Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 08.05.1956) |
SG Dortmund (Urteil vom 25.02.1955) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin und der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Westfalen werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Mai 1956 und des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Februar 1955 sowie die Bescheide der Beklagten vom 23. Februar 1954 und ihrer Widerspruchsstelle vom 16. März 1954 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß der Beigeladene Scholz in seiner Nebenbeschäftigung bei der Klägerin im Zeitraum vom 1. September 1953 bis zum 28. Februar 1954 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken- und Invalidenversicherung unterliegt.
Die Beklagte hat der Klägerin und dem Beigeladenen Scholz die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I.
Der Beigeladene Sch. (Sch.), der hauptberuflich als Kohlenarbeiter bei der Britischen Militärregierung beschäftigt war, übte in derselben Zeit für die Firma H. & Sch. (H. & Sch.) auch die Tätigkeit eines Plakatanklebers aus. Hauptberuflich arbeitete er 48 Stunden wöchentlich bei einem Monatsverdienst von durchschnittlich 282,60 DM. – Für die Klägerin, die Firma H. & Sch., war er etwa zehn Stunden wöchentlich tätig; sein Monatsverdienst aus diesem Beschäftigungsverhältnis betrug in den Monaten September bis Dezember 1953 durchschnittlich 101,– DM, im Januar 1954 33,– DM und im Februar 1954 98,40 DM. Vom 1. März 1954 an übernahm Sch. den ganzen Stadtbezirk und verdiente monatlich durchschnittlich 185,– DM. Die Beteiligten streiten über die Versicherungspflicht der Nebentätigkeit des Beigeladenen Sch.
Die beklagte Krankenkasse sah die Tätigkeit des Beigeladenen als Plakatankleber als versicherungspflichtig in der Kranken- und der Rentenversicherung der Arbeiter an. Sie forderte daher die Klägerin zur Anmeldung des Beigeladenen auf und stellte durch den mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Bescheid vom 23. Februar 1954 fest, daß die Nebenbeschäftigung des Sch. versicherungspflichtig sei. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Die Klägerin vertrat in ihrer Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 17. März 1954 die Ansicht, der Beigeladene Sch. habe die Beschäftigung als Plakatankleber „nebenher” im Sinne des § 168 Abs. 3 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung der Ersten Vereinfachungs-Verordnung (VereinfVO.) vom 17. März 1945 (RGBl. I S. 41) ausgeübt, weil er wöchentlich weniger als 24 Stunden für sie gearbeitet und auch sein Entgelt weniger als die Hälfte des Arbeitsentgelts aus seiner Hauptbeschäftigung betragen habe. Er sei deshalb in der Krankenversicherung und damit auch in der Invalidenversicherung versicherungsfrei gewesen (§ 1226 Nr. 1 RVO in der Fassung der Ersten VereinfVO.). Demgegenüber vertraten die Beklagte sowie die beigeladene Landesversicherungsanstalt den Standpunkt, für die Frage der Versicherungsfreiheit seien die Dauer der Arbeitszeit und die Höhe des Entgelts nicht allein entscheidend, es komme vielmehr darauf an, ob die neben der Hauptbeschäftigung verrichtete Tätigkeit „nebenher” ausgeübt werde. Dies treffe jedoch hier nicht zu, weil der Verdienst aus der Nebenbeschäftigung für den Beigeladenen, der darauf – als Flüchtling, zum Aufbau seiner Existenz – angewiesen gewesen sei, keine nur nebensächliche wirtschaftliche Bedeutung gehabt habe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen; das Landessozialgericht hat die Revision zugelassen. Es hat angenommen, die vom Beigeladenen Sch. neben seiner Hauptbeschäftigung als Kohlenarbeiter ausgeübte Tätigkeit eines Plakatanklebers sei versicherungspflichtig, weil der durch diese Nebentätigkeit erzielte Verdienst für die Lebensführung des Sch. von wesentlicher Bedeutung gewesen sei. Zwar hätten Arbeitszeit und Entgelt dieser Nebenbeschäftigung in der Zeit vom 1. September 1953 bis zum 28. Februar 1954 die Hälfte der Arbeitszeit und des Entgelts der Hauptbeschäftigung nicht überschritten. Die