Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz bei kirchlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Mitwirkung an einem - von einer katholischen Kirchengemeinde zur Förderung kirchlicher Zwecke veranstalteten - Fußballspiel ist jedenfalls für solche Gemeindeglieder, die nicht einem kirchlichen Organ als Mitglieder angehören, keine Ausübung eines Amtes und deshalb keine ehrenamtliche Tätigkeit iS des RVO § 539 Abs 1 Nr 13. Ob sie zu den amtlichen Aufgaben eines kirchlichen Organs (hier: des Pfarrgemeinderats) gehören, kann, bleibt offen.
2. Der Mitwirkende wird auch nicht "wie" der Inhaber eines kirchlichen Ehrenamtes (RVO § 539 Abs 2 iVm Abs 1 Nr 13) tätig, wenn er nicht die Funktion eines - verhinderten - Amtsträgers übernimmt, sondern lediglich als Gemeindeglied die Veranstaltung der Gemeinde unterstützt.
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine Teilnahme an kirchlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen stellt grundsätzlich keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des RVO § 539 Abs 1 Nr 1 dar.
2. Der Unfallversicherungsschutz der für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen (RVO § 539 Abs 1 Nr 13) setzt die Ausübung eines "Amtes" ehrenhalber, dh im allgemeinen unentgeltlich, jedenfalls nicht berufsmäßig voraus.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1963-04-30, Nr. 13 Fassung: 1963-04-30, Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1975 aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 22. Mai 1973 zurückgewiesen hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben sich die Beteiligten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1926 geborene Kläger erlitt am 25. Oktober 1969 bei einem Fußballspiel des katholischen Pfarrgemeinderates St. Petrus und Paulus in L gegen den Gemeinderat der Stadt L einen Unfall, der zu einem Schenkelhalsbruch führte. An diesem Spiel nahm der Kläger auf Seiten des Pfarrgemeinderates teil, ohne selbst dessen Mitglied zu sein. Er begehrt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Das Fußballspiel war Teil eines von der genannten Kirchengemeinde veranstalteten Gemeindenachmittags, dessen Erlös für die Kirchenerneuerung bestimmt war. Da der Pfarrgemeinderat keine 11 Spieler stellen konnte, veranlaßte er einige Männer, die sich bereits bei anderen Gelegenheiten der Kirchengemeinde zur unentgeltlichen Mitarbeit zur Verfügung gestellt hatten, darunter den Kläger, auf seiner Seite mitzuspielen. Die Spieler erhielten ebenso wie die sonstigen Mitwirkenden kein Entgelt.
Mit Bescheid vom 8. Februar 1972 lehnte die Beklagte die Entschädigung des Unfalls ab. Unter Aufhebung dieses Bescheides hat das Sozialgericht (SG) Ulm die Beklagte mit Urteil vom 22. Mai 1973 verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalls in gesetzlicher Höhe zu entschädigen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat das Urteil des SG geändert und die Klage abgewiesen, soweit sie Ansprüche auf Heilbehandlung betraf; im übrigen hat es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 17. Dezember 1975). Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, in den Aufgabenbereich des kirchlichen Ehrenamtes eines Pfarrgemeinderates falle auch die Mitwirkung an einem von ihm organisierten Fußballspiel im Rahmen einer Wohltätigkeitsveranstaltung, wenn er selbst als spielende Partei auftrete. Ein Pfarrgemeinderatsmitglied würde deshalb bei einem solchen Spiel unter Unfallversicherungsschutz gestanden haben. Dasselbe gelte für den Kläger, der "wie" der Inhaber eines Ehrenamtes tätig geworden sei (§ 539 Abs. 2 i. V. m. § 539 Abs. 1 Nr. 13 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Er habe deshalb Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme von Heilbehandlung; deren Kosten seien von der Krankenkasse zu tragen, da die Beklagte die Heilbehandlung bisher nicht übernommen habe.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, der Versicherungsschutz sei zu verneinen, da der Kläger nicht wie ein ehrenamtliches Gemeinderatsmitglied tätig geworden sei, denn er sei nicht für ein solches eingesprungen. Im übrigen sei nur das Pfarrgemeinderatsmitglied, nicht dagegen ein "Laie" nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO gegen Unfall versichert; Abs. 2 dieser Vorschrift komme in einem Fall der vorliegenden Art nicht zum Zuge.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des SG Ulm vom 22. Mai 1973 und des LSG Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1975 aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise: Das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. Dezember 1975 aufzuheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht durch einen beim Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht ordnungsgemäß vertreten. Nach § 166 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) müssen sich Privatpersonen vor dem PSG durch Prozeßbevollmächtigte, die die in § 166 Abs. 2 SGG genannten Voraussetzungen erfüllen, vertreten lassen. Zu diesen gehört der Bevollmächtigte des Klägers nicht. Die Aufzählung der nach § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten ist abschließend. Das BSG ist nicht befugt, darüber hinaus im Einzelfall weitere Zulassungen auszusprechen (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., Stand Mai 1976, Anm. 3 zu § 166 SGG). Gleichwohl konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten dem zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 SGG). Auch ein Beteiligter, der im Revisionsverfahren nicht durch einen gemäß § 166 Abs. 2 SGG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten ist, kann als Revisionsbeklagter wirksam ein solches Einverständnis erklären (BSG in SozR Nr. 5 zu § 124 SGG). Allerdings ist hier das Einverständnis nicht vom Kläger, sondern von dessen Bevollmächtigten erklärt worden. Die diesem erteilte Vollmacht schließt die Abgabe einer solchen Erklärung aber ein.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen stehen dem Kläger Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht zu; denn er hat bei dem fraglichen Fußballspiel nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden und deshalb keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 548 Abs. 1 der RVO erlitten.
Ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO - unmittelbar oder in Verbindung mit Abs. 2 - kommt, wie auch das LSG angenommen hat, nicht in Betracht. Weder hat der Kläger während des Spiels in einem Arbeits- oder Dienstverhältnis zur Kirchengemeinde gestanden - er hat aus Gefälligkeit und unentgeltlich gehandelt-, noch ist er "wie" ein Arbeitnehmer (§ 539 Abs. 2 RVO) tätig geworden. Eine Teilnahme an kirchlichen Wohltätigkeitsveranstaltungen ist jedenfalls dann keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 539 Abs. 2 RVO, wenn sie - wie die Mitwirkung bei einem Fußball-Freundschaftsspiel (anders etwa das Herbeischaffen von Schmuckreisig für ein kirchliches Fest, BSG 15, 292) - ihrer Art nach nicht in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt zu werden pflegt (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand April 1976, S. 476 n, Stichwort "Kirche"; ferner BSG SozR Nr. 24 zu § 539 RVO). Im übrigen hat der Kläger ausschließlich als Kirchenmitglied an dem Fußballspiel teilgenommen und schon deshalb keine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit ausgeübt (vgl. BSG 39, 24, 26 unten; Brackmann aaO S. 476 f II, 476 g).
Der Kläger war bei der unfallbringenden Tätigkeit auch nicht nach der Vorschrift des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO versichert, die u. a. die für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen gegen Arbeitsunfall schützt. Zwar sind die katholische Kirche und ihre einzelnen Gemeinden Körperschaften des öffentlichen Rechts im Sinne dieser Vorschrift (vgl. BSG 39, 24, 27; 40, 139, 140 = SozR 2200 § 539 RVO Nr. 10); der Kläger ist jedoch nicht "ehrenamtlich" tätig geworden. Auch eine ehrenamtliche Tätigkeit setzt voraus, daß der Betreffende ein "Amt" ausübt, wobei er allerdings ehrenhalber, d. h. in der Regel unentgeltlich, jedenfalls nicht berufsmäßig, tätig wird (vgl. BSG 34, 163, 165 unten). Ein solches Ehren-"Amt" hat der Kläger nicht ausgeübt. Wie der 2. Senat des BSG, ausgehend vom allgemeinen Verwaltungsrecht, dargelegt hat, setzt der Begriff des Amtes das Besorgen eines bestimmten Kreises von Geschäften, einen geordneten bzw. zugewiesenen Wirkungskreis, einen verantwortlich wahrzunehmenden Pflichtenbereich voraus (BSG 34, 163, 167 f; 39, 24, 28). Dem ist der erkennende Senat beigetreten (BSG 40, 139, 142).
Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger nicht Mitglied des Gemeinderates oder eines anderen kirchlichen Organs (etwa eines vom Gemeinderat zur Vorbereitung oder Durchführung der Wohltätigkeitsveranstaltung eingesetzten Ausschusses). Auch seine auf Bitten des Gemeinderates erfolgte Mitwirkung an dem Fußballspiel war nicht Ausübung eines kirchlichen Amts. Abgesehen davon, ob hier überhaupt ein für eine Amtsausübung erforderlicher Übertragungsakt vorgelegen hat, ist einem "Amt" schon vom Begriff her eine gewisse zeitliche Dauer eigentümlich. Von der Wahrnehmung eines Kreises von Pflichten oder Geschäften kann nur gesprochen werden, wenn diese sich über eine bestimmte Zeit erstreckt, mag im Einzelfall der Amtsinhaber auch nur kurz im Amt sein. Eine aus besonderem Anlaß ("ad hoc") übernommene einzelne Aufgabe, wie hier die Teilnahme an einem Fußballspiel, ist keine Ausübung eines Amtes. Sie erschöpft sich in der betreffenden Tätigkeit, ohne mit der einem Amt eigenen Übertragung von Pflichten und gegebenenfalls Befugnissen verbunden zu sein. So hat der erkennende Senat in seinem Urteil zur ehrenamtlichen Tätigkeit von Mitgliedern eines katholischen Kirchenchors (BSG 40, 139) zwar offen gelassen, ob der Versicherungsschutz für nur "gelegentlich" Mitwirkende entfällt (aaO S. 145 Mitte). Schon dieser Entscheidung ist aber zu entnehmen, daß dem genannten Merkmal für die Prüfung, ob ein Amt vorliegt, wesentliche Bedeutung zukommen kann. Da der Kläger hier nur aus einem besonderen, einmaligen Anlaß ("gelegentlich") für eine Kirchengemeinde tätig geworden ist, war er bei dieser Tätigkeit nicht nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO versichert.
Entgegen der Ansicht des LSG ist der Kläger schließlich nicht "wie" ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO Versicherter tätig geworden, so daß er nicht nach § 539 Abs. 2 RVO geschützt war. § 539 Abs. 2 RVO ist zwar, da er allgemein auf die "nach Absatz 1" Versicherten verweist, auch im Rahmen der Nr. 13 des Abs. 1 anwendbar (vgl. den von Brackmann aaO S. 475 genannten Fall, daß sich bei einem in eine ehrenamtliche Tätigkeit Berufenen nachträglich ein Berufungsmangel herausstellt). Denkbar ist ferner, daß sich eine "ehrenamtähnliche" Tätigkeit (§ 539 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 13 RVO) - wie eine arbeitnehmerähnliche nach § 539 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 RVO, aber anders als eine ehrenamtliche i. S. des Abs. 1 Nr. 13 - auf eine kurzfristige, gelegentliche Wahrnehmung einer einzelnen Aufgabe beschränkt (etwa wenn bei Verhinderung eines Amtsträgers für eine einzige Sitzung aushilfsweise ein Dritter tätig wird, ohne ausdrücklich zum Vertreter bestellt worden zu sein). Der Senat läßt schließlich unentschieden, ob zu den Aufgaben der Mitglieder eines Kirchengemeinderats - über die Anregung, Planung und organisatorische Durchführung einer kirchlichen Zwecken dienenden Sportveranstaltung hinaus - auch die persönliche Teilnahme an der Veranstaltung gehören kann. Das LSG hat die Frage mit eingehenden Ausführungen - unter Berücksichtigung der "Satzung für die Pfarrgemeinderäte der Diözese Rottenburg" - bejaht. Selbst wenn dem LSG darin beizutreten wäre, hätte der Kläger hier nicht nach § 539 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 13 RVO unter Versicherungsschutz gestanden.
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger - zusammen mit anderen Gemeindemitgliedern - vom Gemeinderat gebeten worden war, an dem Fußballspiel teilzunehmen, weil der Rat selbst keine Mannschaft mit elf Spielern aufstellen konnte. Der Kläger ist somit nicht, worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat, für ein Ratsmitglied tätig geworden, sondern hat die Mannschaft der Ratsmitglieder nur ergänzt, nachdem er sich "bereits bei anderen Gelegenheiten der Kirchengemeinde zu unentgeltlicher Mitarbeit zur Verfügung gestellt" hatte. Bei dieser vom LSG festgestellten Fallgestaltung hat der Kläger nicht, wenn auch nur kurzfristig, ehrenamtliche Funktionen eines Gemeinderatsmitglieds übernommen, vielmehr in seiner Eigenschaft als Glied der Kirchengemeinde eine von ihr durchgeführte Veranstaltung durch persönliche Mitwirkung unterstützt. Damit ist er nicht "wie" ein ehrenamtliches Ratsmitglied, sondern "als" Gemeindeglied tätig geworden. Eine solche Tätigkeit steht nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie liegt im unversicherten persönlichen Lebensbereich des Klägers. Der vorliegende Fall ist etwa dem vergleichbar, daß ein Kirchenchor - soweit seine Mitglieder zu den ehrenamtlich Tätigen im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 13 RVO gehören (vgl. einerseits BSG 34, 163, andererseits BSG 40, 139) - außerhalb seiner eigentlich kirchlichen, vor allem der Ausgestaltung des Gottesdienstes dienenden Aufgaben eine Wohltätigkeitsveranstaltung durchführt und dazu einige Gemeindeglieder hinzuzieht, nicht damit diese verhinderte Chormitglieder vertreten, sondern lediglich, um den Chor für diese nichtgottesdienstliche ... Veranstaltung zu verstärken. Auch in einem solchen Falle würden die hinzugezogenen Gemeindeglieder weder ehrenamtlich noch ehrenamtähnlich tätig werden; ihre Tätigkeit würde vielmehr auf ihrer allgemeinen Gemeindemitgliedschaft beruhen, nach der von allen für die jeweilige Aufgabe geeigneten und abkömmlichen Gemeindegliedern die Leistung kleinerer, insbesondere kurzfristiger Dienste im Interesse der Gemeinde erwartet werden kann (ähnlich wie bei Vereinen die Übernahme geringfügiger, den Vereinszwecken dienender Verrichtungen durch Vereinsmitglieder, vgl. Brackmann aaO S. 476 g).
Auf die Revision der Beklagten hat der Senat somit die Klage - unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen - abgewiesen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen