Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache

 

Orientierungssatz

1. Zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist und den Schritt darstellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll.

2. Hierzu ist die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.

3. Schließlich ist zur Zulassung der Revision sowohl die Klärungsbedürftigkeit als auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage hinreichend darzulegen.

4. Unterlässt der Beschwerdeführer die gebotene Darlegung, inwieweit sein Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sich mit den Feststellungen des Landessozialgerichts in Einklang bringen lässt, so ist die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 4 § 7 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Beschluss vom 21.03.2016; Aktenzeichen L 2 R 38/14)

SG Hamburg (Aktenzeichen S 53 R 101/12)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. März 2016 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der klagenden GmbH in der Zeit vom 1.8.2008 bis 28.6.2010 aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG Hamburg vom 21.3.2016 ist gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann demgegenüber nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Die Klägerin beruft sich in der Beschwerdebegründung vom 1.7.2016 ausschließlich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).

1. Die Klägerin legt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen nach § 160a Abs 2 S 3 SGG entsprechenden Weise dar.

Die Beschwerdebegründung muss ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG NJW 1999, 304 und BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31).

Die Klägerin wirft auf S 8 der Beschwerdebegründung folgende Frage auf:

"Rechtfertigt eine allein auf die selbstständige Tätigkeit (hier: Steuerberatung) bezogene, zum Schein eingerichtete Fremdgeschäftsführung, beide Tätigkeiten als einheitliches Beschäftigungsverhältnis zu behandeln, wenn der Beauftragte zwar als Fremdgeschäftsführer bestellt worden ist, wenn er jedoch weiterhin ausschließlich selbstständige Tätigkeiten für die Gesellschaft erbringt und nur dafür seine Vergütung erhält?"

Trotz der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zur Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit und Beschäftigung sei die Frage ungeklärt, ob eine selbstständige Tätigkeit (hier: die Steuerberatung) auch dann zu einer (abhängigen) Tätigkeit im Sinne eines einheitlichen Rechtsverhältnisses verbunden werden könne, wenn die vermeintlich abhängige Beschäftigung (hier: Fremdgeschäftsführung) zwar formal eingerichtet sei, jedoch in der Praxis nicht ausgeübt würde. Anders als in den bisher höchstrichterlich entschiedenen Konstellationen sei die die persönliche Abhängigkeit begründende Tätigkeit weder als gemischte Tätigkeit noch als verbundene Tätigkeit ausgeübt worden; vielmehr sei sie gar nicht ausgeübt worden. Anders als in den bisher höchstrichterlich entschiedenen Konstellationen sei unabhängig von der rein formalen Bestellung zum Fremdgeschäftsführer nebenher zu 100 % eine "klassische selbstständige Tätigkeit" für die Gesellschaft geleistet worden. Es liege so gesehen eine "Schein-Fremdgeschäftsführung" vor, die ausschließlich dazu diene, die selbstständige Tätigkeit zu befördern.

a) Die Beschwerdebegründung erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge schon deshalb nicht (vgl hierzu exemplarisch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN), weil die Klägerin keine abstrakt-generelle Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl allgemein BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - Juris = BeckRS 2010, 68786, RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - Juris = BeckRS 2010, 72088, RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - Juris = BeckRS 2009, 50073, RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181).