Nebentätigkeit sei aber deshalb nicht versicherungsfrei, weil § 168 Abs. 3 Satz 2 RVO weiter fordere, daß sie „nur nebenher” ausgeführt werde. Diese Voraussetzung sei nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (Grunds. Entsch. Nr. 1917, AN. 1914 S. 766 und Grunds. Entsch. Nr. 4761, AN. 1934 S. 145) zu den Bekanntmachungen über die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Invalidenversicherungspflicht vom 27. Dezember 1899 und von der Krankenversicherungspflicht vom 17. November 1913 nur dann erfüllt, wenn die Nebenbeschäftigung und der durch sie erzielte Entgelt die Lebenshaltung des Beschäftigten nicht wesentlich mitbestimmten. Die Erste VereinfVO. habe den Begriff „nebenher” beibehalten und als weitere Voraussetzung für die Versicherungsfreiheit hinzugefügt, daß Arbeitszeit und Entgelt die Hälfte der Arbeitszeit und des Entgelts der Hauptbeschäftigung nicht überschreiten dürften.
Die Klägerin und die beigeladene Landesversicherungsanstalt haben gegen das ihnen am 6. August 1956 zugestellte Urteil am 14. August (die Beigeladene) und am 29. August 1959 (die Klägerin) Revision eingelegt und sie zugleich begründet.
Sie beantragen,
die angefochtenen Entscheidungen sowie den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 1954 und den Widerspruchsbescheid vom 16. März 1954 aufzuheben und festzustellen, daß der Beigeladene Sch. in seinem Beschäftigungsverhältnis während der Zeit vom 1. September 1953 bis zum 28. Februar 1954 nicht der Vesicherungspflicht in der Kranken- und Invalidenversicherung unterlegen hat.
Die Klägerin macht geltend, der Wortlaut des § 168 Abs. 3 RVO sei nicht klar, die Worte „aber nur nebenher” (§ 168 Abs. 3 Satz 2) enthielten insofern einen Pleonasmus, als der gleiche Gedanke schon in Abs. 3 Satz 1 zum Ausdruck komme. § 168 Abs. 3 RVO könne durchaus so ausgelegt werden, als ob die angeführten Worte fehlten. Bis zur Hälfte des Verdienstes aus der Hauptbeschäftigung bilde die Nebenbeschäftigung nicht die Existenzgrundlage; liege ein Verdienst darunter, so bestehe auch kein Anlaß, einem Versicherten insoweit Barleistungen zu gewähren. Eine solche Auslegung sei auch praktikabel und entspreche der überwiegenden Praxis.
Die beigeladene Landesversicherungsanstalt führt zur Begründung ihrer Revision aus, das Wort „nebenher” in § 168 Abs. 3 Satz 3 RVO könne – im Sinne der durch die Verordnung vom 17. März 1945 angestrebten Vereinfachung – nicht die ihm vom Landessozialgericht gegebene Bedeutung haben, weil sonst – gleichgültig wie geringfügig eine Tätigkeit auch sein möge, – in jedem Einzelfalle geprüft werden müsse, ob der Entgelt aus der Nebenbeschäftigung für den Betreffenden nicht doch von einer wirtschaftlichen Bedeutung sei. Das Wort „nebenher” in § 168 Abs. 3 Satz 2 könne nur die Bedeutung von „neben der Hauptbeschäftigung” haben.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen der Klägerin und der beigeladenen Landesversicherungsanstalt sind statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –), auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 164 Abs. 1 SGG) und danach zulässig. Sie sind auch begründet. Dem Landessozialgericht ist zuzugeben, daß der Wortlaut des § 168 Abs. 3 Satz 2 RVO i.d.F. der Ersten VereinfVO. nicht völlig eindeutig ist und daß die Auslegung dieser Vorschrift im Hinblick auf die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts zu den Bekanntmachung über die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Invalidenversicherungspflicht und von der Krankenversicherungspflicht zu Zweifeln Anlaß gibt. Der Senat ist jedoch der Auffassung, daß es dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift entspricht, Dienstleistungen von Personen, die in einem regelmäßigen Beschäftigungsverhältnis stehen und die im Rahmen einer Nebenbeschäftigung für einen anderen Arbeitgeber ausgeführt werden, dann ohne weitere Einschränkung versicherungsfrei sind, wenn Arbeitszeit und Entgelt die Hälfte der Arbeitszeit und des Entgelts der Hauptbeschäftigung nicht überschreiten.
Nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers betr. „die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Krankenversicherungspflicht vom 17. November 1913” (RGBl. I S. 756) waren u. a. vorübergehende Dienstleistungen von „Personen, die sonst berufsmäßige Lohnarbeit verrichten” („Berufsarbeiter”) versicherungsfrei, wenn die Nebenbeschäftigung unter folgenden Voraussetzungen stattfand:
- während vorübergehender Arbeitslosigkeit bei Beschränkung auf höchstens drei Arbeitstage (entweder „nach der Natur der Sache” oder „im voraus durch den Arbeitsvertrag” – vgl. Ziff. I Nr. 2 –),
- während des Bestehens eines regelmäßigen Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Arbeitgeber, wenn sie für andere Arbeitgeber „nebenher”, sei es gelegentlich, sei es in regelmäßiger Wiederkehr ausgeführt wurde (vgl. Ziff. I Nr. 4).
Die Entscheidung über die Versicherungsfreiheit war danach im ersten Falle auf Grund eines klaren Merkmals leicht möglich. Im zweiten Falle war für die Entscheidung über die Versicherungsfreiheit hingegen kein eindeutiges Abgrenzungsmerkmal gegeben. Ein wichtiger Hinweis für die Abgrenzung ergab sich jedoch aus Ziff. I. Nr. 3 der Bekanntmachung. Nach dieser Bestimmung, die die Versicherungsfreiheit vorübergehender Dienstleistungen von Personen regelte, die „sonst keine berufsmäßige Lohnarbeit verrichten”, war Voraussetzung der Versicherungsfreiheit, daß die in regelmäßiger Wiederkehr verrichtete Arbeit „nur nebenher und gegen einen geringfügigen Entgelt” ausgeführt wurde. Als „geringfügig” galt ein Entgelt, wenn er „für den Lebensunterhalt während des Zeitraums, innerhalb dessen die Beschäftigung in regelmäßiger Wiederkehr ausgeübt wird, nicht wesentlich ist”. Mangels eines eindeutigen Abgrenzungsmerkmals in Ziff. I Nr. 4 lag es nahe, die Bedeutung des Begriffs „nebenher” der einen ähnlichen Fall regelnden Nr. 3 zu entnehmen und in Anlehnung an die Definition des Begriffs „geringfügig” eine Beschäftigung nur dann als „nebenher” ausgeführt anzusehen, wenn sie für den Lebensunterhalt des Beschäftigten nicht wesentlich war. Deshalb bedurfte es nach der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (Grunds. Entsch. Nr. 1917, AN. 1914 S. 766, vgl. auch Grunds. Entsch. Nr. 4761, AN. 1934 S. 145) bei einer Nebenbeschäftigung stets genauer Prüfung im Einzelfalle, ob sie nach den gesamten maßgebenden Lebensverhältnissen für den Beschäftigen wirtschaftlich von wesentlicher Bedeutung war. Die an einem unbestimmten Rechtsbegriff orientierte Möglichkeit der Versicherungsfreiheit setzte hiernach eine eingehende Prüfung der gesamten Lebensverhältnisse des Beschäftigten voraus, da sie einen Vergleich mit allen sonstigen Einkünften des Beschäftigten erforderte.
