Entscheidungsstichwort (Thema)

Fehlverhalten des Rentenversicherungsträger bzw der Einzugsstelle - Beachtung Verfallklausel - Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge - Rentenbewilligung - Treu und Glauben

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Frage, ob ein Rentenversicherungsträger zwischen 1988 und 1990 verpflichtet war zu verhindern, daß ein Anspruch auf Erstattung von Beiträgen auf Abfindungen durch die Zahlung von Renten verfiel.

 

Orientierungssatz

1. Die Verfallklausel des § 26 Abs 2 Halbs 1 SGB 4 stellt sich als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben dar und verwehrt es Versicherten, die Leistungen in Anspruch genommen haben, ihre beitragsmäßige Beteiligung an den Aufwendungen der Versichertengemeinschaft im Wege von Erstattungsansprüchen rückgängig zu machen. Insoweit sind auch die Ansprüche des Arbeitgebers auf Erstattung der Arbeitgeberanteile erfaßt.

2. Eine Erstattung - an sich verfallener - Beiträge kommt indessen dann in Betracht, wenn ein Fehlverhalten des zuständigen Rentenversicherungsträgers vorliegt. Hierfür genügt jedoch nicht schon, daß dieser aufgrund zu Unrecht entrichteter Beiträge Renten unter Berücksichtigung dieser Beiträge bewilligt und gezahlt hat. Ebensowenig liegt ein Fehlverhalten der Einzugsstelle, das dem Rentenversicherungsträger möglicherweise zugerechnet werden kann, darin, daß diese den Arbeitgeber nicht auf anderweitig schwebende Verfahren zur Beitragspflicht von Abfindungen hingewiesen und der Rentenversicherungsträger die Renten nicht unter Vorbehalt bewilligt hat.

3. Beitragszahler können aus einem Verhalten des Rentenversicherungsträgers allenfalls dann etwas herleiten, wenn bis zur Entscheidung über den Rentenantrag ein Erstattungsantrag gestellt war oder wenn feststeht, daß beim Rentenversicherungsträger die Unrechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung erkannt worden ist, er die Rente aber gleichwohl unter Berücksichtigung der zu Unrecht entrichteten Leistungen bewilligt und gezahlt hat.

 

Normenkette

BGB § 242; SGB VI § 211 Fassung 1989-12-18; RVO § 1425 Abs. 2 Fassung: 1988-12-20, Abs. 1 Fassung: 1988-12-20; SGB VI § 125 Nr. 1 Fassung 1989-12-18; SGB IV § 26 Abs. 2 Fassung 1988-12-20, Abs. 1 Fassung 1988-12-20, § 28h Abs. 2 Fassung 1988-12-20

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 30.11.1993; Aktenzeichen L 18 J 107/93)

SG Detmold (Entscheidung vom 24.08.1993; Aktenzeichen S 10 (16) J 105/91)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen.

Die R. GmbH, jetzt R. und C. Holding GmbH, - im folgenden: Klägerin - beschäftigte die Arbeitnehmerinnen T. und Z. . Beide waren rentenversicherungspflichtig. Zum 31. Dezember 1987 schieden sie aus und erhielten wegen vorzeitiger Beendigung ihrer Arbeitsverhältnisse Abfindungen. Hierauf entrichtete die Klägerin Beiträge zur Rentenversicherung. Die beklagte Landesversicherungsanstalt bewilligte der Versicherten T. im Juni 1988 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit vom 1. September 1988 an, der Versicherten Z. im Juli 1990 Altersruhegeld vom 1. Juli 1990 an. Die auf die Abfindungen entrichteten Beiträge wurden rentensteigernd berücksichtigt. Die Renten wurden den Versicherten ausgezahlt. Am 14. September 1989 hatte die Einzugsstelle bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durchgeführt.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 9. November 1988 (BAGE 60, 127 = AP Nr 6 zu § 10 KSchG 1969), das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 21. Februar 1990 (BSGE 66, 219 = SozR 3-2400 § 14 Nr 2), daß Abfindungen kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt sind. Daraufhin beantragte die Klägerin im September 1990 jeweils zusammen mit den Versicherten die Erstattung der auf die Abfindungen entrichteten Rentenversicherungsbeiträge. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 19. Dezember 1990 und vom 21. März 1991 ab. Dagegen erhob nur die Klägerin Widersprüche und verlangte die Erstattung der Arbeitgeberanteile. Die Beklagte wies die Widersprüche zurück (Widerspruchsbescheide vom 17. Mai 1991 und vom 2. September 1991). Die Beiträge seien zwar zu Unrecht entrichtet, aber bei den gezahlten Renten berücksichtigt worden. Das schließe eine Erstattung aus.

Die Klägerin hat Klagen erhoben, die das Sozialgericht (SG) verbunden und mit Urteil vom 24. August 1993 abgewiesen hat. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) die Versicherten beigeladen (Beigeladene zu 1 und zu 2) sowie die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 30. November 1993 zurückgewiesen. Der Erstattung stünden nach § 26 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) die Rentenzahlungen entgegen. Die Verfallklausel erfasse auch den Arbeitgeberanteil. Daß die Spitzenverbände den Versicherungsträgern im August 1989 empfohlen hätten, sich gegenüber Ansprüchen auf Erstattung nicht auf Verjährung zu berufen, falls das BSG die Beitragspflicht verneine, stehe dem Verfall nicht entgegen. Diese "Stillhaltevereinbarung" beziehe sich nur auf die Verjährung, nicht jedoch auf den Verfall eines Erstattungsanspruchs, zumal § 26 Abs 2 SGB IV nicht abdingbar sei. Für einen Herstellungsanspruch sei kein Raum, weil er durch die spezialgesetzliche Regelung des § 26 Abs 2 SGB IV ausgeschlossen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf Treu und Glauben berufen. Die Beklagte sei nicht gehalten gewesen, die Beiträge nach ihrem Eingang auf Beanstandungsgründe hin zu überprüfen oder bei Rentenbewilligungen einen Rückforderungsvorbehalt anzubringen. Sie habe zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Leistungen zu prüfen, jedoch nicht im Interesse des Beitragsschuldners, sondern der Versichertengemeinschaft. Es bestehe keine allgemeine Rechtspflicht der Beklagten, das Eingreifen der Verfallklausel zu verhindern.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 26 Abs 2 SGB IV und des Grundsatzes von Treu und Glauben. Der Erstattungsanspruch sei mit der Entrichtung der Beiträge unter der auflösenden Bedingung entstanden, daß keine Leistungen gewährt würden. Daraus ergebe sich die Pflicht der Beklagten, alles zu unterlassen, was den Erstattungsanspruch gefährde, und alles zu tun, um durch Prüfung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen von Leistungen den Eintritt der Verfallklausel zu verhindern. Das gelte um so mehr, als der Beklagten der Streit um die Beitragspflicht von Abfindungen und die "Stillhaltevereinbarung" bekannt gewesen seien. Sie dürfe nicht durch Leistungsgewährung aufgrund zu Unrecht entrichteter Beiträge den Versicherten Renten bewilligen, dadurch den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers zu Fall bringen und diesen hiermit rechtlos stellen. Ein solches Vorgehen berühre auch die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes (GG).

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 30. November 1993 und das Urteil des SG vom 24.

August 1993 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides

vom 19. Dezember 1990 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.

Mai 1991 und des Bescheides vom 21. März 1991 in der Gestalt des

Widerspruchsbescheides vom 2. September 1991 zu verurteilen, ihr 3.617,32

DM nebst 4 % Zinsen seit dem 10. September 1990 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. In der mündlichen Verhandlung hat sie darauf hingewiesen, daß die Höhe der Erstattungsforderung im Widerspruch zu den Angaben in den Erstattungsanträgen stehe; die Beiträge entfielen zum Teil nicht auf die Abfindungen, sondern auf nachgezahlten Lohn und seien insofern zu Recht entrichtet.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klage ist in den Vorinstanzen zu Recht abgewiesen worden, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Die Klägerin hat keine Ansprüche auf Erstattung der Arbeitgeberanteile an den Rentenversicherungsbeiträgen.