b) Darüber hinaus legt die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit ihrer Frage - deren Qualität als hinreichend konkret formulierte Rechtsfrage unterstellt - nicht ausreichend dar. Es kann offenbleiben, ob dies schon deshalb gilt, weil die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung zwar auf die umfangreiche Rechtsprechung des BSG zum Vorliegen von Beschäftigung verweist, die gebotene substantiierte Auseinandersetzung damit (vgl ua zum stillen Gesellschafter einer Steuerberatungs-GmbH BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26; zur Versicherungspflicht stiller Gesellschafter einer Steuerberatungs-GmbH BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 7; zur Aufgabe der "Kopf und Seele”-Rechtsprechung BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24) zum konkreten Nachweis der von ihr behaupteten Klärungsbedürftigkeit aber unterlässt. Jedenfalls genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen hinsichtlich der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage deshalb nicht, weil sich die Klägerin nicht hinreichend mit der Rechtslage im Hinblick auf ihr eigenes Beschwerdevorbringen - unabhängig von der Frage, inwieweit dieses mit den tatsächlichen Feststellungen des LSG überhaupt in Einklang steht - befasst. In der Beschwerdebegründung führt sie aus bzw deutet an (vgl der von ihr auf S 10 der Beschwerdebegründung in Anführungszeichen gesetzte Begriff der "Schein-Fremdgeschäftsführung”), dass der Beigeladene zu 1. seine Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin "in der Praxis nicht ausgeübt" habe, seine Bestellung zum Geschäftsführer daher "nur zum äußeren Schein" erfolgt sei. Der Beschwerdebegründung kann nicht entnommen, ob die Klägerin die Rechtsgeschäfte im Zusammenhang mit der Bestellung des Beigeladenen zu 1. zum Geschäftsführer der klagenden GmbH als Scheingeschäfte iS von § 117 Abs 1 BGB mit der Folge von deren Nichtigkeit ansieht (vgl hierzu BSGE 119, 216 = SozR 4-2400 § 7 Nr 24, RdNr 17). Auch befasst sich die Klägerin nicht mit den weiteren rechtlichen Konsequenzen des von ihr angeführten Aspekts, die Geschäftsführerfunktion sei (nur) "formal eingerichtet" gewesen. Insbesondere unterlässt sie die Auseinandersetzung mit den insbesondere gesellschaftsrechtlichen Rechten und Pflichten einer - wenn auch möglicherweise "nur" "zum Schein" bzw "formal" erfolgten - Bestellung als Geschäftsführer einer GmbH (vgl ua § 35 Abs 1 S 1, § 41, § 43 Abs 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). Hierzu hätte aber angesichts der ständigen Rechtsprechung des BSG zur Frage einer Beschäftigung eines Organs einer Kapitalgesellschaft Anlass bestanden, weil danach insbesondere auf das Kriterium der dem Betroffenen zustehenden Rechtsmacht - insoweit unabhängig von einer hiervon uU abweichenden Praxis - abzustellen ist (vgl ua BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr 17, RdNr 32).

c) Schließlich legt die Klägerin auch die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Frage - deren Qualität als hinreichend konkret formulierte Rechtsfrage unterstellt - nicht hinreichend dar. Aus der Beschwerdebegründung ist insbesondere nicht ersichtlich, inwieweit sich ihr zentrales Vorbringen einer "nur" "zum Schein" bzw "formal" erfolgten Bestellung des Beigeladenen zu 1. zum Geschäftsführer mit den tatsächlichen Feststellungen des LSG in Einklang steht, mithin die von der Klägerin aufgeworfene Frage daher auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG überhaupt in einem späteren Revisionsverfahren beantwortet werden kann. Hierzu hätte schon deshalb Anlass bestanden, weil das LSG auf S 17 des angefochtenen Beschlusses ausführt, dass sich der Beigeladene zu 1. "(auch und gerade nach dem klägerischen Vorbringen) zum Geschäftsführer (hat) bestellen lassen, um sich die Bearbeitung steuerlicher Mandate namens der Klägerin zu ermöglichen oder zumindest wesentlich zu erleichtern." Zwar gibt die Klägerin auf S 7 der Beschwerdebegründung die entsprechende Passage im Rahmen der Darstellung der angefochtenen Entscheidung wörtlich wieder. Sie unterlässt aber die gebotene Darlegung, inwieweit sich ihr Vorbringen im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren mit den tatsächlichen Feststellungen des LSG, gegen die sie keine Verfahrensrügen vorgebracht hat, in Einklang bringen lässt.

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

4. Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht auch der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI10333528

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge