Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfrage. Erklärung der Verrechnung durch Verwaltungsakt oder durch verwaltungsrechtliche Willenserklärung?
Orientierungssatz
Beim 4. Senat des Bundessozialgerichts wird angefragt, ob er an der Rechtsauffassung festhält, dass eine Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt zu erklären, sondern durch verwaltungsrechtliche Willenserklärung auszuüben sei.
Normenkette
SGB 1 § 51 Abs. 1 Hs. 1, Abs. 1 Hs. 2, Abs. 2 Hs. 1, § 52; SGB 10 § 24 Abs. 1, 2 Nr. 7, § 31 S. 1; SGG § 41 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Beklagten, Ansprüche der Beigeladenen mit der Altersrente des Klägers zu verrechnen. Streitig ist insbesondere, ob die Verrechnung durch Verwaltungsakt erfolgen durfte.
Der Kläger bezieht von der Beklagten seit Oktober 2003 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Der monatliche Zahlbetrag dieser Rente betrug im Oktober/November 2005 873,83 Euro. Mit Schreiben vom 21.10.2005 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung einer Forderung in Höhe von 53.012,27 Euro aus überzahltem Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen sowie Mahnkosten mit Leistungsansprüchen des Klägers gegen die Beklagte. Nach Anhörung des Klägers am 28.10.2005 erklärte diese durch Bescheid vom 21.11.2005, der Anspruch der Beigeladenen werde mit seinem Anspruch auf Rente derart verrechnet, dass ab dem nächstmöglichen Zeitpunkt monatlich 436,-- Euro von der Rentenzahlung einbehalten und an die Beigeladene bis zur Tilgung der Forderung gezahlt würden. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos, weil der Kläger eine von der Beklagten angeforderte Grundsicherungsbedarfsberechnung zum Nachweis, dass er bei einer Verrechnung sozialhilfebedürftig werde, nicht vorgelegt habe (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2006).
Mit Urteil vom 27.7.2007 hat das Sozialgericht (SG) den Bescheid der Beklagten vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben, weil eine Verrechnung nicht durch Verwaltungsakt habe vorgenommen werden dürfen; die in dem Verwaltungsakt enthaltene öffentlich-rechtliche Willenserklärung in Form der Verrechnungserklärung stehe nicht zur Überprüfung, weil der Kläger eine hierfür erforderliche Leistungsklage auf Auszahlung der bereits einbehaltenen Beträge hätte erheben müssen. Dies habe er trotz vorherigen Hinweises des Gerichts aber nicht getan. Deshalb beschränke sich die Prüfung des Gerichts darauf, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, die Verrechnungserklärung in Form eines Verwaltungsakts abzugeben. Hierfür fehle es jedoch an einer gesetzlichen Ermächtigung (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1). Obwohl es sich bei der Verrechnungserklärung mittels "Bescheids" nicht um einen Verwaltungsakt handele, müsse dieser "Schein-Verwaltungsakt" aufgehoben werden, weil der Betroffene dadurch beschwert sei.
Während des Verfahrens über die Berufung der Beklagten hat der Kläger seinen Wohnsitz nach Thailand verlegt. Mit Urteil vom 7.2.2008 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung im Wesentlichen aus den Gründen des erstinstanzlichen Urteils zurückgewiesen.
Sowohl die Beklagte als auch die Beigeladene haben die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Beide haben sich zur Begründung im Wesentlichen darauf bezogen, dass sie dem Urteil des 4. Senats des BSG vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1) nicht folgten und eine Verrechnung durch Verwaltungsakt für zulässig hielten. Die Beklagte hat erklärt, sie sei nach wie vor an einer Verrechnung gegenüber dem Kläger interessiert.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 7.2.2008 und des Sozialgerichts Hildesheim vom 27.7.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Der 13. Senat beabsichtigt, auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen das Berufungsurteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (hierzu im Folgenden unter 1.). Er sieht sich hieran durch das Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1) gehindert; würde er der Rechtsauffassung, auf der dieses Urteil beruht, im vorliegenden Fall folgen, wären die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen (hierzu im Folgenden unter 2.). Dies macht die aus dem Entscheidungssatz ersichtliche Anfrage gemäß § 41 Abs 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlich (hierzu im Folgenden unter 3.).
