Entscheidungsstichwort (Thema)
Ermittlung und Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen
Leitsatz (amtlich)
Zur Ermittlung und Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts iS von § 8 Abs 1 AAÜG in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen durch den Versorgungsträger.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
AAÜG § 6 Abs. 1, § 8 Abs. 1 S. 3, Abs. 2-3; SGB VI § 252a Abs. 2; SGG § 163
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 15. Oktober 1998 aufgehoben. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Oder vom 29. Januar 1998 wird insoweit aufgehoben, als das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 18. Februar 1997 abgeändert hat.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe des in einem Entgeltbescheid festzustellenden „erzielten Arbeitsentgelts” iS von § 8 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
Der 1934 geborene Kläger war in der DDR im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten beschäftigt. Mit Wirkung vom 1. März 1971 trat er der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates bei (Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG). Mit (Entgelt-)Bescheiden vom 11. Juli 1995 und 18. Februar 1997 stellte die beklagte BfA als Versorgungsträger Zeiten der Zugehörigkeit des Klägers zu diesem Versorgungssystem vom 1. September 1971 bis zum 20. Mai 1990 fest und listete für die Jahre 1975 bis 1980 sowie die Jahre 1982 und 1990 sog Arbeitsausfalltage auf. Das für die einzelnen Kalenderjahre ausgewiesene „nachgewiesene” Bruttoarbeitsentgelt des Klägers ermittelte sie anhand der Beitragsnachweiskarte der Zusatzversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates. Diese enthält Angaben über den „Brutto- und Nettojahresverdienst” des Klägers von 1971 bis 1990. Den dort ausgewiesenen „Bruttojahresverdienst” übernahm die BfA für diejenigen Kalenderjahre, in denen keine sog Ausfalltage im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung (Sozialversicherungsausweis) eingetragen waren. In denjenigen Kalenderjahren, in denen im Sozialversicherungsausweis Ausfalltage aufgeführt waren, sowie in den Jahren 1986 und 1988 nahm sie zur „Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts” iS von § 8 AAÜG eine anteilige Kürzung der in der Beitragsnachweiskarte ausgewiesenen Bruttoentgelte des Klägers vor.
Sowohl der 1. Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. November 1995 als auch der 2. Entgeltbescheid vom 18. Februar 1997, gegen den der Kläger Widerspruch nicht eingelegt hat, wurden bestandskräftig. Im Juli 1997 bat der Kläger „um eine erneute Prüfung der Überführungsbescheide”. Die BfA lehnte hierauf eine Änderung des Bescheides vom 11. Juli 1995 im Verfahren nach § 44 SGB X ab; der Bescheid vom 18. Februar 1997 wird insoweit nicht erwähnt (Bescheid vom 22. Juli 1997; Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1997, zugestellt am 5. November 1997). Am 4. November 1997 hat der Kläger gegen den (bestandskräftig gewordenen) 2. Entgeltbescheid vom 18. Februar 1997 Klage erhoben und dem SG unter dem 7. November 1997 mitgeteilt, daß er seine Klage auch nach Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1997 aufrechterhalte. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat sich die BfA bereit erklärt, einen neuen „Überführungsbescheid zu erteilen, in dem für die Jahre 1975 und 1976 keine Arbeitsausfalltage berücksichtigt werden”. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und für die übrigen Zeiten beantragt, „das in der Beitragsnachweiskarte nachgewiesene Bruttoentgelt ohne Arbeitsausfalltage festzustellen”. Das SG hat die BfA unter Abänderung der Bescheide vom 11. Juli 1995 und 18. Februar 1997 verurteilt, „die vom Kläger nachgewiesenen Jahresbruttoarbeitsentgelte ohne Zugrundelegung von Arbeitsausfalltagen festzustellen” (Urteil vom 29. Januar 1998). Das LSG für das Land Brandenburg hat die Berufung der Beklagten hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 15. Oktober 1998).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt vor, nachgewiesenes Arbeitsentgelt iS von § 8 AAÜG sei nur dasjenige Entgelt, das dem Kläger tatsächlich zugeflossen sei. Die Beitragsnachweiskarte weise jedoch auch in Jahren, in denen Krankheitszeiten vorlagen und somit die Beitragspflicht nach § 17 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO) unterbrochen gewesen sei, unverminderte Werte, also fiktiv auf Jahresbruttoverdienst hochgerechnete Beträge aus; die dort bescheinigten Bruttoverdienste habe der Versicherte nicht „erzielt”; soweit ein „Lohnausgleich” in Form von Krankengeld bis annähernd zu dieser Höhe erfolgte, seien die Zahlungen nicht beitragspflichtig iS der SVO gewesen. Für die Durchführung des AAÜG sei als erzieltes Arbeitsentgelt iS von § 8 Abs 1 AAÜG grundsätzlich der nach der SVO ermittelte Bruttoverdienst maßgeblich, soweit er dem Grunde nach beitragspflichtig gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG für das Land Brandenburg vom 15. Oktober 1998 sowie das Urteil des SG Frankfurt/Oder vom 29. Juni 1998 aufzuheben und die Klage gegen ihren Bescheid vom 22. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1997 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Die Beklagte sei nicht befugt, aus einem vom Arbeitgeber bescheinigten und nachgewiesenen Bruttoverdienst einen Anteil herauszurechnen, der angeblich beitragsfreien Zeiten entspreche.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und im wesentlichen auch begründet.
A. Streitgegenstand des Verfahrens ist allein der Bescheid vom 22. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1997, mit dem der beklagte Versorgungsträger eine Änderung seiner Entscheidung vom 11. Juli 1995 (1. Entgeltbescheid) nach § 44 SGB X abgelehnt hat. Zu Unrecht hat das SG auch den 2. Entgeltbescheid vom 18. Februar 1997 abgeändert, so daß das LSG das Urteil des SG nicht hätte bestätigen und seinerseits davon ausgehen dürfen, daß die Beklagte im Bescheid vom 22. Juli 1997 die Aufhebung des Bescheides vom 18. Februar 1997 verweigert habe. Insoweit war nicht nur das Urteil des LSG, sondern auch dasjenige des SG (endgültig) aufzuheben.
Seinem gemäß § 123 SGG von Gerichts wegen zu ermittelnden wahren Begehren nach konnte der Kläger nur den Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 angreifen. Der 2. Entgeltbescheid vom 18. Februar 1997 wiederholt jedenfalls in den hier streitigen Punkten der Höhe des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen nur deklaratorisch die bereits im Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 getroffenen Regelungen. Im übrigen sollten durch den Bescheid vom 18. Februar 1997 seiner Intention nach allein die durch das AAÜG-Änderungsgesetz vom 11. November 1996 (BGBl I S 1674) erfolgten Rechtsänderungen umgesetzt werden; der Bescheid enthält insoweit allerdings nur unverbindliche Äußerungen, zu denen der Versorgungsträger nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt befugt war (vgl zB BSG SozR 3-8570 § 8 Nr 2 S 6). Es ist deshalb bereits fraglich, ob der 2. Entgeltbescheid vom 18. Februar 1997 überhaupt eine Regelung iS von § 31 SGB X enthält und damit als Verwaltungsakt angesehen werden kann. Dies und die Frage der Statthaftigkeit einer Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 18. Februar 1997 kann jedoch dahingestellt bleiben, denn dem Kläger ging es immer nur um die Änderung der vom Versorgungsträger bereits im 1. Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 verbindlich festgesetzten Höhe seines erzielten Arbeitsentgelts, nicht dagegen um die Beseitigung sonstiger (unverbindlicher) Äußerungen im 2. Entgeltbescheid. Demgemäß war auch seine am 4. November 1997 erhobene Klage allein als Klage gegen den Bescheid vom 22. Juli 1997 zu verstehen, der nur eine Teilaufhebung und Änderung des Bescheides vom 11. Juli 1995 abgelehnt hatte. Zwar war diese Klage zunächst vorzeitig (vor Abschluß des Widerspruchsverfahrens, vgl § 78 Abs 1 Satz 1 SGG) erhoben worden, jedoch wurde sie nach Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1997 zulässig.
B. Der Senat ist mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht in der Lage abschließend zu prüfen, ob die Klage gegen den ablehnenden Verwaltungsakt vom 22. Juli 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1997 begründet und der Versorgungsträger verpflichtet ist, seinen bestandskräftigen Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 gemäß § 44 SGB X teilweise aufzuheben und abzuändern, weil bei seinem Erlaß die Höhe des vom Kläger tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts teilweise zu Unrecht zu niedrig festgestellt worden ist.
1. Revisionsgerichtlicher Prüfungsmaßstab sind allein die Vorschriften des AAÜG. Nach den jedenfalls insofern für die Parteien auch weiterhin verbindlichen (§ 77 SGG) Regelungen im Bescheid vom 11. Juli 1995 gehörte der Kläger nämlich vom 1. September 1971 bis zum 20. Mai 1990 dem Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr 19 zum AAÜG an und hat damit im Beitrittsgebiet (§ 18 Abs 3 SGB IV) „Anwartschaften” erworben (§ 1 Abs 1 Satz 1 AAÜG).
Das AAÜG regelt, ob und ggf wie ua solche „Anwartschaften” aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der DDR in die Rentenversicherung des Beitrittsgebiets (zum 31. Dezember 1991) überführt werden (§§ 1 bis 4 AAÜG). Ab 1. Januar 1992 werden diese durch die entsprechenden Anwartschaften aus dem SGB VI ersetzt (ges Novation, stRspr des Senats seit BSGE 72, 50, 56). Demzufolge bestimmt sich auch der (Geld-)Wert dieser Berechtigungen grundsätzlich nach dem SGB VI, wobei für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem der Ermittlung der sog Entgeltpunkte abweichend von §§ 256a, 256b, 70 SGB VI der Verdienst nach dem AAÜG zugrunde gelegt wird (vgl § 259b Abs 1 Satz 1 SGB VI). Gemäß § 5 Abs 1 AAÜG gelten die sog Zugehörigkeitszeiten zu einem Versorgungssystem, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden ist, als Pflichtbeitragszeiten der Rentenversicherung. Diesen fiktiven Beitragszeiten wird als Verdienst (iS von § 256a Abs 2 SGB VI) grundsätzlich das im jeweiligen Kalenderjahr tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt (§ 6 Abs 1 AAÜG), und zwar entgegen der Auffassung der Beklagten unabhängig davon, inwieweit es zur – früheren – Beitragszahlung herangezogen war. Dann regelt das AAÜG in einem hiervon getrennten Verfahren – im Rahmen einer dreistufigen Typik – bis zu welcher Höhe der Träger der Rentenversicherung das Arbeitsentgelt bzw -einkommen für die Bestimmung des Rentenwerts zu berücksichtigen ist, nämlich entweder bis zur allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze (§ 6 Abs 1 Satz 1 AAÜG iVm der Anlage 3) oder bis zu besonderen – niedrigeren – Beitragsbemessungsgrenzen (§ 6 Abs 2, § 7 AAÜG).
In diesem Zusammenhang hat der Versorgungsträger (hier die Beklagte) gemäß § 8 Abs 1 AAÜG in einem der Rentenfeststellung vorgelagerten, dem Vormerkungsverfahren nach § 149 Abs 5 SGB VI ähnlichen, Verfahren einzelne Daten verbindlich festzustellen, die für die spätere Feststellung des Werts der SGB VI-Rente oder -Anwartschaften von Bedeutung sein könnten (vgl Urteile des Senats in SozR 3-8570 § 8 Nr 2 S 8 sowie vom 23. Juni 1998, B 4 RA 61/97 R, O-Spezial 1998, Nr 33.8 = Die Beiträge, Beilage 1998, 294 f und B 4 RA 5/97 R, Die Beiträge 1998, 296). Dies sind ua die Daten über
- Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem,
- die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, ob die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze in Betracht kommt (§§ 6 und 7 AAÜG) sowie
- die Höhe des aus der vom Versorgungssystem erfaßten Beschäftigung oder Tätigkeit tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens,
- in den Fällen des § 8 Abs 1 Satz 3 AAÜG die Feststellung von Arbeitsausfalltagen.
2. Die Höhe des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts wird vom Versorgungsträger abschließend durch Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X festgestellt. Er hat dabei den bundesdeutschen Begriff des Arbeitsentgelts iS von § 14 Abs 1 SGB IV zugrunde zu legen, so daß alle zumindest im Zusammenhang mit der Beschäftigung erzielten Einnahmen, nicht aber Sozialleistungen wie das (beitragsfreie) Krankengeld der DDR (vgl § 24 ff iVm §§ 3, 17 der Verordnung zur Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten vom 17. November 1977, GBl I S 373), als relevant in Betracht kommen. Der Versorgungsträger hat im Blick hierauf nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, im Rahmen der Feststellung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts nach § 8 Abs 1 Satz 2 AAÜG für Arbeitsausfalltage ggf fiktiv ermitteltes Entgelt unberücksichtigt zu lassen. Insoweit ergibt sich – im vorliegenden Zusammenhang allerdings nur als Vorfrage – für den Versorgungsträger über den Anwendungsbereich von § 8 Abs 1 Satz 3 AAÜG hinaus die Notwendigkeit einer Befassung mit dem Vorliegen von Arbeitsausfalltagen. Im Rahmen der demgemäß nach § 20 Abs 1, 2 SGB X während des Verwaltungsverfahrens (bzw der im Streitfall von den Gerichten) durchzuführenden Ermittlungen sind dabei alle in Betracht kommenden Beweismittel heranzuziehen; insbesondere können hierzu beim Versicherten selbst, beim früheren Arbeitgeber oder bei anderen Stellen und Behörden Auskünfte über das tatsächlich gewährte Entgelt eingeholt bzw die Vorlage entsprechender Bescheinigungen (zB Gehaltsabrechnungen, Quittungen, Kontoauszüge etc) oder sonstige Urkunden verlangt werden (vgl § 8 Abs 1 Satz 4 AAÜG). Nur wenn und soweit die Höhe des tatsächlich gewährten Arbeitsentgelts auf diese Weise nicht ermittelt und nachgewiesen werden kann, kommt die Schätzung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts nach Maßgabe von § 287 ZPO in Betracht. Im Rahmen einer solchen, allerdings nur hilfsweise zulässigen Schätzung hat der Versorgungsträger dann in der Begründung des Entgeltbescheides (§ 35 SGB X) im einzelnen seine Schätzungsgrundlagen und Berechnungsmethoden darzulegen.
3. Vorliegend hat sich die Beklagte zu Unrecht von vornherein darauf beschränkt, die für den Kläger geführte Beitragsnachweiskarte der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates sowie den Ausweis des Klägers für Arbeit und Sozialversicherung auszuwerten. Anhand der in diesen Urkunden aufgeführten Daten, dh der Arbeitsausfalltage im Sozialversicherungsausweis einerseits und der bescheinigten Bruttoverdienste andererseits, errechnete die Beklagte (durch formelhafte „Reduktion”/Herausrechnen) das aus ihrer Sicht vom Kläger tatsächlich erzielte Bruttoarbeitsentgelt. Sie hat damit im Ergebnis anhand der Beitragsnachweiskarte sogleich nach einem abstrakten Maßstab und ohne eine auch nur rudimentäre Berücksichtigung der Verhältnisse im Einzelfall eine „Schätzung” des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts vorgenommen; den stets vorrangigen Versuch, das tatsächlich erzielte Entgelt im einzelnen auf sonstige Weise zu ermitteln, hat sie nicht unternommen.
Demgegenüber hat das LSG eine Schätzung für nicht erforderlich gehalten, weil das tatsächlich erzielte Entgelt nachgewiesen sei; es hat insoweit ausgeführt, in der Beitragsnachweiskarte sei nur tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt – ohne Krankengeld und Lohnausgleich – bescheinigt, denn nur dieses Entgelt habe der Berechnung des Jahresbeitrags zur Versorgung gedient. Dies ergebe sich aus § 7 Abs 5 Satz 1 der – amtlich nicht veröffentlichten – 2. Richtlinie zur Durchführung der Ordnung über die freiwillige zusätzliche Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates vom 17. Juni 1975 (abgedruckt in: Aichberger II Nr 209). Das LSG hat damit nach vorhergehender rechtlicher Würdigung der für die Führung der Beitragsnachweiskarte maßgeblich gewesenen Bestimmungen in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß der Kläger ein Arbeitsentgelt in der in der Beitragsnachweiskarte bescheinigten Höhe erzielt hat.
