Entscheidungsstichwort (Thema)
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Weg vom Ort der Tätigkeit. Umweg, sogenannter dritter Ort. Wegeunfall. objektive Beweislast. Tod auf Arbeitsstätte. Tod auf Weg vom Ort der Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Kein Versicherungsschutz nach Abweichen vom üblichen Weg vom Ort der Tätigkeit bei nicht feststellbarem Grund für das Verlassen dieses Weges.
- Keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bei Streit über Versicherungsschutz nach Abweichen vom üblichen Weg vom Ort der Tätigkeit bei nicht feststellbarem Grund für das Verlassen dieses Weges.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 1; SGG §§ 160, 160a
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 31.03.1993; Aktenzeichen L-3/U-556/91) |
SG Gießen (Urteil vom 15.05.1991; Aktenzeichen S-1/U-410/90) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 31. März 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin ist mit ihrem Begehren, Entschädigung wegen der Folgen eines Verkehrsunfalles am 31. Oktober 1988 auf dem Wege von ihrer Arbeitsstätte zu erhalten, ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 1990; Urteile des Sozialgerichts vom 15. Mai 1991 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 31. März 1993).
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Beschwerdeführerin geltend, für die Entscheidung des Rechtsstreites seien folgende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung:
“Darf in Fällen, in denen der Arbeitnehmer auf dem Weg vom Ort der Beschäftigung in den privaten Bereich verunglückt, der Versicherungsschutz allein deshalb (nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast) verneint werden, weil nicht festgestellt werden kann, ob er nach Hause oder einen dritten Ort (des privaten Bereiches) fahren wollte und jegliche Anhaltspunkte für eine sonstige Zielrichtung fehlen?
Insbesondere: Setzt in solchen Fällen eine Ablehnung des Versicherungsschutzes nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast mindestens voraus, daß Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Versicherte den unfallrechtlich geschützten privaten Bereich verlassen wollte?”
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung hat das angestrebte Revisionsverfahren nur, wenn der Rechtsstreit sich in seiner Bedeutung nicht in diesem Einzelfall erschöpft, sondern dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu wahren oder die Entwicklung des Rechts zu fördern. Das ist dann der Fall, wenn die für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX, RdNr 63; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 116 ff jeweils mwN).
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da die in einem Revisionsverfahren maßgebenden Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51, § 160a Nr 13, 65; Krasney/Udsching aaO IX, RdNr 65; Kummer aaO RdNr 117). Bei ihrer Prüfung hat der Senat im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen einschließlich der darauf beruhenden Beweiswürdigung zugrunde zu legen.
Danach ist davon auszugehen, daß die Klägerin sich jedenfalls zunächst auf der Fahrt von dem Ort ihrer Tätigkeit befunden hat. Strittig ist, ob sie auch noch im Unfallzeitpunkt nach § 550 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden hat. Das LSG hat festgestellt, daß die Klägerin am Unfalltag die sonst von ihr üblicherweise für den kürzeren Weg nach Hause befahrene Abfahrt von der Bundesstraße nicht genommen hat. Darin liegt zumindest ein möglicher “Anhaltspunkt” im Sinne der von der Beschwerde angeführten Frage von nach ihrer Auffassung grundsätzlichen Bedeutung, wie die im folgenden dargelegten möglichen Alternativen zeigen.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG hat sich der Unfall nicht mehr auf der kürzeren, sonst von der Klägerin regelmäßig genutzten Wegstrecke von dem Ort der Tätigkeit nach Hause ereignet. Dies allein würde allerdings den Versicherungsschutz nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht ausschließen, wenn die Wahl der weiteren Wegstrecke aus der durch objektive Gegebenheiten erklärbaren Sicht der Versicherten noch dem Zurücklegen des Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause oder einem anderen, sogenannten dritten Ort zuzurechnen wäre, zB um eine verkehrstechnisch schlechte Wegstrecke zu umgehen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 486 m ff, 486q mwN) oder weil sich die Versicherte verfahren hat (BSG SozR Nr 13 zu § 543 RVO aF; Brackmann aaO S 486q mwN). Insoweit bietet – was auch die Beschwerde nicht verkennt – die zu entscheidende Rechtssache keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen mehr. Dies gilt aber auch für den ebenfalls höchstrichterlich bereits ausreichend grundsätzlich geklärten fehlenden Versicherungsschutz, wenn der längere Weg aus wesentlich allein eigenwirtschaftlichen Gründen eingeschlagen wird, zB um eine Freundin zu besuchen oder um längere Zeit einen schnellen Wagen zu fahren. Deshalb eröffnet das Verlassen des üblichen kurzen Weges von dem Ort der Tätigkeit im gleichen Maße mögliche Fallgestaltungen sowohl für das Fortbestehen als auch das Ende des Versicherungsschutzes nach § 550 Abs 1 RVO.
Das Abweichen von der sonst üblicherweise gewählten kürzeren Wegstrecke kann aber auch darauf beruhen, daß nicht nur ein Umweg auf der Fahrt von dem Ort der Tätigkeit nach Hause eingeschoben, sondern der Weg zu einem anderen sogenannten dritten Ort fortgesetzt wird, auf dem ebenfalls, worauf die Beschwerde zutreffend hinweist, Versicherungsschutz bestehen würde (BSGE 62, 113; Brackmann aaO S 485r ff). Dieser Versicherungsschutz ist jedoch, wie wiederum höchstrichterlich schon ausreichend geklärt ist, nur innerhalb gewisser räumlicher Grenzen gegeben und außerdem von den gesamten Umständen des Einzelfalles abhängig (s BSGE 62, 113, 116; BSG SozR 2200 § 550 Nr 78, SozR 3-2200 § 550 Nr 2); er setzt außerdem insbesondere voraus, daß der Aufenthalt der Versicherten am sogenannten dritten Ort von rechtserheblicher Dauer war oder – bei Unfällen schon auf dem Wege dorthin – sein sollte (BSG SozR 3-2200 § 550 Nr 2 und Nr 5). Auch insoweit kann nicht davon ausgegangen werden, das Abweichen von dem üblichen kurzen Weg von dem Ort der Tätigkeit enthalte mögliche Anhaltspunkte nur für das Fortbestehen nicht aber auch im gleichen Maße für ein Ende des Versicherungsschutzes.
Wie die möglichen Anhaltspunkte auch unter Berücksichtigung eines Beweisnotstandes insbesondere wegen unfallbedingter Erinnerungslücken zu werten sind, ist eine Frage der freien richterlichen Beweiswürdigung, wie ebenfalls höchstrichterlich bereits geklärt ist (BSGE 19, 52, 54; BSG Urteile vom 15. Juni 1976 – 2 RU 135/75 – USK 7684, 5. Februar 1980 – 2 RU 75/79 – und vom 12. Juni 1990 – 2 RU 58/89 – USK 90150 = HV-Info 1990, 2064).
Unfallversicherungsrechtlich muß dafür, daß ein Abweichen von der kürzeren Wegstrecke auf der versicherten Tätigkeit zuzurechnende Umstände zurückzuführen war oder daß ein vom Versicherungsschutz nach § 550 Abs 1 RVO erfaßter Weg vom Ort der Tätigkeit zu einem anderen sogenannten dritten Ort befahren wurde, der volle Nachweis erbracht sein (BSGE 61, 127, 128). Das ist nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG im vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht der Fall. Auch die Voraussetzungen für eine Wahlfeststellung sind nicht gegeben (s BSGE 13, 51, 53; BSG SozR 2200 § 548 Nr 80, SozR 3-2200 § 550 Nr 5), da nicht nur die Alternativen zwischen einem Versicherungsschutz auf einem der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Umweg oder auf dem Wege von dem Ort der Tätigkeit zu einem anderen sogenannten dritten Ort bestehen, sondern auch wesentlich allein dem privaten Bereich zuzurechnenden Umwege in Betracht kommen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) trifft jedoch die Versicherte die Folgen der objektiven Beweislosigkeit (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 14). Insoweit sind keine in einem Revisionsverfahren noch zu klärenden grundsätzlichen Fragen iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ersichtlich (s auch BSG Urteil vom 12. Juni 1990 aaO). Auch die in diesem Zusammenhang von der Revision formulierten Rechtsfragen sind – unabhängig von den vorangegangenen Ausführungen – bereits höchstrichterlich geklärt oder deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig wären. Das BSG hat den Versicherungsschutz bejaht, wenn nicht feststellbar ist, daß die Unterbrechung des Heimwegs von der Arbeit länger als zwei Stunden gedauert oder die Art der Verrichtung während der Unterbrechung den betrieblichen Zusammenhang verdrängt hatte (BSGE 62, 100). Anders als im vorliegenden Fall hatte sich in dem damals entschiedenen der Versicherte jedoch im Unfallzeitpunkt nachweisbar auf einer Wegstrecke von dem Ort der Tätigkeit zu seiner Wohnung befunden, die er als Endpunkt seiner Fahrt erreichen wollte. Gleiches gilt für die Entscheidung des Senats vom 28. Juli 1977 (SozR 2200 § 550 Nr 35). Auch nach dem diesem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt befand sich die Versicherte nachweislich auf dem Wege von dem Ort der Tätigkeit, und ein Sturz aus innerer Ursache war nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG auszuschließen. Die Frage der Beweislast stellte sich insoweit nicht. Im vorliegenden Fall verunglückte die Klägerin dagegen nicht nachweislich auf dem Wege von dem Ort der Tätigkeit zu ihrer Wohnung oder zu einem anderen sogenannten dritten Ort. Es stellt sich demnach entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht die Frage, ob Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Versicherte den unfallversicherungsrechtlichen Bereich “verlassen” wollte, sondern ob sie sich nach dem Verlassen des üblicherweise benutzten kürzeren Weges von dem Ort der Tätigkeit nach Hause auf einer Wegstrecke befand, auf der sie nach § 550 Abs 1 RVO unter Versicherungsschutz stand. Die objektiv nicht feststellbaren tatsächlichen Voraussetzungen dafür, daß dieser Versicherungsschutz gegeben war, bilden jedoch eine der typischen Fallgestaltungen, in denen sich die Frage der objektiven Beweislast stellt, die aber nach der ständigen Rechtsprechung bereits in dem oben aufgezeigten Sinne zu Lasten der Versicherten geklärt ist (s auch BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 7). Schließlich ist auch zu beachten, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BSG die objektive Beweislast den Versicherten selbst dann trifft, wenn der Tod auf der Betriebsstätte eingetreten ist, aber keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem zum Tode führenden Unfall und der versicherten Tätigkeit festgestellt werden kann (BSGE 19, 52, 54; BSG Urteile vom 15. Juni 1976 – 2 RU 135/75 – USK 7684 und vom 5. Februar 1980 – 2 RU 75/79 –).
Daß der angeführten Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsschutz auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit und zur Verteilung der objektiven Beweislast in Rechtsprechung und/oder Schrifttum in erheblichem Umfang widersprochen worden ist (s BSG SozR 1500 § 160a Nr 13; Krasney/Udsching aaO RdNr 65; Kummer aaO RdNr 118), hat die Beschwerde nicht dargelegt.
Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 913308 |
Breith. 1994, 658 |