Entscheidungsstichwort (Thema)
gesetzliche Unfallversicherung. berufliche Rehabilitation. Anspruch auf erneute Wohnungshilfe. Wohnungshilferichtlinie des Unfallversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Wohnungshilfe für den behindertengerechten Umbau von Wohnraum ist erneut zu gewähren, wenn dieser aufgrund eines Wohnsitzwechsels aus beruflichen, familiären oder anderen berechtigten Gründen erforderlich ist.
Orientierungssatz
Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des § 41 SGB 7 binden die Wohnungshilfe-Richtlinien allein die Verwaltung, grundsätzlich aber nicht die Gerichte (vgl BVerfG vom 31.5.1988 - 1 BvR 520/83 = BVerfGE 78, 214).
Normenkette
SGB VII § 41 Abs. 1-2, 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten wegen der erneuten Gewährung von Wohnungshilfe.
Der im Jahre 1967 geborene Kläger erlitt als selbständiger Holzeinschlag-Unternehmer am 6. Dezember 1990 einen durch Bescheid vom 23. Juli 1991 als solchen anerkannten Arbeitsunfall, wegen dessen Folgen er querschnittsgelähmt und auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen ist. Gemeinsam mit Frau R., seiner Lebensgefährtin, erwarb er im Jahre 1991 in N. (Baden-Württemberg) ein Einfamilienhaus zum Preis von 320.000,00 DM. Für den behindertengerechten Umbau des Hauses gewährte ihm die Beklagte einen Zuschuss in Höhe von 59.583,48 DM. In N. führte der Kläger ein Ladengeschäft, bei dessen Betrieb ihm Verwandte gelegentlich halfen; sein Vater lebte zu dieser Zeit im Saarland und unterhielt dort ein Taxiunternehmen.
Im Juni 1999 legte der Kläger der Beklagten Unterlagen darüber vor, dass er das Anwesen in N. für 350.000,00 DM verkauft und in der saarländischen Gemeinde H. ein Haus zum Preis von 305.723,00 DM, in dem behinderungsbedingte Mehrkosten in Höhe von 27.640,00 DM enthalten seien, erworben habe, und beantragte die Erstattung dieser Mehrkosten.
Die Beklagte lehnte eine erneute Gewährung von Wohnungshilfe an den Kläger ab (Bescheid vom 5. Juli 1999). Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe sich zum Umzug in das Saarland entschlossen, weil seine Familienangehörigen nunmehr dort wohnten und er deshalb bei einem Verbleib in N. auf sich allein gestellt wäre. Im Saarland könne er mehr soziale Kontakte knüpfen und die medizinische Versorgung besser in Anspruch nehmen. Möglicherweise könne er auch bei dem Taxiunternehmen seines Bruders mitwirken. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Erneute Wohnungshilfe sei nach den Wohnungshilfe-Richtlinien nur zu gewähren, wenn der Versicherte die Aufgabe der bezuschussten Wohnung nicht zu vertreten habe. Die vom Kläger mitgeteilten Gründe seien indes privater Natur (Widerspruchsbescheid vom 25. August 1999).
Das Sozialgericht Reutlingen (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3. August 2000). Der Kläger hatte hier vorgetragen, er habe nach dem Umzug seiner Angehörigen in das Saarland sein Geschäft nicht allein betreiben können und es daher einstellen müssen. Für seinen Umzug habe er deshalb berufliche und private Gründe. Nach dem Tod seines Vaters am 23. März 2000 habe er dessen Taxiunternehmen übernommen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die Beklagte unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger erneute Wohnungshilfe entsprechend seinem Antrag vom 16. Juni 1999 zu gewähren und über deren Art und Höhe nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Urteil vom 28. Februar 2002). Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs sei § 41 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die "Gemeinsamen Wohnungshilfe-Richtlinien der Verbände der Unfallversicherungsträger nach § 41 Abs 4 SGB VII" (HVBG-RdSchr VB 101/97) bänden zwar die Unfallversicherungsträger, könnten aber die gerichtliche Rechtskontrolle nicht binden, sofern es um die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe gehe. Als Verwaltungsvorschriften gäben sie nur unverbindliche Erläuterungen.
Im vorliegenden Fall mache der Kläger seinen Grundanspruch auf Wohnungshilfe geltend. Dass er schon einmal Wohnungshilfe erhalten habe, schade nicht; insbesondere beschränke das Gesetz die Wohnungshilfe nicht auf eine einmalige Leistung. So bestimme zB Nr 4.3 Satz 1 der Wohnungshilfe-Richtlinien, dass einem Versicherten erneute Wohnungshilfe zu gewähren sei, wenn er seine behindertengerechte Wohnung aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, aufgegeben habe. Mit dem Kriterium des Vertretenmüssens knüpften die Wohnungshilfe-Richtlinien zur Verdeutlichung des Erforderlichkeitsmerkmals in § 41 SGB VII und unter Beachtung des Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebots letztlich an den inneren Zusammenhang zwischen dem rehabilitationsbedingten Wohnbedarf und den Unfallfolgen an. Es dürfe nicht sein, dass das Erfordernis erneuter Wohnungshilfe seine wesentliche Ursache nicht mehr in den von der Solidargemeinschaft durch Hilfe zur sozialen oder beruflichen Rehabilitation auszugleichenden Folgen des Arbeitsunfalles habe, sondern wesentlich auf einer damit nur noch äußerlich zusammenhängenden Entscheidung des Versicherten beruhe. Es komme nicht darauf an, ob der erneute Bedarf nach behindertengerechtem Wohnraum auf einem vorwerfbaren Verhalten beruhe; auch wenn dies nicht der Fall sei, könne der Versicherte eine nach Lage der Dinge durchaus verständliche Entscheidung in dem Sinne zu vertreten haben, als dadurch der innere Zusammenhang zwischen dem erneuten Bedarf und den Arbeitsunfallfolgen abgeschnitten werde.
Hier habe der Kläger die Wohnsitzverlegung in das Saarland jedenfalls in diesem Sinne nicht zu vertreten. Es könne dahinstehen, ob schon der Wunsch des Klägers, nahe bei seinen Familienangehörigen zu wohnen, als nicht zu vertretende Entscheidung einen Anspruch auf erneute Wohnungshilfe tragen könnte, nachdem der (erwachsene) Kläger offenbar mit seiner Lebenspartnerin zusammen in dem gemeinsamen Haus in N. gelebt habe. Mit ausschlaggebend für den Wohnsitzwechsel seien nämlich berufliche Gründe gewesen, die den inneren Zusammenhang zwischen dem erneuten Wohnungshilfebedarf und den von der Solidargemeinschaft auszugleichenden Folgen des Arbeitsunfalles begründeten. Dem Kläger habe sich die Gelegenheit geboten, im Taxiunternehmen seines schwer erkrankten Vaters im Saarland auf einem seiner unfallbedingten Behinderung adäquaten Arbeitsplatz zu arbeiten und das Unternehmen nach dessen Tod fortzuführen, wozu es dann auch gekommen sei. Einen damit vergleichbaren Weg zur sicheren Eingliederung in das Berufsleben habe ihm das Geschäft in N. demgegenüber nicht eröffnen können, nachdem er es wegen seiner Behinderung ohne Hilfe von Familienangehörigen nicht erfolgreich habe weiter betreiben können und es schließlich auch habe aufgeben müssen. Die Beklagte, die den Umzug allein auf private Gründe zurückführe, wende hier die rechtlichen Maßstäbe zur erneuten Wohnungshilfegewährung zu eng an. Da sie noch keine Ermessenserwägungen über Art und Umfang der Wohnungshilfe angestellt habe, müsse sie dies nachholen und dem Kläger nach pflichtgemäßem Ermessen erneute Wohnungshilfe bewilligen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht die Beklagte ausschließlich Verfahrensmängel geltend. Zunächst rügt sie eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Das LSG begründe seine Erkenntnis, Wohnungshilfe sei wegen der vom Kläger nicht zu vertretenden Wohnsitzverlegung erneut zu erbringen, damit, dass berufliche Gründe hierfür mit ausschlaggebend gewesen seien. Zwar sei nicht zu bestreiten, dass sich für den Kläger im Nachhinein eine entsprechende Entwicklung im beruflichen Bereich - Fortführung des Taxiunternehmens nach dem Tode des Vaters - ergeben habe. Wenn das LSG aber ausführe, berufliche Gründe seien mit ausschlaggebend für die Wohnsitzverlegung gewesen, sei diese Tatsache in keiner Weise bewiesen. Berufliche Gründe seien ausweislich ihrer Verwaltungsakten vor Erlass des Ablehnungsbescheides vom 5. Juli 1999 nie angesprochen worden; deshalb stelle der Bescheid ausschließlich auf die privaten Motive ab. Der Widerspruch vom 6. Juli 1999 spiegele deutlich die damaligen - privaten - Motive des Klägers wieder; die Möglichkeit, im Unternehmen seines Bruders mitzuwirken, spreche der Kläger dort nur vage an. Konkreter habe sich der Kläger lange nach dem Umzug erst in seiner Klagebegründung zur beruflichen Situation geäußert. Sie, die Beklagte, habe daraufhin in der Klageerwiderung vorgetragen, der Vortrag des Klägers, er müsse aus beruflichen Gründen in das Saarland ziehen, sei nicht bewiesen. Das SG habe in seinem Urteil auch in keiner Weise auf die berufliche Situation des Klägers abgestellt. Das LSG hätte die Richtigkeit des bestrittenen Vortrags, berufliche Gründe seien für den Umzug ausschlaggebend gewesen, nicht ohne weitere Ermittlungen unterstellen dürfen. Ihm hätte es sich aufdrängen müssen, dass entsprechende Motive zum entscheidenden Zeitpunkt nicht vorhanden gewesen und zur Stützung des Anliegens erst nachträglich vorgebracht worden seien. Die vom LSG zur Begründung herangezogenen Tatsachen seien daher weder festgestellt worden noch offenkundig gewesen. Ebenso wenig hätten diese Tatsachen als wahr unterstellt werden können; es bestehe auch keine entsprechende gesetzliche Vermutung. Der Sachverhalt hätte eine weitere Aufklärung nahe gelegt, wozu sich das LSG hätte gedrängt sehen müssen.
Weiter rügt die Beklagte, ihr Anspruch auf rechtliches Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) sei dadurch verletzt, dass das LSG sie nicht darauf hingewiesen habe, dass es die Behauptungen des Klägers ohne weitere Ermittlungen zu Grunde legen wolle. Das LSG hätte unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger berufliche Gründe erst zu einem späteren Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt habe, im Rahmen der Beweiswürdigung zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen können, da den ersten Aussagen eines Verfahrensbeteiligten grundsätzlich ein erhöhter Beweiswert zukomme. Gegenteilige spätere Tatsachenbehauptungen seien demgegenüber weniger beweiskräftig. Der Kläger habe nichts dazu vorgetragen, warum jetzt berufliche Gründe maßgebend sein sollten und warum diese Begründung nicht früher vorgebracht worden sei. Ebenso sei an keiner Stelle erklärt, warum zunächst das Taxiunternehmen des Bruders angesprochen worden sei, es sich jedoch später um dasjenige des Vaters gehandelt habe. Das Bundessozialgericht (BSG) könne unter Berücksichtigung der vom LSG festgestellten Tatsachen selbst eine Beweiswürdigung vornehmen; dabei werde es zu der Überzeugung kommen, dass für die Entscheidung des Klägers ganz überwiegend private Gründe ausschlaggebend gewesen seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Februar 2002 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. August 2000 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf erneute Gewährung von Wohnungshilfe, wie das LSG zutreffend entschieden hat.
Der Anspruch des Klägers findet seine Grundlage in § 41 SGB VII. Danach wird Wohnungshilfe erbracht, wenn infolge Art oder Schwere des Gesundheitsschadens nicht nur vorübergehend die behindertengerechte Anpassung vorhandenen oder die Bereitstellung behindertengerechten Wohnraums erforderlich ist (Abs 1 aaO) oder (ferner) wenn sie zur Sicherung der beruflichen Eingliederung notwendig ist (Abs 2 aaO).
Der Anspruch auf Wohnungshilfe hat eine gesetzliche Regelung erstmals in § 41 SGB VII erfahren. Unter der Geltung der Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde Wohnungshilfe lediglich im Rahmen des § 569a Nr 5 RVO als "sonstige Leistung, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern", gewährt (vgl Brackmann/Krasney, SGB VII, § 41 RdNr 1 mwN). Ausgehend von der bisherigen Praxis und Rechtslage (vgl insoweit Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, § 556 Anm 6; BT-Drucks 13/2204 S 86) ist Zweck dieser gesetzlichen Regelung vornehmlich die Sicherstellung der sozialen und medizinischen Rehabilitation des durch einen Versicherungsfall (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) gesundheitlich geschädigten Versicherten auch für den Bereich des Wohnens. Neben der sozialen bzw medizinischen Rehabilitation ist auch der spezielle Aspekt der beruflichen Rehabilitation geeignet, die Gewährung von Wohnungshilfe zu begründen (Brackmann/Krasney, aaO, § 41 RdNr 13; Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 41 SGB VII RdNr 3); dies kommt durch die Gliederung des § 41 SGB VII in die Abs 1 und 2 zum Ausdruck. Solange der anspruchsbegründende Umstand vorliegt, nämlich entweder ein versicherungsfallbedingtes Bedürfnis nach dauerhaftem behindertengerechtem Wohnraum (Abs 1) gegeben ist oder - auch unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des Abs 1 - die Wohnungshilfe zur Sicherung der beruflichen Eingliederung erforderlich ist (Abs 2), hat der Versicherte zunächst einmal dem Grunde nach einen unbedingten Anspruch auf die Gewährung von Wohnungshilfe.
Aus der gesetzlichen Formulierung ("wird erbracht") folgt, dass die Verwaltung an dieser Stelle der Prüfung des Anspruchs nicht zu einer Ausübung von Ermessen im Sinne eines Entschließungsermessens befugt ist, wie dies etwa bei einer Formulierung mit den Worten "kann" oder "darf" der Fall wäre. Erst wenn die Prüfung ergeben hat, dass der Anspruch dem Grunde nach gegeben ist, steht dem Unfallversicherungsträger im Hinblick auf die im Einzelfall auszuführenden Maßnahmen ein Auswahlermessen zu (vgl Bayerisches LSG, Urteil vom 25. November 1998 - L 2 U 232/98 = HVBG-Info 1999, 1670; Brackmann/Krasney, aaO RdNr 15; Kater/Leube, SGB VII, § 41 RdNr 1; aA offenbar Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 41 RdNr 4).
Das "Nähere" regeln die Verbände der Unfallversicherungsträger durch gemeinsame Richtlinien (§ 41 Abs 4 SGB VII); eine solche Regelung ist durch die Wohnungshilfe-Richtlinien geschaffen worden. Durch die Bezeichnung der zu schaffenden Regelungen als "Richtlinien" und durch die Benennung der Verbände der Unfallversicherungsträger als Erlassberechtigte macht das Gesetz deutlich, dass § 41 Abs 4 SGB VII keine Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen, sondern lediglich von Verwaltungsvorschriften darstellt (vgl Bayerisches LSG, Urteil vom 25. November 1998 - L 2 U 232/98 = HVBG-Info 1999, 1670 zu den ab dem 1. Januar 1981 geltenden Richtlinien; allgemein zu Verwaltungsvorschriften Hommel in Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 54 RdNr 109 mwN). Dadurch, dass der Gesetzgeber den Verbänden der Unfallversicherungsträger das "Nähere" zur Regelung überlassen hat, hat er sie zu einer Konkretisierung des gesetzlichen Anspruchs für ihren Bereich beauftragt. Die Richtlinien haben daher den Zweck, für Entscheidungen über die Gewährung von Wohnungshilfe eine gleichmäßige Verwaltungspraxis und Ermessensausübung sicherzustellen. Nach den gesetzgeberischen Motiven zu § 41 Abs 4 SGB VII (BT-Drucks 13/2204 S 86) sollen sich die Richtlinien nur auf den Leistungsinhalt beziehen; daher und auch im Hinblick auf den Rang von Verwaltungsvorschriften in der allgemeinen Normenhierarchie (vgl dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Auflage, S 580 ff) wäre es unzulässig, etwa durch eine einschränkende Beschreibung der anspruchsbegründenden Voraussetzungen in den Richtlinien den Anspruch zu begrenzen. Bei der Auslegung und Anwendung der Regelungen des § 41 SGB VII binden die Richtlinien allein die Verwaltung, grundsätzlich - abgesehen von dem hier nicht relevanten Fall der Selbstbindung - aber nicht die Gerichte (vgl BVerfGE 78, 214, 227; Hommel, aaO mwN; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 40 RdNr 57 zu den Richtlinien zur Kraftfahrzeughilfe nach § 40 Abs 5 SGB VII).
Nach diesen Grundsätzen ist der Anspruch des Klägers bereits nach § 41 Abs 1 SGB VII dem Grunde nach gegeben. Der Kläger ist nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) allein schon auf Grund der Art und Schwere der durch den Arbeitsunfall vom 6. Dezember 1990 bedingten körperlichen Behinderung (Querschnittslähmung) dauerhaft auf die Nutzung eines Rollstuhles sowie auf behinderungsgerecht ausgestalteten Wohnraum angewiesen. Dementsprechend hat die Beklagte dem Kläger bereits einmal in der Vergangenheit (1991) Wohnungshilfe erbracht. Dadurch, dass der Kläger damals Wohnungshilfe in Form von Zuschüssen für behindertengerechtes Wohnen erhalten hat, ist sein Anspruch auf diese Leistung nicht auf Dauer erloschen. Der Anspruch auf Wohnungshilfe nach § 41 SGB VII enthält weder einen im Einzelnen gekennzeichneten Leistungsrahmen noch eine zeitliche oder zahlenmäßige Begrenzung, nach der eine erneute Leistungsgewährung der hier streitigen Art auszuschließen wäre (vgl BSG Urteil vom 22. Juli 1987 - 1 RA 13/86 = USK 87131 zu §§ 13, 14a des Angestelltenversicherungsgesetzes; s auch Nr 4.3 Satz 1 der Wohnungshilfe-Richtlinien).
Sofern daher in diesem Zusammenhang die (erneute) Leistungsgewährung davon abhängig gemacht wird, dass der Versicherte die Aufgabe der behindertengerechten Wohnung nicht - im unten genannten Sinne - zu vertreten haben darf (so Nr 4.3 Satz 1 der Wohnungshilfe-Richtlinien; Römer in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 41 RdNr 32), findet dies im Gesetz keine Stütze. Wird nämlich - wie von der Beklagten (vgl den Widerspruchsbescheid vom 25. August 1999) - das Erfordernis, den Wohnsitzwechsel nicht zu vertreten zu haben, so verstanden, dass dieses Nichtvertretenmüssen nur dann vorliegt, wenn der Umzug allein durch die Unfallfolgen bedingt ist (ähnlich auch das LSG, vgl Blatt 6 und 7 des Urteilsumdrucks), beschränken die Wohnungshilfe-Richtlinien den Anwendungsbereich der gesetzlichen Anspruchsnorm in unzulässiger Weise. Denn hierdurch wird zusätzlich zu den gesetzlich normierten Voraussetzungen des dauerhaften unfallbedingten Angewiesenseins auf behindertengerechten Wohnraum bzw des Sicherungsbedürfnisses für die berufliche Wiedereingliederung eine weitere Anforderung aufgestellt, für die sich im Gesetz keine Grundlage findet. Es ist vielmehr maßgeblich zu berücksichtigen, dass dem Versicherten durch die Folgen des Versicherungsfalles nicht seine grundrechtlich geschützte Freiheit (vgl Art 11 des Grundgesetzes ≪GG≫) genommen werden darf, seine Wohnung zu wechseln, zumal sich die Notwendigkeit eines Umzugs nach allgemeiner Lebenserfahrung mehrmals im Laufe des Lebens ergeben kann. Eine "Fesselung" an die Wohnung, deren behinderungsgerechter Umbau durch Gewährung von Wohnungshilfe einmalig gefördert worden ist, darf daher durch eine Begrenzung dieser Leistung auf ein Objekt nicht eintreten. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass der Wohnungswechsel aus anzuerkennenden Gründen geschieht, die auch unfallfolgenunabhängig sein können. Ein den Anspruch auf erneute Leistung begründender Wohnungswechsel kann daher aus beruflichen, aber auch schon aus familiären oder anderen berechtigten Gründen erforderlich sein (Brackmann/Krasney, SGB VII, § 41 RdNr 12). Allenfalls könnte sich - wofür jedoch im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte ersichtlich sind - eine Begrenzung des Anspruchs auf erneute Wohnungshilfe durch den auch im Bereich des Sozialrechts neben speziellen Missbrauchsregelungen, etwa § 223 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch, anzuwendenden Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (vgl BSG Urteil vom 6. Februar 2003 - B 7 AL 38/02 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen; BSGE 65, 272, 277 = SozR 4100 § 78 Nr 8) ergeben, wenn etwa der Versicherte die Voraussetzungen für die Leistung nur zu dem Zweck herbeiführt, den Versicherungsträger unter Ausnutzung seiner Rechtsposition zur Erbringung von Sozialleistungen zu veranlassen.
Bereits danach erweist sich die Entscheidung der Beklagten, die beantragte erneute Wohnungshilfe nicht zu gewähren, weil der Kläger ausschließlich familiäre bzw private Gründe für seinen Umzug gehabt habe, als unzutreffend. Dass sich der Kläger (zumindest) auf familiäre Gründe für den Wohnsitzwechsel berufen konnte, war der Beklagten schon im Verlauf des Verwaltungsverfahrens bekannt; sie hat das Vorliegen dieser Gründe auch zu keiner Zeit in Frage gestellt. Sie hätte diese Belange auch damals zu Gunsten des Klägers berücksichtigen können, wenn sie den § 41 Abs 1 SGB VII bzw auch die Bestimmung in Nr 4.3 der Wohnungshilfe-Richtlinien in der oben dargestellten Weise angewandt hätte. Deshalb kann die Beantwortung der von der Beklagten aufgeworfenen Frage, zu welchem Zeitpunkt des Verfahrens die maßgebenden Gründe vorliegen müssen, um sich positiv für den Versicherten - hier den Kläger - auswirken zu können, offen bleiben.
Auf die Zulässigkeit und Begründetheit der Verfahrensrüge der Beklagten, das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, indem es keine Beweise dazu erhoben habe, dass die Wohnsitzverlegung des Klägers nicht aus beruflich bedingten Gründen erfolgt sei, kommt es ebenfalls nicht mehr an, weil sie keine entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen betrifft. Es kann daher offen bleiben, ob sich dem LSG von seinem rechtlichen Standpunkt aus die von der Beklagten für erforderlich gehaltenen weiteren Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat das LSG auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen. Eine wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG, Art 103 Abs 2 GG) unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn diese auf einer Rechtsauffassung beruht, zu der sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die entsprechenden Hinweispflichten des Gerichts beziehen sich nur auf erhebliche Tatsachen, die den Betroffenen bislang unbekannt waren, und auf neue rechtliche Gesichtspunkte. Ein Hinweis ist lediglich dann geboten, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (BSG Beschluss vom 18. Dezember 2001 - B 2 U 315/01 B = HVBG-Info 2002, 2198 mwN). Ein Beteiligter darf deshalb nicht mit einer Tatsachenwürdigung überrascht werden, die von keiner Seite als möglich vorausgesehen werden konnte (BSG Urteil vom 19. September 2002 - B 11 AL 83/01 R). Ein diesen Voraussetzungen entsprechender Sachverhalt ist hier ersichtlich nicht gegeben. Die Beklagte konnte nicht darauf vertrauen, dass sich an der erstinstanzlichen Entscheidung des SG und an der dort vertretenen Rechtsmeinung nichts ändern werde. Angesichts des klägerischen Vortrages hätte die Beklagte in der Berufungsinstanz durchaus mit einer für sie negativen Entscheidung rechnen können. Im Übrigen gibt es keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten, insbesondere wenn sie - wie die Beklagte - selbst rechtskundig bzw rechtskundig vertreten sind, vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in der nachfolgenden Beratung des Gerichts erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1; BSG Beschluss vom 17. Februar 1999 - B 2 U 141/98 B = HVBG-Info 1999, 3700).
Da mithin der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Wohnungshilfe dem Grunde nach besteht, hat die Beklagte nunmehr erneut nach pflichtgemäßem Ermessen über das Begehren des Klägers zu entscheiden, wie das LSG zutreffend entschieden hat. Bei dem auszuübenden Ermessen wird die Beklagte den von ihr im Verfahren angesprochenen Aspekt, der Kläger habe aus dem Hausverkauf einen wirtschaftlichen Vorteil gezogen, der nunmehr im Rahmen des Neuerwerbs anzurechnen sei, nicht ohne Weiteres berücksichtigen können. Grundsätzlich kann dem Kläger eine wirtschaftlich orientierte Handlungsweise, nämlich Gewinn zu erzielen, nicht in der Weise zum Nachteil gereichen, dass er diesen Gewinn gleich wieder zur Finanzierung unfallbedingter Mehrausgaben zu verwenden hätte. Denn grundsätzlich liegt der Ausgleich des durch den Versicherungsfall eingetretenen Schadens im Zuständigkeitsbereich des Versicherungsträgers. Der gegenüber dem Jahre 1991 um 30.000,00 DM im Jahre 1999 erzielte höhere Kaufpreis kann mehrere Ursachen haben, etwa eine allgemeine Wertsteigerung, einen Inflationsausgleich, das Verhandlungsgeschick des Verkäufers oder auch eine besondere Wertsteigerung durch den behinderungsgerechten Umbau. Nur wenn der letztgenannte Umstand wesentliche Bedingung für den erzielten höheren Kaufpreis gewesen sein sollte, könnte dies von der Beklagten bei der Ermessensabwägung hinsichtlich der Höhe der zu gewährenden Leistung Berücksichtigung finden.
Nach alledem ist die Revision der Beklagten unbegründet und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 941741 |
BSGE 2004, 78 |
BSGE 91, 78 |
FA 2003, 288 |
NZS 2004, 136 |
SozR 4-2700 § 41, Nr.1 |
GuS 2003, 59 |
ZfSSV 2007 |