Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Landwirte. Feststellung der Versicherungspflicht. Zuständigkeit. Krankenversicherungsträger. Austragung von Streitigkeiten im Wege der Feststellungsklage. Zusammenarbeit der Leistungsträger. Gewährleistung von Rechtssicherheit
Leitsatz (amtlich)
- Führt die Einzugsstelle die Versicherung eines abhängig Beschäftigten durch, der zugleich selbstständiger Landwirt ist, darf die Landwirtschaftliche Krankenkasse dessen Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer nur mit Einverständnis der Einzugsstelle feststellen.
- Der Streit zwischen zwei Krankenversicherungsträgern über die Zuständigkeit für die Durchführung der Krankenversicherung ist im Wege der Feststellungsklage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auszutragen (Fortentwicklung von BSG vom 29.9.1997 – 10 RK 2/97 = SozR 3-5420 § 3 Nr 3).
Normenkette
KVLG § 2 Abs. 1 Nr. 1 J: 1989, § 3 Abs. 1 Nr. 1 J: 1989; SGB IV § 28h Abs. 2, § 28i; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5; SGB X § 86
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 7. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Versicherungspflicht des Klägers in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung (LKV).
Der Kläger ist selbstständiger Landwirt und mit 19 Wochenstunden bei der Beigeladenen zu 2) abhängig beschäftigt. Seit 1973 ist er bei der Beigeladenen zu 1) krankenversichert. 2002 beanstandete die Beklagte gegenüber der Beigeladenen zu 1) die Kassenzugehörigkeit des Klägers. Diese wies die Beanstandung mit der Begründung zurück, nicht die landwirtschaftliche Tätigkeit, sondern die abhängige Beschäftigung sei der Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit des Klägers, sodass es bei ihrer Zuständigkeit zu verbleiben habe (Schreiben vom 17. Dezember 2002, das dem Kläger zur Kenntnis gebracht worden ist). Nach Anhörung des Klägers stellte die Beklagte durch Bescheid vom 13. März 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2003 dessen Versicherungspflicht in der LKV ab dem 1. Januar 2003 fest.
Vor dem Sozialgericht Schleswig (SG) und dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (LSG) ist der Kläger mit seiner Anfechtungsklage erfolgreich gewesen (Urteile vom 5. April 2004 und 7. September 2005). Das LSG hat die Bescheide der Beklagten mit der Begründung aufgehoben, sie seien rechtswidrig. Zwar sei die Beklagte befugt gewesen, eine eigene Entscheidung über die Versicherungspflicht des Klägers in der LKV zu treffen. Die Versicherungspflicht trete Kraft Gesetzes ein und könne von einem Versicherungsträger für die Zukunft jederzeit festgestellt werden. Die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht des Klägers in der LKV seien hier jedoch nicht gegeben. Er habe die landwirtschaftliche Tätigkeit nicht hauptberuflich iS von § 5 Abs 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausgeübt. Zeitlicher Aufwand und wirtschaftliche Bedeutung der abhängigen Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2) hätten die als Landwirt überwogen.
Die Revision hat das LSG nicht zugelassen. Mit der dagegen eingelegten Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) macht die Beklagte eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist nicht begründet. Der behauptete Zulassungsgrund liegt nicht vor.
Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat eine Rechtssache, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160a Nr 4, 11, 13, 39). Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage dann, wenn sie für den zu entscheidenden Rechtsstreit rechtserheblich ist (vgl BFHE 105, 335, 336). Es muss die konkrete Möglichkeit bestehen, dass das Revisionsgericht sie im vorgelegten Rechtsfall in sachlicher Hinsicht wird entscheiden können. Das ist hier nicht der Fall.
Die Beklagte hat folgende Fragen aufgeworfen:
1. Sollte – um bei der Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft einen gerechteren Maßstab zu finden als den reinen Wirtschaftswert oder die Durchschnittssätze nach § 13a Einkommenssteuergesetz (EStG) – bei der Prüfung der “Hauptberuflichkeit” iS des § 5 Abs 5 SGB V generell der sich aus § 32 Abs 6 Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) ergebende Wert, der sog korrigierte Wirtschaftswert, angesetzt werden?
2. Hilfsweise für den Fall der generellen Verneinung der Heranziehung des § 32 Abs 6 ALG: Sind im Rahmen der Abwägung bei Prüfung der “Hauptberuflichkeit” iS des § 5 Abs 5 SGB V, unter Berücksichtigung der vom BSG aufgestellten Grundsätze, die Kriterien “wirtschaftliche Bedeutung” und “Zeitaufwand” iS des Gesetzeszwecks unter ergänzender Berücksichtigung der Fremdarbeitszeiten (Einsatz von Familienangehörigen und fremdem Personal, einschließlich Lohnunternehmen) zu bewerten sind?
Diese Fragen sind im Revisionsverfahren aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht klärungsfähig. Die Bescheide der Beklagten können bereits deswegen keinen Bestand haben, weil diese im vorliegenden Fall nicht mehr befugt war, gegenüber dem Kläger Feststellungen zur Versicherungspflicht in der LKV zu treffen.
