1 Entwicklung des Brexits
Mit der Entscheidung zum sog. Brexit hat das Vereinigte Königreich am 29.3.2017 offiziell seinen Austritt aus der EU erklärt. Am 23.3.2019 erfolgte eine Fristverlängerung bis zum 12.4.2019 und anschließend bis zum 31.10.2019. Am 28.10.2019 wurde eine weitere Fristverlängerung bis zum 31.1.2020 beschlossen. Am 20.12.2019 hat das britische Parlament dem Austrittsabkommen zugestimmt. Das Europäische Parlament hat am 29.1.2020 ebenfalls dem Austrittsabkommen zugestimmt, sodass das Vereinigte Königreich die Europäische Union zum 1.2.2020 verlassen hat. Die Entscheidung hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der europäischen Bürger. Auch im Bereich der Sozialversicherung sind sämtliche Bereiche betroffen. Vom 1.2.2020 bis zum 31.12.2020 galt eine Übergangsphase. In dieser Übergangsphase waren auf das Vereinigte Königreich die Verordnungen (EG) über soziale Sicherheit weiter uneingeschränkt anzuwenden. Somit ergaben sich bis zu diesem Zeitpunkt keine Auswirkungen für Unternehmen, Institutionen und Versicherte.
1.1 Fortgelten der Verordnungen (EG) über soziale Sicherheit
Die Verordnungen (EG) über soziale Sicherheit sind auch über den 31.12.2020 hinaus anzuwenden, sofern sich in dem zu bewertenden Sachverhalt keine Änderungen in den Verhältnissen ergeben haben.
1.2 Austrittsabkommen und Übergangsphase
Mit dem "Austrittsabkommen" wird das im EU-Vertrag vorgesehene Abkommen zwischen dem Austrittskandidaten und der EU bezeichnet. Mit dem Inkrafttreten des Austrittsabkommens zum 1.2.2020 begann die Übergangsphase, die am 31.12.2020 endete.
Nach dem Ende der Übergangsphase galten die Verordnungen (EG) über soziale Sicherheit in den Sachverhalten weiter, die vor dem Ende der Übergangsphase begonnen hatten und darüber hinausgehen. Außerdem wurden von dem Austrittsabkommen auch Sachverhalte erfasst, die erst nach dem Ende des Übergangszeitraums aufgetreten waren, ihren Ursprung aber bereits vor dem Ende des Übergangszeitraums hatten.
1.3 Abkommen über Handel und Zusammenarbeit
Das "Abkommen über Handel und Zusammenarbeit" regelt die zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Es wurde am 27.4.2021 ratifiziert und ist zum 1.5.2021 in Kraft getreten. In der Zeit vom 1.1.2021 bis 30.4.2021 wurde es vorläufig angewandt. Von dem neuen Abkommen über Handel und Zusammenarbeit werden Sachverhalte erfasst, die ab dem 1.1.2021 beginnen und bei denen es keinen grenzüberschreitenden Bezug zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gibt. Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit erfasst die Kranken-, Renten-, Unfallversicherung und den Bereich der Arbeitsförderung. Nicht erfasst werden die Familienleistungen sowie der Bereich der Pflegeversicherung. Es beinhaltet Regelungen, die im Wesentlichen den Regelungen der Verordnungen (EG) über soziale Sicherheit entsprechen.
2 Recht für Entsendungen in den verschiedenen Abkommensphasen
2.1 Entsendungen nach dem Austrittsabkommen
Vor dem Ende der Übergangsphase
Entsendungen, die vor dem 1.1.2021 begonnen haben gelten bis zum Ablauf der Entsendung weiter. Da die Entsendedauer auf 24 Kalendermonate begrenzt ist, kann es neue Entsendungen nach dem Austrittsabkommen nicht mehr geben. Begonnene Entsendungen sind im Regelfall bereits beendet.
Nach dem Ende der Übergangsphase
Entsendungen, die nach dem 31.12.2020 beginnen, fallen nicht unter das Austrittsabkommen. Es gelten die Regelungen des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit.
2.2 Entsendungen nach dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit
Für Entsendungen und vorübergehende selbstständige Tätigkeiten gelten die Regelungen des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit, wenn sie
- nach dem 1.1.2021 beginnen und
- keinen grenzüberschreitenden Bezug zum Vereinigten Königreich haben,
sofern dies vom jeweiligen Staat gewünscht wird. Ist dies der Fall, dann muss der jeweilige Staat eine entsprechende Meldung (sog. Notifizierung) abgeben. Die Notifizierung Deutschlands soll kurzfristig erfolgen. Sollte ein Mitgliedstaat keine Notifizierung abgeben, gelten keine Entsenderegelungen.
Für Personen, für die im Bereich der Krankenversicherung die deutschen Rechtsvorschriften nach dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit gelten, finden auch die Vorschriften der Pflegeversicherung Anwendung.
3 Auswirkungen auf die Sozialversicherung
3.1 Vorversicherungszeiten
Die während der Übergangsphase im Vereinigten Königreich zurückgelegten Versicherungs- und Beschäftigungszeiten können als Vorversicherungszeiten in allen Versicherungszweigen angerechnet werden. Dies gilt insbesondere im Bereich der Kranken- und Pflegeversicherung.
Zeiten, die nach der Übergangsphase im Vereinigten Königreich zurückgelegt werden, können ebenfalls berücksichtigt werden. Voraussetzung ist, dass bereits zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem Ende der Übergangphase Zeiten im Vereinigten Königreich zurückgelegt wurden.
Berücksichtigung von in der Übergangsphase erworbene Vorversicherungszeiten
Ein deutscher Staatsangehöriger ist seit 2010 im Vereinigten Königreich beschäftigt. Er beabsichtigt 2023 als Rentner nach Deutschland zurückzukehren. Da er bereits vor dem 31.12.2020 im Vereinigten Königreich gewohnt hat, wird er vom Austrittsabkommen erfasst. Die Rentenzeiten können vollständig als Vorversicherungszeiten angerechnet werden.
Zeiten, die nach dem Abkommen über Handel und Zusammenarbeit zurückgelegt wurden, werden ebenfalls als Vorver...