Leitsatz (amtlich)
Hat der Versicherte im Jahr vor seinem Tode seiner Ehefrau monatlich Unterhaltszahlungen geleistet, die teils über, teils unter der Grenze von 25 % des örtlich und zeitlich erforderlichen Mindestbedarfs der Empfängerin liegen, so ist die 3. Alternative des AVG § 42 S 1 (= RVO § 1265 S 1) nicht erfüllt, wenn das Gesamtbild aller Zahlungen objektiv nicht die Annahme rechtfertigt, daß der Versicherte, wäre er nicht verstorben, künftig Unterhalt im erforderlichen Mindestumfang geleistet hätte.
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 14. März 1974 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aus der Versicherung des am 19. Mai 1971 verstorbenen Otto N (N.). Ihre Ehe mit N. wurde im Februar 1963 aus dessen Verschulden geschieden. In einer damals getroffenen Vereinbarung verpflichtete sich N., an die Klägerin nach der Scheidung im ersten Jahr monatlich 250,- DM und danach monatlich 225,- DM an Unterhalt zu zahlen; nach Vollendung seines 70. Lebensjahres, ebenso bei "Vollinvalidität" und alleinigen Einkünften aus Sozialversicherungsrente sollte sich der Betrag auf 50,- DM ermäßigen. Nettoeinkünfte der Klägerin über 500,- DM mußte sie sich anrechnen lassen. Eine neue Ehe von N. sollte die Verpflichtungen nicht berühren. Außerdem war bestimmt, daß die Klägerin "den ihr nach dem Gesetz zustehenden Anteil an der Witwenrente" erhalte, wenn N. versterbe.
N. bezog ab April 1969 Altersruhegeld. Außerdem hatte er bis Ende 1970 Einkünfte aus einem dann wegen Krankheit aufgegebenen Arbeitsverhältnis. Er zahlte der Klägerin bis Dezember 1970 monatlich 225,- DM, danach bis zu seinem Tode monatlich 50,- DM. Die Klägerin verdiente seit Juli 1970 monatlich 950,- DM netto.
Nach dem Tode von N. bewilligte die Beklagte der Beigeladenen, die mit N. seit 1963 verheiratet gewesen war, Witwenrente (Bescheid vom 30. September 1971). Den Antrag der Klägerin vom Juli 1971 auf Hinterbliebenenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. September 1971 ab. Das Sozialgericht (SG) gab der von der Klägerin erhobenen Klage statt. Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hielt die Voraussetzungen der drei Alternativen des § 42 Satz 1 AVG nicht für erfüllt. Die Klägerin habe wegen ihrer Einkünfte zur Zeit des Todes des Versicherten und schon vorher seit Juli 1970 gegen N. keinen Unterhaltsanspruch gehabt; aus der tatsächlichen Unterhaltsleistung könne nicht hergeleitet werden, daß N. - falls er überhaupt von der Höhe der Einkünfte der Klägerin gewußt habe - sich des Rechtes der Berufung auf den Vertragsinhalt begeben habe. N. habe auch nicht regelmäßig Unterhalt i. S. des § 42 AVG im letzten Jahr vor dem Tode von N. geleistet; die zuletzt gezahlten Monatsbeträge von 50,- DM hätten nicht 25 % des örtlich und zeitlich notwendigen Mindestbedarfs erreicht; eine "Durchschnittsberechnung" aus den vorangegangenen sieben Monatszahlungen oder aus allen zwölf Monatszahlungen sei nicht angängig.
Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufungen gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Sie rügt, daß das LSG zu Unrecht das Vorliegen der zweiten und der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG verneint habe. Aus den tatsächlichen Unterhaltszahlungen von N. ergebe sich, daß er sich nicht auf die Anrechnungsmöglichkeit habe berufen wollen, vielmehr eine bestehende Unterhaltspflicht anerkannt habe. Für die dritte Alternative genüge es, daß er im Jahr vor seinem Tode regelmäßig Unterhalt gezahlt habe; wolle man zusätzlich auf die Höhe abstellen, sei der Jahresdurchschnitt entscheidend. Im übrigen müßten Beträge von 50,- DM monatlich hier als bedeutsam angesehen werden; N. habe mit solchen Zahlungen der Klägerin einen Ausgleich für die in den Ehejahren nicht erworbenen Versorgungsansprüche verschaffen wollen; zudem habe man bei Abschluß der Unterhaltsvereinbarung noch nicht voraussehen können, daß die Rechtsprechung zu § 42 AVG später höhere Beträge fordern würde.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen
die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin ein Anspruch auf Rente nach § 42 AVG nicht zusteht.