Die Anfrage ist an den 4. Senat und nicht etwa an einen Nachfolgesenat zu richten (hierzu BSG vom 16.12.2008 - B 1 KR 69/08 B, zu II 1 der Gründe) . Ein Fall des § 41 Abs 3 Satz 2 SGG liegt nicht vor. Denn der 4. Senat kann iS dieser Vorschrift nach wie vor mit der aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen Rechtsfrage zur Auslegung des § 52 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) befasst werden (anders als mit Rechtsfragen aus dem Gebiet der allgemeinen Rentenversicherung, hierzu zB Senatsbeschluss vom 31.1.2008 - B 13 RJ 44/05 R RdNr 9; vgl allg Bundesfinanzhof ≪BFH≫ vom 24.9.1998, BFHE 187, 334, 337 mwN) .
1. Die vom anfragenden Senat beabsichtigte Zurückverweisung ist erforderlich, weil auf der Grundlage der vom LSG festgestellten Tatsachen nicht entscheiden werden kann, ob der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtswidrig ist.
Der Senat hat keine Bedenken hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses der Beklagten. Bei einem Rechtsmittelführer besteht ein solches in aller Regel, wenn er - wie hier die Beklagte - durch die Entscheidung der Vorinstanz beschwert ist. Einer der Ausnahmefälle (vgl BSG vom 8.5.2007, SozR 4-2700 § 136 Nr 3 RdNr 13) liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat nach wie vor ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, in welcher Form sie die Verrechnung gegenüber dem Kläger zu erklären hatte oder in Zukunft hat; sie ist jedenfalls nicht durch Verwirkung an der Durchführung der streitigen oder an einer neuen Verrechnung gegenüber dem Kläger gehindert.
a) Der angefochtene Bescheid war nicht bereits deswegen - als sog "formeller Verwaltungsakt" - aufzuheben, weil die durch ihn ausgesprochene Verrechnungserklärung nicht hätte als Verwaltungsakt ergehen dürfen. Denn mit dem Verwaltungsakt hat die Beklagte die zutreffende Handlungsform gewählt.
Nach § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X) ist "Verwaltungsakt … jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist".
Die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen liegt darin, dass die im Bescheid vom 21.11.2005 enthaltene Verrechnungserklärung eine unmittelbare Wirkung auf den Auszahlungsanspruch des Berechtigten hat. Das Tatbestandsmerkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" in § 31 SGB X ist erfüllt, weil § 52 SGB I eine Regelung des öffentlichen Rechts ist. Es liegt schließlich eine hoheitliche Maßnahme vor, also eine einseitige Handlung, die ihrem Adressaten in dieser Form der Art nach nicht zusteht (U. Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008, § 35 RdNr 104 mwN; nach Krasney in Kasseler Komm, § 31 SGB X, RdNr 6, Stand: 2003, kommt diesem Merkmal gegenüber den anderen Voraussetzungen kein eigenes Gewicht zu) .
Im Übrigen ist - anders als im Zivilrecht - nach dem SGB I auch die Aufrechnung nicht nur davon abhängig, dass sich die Behörde hierfür frei entscheidet und dies erklärt. Vielmehr ist (das Gleiche gilt, wegen der Verweisung in § 52 SGB I, für die Verrechnung) die Erklärung an das pflichtgemäße Ermessen (§ 51 Abs 1 Halbsatz 1, Abs 2 Halbsatz 1 SGB I) und an die Pfändbarkeit der Geldleistungen (Abs 1 Halbsatz 2 aaO) gebunden bzw (nach § 51 Abs 2 SGB I) an die Höhenbegrenzung (bis zur Hälfte) sowie die fehlende Hilfebedürftigkeit des Berechtigten nach der Aufrechnung.
Auch der Gesetzgeber sieht in einer Verrechnungserklärung einen Verwaltungsakt. Dies folgt aus der Regelung des § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, die durch das Zweite Gesetz zur Änderung des SGB vom 13.6.1994 (BGBl I 1229) mit Wirkung ab 18.6.1994 eingefügt wurde. Nach Abs 1 der Vorschrift ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu Äußerung zu geben; dies gilt jedoch nach Abs 2 Nr 7 der Vorschrift nicht, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als (in der ursprünglichen Fassung: 100 DM, jetzt:) 70 Euro (aufgerechnet oder) verrechnet werden soll. Hieraus kann nur geschlossen werden, dass - unabhängig von der Höhe - die Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären ist (vgl ferner die Entwurfsbegründung zu § 24 Abs 2 Nr 7 SGB X, BT-Drucks 12/5187 S 35 zu Art 6 Nr 1, wonach "materielle Einwände gegen die … Verrechnung … im Widerspruchsverfahren geltend gemacht werden" können) .
Einer weiter gehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsakts mit dem Inhalt der Verrechnungserklärung bedarf es nicht. Ganz generell regelt § 8 SGB X, dass das Verwaltungsverfahren des SGB "auf den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist". Da die Verrechnung im SGB geregelt ist, kann und darf ein Verwaltungsverfahren zur Verrechnung mit dem Erlass eines Verwaltungsakts enden.
b) Hat aber die Beklagte zu Recht durch Verwaltungsakt entschieden, durfte das SG ihren Bescheid vom 21.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.6.2006 nicht als rein "formellen" oder "Schein-Verwaltungsakt" aufheben.
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Es hätte vielmehr prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die von der Beklagten erklärte Verrechnung vorlagen, nämlich |
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das Bestehen der geltend gemachten Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger, |
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das Vorliegen einer Ermächtigung der Beklagten durch die Beigeladene, |
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die Pfändbarkeit der Rentenansprüche des Klägers gegen die Beklagte (§ 52 iVm § 51 Abs 1 SGB I) , |
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die Voraussetzungen des § 51 Abs 2 SGB I (höchstens zur Hälfte; keine Hilfebedürftigkeit nach dem Zwölften oder dem Zweiten Buch des SGB) und schließlich |
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die ordnungsgemäße Ausübung des der Beklagten zustehenden Ermessens sowie die erforderliche Bestimmtheit des Verwaltungsakts. |
Da insoweit auch in dem das SG-Urteil bestätigenden Berufungsurteil keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen vorliegen, ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Dieses wird sich auch damit auseinanderzusetzen haben, ob sich die Beurteilungsgrundlage durch die Heirat des Klägers und seinen nachfolgenden Umzug nach Thailand geändert hat.
2. Eine Entscheidung in diesem Sinne ist dem anfragenden Senat jedoch nicht ohne Abweichung von dem Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1) möglich, auch wenn sich der anfragende Senat in Übereinstimmung mit weiteren Senaten des BSG befindet. Er sieht dabei keinen Ansatz für eine Differenzierung danach, ob die Verrechnung zugleich mit dem Beginn der Sozialleistung erfolgt oder aber erst während einer bereits laufenden Leistung einsetzt (gleichwohl werden, soweit einschlägig, die zitierten Entscheidungen entsprechend gekennzeichnet: E = Auf-≪Ver-≫rechnung bei Erstbewilligung oä; L = Auf-≪Ver-≫rechnung bei bereits laufender Leistung; ggfs mit näherer Erläuterung).
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a) |
Das BSG hat unter Geltung des SGB I zunächst sowohl die Aufrechnungserklärung |
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(BSG 4. Senat vom 19.1.1978, BSGE 45, 271 = SozR 1200 § 51 Nr 3 L - dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext; |
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BSG 3. Senat vom 11.10.1979, SozR 1200 § 51 Nr 5 S 8 E ; |
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BSG 1. Senat vom 12.11.1980, SozR 1200 § 51 Nr 8 S 18 E ; |
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BSG 4. Senat vom 16.9.1981, BSGE 52, 98,101 = SozR 1200 § 51 Nr 11 L ; |
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BSG 4. Senat vom 17.9.1981, SozR 1200 § 51 Nr 12 S 30 L ; |
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BSG 10. Senat vom 25.3.1982, BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6; |
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BSG 7. Senat vom 21.7.1988, BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13 L ; |
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BSG 10. Senat vom 15.12.1992, SozR 3-1200 § 51 Nr 3 S 5 L ; |
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BSG 14. Senat vom 27.3.1996, BSGE 78, 132, 134 = SozR 3-1200 § 51 Nr 5 E ) |
als auch die Erklärung über eine Verrechnung |
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(BSG 8a. Senat vom 18.12.1980, BSGE 51, 98 = SozR 1200 § 51 Nr 9 L - dass es sich hier um einen Verwaltungsakt handelte, ergibt sich aus dem nicht abgedruckten Volltext; |
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BSG 10. Senat vom 25.3.1982, BSGE 53, 208, 209 = SozR 1200 § 52 Nr 6; |
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BSG 7. Senat vom 21.7.1988, BSGE 64, 17, 22 = SozR 1200 § 54 Nr 13 L ; |
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BSG 11. Senat vom 9.11.1989, BSGE 66, 63 = SozR 1200 § 51 Nr 17 L ; |
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BSG 13. Senat vom 18.2.1992, SozR 3-1200 § 52 Nr 3 S 32, 34, 36 L ) |
in Form eines Verwaltungsakts entweder nicht beanstandet (so die zitierten Entscheidungen bis einschließlich 1981) oder aber (in den übrigen Entscheidungen, zT als obiter dictum) ausgeführt, dass Aufrechnung und/oder Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären seien. |
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Erstmals ausdrücklich offen blieb die Frage im Urteil |
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BSG 4. Senat vom 12.7.1990, BSGE 67, 143, 146 = SozR 3-1200 § 52 Nr 1 L : |
Die Rechtsnatur der Auf- oder Verrechnung sei noch nicht abschließend geklärt (Hinweis auf die Rspr von Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫ und BFH einer- und BSG andererseits); möglicherweise müsse unterschieden werden zwischen der Aufrechnung als Willenserklärung, die die Gegenforderung zum Erlöschen bringe (§ 389 BGB) , und der verwaltungsverfahrensrechtlichen Folge hieraus, nämlich dem Erlass eines Bescheides gemäß § 48 SGB X wegen der notwendig gewordenen Änderung des eine Dauerleistung bewilligenden Verwaltungsaktes. |
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Diesem Urteil wiederum folgte tendenziell |
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BSG 12. Senat vom 15.12.1994, BSGE 75, 283, 288 = SozR 3-2400 § 28 Nr 2 E ; |
hiernach ist eine Aufrechnung bei erstmaliger Entscheidung über einen Anspruch auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (außerhalb § 51 SGB I) nicht durch Verwaltungsakt zu erklären. Werde jedoch gegen einen durch Verwaltungsakt bindend bewilligten Anspruch aufgerechnet, sei hierfür zwar keine Ermächtigung erforderlich; jedoch möge dies eine Änderung jenes Verwaltungsakts nach sich ziehen, die der verwaltungsverfahrensrechtlichen Umsetzung nach den §§ 45, 48 SGB X bedürfe. |
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Das Urteil |
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BSG 4. Senat vom 24.7.2003, SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 7 ff E -im Rentenbewilligungsbescheid wurde die Entscheidung über die Nachzahlung ausdrücklich vorbehalten - |
schließlich qualifizierte den "Bescheid", die Beklagte verrechne die (nach dem zuvor ergangenen Rentenbescheid vorläufig einbehaltene) Nachzahlung, als lediglich formellen (und daher aufzuhebenden) Verwaltungsakt, weil die Verrechnung durch verwaltungsrechtliche Willenserklärung auszuüben sei. Diese Erklärung enthalte keine Regelung iS des § 31 SGB X; das im Rentenbescheid festgesetzte Recht werde dadurch nicht aufgehoben oder geändert. Selbst wenn man der Erklärung "(auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsakts beimessen" wollte, so fehlte es insoweit an der "für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsakts erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung". |
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Im zeitlichen Anschluss hieran ließ das Urteil |
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BSG 5. Senat vom 10.12.2003, BSGE 92, 1 = SozR 4-1200 § 52 Nr 2, RdNr 6 L |
dahingestellt, ob die Verrechnung nach § 52 SGB I lediglich als rechtsgeschäftliche Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts zu qualifizieren ist oder sich in der Form eines Verwaltungsakts zu vollziehen hat (ohne zu prüfen, ob dann nicht jedenfalls die Anfechtungsklage hätte Erfolg haben müssen). |
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Im Urteil |
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BSG 13. Senat vom 27.3.2007 - B 13 RJ 43/05 R L |
konnte der anfragende Senat die Rechtsnatur der Verrechnung offen lassen, weil das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die allein zu entscheidende Anfechtungsklage nach Abschluss der Verrechnung entfallen war. |
b) Würde der anfragende Senat dem Urteil des 4. Senats vom 24.7.2003 (SozR 4-1200 § 52 Nr 1) folgen, müsste er das angefochtene Urteil bestätigen und die Revisionen zurückweisen.