An diese Feststellung der Höhe des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts ist der Senat nicht gemäß § 163 SGG gebunden. Das LSG hat mit dieser Tatsachenfeststellung – wie die Beklagte sinngemäß zu Recht rügt – die Grenzen richterlicher Beweiswürdigung verletzt. Es hat aus der og 2. Richtlinie nur einzelne für die Rechtspraxis der DDR bedeutsame Vorschriften herausgegriffen, andere Bestimmungen hingegen, die über das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt und insbesondere den Vorgang der Bescheinigung von Bruttoarbeitsverdiensten in der Beitragsnachweiskarte ebenso Aufschluß geben könnten, indessen gänzlich unbeachtet gelassen. Es hat damit generelle Tatsachen nur unvollständig gewürdigt und nicht alle maßgeblichen Umstände in seine Beweiswürdigung einbezogen. Mit Blick auf Teil C Nr 3 der og 2. Richtlinie ist der Einwand der Beklagten nicht von der Hand zu weisen, daß sich jedenfalls bei Zugehörigkeitszeiten im Zusatzversorgungssystem nach Nr 19 der Anlage 1 zum AAÜG für Zeiten des Bezuges von Geldleistungen der Sozialversicherung der DDR (insbesondere Krankengeld) aus der Beitragsnachweiskarte nicht ergibt, daß und welchen Bruttoverdienst der Zusatzversorgte in Krankheitszeiten (an sog Ausfalltagen) tatsächlich erzielt hat, sondern daß es sich insoweit um die Dokumentation des Ergebnisses eines Rechenvorgangs handelt, nämlich die „Errechnung des Brutto- und Nettoverdienstes, den der Mitarbeiter erzielt hätte, wenn er in dieser Zeit tätig gewesen wäre”.
4. Es kann nach allem mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht geprüft werden, ob die Beklagte im Entgeltbescheid vom 11. Juli 1995 das vom Kläger erzielte Entgelt in zutreffender Höhe festgestellt hat. Diese Tatsachenfeststellung hat das LSG nachzuholen. Dabei kann es auf sämtliche Beweismittel zurückgreifen. Läßt sich die Höhe des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Kalenderjahren mit Arbeitsausfalltagen nicht unmittelbar feststellen (zB mittels Gehaltsabrechnungen, Lohnquittungen, Kontoauszügen etc), kommt – wie bereits ausgeführt wurde – hilfsweise eine Schätzung des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts in Betracht, wie sie von der Beklagten vorliegend anhand der Beitragsnachweiskarte vorgenommen wurde. Hierin läge – entgegen der Ansicht des Klägers – keine unzulässige „Feststellung zu Arbeitsausfalltagen”, zu der der Versorgungsträger außerhalb des Anwendungsbereichs von § 8 Abs 1 AAÜG nicht befugt ist. Nach § 8 Abs 1 Satz 3 AAÜG darf der Versorgungsträger für den Rentenversicherungsträger Arbeitsausfalltage verbindlich nur für Zeiten feststellen, die ohne Zugehörigkeit zu einem Sonderversorgungssystem im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung einzutragen gewesen wären; das Gesetz geht hierbei davon aus, daß der Sozialversicherungsausweis für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Sonderversorgungssystem keine Eintragungen über Arbeitsausfalltage enthält; deren (nachträgliche) Ermittlung und verbindliche Feststellung ist in diesen Fällen dem Versorgungsträger vorbehalten. In den übrigen Fällen ist es Aufgabe des Rentenversicherungsträgers die Arbeitsausfalltage zwecks Anwendung von § 252a Abs 2 SGB VI selbst zu ermitteln.
Soweit die Beklagte im Rahmen einer Schätzung tatsächlich erzielten Entgelts Arbeitsausfalltage ermittelt, geschieht dies jedoch allein zu dem Zweck, in den entsprechenden Kalenderjahren aus den in der Beitragsnachweiskarte betragsmäßig aufgeführten Bruttoarbeitsentgelten tatsächlich nicht erzielte Entgelte herauszurechnen. Der Versorgungsträger trifft damit zur Vorbereitung seiner rechtlichen Entscheidung über die Höhe des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts (Verwaltungsakt iS von § 31 SGB X) vorab eine hilfsweise hierzu erforderliche tatsächliche Feststellung über die Zahl der Ausfalltage je Kalenderjahr, bei der es sich nicht um eine Feststellung iS von § 252a SGB VI iVm § 31 SGB X handelt. Seine Ausführungen zur Anzahl und zur Lage der Arbeitsausfalltage sind demgemäß für den Rentenversicherungsträger nicht verbindlich; sie sind vielmehr allein als Begründung iS von § 35 SGB X zur schätzungsweisen Feststellung des tatsächlichen Arbeitsentgelts zu verstehen.
Im Rahmen dieser Begründung muß der Versorgungsträger auch darlegen, auf welche Weise er das Bruttoarbeitsentgelt geschätzt, dh nach welcher Berechnungsformel er dieses ggf anhand der bescheinigten Arbeitsausfalltage aus den in der Beitragsnachweiskarte ausgewiesenen „Bruttoverdiensten” herausgerechnet hat. Hieran fehlt es vorliegend, so daß der Senat nur erahnen konnte, daß der Versorgungsträger etwa für das Kalenderjahr 1976, für das 16 Arbeitsausfalltage bescheinigt sind, nach der Formel des § 252a Abs 2 SGB VI einen 22-Tageszeitraum gebildet hat (16 × 7: 5 = 22,4 Tage); diesen hat er zu dem in der Beitragsnachweiskarte bescheinigten Jahresbruttoverdienst ins Verhältnis gesetzt, wobei er das Jahr mit 360 Kalendertagen angesetzt hat (15.000 DM bescheinigtes Jahresbruttoentgelt: 360 × 22 = 916,66 DM). Den so ermittelten, auf die Arbeitsausfalltage entfallenden Betrag hat er von dem in der Beitragsnachweiskarte ausgewiesenen Betrag in Abzug gebracht und das Ergebnis dieser Subtraktion als tatsächlich erzieltes Arbeitsentgelt im Entgeltbescheid festgestellt (15.000 DM ./. 916,66 DM = 14.083,34 DM).
Nur wenn der Versorgungsträger seine Vorgehens- und Berechnungsweise in der geschilderten Weise offenlegt, kann der Rentenversicherungsträger anhand der Begründung des Entgeltbescheides erkennen, daß das vom Versorgungsträger festgestellte Arbeitsentgelt ausschließlich auf Zeiten entfällt, die keine Arbeitsausfalltage sind, und daß für Arbeitsausfalltage kein Arbeitsentgelt bescheinigt ist. Der Rentenversicherungsträger ist daher in solchen Fällen bei Anwendung des § 252a Abs 2 SGB VI nicht befugt, das bescheinigte (festgestellte) tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt nochmals um die von ihm ermittelten oder in den Fällen des § 8 Abs 1 Satz 3 AAÜG – ausnahmsweise – vom Versorgungsträger in Gestalt eines Verwaltungsaktes (§ 31 SGB X) festgestellten Arbeitsausfalltage (anteilig) zu reduzieren; andernfalls nämlich würde der Lohnausfall an Arbeitsausfalltagen zweifach berücksichtigt; einmal vom Versorgungsträger und ein weiteres Mal vom Rentenversicherungsträger. Hierfür fehlt es jedoch an einer Rechtsgrundlage. Vielmehr ist der Rentenversicherungsträger bei der Berücksichtigung von Anrechnungszeiten nach Maßgabe des § 252a Abs 2 SGB VI verpflichtet, das schätzungsweise festgestellte tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt in voller Höhe auf diejenigen Kalendermonate zu verteilen, die nicht Anrechnungszeit sind; eine vorherige anteilige Kürzung des insgesamt mitgeteilten Betrages um einen auf Anrechnungszeiten entfallenden Anteil ist ihm verwehrt, da der Versorgungsträger für Ausfalltage Arbeitsentgelt nicht (bzw in Höhe „Null”) festgestellt hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Berufungsgericht vorbehalten.
Fundstellen
ZAP-Ost 1999, 520 |
SGb 1999, 405 |
SozR 3-8570 § 8, Nr. 3 |