Nach § 42 Satz 1 AVG wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Daß das LSG das Vorliegen der ersten Alternative - Unterhaltspflicht nach dem Ehegesetz - zu Recht verneint hat, wird von der Revision nicht bezweifelt. Aber auch die Ansicht des LSG, daß es an einer Erfüllung der Voraussetzungen der zweiten und dritten Alternative fehlt, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Verneinung einer vertraglichen Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes durch das LSG läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen. Die demgegenüber erhobene Behauptung der Revision, der Versicherte habe mit seinen Unterhaltszahlungen eine von Anrechnungsmöglichkeiten freie Unterhaltspflicht anerkennen vollen, steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des LSG, an die das Bundessozialgericht (BSG) in Ermangelung einer begründeten Verfahrensrüge gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Es kann daher dahinstehen, ob ein solcher Anerkennungswille zu den Folgerungen führen könnte, die die Revision gezogen sehen möchte.
Die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG sind nach der aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung entwickelten Rechtsprechung des BSG nur erfüllt, wenn einerseits Zahlungen erbracht worden sind, die 25 % des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs der Empfängerin erreicht haben (BSG 22, 44; SozR Nr. 41, 49 zu § 1265 RVO), und wenn andererseits - von besonders gelagerten Ausnahmefällen abgesehen - sich diese Zahlungen auf den vollen Jahreszeitraum vor dem Tode erstreckt haben (BSG 25, 86; SozR Nr. 48, 55, 70 zu § 1265 RVO). Die monatlichen Zahlungen von 50,- DM ab Januar 1971 haben nach den Feststellungen des LSG 25 % des Mindestbedarfs der Klägerin nicht erreicht. Daß der erkennende Senat in einem 1966 entschiedenen und anders gelagerten Fall noch einen Monatsbetrag von 50,- DM für ausreichend gehalten hatte (BSG 25, 86), ist demgegenüber unerheblich. Im Rahmen der 3. Alternative des § 42 Satz 1 AVG kann es auch nicht auf Vorstellungen ankommen, von denen sich die Klägerin und der Versicherte möglicherweise bei der Festlegung eines solchen Betrages in der Unterhaltsvereinbarung für die dort bestimmten Fälle haben leiten lassen. Die das Maß von 25 % des Mindestbedarfs übersteigenden Zahlungen im Jahre 1970 sind wiederum nicht während des vollen Jahreszeitraums vor dem Tode des Versicherten erbracht worden.
Auch wenn der Durchschnitt aller im Jahr vor dem Tode bewirkten Unterhaltsleistungen das genannte Maß überschritten hat, so sind damit allein die Voraussetzungen der dritten Alternative des § 42 Satz 1 AVG noch nicht erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob bei dieser Alternative Durchschnittsbildungen (vgl. BSG 20, 252 f) unter Einbeziehung der das Mindestmaß nicht erreichenden Monatszahlungen überhaupt zulässig sind; in jedem Falle muß das Gesamtbild aller Zahlungen objektiv die Annahme rechtfertigen, daß der Versicherte, wäre er nicht verstorben, weiterhin Unterhalt in dem erforderlichen Mindestumfange geleistet hätte, so daß sich die frühere Ehefrau für die Zukunft darauf einstellen konnte (vgl. BSG 25, 86 (88)). Für eine solche Annahme ist hier kein Raum. Der Versicherte war mit dem Jahreswechsel 1970/71 zu Monatszahlungen in Höhe von 50,- DM übergegangen. Im Hinblick auf diese deutliche Zäsur boten jedenfalls die tatsächlichen Unterhaltsleistungen des Versicherten, auf die allein es ankommt, keinen begründeten Anlaß zu der Erwartung höherer Zahlungen für die Folgezeit.
Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.
Fundstellen