung erlangen kann. Zudem würde bei fortbestehender Ehe auf den Rentenanteil des Versorgungsberechtigten aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung nicht nur sein eigenes Einkommen, sondern auch das seines Ehegatten angerechnet (§ 97 a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 4 SGB VI).
Rz. 13
c) Von dem sonach bereits bei der Scheidung durchzuführenden Ausgleich ist auch nicht wegen Geringfügigkeit abzusehen.
Rz. 14
Die Beurteilung dieser Frage richtet sich nach § 18 Abs. 2 VersAusglG, da der Ehemann während der Ehezeit kein gleichartiges Anrecht, nämlich keine Entgeltpunkte aus einem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung, erworben hat. Der vom Versorgungsträger hinsichtlich des Zuschlags an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung angegebene, mit dem Ausgleichswert korrespondierende Kapitalwert liegt deutlich über der bei Ehezeitende geltenden Bagatellgrenze (§ 18 Abs. 3 VersAusglG), so dass nicht wegen Geringfügigkeit von einem Ausgleich der Anrechte abgesehen werden kann.
Rz. 15
3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden, da keine weiteren Feststellungen erforderlich sind. Der Ehezeitanteil der von der Ehefrau erworbenen Entgeltpunkte aus dem Zuschlag an Entgeltpunkten für langjährige Versicherung ist in hälftiger Höhe im Wege der internen Teilung auf das Versicherungskonto des Ehemanns zu übertragen.
Guhling |
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Klinkhammer |
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Günter |
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Nedden-Boeger |
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Pernice |
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Fundstellen
Haufe-Index 15798143 |
NJW 2023, 3241 |
NJW 2023, 8 |
FuR 2023, 3 |
FuR 2024, 275 |
BetrAV 2023, 501 |
ZAP 2023, 883 |
JZ 2023, 541 |
MDR 2023, 1119 |
FamRB 2023, 5 |
NZFam 2023, 992 |