Nach der Bekanntmachung des Reichskanzlers betr. die Befreiung vorübergehender Dienstleistungen von der Versicherungspflicht in der Invalidenversicherung vom 27. Dezember 1899 (RGBl. S. 725) waren vorübergehende Dienstleistungen u. a. versicherungsfrei, wenn sie von Berufsarbeitern, „die in einem regelmäßigen, die Versicherungspflicht begründenden Arbeits- oder Dienstverhältnisse zu einem bestimmten Arbeitgeber stehen, ohne Unterbrechung dieses Verhältnisses bei anderen Arbeitgebern nebenher, sei es nur gelegentlich zur Aushilfe, sei es regelmäßig, verrichtet werden” (Nr. 2 der Bekanntmachung). Auch hier bedurfte der unbestimmte Begriff „nebenher” der Auslegung. Seine Bedeutung konnte aus Nr. 1 b) der Bekanntmachung entnommen werden, der die Versicherungsfreiheit von Personen regelte, die berufsmäßig keine Lohnarbeit verrichteten. Auch hier war – ähnlich wie nach Ziff. I Nr. 3 der Bekanntmachung vom 17. November 1913 – die Beschäftigung versicherungsfrei, wenn sie zwar regelmäßig, „aber nur nebenher und gegen ein geringfügiges Entgelt” ausgeführt wurde. Unter „geringfügig” war – ähnlich wie in Ziff. I Nr. 3 der Bekanntmachung vom 17. November 1913 – ein Entgelt zu verstehen, „welches für die Dauer der Beschäftigung zum Lebensunterhalt nicht ausreicht und zu den für diese Zeit zu zahlenden Versicherungsbeiträgen nicht im entsprechenden Verhältnisse steht”. Zwar war hier der Entgelt noch in Relation zu den Versicherungsbeiträgen gesetzt. Der Hinweis auf den Lebensunterhalt des Beschäftigten legte aber auch für die „nebenher” ausgeübte Beschäftigung von Berufsarbeitern im Sinne der Nr. 2 der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899 die Auslegung nahe, daß es sich um eine Beschäftigung handeln müsse, die nach den Umständen des Einzelfalls im Verhältnis zu der sonstigen Lebensstellung des Beschäftigten und zu seinen übrigen Einkünften nicht von wesentlicher Bedeutung ist. Es war demnach auch hier notwendig, die Lebens- und Einkommensverhältnisse im Einzelfall zu ermitteln, um entscheiden zu können, ob die Nebenbeschäftigung versicherungsfrei war oder nicht.
Die Erste VereinfVO. hat die Versicherungsfreiheit vorübergehender Dienstleistungen und geringfügiger Nebenbeschäftigungen neu geregelt (§ 168 RVO in der danach geltenden neuen Fassung). Nach Abs. 1 des § 168 RVO n. F. bleiben nur „gelegentlich” ausgeführte Dienstleistungen von Personen, die sonst berufsmäßig nicht als Arbeitnehmer tätig sind, versicherungsfrei, und als „gelegentlich” gilt eine auf weniger als drei Monate beschränkte Dienstleistung. Nach Absatz 2 sind solche Dienstleistungen dieser Personengruppe versicherungsfrei, die zwar laufend oder in regelmäßiger Wiederkehr, „aber nur nebenher und gegen einen geringfügigen Entgelt ausgeführt werden”. Hier liegt das für die Beurteilung entscheidende Merkmal in der Geringfügigkeit des Entgelts, und zwar gilt nach der Legaldefinition (Abs. 2 Satz 2) ein Entgelt als geringfügig, wenn er durchschnittlich 15,– DM in der Woche 65,– DM im Monat) nicht übersteigt, ein höherer Entgelt, wenn er durchschnittlich ein Fünftel des Gesamteinkommens nicht überschreitet.
Für die Beurteilung der Versicherungsfreiheit der nebenher ausgeübten Dienstleistungen von Personen, „die in einem regelmäßigen Beschäftigungsverhältnis stehen”, hat das Gesetz, soweit es sich um gelegentliche Dienstleistungen für einen anderen Arbeitgeber handelt, auf die in § 168 Abs. 1 RVO getroffene Regelung zurückgegriffen (§ 168 Abs. 3 Satz 1). Dagegen war für laufende oder in regelmäßiger Wiederkehr verrichtete Nebentätigkeiten dieser Personengruppen eine bloße Verweisung auf § 168 Abs. 2 RVO schon deshalb nicht möglich, weil die dort als Merkmal der Geringfügigkeit genannten Beträge für den sonst in einem regelmäßigen Beschäftigungsverhältnis Stehenden nicht brauchbar waren. Hier boten sich vielmehr als Bezugsgröße die Dauer der Arbeitszeit und das Verhältnis zu dem Entgelt der Hauptbeschäftigung an. Dadurch, daß das Gesetz in § 168 Abs. 3 Satz 2 RVO Dienstleistungen der genannten Personen, die für einen anderen Arbeitgeber „zwar laufend oder regelmäßiger Wiederkehr, aber nur nebenher” ausgeführt werden, für versicherungsfrei erklärt, „wenn Arbeitszeit und Entgelt die Hälfte der Arbeitszeit und des Entgelts der Hauptbeschäftigung nicht überschreiten”, sollte nach der Überzeugung des Senats hier dem Wort „nebenher” aber keine besondere – einschränkende – Bedeutung beigelegt werden, vielmehr sollte damit nur zum Ausdruck gebracht werden, daß beim Vorliegen der im letzten Halbsatz genannten objektiven, leicht feststellbaren Merkmale eine versicherungsfreie Nebenbeschäftigung anzunehmen ist. Ob eine gleiche Auslegung für § 168 Abs. 2 RVO angezeigt ist, kann zwar, weil hier nicht darüber zu entscheiden ist, dahinstehen. Aus Gründen des rechtlichen Zusammenhangs sei aber darauf hingewiesen, daß bei Auslegung des § 168 Abs. 2 RVO zu prüfen wäre, ob das „nebenher” hier etwa einen bestimmten – nur geringeren – Umfang der Nebenbeschäftigung in zeitlicher Hinsicht fordert. Wie aber § 168 Abs. 3 Satz 1 RVO mit Abs. 1 korrespondiert, so Abs. 3 Satz 2 mit Abs. 2 daselbst. Die in Abs. 3 Satz 2 noch einmal aufgenommene Prämisse „aber nur nebenher ausgeführt” will also nur das Thema kennzeichnen, daß es sich nämlich um Dienstleistungen handelt, die von einem im Hauptberuf bereits abhängig Beschäftigten außerdem (– „nebenher” –) noch ausgeübt werden. Welche Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit daran aber geknüpft werden sollen, das sagt erschöpfend allein der Nachsatz („so bleiben sie versicherungsfrei, wenn Arbeitszeit und Entgelt die Hälfte der Arbeitszeit und des Entgelts der Hauptbeschäftigung nicht überschreiten”). Diese Regelung hat gute Gründe: Die Erste VereinfVO. wollte offensichtlich den unbestimmten Rechtsbegriff des „nebenher”, der es erforderlich machte, die gesamten wirtschaftlichen Lebensverhältnisse in die Prüfung der Versicherungspflicht mit einzubeziehen, durch eine eindeutige Regelung ersetzen. Nur eine solche konnte den unmittelbaren Zwecken gerecht werden, welche die im Jahre 1945 zur „Vereinfachung” erlassene Verordnung vom 17. März verfolgte. Die Erreichung dieses Zweckes ist mit der Einführung von neuen, klaren, praktikablen Bezugsgrößen (Arbeitszeit, Entgelt) gelungen, so daß nun kein Bedürfnis mehr für eine Heranziehung des Begriffs „nebenher” im Sinne der früheren Regelung besteht.
Für die Richtigkeit der vorstehend getroffenen Auslegung des § 168 Abs. 3 RVO spricht auch die Begründung des Reichsarbeitsministers zu der Ersten VereinfVO., die, wie es in ihrem Vorspruch heißt, sowohl der „Vereinfachung des Leistungs- und Beitragsrechts” als auch der „Vereinfachung der Verwaltung” dienen sollte (vgl. Reichsarbeitsminister II 578/44 B). Aus dieser Begründung ergibt sich zunächst für die vorübergehenden Dienstleistungen, die nun einheitlich, auch für die Rentenversicherungen, bei einer Beschäftigung bis zu drei Monaten versicherungsfrei sind: „Damit unterliegen kurzfristig Beschäftigte künftig nicht der Krankenversicherungspflicht; für sie wird ein solches Schutzbedürfnis auch nicht als unbedingt nötig angesehen werden müssen”. Zu den geringfügigen Nebenbeschäftigungen führt die Begründung aus: „§ 168 RVO regelt auch die Versicherungsfreiheit der geringfügigen Nebenbeschäftigungen neu, und zwar so, daß die Versicherungspflicht dieser Beschäftigungen nur noch dann besteht, wenn sie im Verhältnis zur Hauptbeschäftigung an Arbeitszeit und Entgelt einen erheblicheren Umfang annehmen. Dadurch werden zahlreiche Nebenbeschäftigungen versicherungsfrei, und es wird die Zahl der bei mehreren Arbeitgebern tätigen versicherungspflichtigen Teilbeschäftigten, deren Betreuung für die Krankenkasse besondere Mehrarbeit erfordert, erheblich herabgesetzt”.
Dem Sinn und Zweck dieser Neuregelung würde es nicht entsprechen, wenn bei der Prüfung, ob die von einem sonst regelmäßig Beschäftigten für einen anderen Arbeitgeber ausgeübte Nebentätigkeit versicherungsfrei ist oder nicht, außer der Arbeitszeit und dem Entgelt beider Beschäftigungen in Anlehnung an die frühere Regelung noch festgestellt werden müßte, welche Bedeutung das Einkommen aus der Nebenbeschäftigung für die Lebensstellung des Arbeitnehmers hat. In dem Sinne war es ein Fortschritt, daß die Erste VereinfVO. gerade die Schwierigkeiten, die sich aus der Auslegung des unbestimmten Begriffs der „nebenher” ausgeübten Tätigkeit ergeben hatten, behob und den Begriff der versicherungsfreien Nebenbeschäftigung durch klar abgrenzbare, im allgemeinen leicht zu ermittelnde und nachprüfbare Merkmale bestimmte.
Das Landessozialgericht ist sonach bei der rechtlichen Beurteilung der von dem Beigeladenen Sch. ausgeübten Nebenbeschäftigung – wenn auch in Übereinstimmung mit dem Schrifttum – von unzutreffenden, durch die Rechtsentwicklung überholten Gesichtspunkten ausgegangen; es hat § 168 Abs. 3 Satz 2 RVO nicht richtig angewandt. Die Revision ist begründet, so daß die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide der Beklagten und ihrer Widerspruchsstelle aufzuheben sind. Abweichend hiervon stellt der Senat fest, daß der Beigeladene Sch. während seiner Nebenbeschäftigung bei der Klägerin im Zeitraum vom 1. September 1953 bis zum 28. Februar 1954 nicht der Versicherungspflicht in der Kranken- und Invalidenversicherung unterlag; er war insoweit nach § 168 Abs. 3 Satz 2 und § 1226 Nr. 1 RVO, beide in der Fassung der Ersten VereinfVO., in der Krankenversicherung und in der Invalidenversicherung versicherungsfrei.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Richter, Dr. Langkeit, Dr. Schraft
Fundstellen