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Unter Weglassung der Klammerzusätze mit Rechtsprechungs- oder Literaturnachweisen lautet die Argumentation des 4. Senats zur Rechtsnatur der Verrechnungserklärung wie folgt (aaO RdNr 8): |
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"Die Wirkungen der Verrechnung ebenso wie die der Aufrechnung beurteilen sich, soweit die §§ 51, 52, 57 Abs 2 SGB I nichts anderes vorgeben und soweit sie mit dem öffentlichen Sozialverwaltungsrecht vereinbar sind, nach den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 387 ff BGB. In diesem Rahmen und auf dieser Grundlage sind sie entsprechend (lückenfüllend) anwendbar. Dies hat zur Folge, dass bei wirksamer Ausübung des öffentlich-rechtlichen Gestaltungsrechts (verwaltungsrechtliche Willenserklärung) die Rechtsfolgen aus § 389 BGB direkt kraft Gesetzes eintreten. Diese setzen folglich gerade voraus, dass das Recht zu diesem Zeitpunkt noch erfüllbar bestanden hat. Nach Erfüllung bleibt es als Rechtsgrund der Leistung solange bestehen, bis der Verwaltungsakt aufgehoben oder geändert wird oder sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X). Eine wirksame Verrechnung führt mithin allein zum Erlöschen von Ansprüchen, ohne dass das im Verwaltungsakt festgesetzte Recht - etwa im Wege des Selbstvollzuges - verändert oder sonst geregelt wird. Würde man dennoch der Aufrechnungs- bzw Verrechnungserklärung (auch) die Rechtswirkung entsprechend einer Regelung iS eines Verwaltungsaktes beimessen wollen, so fehlte es insoweit an der für die Ermächtigung zum Erlass eines Verwaltungsaktes erforderlichen (parlaments-)gesetzlichen Ermächtigung." |
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Hiermit werden zwei Argumente gegen die Rechtsform des Verwaltungsakts vorgebracht: |
(1) Die Verrechnung wolle nichts am durch Verwaltungsakt bewilligten Rentenanspruch ändern. |
(2) Die Verwaltung sei nicht gesetzlich ermächtigt, die Verrechnung durch Verwaltungsakt zu erklären. |
zu (1): Hierin kann der Senat keinen Grund sehen, die Verwaltungsaktsqualität der Verrechnung zu verneinen. Gemeint scheint die "unmittelbare Rechtswirkung nach außen" iS des § 31 Satz 1 SGB X zu sein, die jedoch nicht davon abhängen kann, ob die Verrechnung am Rentenanspruch selbst etwas ändert (s ferner oben bei 1a).
zu (2): Insoweit kann ebenso auf die Ausführungen zu 1a verwiesen werden.
c) Auch anderweitig werden keine Argumente vorgebracht, die den anfragenden Senat davon überzeugen könnten, von der (mit Ausnahme des 4. Senats) übereinstimmenden Auffassung des BSG abzugehen.
Insbesondere besteht keine Rechtsprechung des BVerwG und des BFH zur Rechtsnatur der Verrechnung; deshalb kann die Rechtsauffassung des anfragenden Senats nicht von einer solchen abweichen. Die Verrechnung stellt ein spezifisch sozialrechtliches Institut dar; sie ist weder im (allgemeinen) Verwaltungs- noch im Steuer- (-verfahrens-) Recht bekannt (die "Verrechnung" nach § 10 Abs 3 Satz 1 Abwasserabgabengesetz meint eine vom Gläubiger vorzunehmende Absetzung von der Abgabeschuld) . Selbst die ausdrückliche Regelung der Aufrechnung in § 51 SGB I findet dort keine Entsprechung: Im allgemeinen Verwaltungsrecht werden auch ohne einschlägige Regelung die Vorschriften der §§ 387 ff BGB über die Aufrechnung für anwendbar gehalten; in § 226 der Abgabenordnung 1977 ist insoweit eine Verweisung auf das bürgerliche Recht geregelt.
Da der anfragende Senat der Auffassung ist, dass bereits die Verrechnung selbst durch Verwaltungsakt zu erklären ist, bedarf es keiner Prüfung, ob der angefochtene Bescheid weitere Regelungen enthält, die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein könnten (s ua hierzu Wehrhahn, SGb 2007, 468) .
3. Die Auslegung des 4. Senats ist mit der Rechtsauffassung des anfragenden Senats nicht zu vereinbaren. Nach § 41 Abs 3 Satz 1 SGG ist daher beim 4. Senat des BSG anzufragen, ob dieser an seiner Rechtsauffassung festhält.
Fundstellen