Der Streitgegenstand ist auf die Frage zurückzuführen, welcher der beiden beteiligten Krankenversicherungsträger – die beigeladene AOK oder die beklagte landwirtschaftliche Krankenkasse – für die Durchführung der Krankenversicherung des Klägers zuständig ist. Ein derartiger Streit über die Zuständigkeit zwischen zwei Trägern ist, wenn sie sich nicht vorab einigen können, im Wege der Feststellungsklage vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auszutragen (vgl Entscheidung des erkennenden Senats vom 29. September 1997 – 10 RK 2/97, SozR 3-5420 § 3 Nr 3, S 16; BSG, Urteil vom 31. August 1989 – 3 RK 33/88, JURIS; BSG SozR 2200 § 250 Nr 11; grundlegend BSGE 18, 190, 192 f = SozR Nr 1 zu § 245 RVO). Bejaht ein Krankenversicherungsträger seine Zuständigkeit für die Durchführung der Versicherung einer bestimmten Person, wie hier die Beigeladene zu 1) durch ausdrückliche Feststellung gegenüber dem Kläger und der Beklagten in der Gestalt des Schreibens vom 17. Dezember 2002, ist die andere (“konkurrierende”) Kasse nicht befugt, im Bescheidwege gegenüber dem Versicherten eine gegenteilige Feststellung zur Zuständigkeit zu treffen. Vielmehr ist sie gehalten, das zuständige Sozialgericht um eine entsprechende Feststellung zu ersuchen. Insoweit mangelt es zwar an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Der Grundsatz der Rechtssicherheit, der Schutz der Versicherten und die Verpflichtung der Träger zu enger Zusammenarbeit gebieten jedoch eine solche Vorgehensweise.
Die Zuständigkeit beider Träger richtet sich letztlich nach derselben Rechtsgrundlage. Der Kläger erfüllt unstreitig die Voraussetzungen sowohl des § 2 Abs 1 Nr 1 Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) als auch des § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V. In einem solchen Fall gilt zwar gemäß § 3 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 grundsätzlich ein Nachrang der landwirtschaftlichen Unternehmerversicherung gegenüber einer anderweitigen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs 1 SGB V ohne weiteres die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 1 KVLG 1989 verdrängt (vgl BSG SozR 3-5420 § 3 Nr 3, S 16 f). Eine Entscheidung hat insoweit vielmehr an Hand des Maßstabs des § 5 Abs 5 SGB V zu erfolgen. Danach ist gemäß § 5 Abs 1 Nr 1 oder 5 bis 12 SGB V nicht versicherungspflichtig, wer hauptberuflich selbständig erwerbstätig ist. Diese Vorschrift ist gleichermaßen von der Beigeladenen zu 1) und der Beklagten anzuwenden. Sie duldet nur ein Ergebnis. Hat nun ein Träger auf dieser Grundlage seine Zuständigkeit bejaht und dies auch dem Versicherten bekannt gegeben, ist der andere nicht befugt, gegenüber dem betreffenden Versicherten eine andere Beurteilung durch Verwaltungsakt durchzusetzen.
Soweit es den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags eines abhängig Beschäftigten durch die Einzugsstelle betrifft, ergibt sich dieses bereits aus deren Stellung nach dem Vierten Buch Sozialgesetzbuch (§§ 28h und 28i SGB IV). Die von der Einzugsstelle getroffene Entscheidung über die Versicherungspflicht (vgl § 28h Abs 2 SGB IV) soll sowohl für alle anderen Sozialversicherungsträger als auch für den Versicherten Wirkung iS der Schaffung von Rechtssicherheit entfalten (vgl BSG SozR 4-2400 § 28h Nr 1). Nichts anderes gilt – im Interesse der Gewährleistung von Rechtssicherheit für den betroffenen Versicherten und zu dessen Schutz vor mehrfacher Inanspruchnahme – in einem Fall wie dem vorliegenden, zumal der Kläger bei der Beigeladenen zu 2) beschäftigt ist. Die Kassen haben sich untereinander ins Benehmen zu setzen und können bei verbleibenden Meinungsverschiedenheiten den Klageweg zu den Sozialgerichten beschreiten.
Diese Vorgehensweise folgt auch aus der Regelung des § 86 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach sind die Leistungsträger verpflichtet, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach dem SGB X eng zusammenzuarbeiten. Dieses Gebot der Zusammenarbeit bezieht sich, anders als noch nach § 17 Abs 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch, nicht nur auf die Ausführung von Sozialleistungen, sondern auf sämtliche Tätigkeiten. Durch die Regelung sollen u.a. Reibungsverluste vermieden, aber auch den Gefahren der stark gegliederten Sozialrechtsordnung entgegen gewirkt werden (vgl Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band II, Stand: Mai 2006, § 86 SGB X, RdNr 4, 86). § 86 SGB X hat insoweit den Charakter einer Generalklausel und gibt die Leitlinie für das Handeln der Träger untereinander vor, vor allem dann, wenn es – wie hier – an Regelungen im besonderen Teil des SGB mangelt. Hieraus folgt die Verpflichtung, bei widerstreitenden gegenseitigen Interessen auch die Belange des anderen Versicherungsträgers angemessen zu berücksichtigen (vgl BSGE 57, 146, 150 = SozR 1300 § 103 Nr 2). § 86 SGB X dient jedoch auch dem Interesse des Bürgers, vor Nachteilen durch mangelhafte Koordination der Träger bei der Aufgabenwahrnehmung geschützt zu werden (vgl Seewald, aaO, § 86 SGB X RdNr 101, 4). Ist also nur ein Ergebnis nach dem Gesetz möglich, sind jedoch zwei Träger zur Entscheidung berufen und können sich nicht einigen, dürfen sie den Konflikt jedenfalls nicht zu Lasten des Versicherten durch den Erlass widerstreitender Entscheidungen austragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1692371 |
NZS 2007, 425 |