Die Beklagte war bei Erlaß der angefochtenen Bescheide in den Jahren 1990 und 1991 für die Entscheidung über die Erstattungsanträge zuständig. Das folgte aus § 1425 Abs 1 Satz 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO, idF des Art 2 Nr 20 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl I 2330). Aus § 1425 Abs 2 Nr 1 RVO ergab sich nichts Abweichendes, weil die Träger der Rentenversicherung mit den Einzugsstellen nichts anderes vereinbart hatten. Vielmehr verblieb es nach Nr 3.3.2 Buchst a der Gemeinsamen Grundsätze für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge zur Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung vom 9. November 1989 (Die Beiträge 1990, 44) bei der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers, wenn er seit Beginn des Erstattungszeitraums Leistungen gewährt hatte. Das traf hier zu. Der Erstattungszeitraum war mit dem Ende der Beschäftigungsverhältnisse der Beigeladenen am 31. Dezember 1987 abgeschlossen. Danach hatte die Beklagte, bevor die Klägerin im September 1990 die Erstattung beantragte, der Beigeladenen zu 1) ab September 1988 und der Beigeladenen zu 2) ab Juli 1990 Renten bewilligt und gezahlt. Eine im wesentlichen gleiche Zuständigkeitsregelung gilt seit 1992 nach den §§ 125, 211 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Nach § 26 Abs 2 Halbs 1 Fall 1 SGB IV sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, daß der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aufgrund dieser Beiträge Leistungen erbracht oder zu erbringen hat. Diese sogenannte Verfallklausel gilt für Beiträge zur Rentenversicherung (BSGE 68, 260, 262 = SozR 3-2400 § 26 Nr 2 S 3/4). Sie greift hier ein. Als die Erstattungsansprüche geltend gemacht wurden (September 1990), waren bereits Renten gezahlt worden, auf die sich die auf die Abfindungen gezahlten Beiträge rentensteigernd ausgewirkt hatten. Da die Erstattungsansprüche damit jedenfalls an der Verfallklausel scheitern, kommt es nicht darauf an, ob die Beiträge auf beitragsfreie Abfindungen iS der Urteile des BAG und des BSG (BAGE 60, 127 = AP Nr 6 zu § 10 KSchG 1969; BSGE 66, 219 = SozR 3-2400 § 14 Nr 2) und damit zu Unrecht entrichtet worden sind. Dies kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden.

Die Erstattungsanträge waren wegen der gesetzlich angeordneten Wirkung der Verfallklausel abzulehnen. Durch die Bewilligung der Renten hatte sich der Zweck der Verfallklausel in typischer Weise verwirklicht. Die Verfallklausel stellt sich als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (Verbot widersprüchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium) dar und verwehrt es Versicherten, die Leistungen in Anspruch genommen haben, ihre beitragsmäßige Beteiligung an den Aufwendungen der Versichertengemeinschaft im Wege von Erstattungsansprüchen rückgängig zu machen (so zu der entsprechenden Verfallklausel für Beiträge zur Krankenversicherung BSGE 68, 264, 267 = SozR 3-2400 § 26 Nr 3 S 9, 10; BSGE 70, 93, 95 = SozR 3-2400 § 26 Nr 5 S 19). So verhielten sich auch die Beigeladenen des vorliegenden Verfahrens anfänglich widersprüchlich, als sie im September 1990 die Erstattung der Arbeitnehmeranteile beantragten, obwohl sie bereits Renten unter deren Berücksichtigung bezogen hatten. Die Beigeladenen haben deshalb zutreffend ihre Erstattungsanträge nach Ablehnung durch die Beklagte nicht weiterverfolgt.

Der Verfall durch Leistungsgewährung an die Versicherten erfaßt auch die Ansprüche des Arbeitgebers auf Erstattung der Arbeitgeberanteile. Arbeitgeberanteile an rechtmäßig entrichteten Rentenversicherungsbeiträgen werden kraft gesetzlicher Verpflichtung aufgrund der Beschäftigungsverhältnisse zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer entrichtet, ohne daß damit eigene Leistungsansprüche des Arbeitgebers erworben werden. Die Arbeitgeberanteile gehen vielmehr als fremdnützige Teile der Beiträge zusammen mit den Arbeitnehmeranteilen in die Renten der Versicherten ein. Das gilt auch bei zu Unrecht entrichteten Beiträgen. Es ist daher folgerichtig, daß nach § 26 Abs 2 SGB IV Leistungen an Versicherte die Erstattungsansprüche insgesamt verfallen lassen, sowohl die der Versicherten als auch die des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber wird dadurch nicht rechtlos gestellt. Er kann, wenn er bestimmte Beiträge schon bei der Zahlung für nicht geschuldet hält, eine Entscheidung der Einzugsstelle herbeiführen (vgl bis 1988 § 1399 Abs 3 RVO, seit 1989 § 28h Abs 2 SGB IV), etwaige Zweifel bei Betriebsprüfungen zur Sprache bringen oder später die Erstattung der Arbeitgeberanteile an angeblich zu Unrecht entrichteten Beiträgen beantragen. Sofern er mit einem solchen Antrag allerdings, wenn auch aus Unkenntnis von anderweit schwebenden Beitragsstreitigkeiten, Rentenleistungen oder Rentenbewilligungen nicht zuvorkommt, muß er nach der gesetzlichen Regelung den Verfall seiner Erstattungsansprüche hinnehmen.

Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ≪BGB≫), der auch im öffentlichen Recht gilt, führt entgegen der Ansicht der Revision nicht dazu, daß der Erstattungsanspruch erhalten bleibt. Dieses bewirkt hier auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht. Schließlich besteht ein auf den Erstattungsbetrag gerichteter Schadensersatzanspruch nicht, über den der Senat - außer für den Fall der Amtshaftung - ebenfalls zu befinden hat (§ 17 Abs 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes).

Diesen Rechtsgrundlagen ist gemeinsam, daß ein Anspruch der Klägerin nur bei einem Fehlverhalten der Beklagten in Betracht kommt. Für die Annahme eines Fehlverhaltens genügt jedoch nicht schon, daß aufgrund zu Unrecht entrichteter Beiträge Renten unter Berücksichtigung dieser Beiträge bewilligt und gezahlt worden sind. Hiervon geht § 26 Abs 2 SGB IV vielmehr gerade aus, läßt aber gleichwohl Erstattungsansprüche durch Rentenbewilligungen und Rentenzahlungen verfallen. Ein Wiederaufleben von Erstattungsansprüchen durch Rücknahme der Rentenbewilligungen und Rückforderung der Rentenzahlungen kommt dabei in der Regel nicht in Betracht, weil es sich um eine Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte für die Vergangenheit handeln würde, die den strengen Anforderungen des § 45 Abs 4 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren (SGB X) unterliegt. Diese sind hier nicht erfüllt.

Ein Fehlverhalten der Einzugsstelle, das der Beklagten möglicherweise zugerechnet werden könnte, oder der Beklagten selbst, liegt auch nicht darin, daß sie die Klägerin nicht auf anderweitig schwebende Verfahren zur Beitragspflicht von Abfindungen hingewiesen haben oder die Beklagte die Renten nicht unter Vorbehalt bewilligt hat. Den Versicherungsträgern war es unbenommen, ihre Auffassung zur Beitragspflicht von Abfindungen zu vertreten und sie im Rechtsweg klären zu lassen. Dabei brauchten sie ihren Standpunkt nicht schon nach dem Urteil des BAG vom 9. November 1988 (BAGE 60, 127 = AP Nr 6 zu § 10 KSchG 1969) aufzugeben, sondern durften eine Entscheidung des BSG als für die Sozialversicherung zuständigen obersten Gerichtshofs des Bundes abwarten. Diese Entscheidung ist mit dem Urteil des erkennenden Senats vom 21. Februar 1990 (BSGE 66, 219 = SozR 3-2400 § 14 Nr 2) ergangen. Darin hat der Senat wie zuvor das BAG die Beitragspflicht verneint. Das Urteil ist ohne mündliche Verhandlung in einem Verfahren ergangen, an dem die Beklagte des vorliegenden Verfahrens nicht beteiligt war, und ist den Beteiligten jenes Verfahrens im Juni 1990 zugestellt worden. Jedenfalls bis dahin waren die Versicherungsträger nicht verpflichtet, beim Beitragseinzug oder bei ihren Betriebsprüfungen entgegen ihrer damaligen Auffassung zu verfahren oder auf laufende Gerichtsverfahren hinzuweisen. Schon aus diesem Grunde brauchte die Beklagte bis dahin die Streitigkeiten um die Beitragspflicht von Abfindungen auch bei Rentenbewilligungen nicht zu berücksichtigen. Es war vielmehr Angelegenheit der Arbeitgeber, ihre Rechte gegenüber den Einzugsstellen, bei Betriebsprüfungen oder durch rechtzeitiges Geltendmachen von Erstattungsansprüchen selbst zu wahren.

Hiernach kommt ein rechtlich erhebliches Fehlverhalten nicht in Betracht, soweit der Erstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Arbeitgeberanteile an den Beiträgen für die Beigeladene zu 1) verfallen ist. Ihr hatte die Beklagte bereits im Juni 1988 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab September 1988 bewilligt und die Rente ausgezahlt. Zu dieser Zeit lag das Urteil des BSG vom 21. Februar 1990 noch nicht vor; selbst das Urteil des BAG vom 9. November 1988 war bei Beginn der Rentenzahlung im September 1988 noch nicht ergangen.

Im Ergebnis nichts anderes gilt, soweit der Erstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Arbeitgeberanteile an den Beiträgen für die Beigeladene zu 2) verfallen ist. Der Beigeladenen zu 2) ist die Rente zwar erst im Juli 1990 von diesem Monat an bewilligt worden. Zu dieser Zeit lag das Urteil des BSG vom 21. Februar 1990 vor. Andererseits hatte nach den Feststellungen des LSG im September 1989 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung stattgefunden, bei der die Beiträge auf die Abfindung nicht beanstandet worden waren und auch nicht beanstandet zu werden brauchten, weil das Urteil des BSG damals noch nicht ergangen war.

Nach der Betriebsprüfung durfte die Beklagte die Rentenversicherungsbeiträge, auch wenn die Betriebsprüfung durch die Einzugsstelle vorgenommen worden war, nach § 26 Abs 1 Satz 1 SGB IV nur noch unter erschwerten Voraussetzungen beanstanden (vgl dazu Seewald im Kasseler Komm, § 26 SGB IV RdNr 6). Ob sie unter diesen Umständen noch erfolgreich von einem Beanstandungsrecht hätte Gebrauch machen können, ist fraglich, kann aber offenbleiben. Denn jedenfalls bestand das Beanstandungsrecht nur im Interesse der Versichertengemeinschaft zur Abwehr unberechtigter Leistungsansprüche, nicht jedoch gegenüber der Klägerin als Arbeitgeberin, um ihr einen Erstattungsanspruch zu erhalten. Dieses steht in Einklang mit der Rechtsprechung des BSG (SozR 2200 § 1424 Nr 2; BSGE 45, 251, 252 f = SozR 2200 § 1424 Nr 7 S 9/10) zum früheren Recht, in der eine dem Beitragszahler gegenüber bestehende Pflicht der Rentenversicherungsträger verneint worden ist, vor der Leistungsbewilligung die Beiträge auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, um einem Verfall von Erstattungsansprüchen vorzubeugen. Dieser Rechtsprechung folgt der erkennende Senat auch für das geltende Recht. Eine Verpflichtung zu Nachforschungen in bezug auf die Rechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung bestand deshalb nicht. Dabei macht es entgegen der Ansicht der Revision keinen Unterschied, ob es um Erstattungsansprüche von Versicherten oder von Arbeitgebern geht. Die Prüfung, ob die Beiträge zu Recht entrichtet sind, kann nicht danach geteilt werden, wer die Beiträge getragen hat. Wenn die Prüfungspflicht nur zum Schutz der Versichertengemeinschaft vor unrechtmäßigen Rentenzahlungen besteht, bezieht sie sich auf alle Beitragsteile, ist aber auch für alle Beitragsteile gleichermaßen beschränkt. Beitragszahler können aus einem Verhalten des Rentenversicherungsträgers allenfalls dann etwas herleiten, wenn bis zur Entscheidung über den Rentenantrag ein Erstattungsantrag gestellt war oder wenn feststeht, daß beim Rentenversicherungsträger die Unrechtmäßigkeit der Beitragsentrichtung erkannt worden ist, er die Rente aber gleichwohl unter Berücksichtigung der zu Unrecht entrichteten Beiträge bewilligt und gezahlt hat. Beides war hier jedoch nicht der Fall. Der Erstattungsantrag ist erst im September 1990 und damit nach Bewilligung der Renten und dem Beginn der Rentenzahlungen gestellt worden. Da die Klägerin bis dahin einen Erstattungsantrag nicht gestellt hatte, konnte die Beklagte entgegen der Ansicht der Revision auf einen bestehenden, von ihr aber nicht erkannten Erstattungsanspruch keine Rücksicht nehmen. Es steht nicht fest, daß bei der Beklagten damals bekannt war, daß sich unter den gemeldeten und von der Einzugsstelle an sie abgeführten Beiträgen auch solche befanden, die auf eine beitragsfreie Abfindung gezahlt worden waren. Das LSG hat dieses nicht festgestellt. Die Beklagte macht geltend, sie habe dieses aus den Versicherungsunterlagen nicht ersehen können. Auch die Revision behauptet eine Kenntnis der Beklagten nicht, sondern macht lediglich deren Pflicht zu weiterer Prüfung geltend.

Ein Fehlverhalten der Beklagten oder der Einzugsstelle ergibt sich schließlich nicht unter Berücksichtigung der Empfehlung der Spitzenverbände aus dem Jahre 1989 ("Stillhaltevereinbarung"), nach der sich die Versicherungsträger gegenüber Ansprüchen auf Erstattung nicht auf Verjährung berufen sollten. Diese Empfehlung richtete sich an die Versicherungsträger und nicht an die Arbeitgeber. Sie betraf ferner nur geltend gemachte Erstattungsansprüche und enthielt nicht auch die Empfehlung, auf Erstattungsanträge der Arbeitgeber hinzuwirken. Schließlich betraf sie die Verjährung von Erstattungsansprüchen, nicht aber deren Verfall durch Leistungsgewährung. Ob etwas anderes gelten würde, wenn die Beklagte oder die Einzugsstelle die Klägerin unter Hinweis auf anhängige Streitverfahren von konkret beabsichtigten Erstattungsanträgen abgehalten und die Beklagte dann die Erstattungsansprüche durch Rentenzahlungen zu Fall gebracht hätte, kann offenbleiben. Denn ein solcher Sachverhalt ist nicht festgestellt.

Das BSG hat schon früher entschieden, daß der Verfall von Erstattungsansprüchen durch Leistungsgewährung das Grundrecht auf Eigentum (Art 14 Abs 1 GG) nicht verletzt (BSGE 45, 251, 253 = SozR 2200 § 1424 Nr 7 S 10/11). Das gilt auch hier.

Demnach erwies sich die Revision der Klägerin als unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

RegNr, 22202 (BSG-Intern)

USK, 9590 (T)

BKK, 1996 461 (K)

EzBAT § 36 BAT Rückzahlung, Nr 8 (ST)

EzS, 60/102 (T)

SozR 3-2400 § 26, Nr 7 (LT1)

SozSich 1996, 436 (K)

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