Leitsatz (amtlich)
Bei einem freiwillig versicherten Selbständigen, dessen Versicherung bei einer Wiedererkrankung an Unfallfolgen erloschen ist, bemißt sich das Übergangsgeld nach der satzungsmäßigen Mindestversicherungssumme, jedenfalls dann, wenn die Satzung keine andere Regelung enthält.
Normenkette
RVO § 545 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30, § 560 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 561 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 562 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 571 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 574 Fassung: 1974-08-07, § 575 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Verfahrensgang
LSG Bremen (Entscheidung vom 22.03.1979; Aktenzeichen L 2 U 15/78) |
SG Bremen (Entscheidung vom 15.03.1978; Aktenzeichen SU 130/77) |
Tatbestand
Im Revisionsverfahren ist nur noch streitig, nach welchem Jahresarbeitsverdienst (JAV) das Übergangsgeld des Klägers für die Zeit seiner Wiedererkrankung vom 15. November 1974 bis 25. April 1975 zu berechnen ist.
Der 1926 geborene Kläger war als Versicherungskaufmann tätig. Er versicherte sich bei der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfälle. Die Versicherungssumme betrug von 1966 bis zum 31. Dezember 1970 12.000,-- DM, vom 1. Januar 1971 bis 31. Dezember 1972 24.000,-- DM und vom 1. Januar 1973 an 48.000,-- DM. Zum 19. Juni 1974 erlosch die Versicherung des Klägers; er trat der Beklagten aufs Neue am 23. November 1974 wiederum mit einer Versicherungssumme von 48.000,-- DM freiwillig bei.
Der Kläger erlitt am 10. August 1970 während einer Geschäftsfahrt einen Arbeitsunfall. Ab 3. September 1970 war er wieder arbeitsfähig. Vom 21. Januar 1971 bis 23. April 1972 und vom 15. November 1974 bis 25. April 1975 war er jedoch wegen der Folgen dieses Unfalls erneut arbeitsunfähig krank. Vor dem Unfall hatte er täglich 8 bis 10 Stunden gearbeitet, und zwar zu 70 % im Außendienst. Nach dem Unfall konnte er keinen Außendienst mehr leisten; seine Ehefrau erledigte die Büroarbeiten; für gelegentlichen Außendienst wurden nebenamtliche Mitarbeiter in Anspruch genommen. Während der Zeiten der Arbeitsunfähigkeit erhielt der Kläger von der Kaufmännischen Krankenkasse Halle als freiwillig weiterversichertes Mitglied Krankengeld.
Die Beklagte gewährte dem Kläger mit Bescheid vom 15. Juli 1977 für die Zeit vom 21. Januar bis 11. Februar 1971 Verletztengeld nach einem Tagessatz von 72 % des 360. Teils einer Versicherungssumme von 12.000,-- DM, worauf sie das für die selbe Zeit bezogene Krankengeld anrechnete. Für die folgende Arbeitsunfähigkeit war das Krankengeld höher als das so berechnete Verletztengeld. Vom 15. November bis 6. Dezember 1974 gewährte sie ihm Übergangsgeld, berechnet nach dem 450. Teil der auf 14.690,23 DM angepaßten Versicherungssumme von 12.000,-- DM; für die restliche Zeit bis zum 25. April 1975 war das Krankengeld wiederum höher.
Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage, mit der der Kläger weiteres Verletzten- und Übergangsgeld unter Berücksichtigung einer Versicherungssumme von 24.000,-- DM oder 48.000,-- DM begehrte, hat das Sozialgericht Bremen (SG) abgewiesen (Urteil vom 15. März 1978). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger weitere 531,80 DM an Verletztengeld und weitere 7.382,46 DM an Übergangsgeld zu zahlen. Es hat die Revision zugelassen, soweit die Beklagte zur Zahlung weiteren Übergangsgeldes verurteilt worden ist (Urteil vom 22. März 1979).
Die Beklagte hat Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 560, 561, 562, 574 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie vertritt weiterhin die Auffassung, bei Wiedererkrankung freiwillig versicherter Unternehmer sei das Übergangsgeld grundsätzlich nach der im Zeitpunkt des Unfalles geltenden Versicherungssumme zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom
22. März 1979 aufzuheben, soweit die Beklagte zur
Zahlung von 7.382, 46 DM Übergangsgeld verurteilt
worden ist.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist aufzuheben, soweit es mit der Revision angefochten ist.
Das LSG hat zu Recht in der Sache selbst entschieden. Die Berufung gegen das angefochtene Urteil des SG war zulässig, so daß das Verfahren nicht an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Mangel leidet. Streitig ist zwar ein Anspruch auf Übergangsgeld für einen im Zeitpunkt der Einlegung der Berufung bereits abgelaufenen Zeitraum (§ 144 Abs 1 Nr 2 SGG); dieser Zeitraum umfaßt aber mehr als 13 Wochen. Die Berufung ist auch nicht nach § 145 Nr 2 SGG ausgeschlossen (vgl BSGE 27, 188).
Der Kläger hat für die Zeit seiner erneuten Wiedererkrankung (15. November 1974 bis 25. April 1975) keinen Anspruch auf höheres Übergangsgeld.
Der Kläger war, als er verunglückte, freiwillig bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle versichert (§ 545 RVO iVm § 39 der Satzung der Beklagten). Die Versicherungssumme, die der Versicherung als JAV zugrunde lag und die für die Berechnung der Geldleistungen galt (§ 40 Sätze 2 und 5 der Satzung), betrug 12.000,-- DM. Als der Kläger am 15. November 1974 erneut an den Unfallfolgen erkrankte, hatte er dem Grunde nach wieder Anspruch auf Leistungen nach den §§ 547 ff RVO (§ 43 der Satzung idF des am 12. August 1973 geltenden 6. Nachtrags). Er war arbeitsunfähig iSd Krankenversicherung, aber nicht erwerbsunfähig. Er hatte deshalb Übergangsgeld zu beanspruchen (§ 560 Abs 1 Satz 1 RVO in der seit dem 1. Oktober 1974 geltenden Fassung des § 21 Nr 44 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes vom 7. August 1974 - BGBl I 1881 - RehaAnglG -; § 562 Abs 2 RVO). Übergangsgeld (früher Verletztengeld) erhält ein freiwillig versicherter Unternehmer, der im Betrieb voll tätig war, wenn seine Arbeitskraft infolge unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit für einen nicht unbedeutenden Zeitraum ausfällt. Ein dem Ausfall des Arbeitsentgelts eines Arbeitnehmers gleich zu achtender Einkommensverlust ist in Höhe des in der Satzung bestimmten JAV entstanden. Ein konkreter Einkommensverlust ist nicht zu ermitteln (BSGE 36, 133, 134; im gleichen Sinne schon BSGE 19, 161; 36, 98). Nach den Feststellungen des LSG war der Kläger während der streitigen Zeit seiner Wiedererkrankungen weder in der Lage, den von ihm in seinem Unternehmen als Versicherungskaufmann vor dem Unfall ausgeübten Außendienst, noch die Büroarbeiten zu leisten. Die Beklagte greift diese Feststellungen nicht mit substantiierten Rügen an. Sie trägt nicht vor, aus welchen Gründen das LSG sich etwa hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen in der Richtung anzustellen, ob der Kläger tatsächlich keinerlei der von ihm vor dem Unfall geleisteten Tätigkeiten verrichten konnte.
Die Höhe des Übergangsgeldes bemißt sich nach § 561 Abs 3 RVO (BSGE 36, 136; SozR Nr 3 zu § 561 RVO). Danach erhalten die übrigen Verletzten, die bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit Arbeitseinkommen erzielt haben, insbesondere freiwillig versicherte Unternehmer, Übergangsgeld je Kalendertag in Höhe des 450. Teiles des JAV. Im Falle einer Wiedererkrankung sind die Verhältnisse des Jahres vor dem Beginn der erneuten Arbeitsunfähigkeit zugrundezulegen (§ 574 RVO). Wie der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR 2200 § 574 Nr 2) bereits entschieden hat, ist der JAV, der im Zeitpunkt der Wiedererkrankung aufgrund der Satzung gilt, jedenfalls dann maßgebend, wenn die Satzung nichts Abweichendes bestimmt. Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Entscheidung abzuweichen. Für freiwillig versicherte Unternehmer ist der JAV nicht nach den tatsächlichen Einkünften zu bestimmen. Als JAV gilt vielmehr der nach der Satzung der Beklagten bestimmte fiktive Betrag (§ 571 Abs 2 RVO aF - jetzt Abs 3 -; § 671 Nr 9 RVO). Der 2. Senat des BSG hat in der genannten Entscheidung dargelegt, daß § 574 RVO nicht auf die Bestimmung des JAV für Beschäftigte beschränkt ist (so schon SozR 2200 § 561 Nr 4). Er gilt vielmehr auch für die Feststellung der Leistungen für Unternehmer aufgrund eines in der Satzung bestimmten JAV. Das geht insbesondere deutlich aus der Verweisung auf § 561 Abs 3 RVO hervor. Von dieser Vorschrift werden nämlich insbesondere freiwillig versicherte Unternehmer erfaßt, deren Versicherung in aller Regel eine bestimmte Versicherungssumme zugrunde liegt, die anstelle des tatsächlich erzielten Arbeitsverdienstes für die Berechnung der Geldleistungen maßgebend ist. Die Satzung der Beklagten in der für die streitige Zeit maßgebenden Fassung verwies für die Leistungen uneingeschränkt auf die §§ 547 ff RVO (§ 43 der Satzung). Eine in einer späteren Fassung der Satzung enthaltene Regelung (§ 40 Satz 5 letzter Satzteil), wonach für die Berechnung der Geldleistungen die im Zeitpunkt des Arbeitsunfalles maßgebende Versicherungssumme gilt, enthielt die Satzung seinerzeit nicht.
Allerdings war die Versicherung des Klägers wegen fehlender Beitragszahlungen am 19. Juni 1974, also vor seiner erneuten Wiedererkrankung, erloschen. Der Kläger war erst am 25. November 1974 der Beklagten wieder beigetreten. Dadurch wird sein Anspruch auf Übergangsgeld jedoch nicht ausgeschlossen. Folgen von Arbeitsunfällen sind grundsätzlich nach Gesetz und Satzung zu entschädigen. Ist die freiwillige Versicherung eines Unternehmers erloschen, so werden von ihr nur solche Unfälle und deren Folgen nicht erfaßt, die während des Zeitraumes eingetreten sind, in dem keine Versicherung bestand.
In derartigen Fällen ist aber entgegen der Auffassung der Beklagten nicht die im Unfallzeitpunkt geltende Versicherungssumme für die Berechnung des Übergangsgeldes maßgebend, sondern die satzungsmäßige Mindestversicherungssumme. Das gilt jedenfalls, wenn die Satzung, wie hier in der 1974/75 geltenden Fassung, keine abweichenden Regelungen enthält. Auf frühere, etwa vor dem Unfall maßgebende Verhältnisse zurückzugreifen, würde der Zielsetzung des Übergangsgeldes bei Wiedererkrankungen nicht entsprechen. Bei Verletzten, die im Jahr vor der Wiedererkrankung kein Arbeitseinkommen erzielt haben, ist deshalb das Übergangsgeld nach einem entsprechend § 575 RVO zu bestimmenden Mindest-JAV zu berechnen (SozR 2200 § 561 Nr 4).
Tritt aber bei freiwillig versicherten Unternehmern an die Stelle des nach §§ 571 ff RVO zu errechnenden JAV der nach der Satzung maßgebliche Betrag, und sind nach § 574 zwar die Verhältnisse des Jahres vor der Wiedererkrankung zugrundezulegen, ist bei freiwillig versicherten Unternehmern der kraft Satzung im Zeitpunkt der Wiedererkrankung geltende JAV entscheidend (SozR 2200 § 574 Nr 2). Wirken sich also Änderungen der Versicherungssumme während des Jahres vor der Wiedererkrankung sowohl zugunsten als auch zu Ungunsten des Wiedererkrankten aus, so ist nicht eine vor dem Erlöschen der Versicherung maßgebend gewesene Versicherungssumme der Berechnung des Übergangsgeldes zugrundezulegen, sondern wie bei anderen unter § 561 Abs 3 fallenden Verletzten der Mindest-JAV entsprechend § 575, die satzungsmäßige Mindestversicherungssumme. Soll eine möglichst weitgehende Aktualisierung des Übergangsgeldes ermöglicht werden und liegt es bei freiwillig versicherten Unternehmern in deren Hand, diese "Aktualisierung" durch Änderungen der Versicherungssumme selbst herbeizuführen, so ist es nicht gerechtfertigt, die Geldleistungen, nachdem eine solche Versicherung erloschen ist, nach einer früheren bei bestehender Versicherung geltenden Versicherungssumme zu berechnen.
Nach der 1974 geltenden Satzung in der Fassung des 5. und 6. Nachtrags betrug die Mindestversicherungssumme ab 1. Januar 1973 12.000,-- DM. Nach einem JAV in dieser Höhe hat die Beklagte das Übergangsgeld für die streitige Zeit berechnet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen