Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
DIE BKK POST -Hauptverwaltung- |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. November 1998 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob der Kläger als Rentner krankenversicherungspflichtig ist.
Der 1927 geborene Kläger begann im Januar 1947 eine Ausbildung. Er war mit Unterbrechungen bis Ende 1970 in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert, zuletzt als Mitglied der beklagten Krankenkasse. Seit 1971 war er als Angestellter bei der Post wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze (JAV-Grenze) versicherungsfrei und privat krankenversichert. Seine Arbeitgeberin ging Ende 1979 davon aus, der Kläger werde vom 1. Januar 1980 an wegen der Erhöhung der JAV-Grenze wieder versicherungspflichtig. Die Beklagte befreite ihn auf seinen Antrag mit Wirkung vom 1. Januar 1980 nach § 173b der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Versicherungspflicht (Bescheid vom 29. Januar 1980). Der Bescheid enthielt den Hinweis, künftig sei eine Versicherungspflicht nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO ausgeschlossen. In der Folgezeit wurde Versicherungspflicht von der Beklagten nicht mehr angenommen und vom Kläger zunächst auch nicht mehr geltend gemacht.
Der Kläger stellte am 11. Juni 1990 einen Rentenantrag. Er bezieht seit Januar 1991 Altersruhegeld von der beigeladenen Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. Juli 1990 fest, der Kläger werde auf Grund des Rentenantrags nicht Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR), weil er die notwendige Vorversicherungszeit nicht erfüllt habe. Dieser Bescheid wurde bindend. Der Kläger beantragte Ende 1993 die Überprüfung des Bescheides. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 9. Februar 1994 erneut ab, die Mitgliedschaft in der KVdR festzustellen. Der Kläger legte Widerspruch ein und machte nunmehr geltend, er sei zwischen 1950 und 1990 insgesamt 23 Jahre pflichtversichert gewesen. Im Jahre 1980 sei er zu Unrecht von der Versicherungspflicht befreit worden, weil er seit dem 1. Januar 1980 die JAV-Grenze weiterhin überschritten habe. Er habe deshalb zum 1. Januar 1988, als er die JAV-Grenze unterschritten habe, Mitglied der Beklagten werden können. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1994).
Der Kläger hat Klage erhoben. Während des Klageverfahrens hat es die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 1996 abgelehnt, den Befreiungsbescheid vom 29. Januar 1980 zurückzunehmen. Dieser Bescheid sei nach dem bis zum 31. Dezember 1980 geltenden Recht unanfechtbar geworden und könne nach § 44 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren (SGB X) nicht aufgehoben werden. Der bindende Bescheid schließe eine Versicherungspflicht dauerhaft aus. Die Beklagte gab in dem Bescheid an, welche Zeiten zwischen dem 1. Januar 1950 und der Rentenantragstellung zu berücksichtigen seien, und errechnete Mitgliedschaftszeiten von 18 Jahren 10 Monaten und 7 Tagen.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 26. September 1996 den Bescheid vom 9. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1994 aufgehoben, soweit darin eine Rücknahme des Bescheides zur KVdR vom 27. Juli 1990 abgelehnt wurde, den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 1996 zur Überprüfung des Befreiungsbescheides aufgehoben sowie die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 27. Juli 1990 aufzuheben und den Kläger in die KVdR aufzunehmen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger sei als Rentner nicht versicherungspflichtig, weil er die notwendige Vorversicherungszeit nicht erfüllt habe. Dieses scheitere daran, daß er in der Zeit vom 1. Januar 1988 bis zur Rentenantragstellung am 18. Juni 1990, in der er zusätzlich zu den von der Beklagten angenommenen Zeiten versicherungspflichtig gewesen sein wolle, aufgrund des Bescheides vom 29. Januar 1980 von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei. Rechtsgrundlage für diesen Bescheid sei § 173b RVO. Der Befreiungsbescheid sei zwar rechtswidrig gewesen, weil der Kläger damals mit seinem Entgelt nicht auf der angehobenen JAV-Grenze oder darunter gelegen und er daher nicht versicherungspflichtig geworden sei. Trotz seiner Rechtswidrigkeit sei der Befreiungsbescheid aber wirksam. Die Beklagte habe seine Rücknahme für die Vergangenheit ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt sinngemäß eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 11 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), des Art 56 Abs 1 des Gesundheitsreformgesetzes (GRG), des § 173b RVO sowie der §§ 40, 44 SGB X. Die Vorversicherungszeit für die KVdR sei jedenfalls erfüllt, wenn die Zeit von Januar 1988 bis zur Rentenantragstellung im Juni 1990 als Pflichtversicherungszeit mitberücksichtigt werde. Das SG habe zutreffend entschieden, daß diese Zeit anzurechnen sei, weil der Befreiungsbescheid vom 29. Januar 1980 mangels Eintritts von Versicherungspflicht rechtswidrig gewesen sei. Im übrigen habe der Befreiungsbescheid bei späterem erneuten Überschreiten der Grenze seine Wirksamkeit verloren, so daß bei Unterschreiten der Grenze im Jahre 1988 Versicherungspflicht eingetreten sei. Wenn bei Erlaß des Befreiungsbescheides im Jahre 1980 jedoch tatsächlich die Grenze nicht mehr überschritten gewesen sei und grundsätzlich Versicherungspflicht bestanden habe, sei die Grenze auch schon in den Jahren vorher nicht mehr überschritten gewesen. Er, der Kläger, sei dann vor 1980 wieder versicherungspflichtig geworden und in diesem Fall wegen Versäumung der Antragsfrist im Jahre 1980 zu Unrecht von der Versicherungspflicht befreit worden. Auch unter Berücksichtigung der Versicherungszeiten aus den letzten Jahren vor 1980 habe er eine ausreichende Vorversicherungszeit aufzuweisen. – Im übrigen habe das LSG nicht berücksichtigt, daß weitere Zeiten angerechnet werden müßten, weil er in den Jahren 1959 bis 1964 von seinem Stiefvater angemeldet gewesen sei. Die Anforderungen an den Nachweis dieser Zeiten dürften nicht überspannt werden. Er sei außerdem im Jahre 1980 von Seiten der Beklagten durch eine unzutreffende Auskunft auf die Möglichkeit der Befreiung hingewiesen worden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 26. November 1998 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 26. September 1996 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch zur Sache nicht geäußert.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG stattgegeben und die Klage abgewiesen.
1. Angefochten sind der Bescheid vom 9. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1994 und der Bescheid vom 22. Februar 1996, der nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Er ergänzt den Bescheid vom 9. Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 1994. Über die vom Kläger beantragte Rücknahme des Bescheides vom 27. Juli 1990 konnte die Beklagte aufgrund des Vorbringens im Widerspruchsverfahren, er sei 1980 zu Unrecht von der Versicherungspflicht befreit worden und habe deshalb 1988, als er versicherungspflichtig geworden sei, wieder Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung werden können, nur entscheiden, wenn sie auch darüber befand, ob der Befreiungsbescheid vom 29. Januar 1980 zurückzunehmen war.
2. Der Bescheid vom 9. Februar 1994 ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte hat darin die Feststellung der Versicherungspflicht in der KVdR und sinngemäß die Rücknahme des belastenden Bescheides vom 27. Juli 1990 abgelehnt, mit dem sie bereits früher die bei Rentenantragstellung beantragte Versicherungspflicht in der beitragsgünstigen KVdR verneint hatte.
Der Bescheid vom 27. Juli 1990 ist nicht nach § 44 Abs 2 SGB X zurückzunehmen, denn er ist nicht rechtswidrig. Der Kläger erfüllte bei Stellung des Rentenantrags am 11. Juni 1990 nicht die Voraussetzungen für die KVdR nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V (idF des Art 1 GRG vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I S 2477≫). Er war seit 1971 nicht mehr Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung und damit in der Zeit seit Aufnahme seiner Erwerbstätigkeit im Jahr 1947 bis zum Rentenantrag im Jahr 1990 nicht mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte dieses Zeitraums Mitglied. Der Kläger erfüllte auch die Vorversicherungszeit nach Art 56 Abs 1 GRG (idF des GRG vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I S 2477≫) nicht, denn er war vom 1. Januar 1950 bis zum Rentenantrag nicht mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger in diesen mehr als 40 Jahren vom 1. Januar 1950 bis zum 11. Juni 1990 nur 18 Jahre 10 Monate und 7 Tage Mitglied war.
Weitere Mitgliedschaftszeiten waren und sind als Vorversicherungszeiten nicht zu berücksichtigen. Der Kläger war seit 1971, als er wegen Überschreitens der JAV-Grenze versicherungsfrei wurde und sich privat versicherte, nicht mehr Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung und ist es später nicht wieder geworden. Dies gilt auch für die Zeiten, in denen der Kläger als Angestellter beschäftigt war und sein Arbeitsentgelt die nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO maßgebende JAV-Grenze und die seit dem 1. Januar 1989 nach § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V geltende Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAE-Grenze) nicht überstieg, was jedenfalls für die Zeit ab Januar 1988 anzunehmen ist. Der Kläger war in dieser Zeit gleichwohl nicht nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO oder § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V versicherungspflichtig, denn er war mit Bescheid vom 29. Januar 1980 nach § 173b RVO von der Versicherungspflicht befreit worden. Diese Befreiung galt bis zum Ende seiner Beschäftigung im Jahre 1990 und ist von der Beklagten mit Recht nicht zurückgenommen worden.
3. Der Senat kann offenlassen, ob der Befreiungsbescheid, der entgegen dem Revisionsvorbringen jedenfalls nicht nichtig iS des § 40 SGB X war, bei seinem Erlaß rechtmäßig oder rechtswidrig war. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um dieses zu entscheiden. Nach § 173b RVO konnte auf Antrag von der Versicherungspflicht des § 165 Abs 1 Nr 2 RVO befreit werden, wer wegen Erhöhung der JAE-Grenze versicherungspflichtig wurde. Dazu war der Jahresarbeitsverdienst festzustellen. Das LSG hat jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, von welchem Jahresarbeitsverdienst des Klägers für das Jahr 1980 auszugehen war. Die einzigen Angaben, die dazu im Verwaltungs- und im Gerichtsverfahren gemacht wurden, sind Jahresarbeitsverdienste, die seinerzeit dem Rentenversicherungsträger gemeldet worden waren. Deren Höhe entspricht dem tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Arbeitsentgelt. Sie ist jedoch nicht dafür maßgebend, ob in der Krankenversicherung die JAV-Grenze überschritten wird. Für sie werden Zuschläge, die mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werden, nicht angerechnet (§ 165 Abs 4 RVO; heute § 6 Abs 1 Nr 1 Halbsatz 3 SGB V). Außerdem ist der Jahresarbeitsverdienst vorausschauend zu beurteilen, so daß im Laufe des Jahres eintretende Erhöhungen des Entgelts bei der Beurteilung zum Jahresbeginn noch nicht berücksichtigt werden dürfen (vgl BSGE 66, 124 = SozR 2200 § 165 Nr 97).
4. War der Bescheid vom 29. Januar 1980 rechtmäßig, weil der Kläger seinerzeit wegen der Erhöhung der JAV-Grenze versicherungspflichtig wurde und deshalb die Voraussetzungen für die Befreiung nach § 173b RVO vorlagen, so wurde er später als Angestellter nicht mehr versicherungspflichtig. Der Bescheid verlor seine Wirksamkeit auch dann nicht, wenn der Kläger in der Zeit nach 1980 zeitweise ohne die Befreiung nach § 173b RVO schon kraft Gesetzes versicherungsfrei war, weil er die JAV-Grenze erneut überschritten hatte, wie das SG angenommen hat.
Der Senat folgt nicht der Ansicht, ein Befreiungsbescheid nach § 173b RVO verliere seine Wirksamkeit durch Erledigung iS des § 39 Abs 2 SGB X, wenn der befreite Arbeitnehmer später wegen einer Erhöhung seines Jahresarbeitsverdienstes kraft Gesetzes versicherungsfrei werde; es trete deswegen wieder Versicherungspflicht ein, wenn später das Entgelt die Grenze nicht mehr übersteige. Diese Ansicht ist damit begründet worden, daß die Befreiungsentscheidung nur auf die konkrete Dauer des jeweiligen Befreiungstatbestandes bezogen sei. Die Befreiung gelte nur, solange „das (an sich versicherungspflichtige) Beschäftigungsverhältnis” andauere und werde gegenstandslos, wenn die Grenze nach der Befreiung wieder überschritten werde (vgl Heinze in Gesamtkommentar Sozialversicherung, § 173b RVO Anm 6 ≪Stand 1980≫; mit ähnlicher Begründung zum SGB V Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, § 8 SGB V RdNr 17 ≪Stand April 1998≫). Allerdings hat das BSG wiederholt entschieden, daß die Versicherungspflicht und die Befreiung davon tatbestandsbezogen beurteilt werden müssen (vgl für die Angestelltenversicherung BSGE 20, 133 = SozR RVO § 165 Nr 42 und für die Krankenversicherung BSGE 34, 205 = SozR RVO § 165 Nr 69). Dem entsprach es, daß eine Befreiung nach § 173b RVO nicht ausgesprochen werden durfte, wenn ein Angestellter während einer im Ausland verrichteten Beschäftigung nicht der Versicherungspflicht unterlag (BSGE 39, 239 = SozR 2200 § 173b Nr 1). Aus dem Grundsatz, daß Befreiungsentscheidungen auf das jeweilige Versicherungsverhältnis bezogen sind, folgt jedoch nicht, daß eine einmal erteilte Befreiung nach § 173b RVO nur so lange wirksam bleibt, wie alle tatsächlichen Voraussetzungen für ihre Erteilung vorliegen, und daß der Befreiungsbescheid mit dem Wegfall einer der Voraussetzungen seine Wirksamkeit verliert. Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob und gegebenenfalls wie lange die Entscheidung über die Befreiung nach § 173b RVO (jetzt § 8 Abs 1 Nr 1 SGB V) fortwirkt, wenn ein Beschäftigungsverhältnis aufgegeben und anschließend oder nach einer Unterbrechung ein neues begründet wird. Im Rahmen desselben fortlaufend bestehenden Beschäftigungsverhältnisses wie hier sind jedenfalls Änderungen des Entgelts für die Wirksamkeit der Befreiung nach § 173b RVO unerheblich, auch wenn später die JAV-Grenze vorübergehend erneut überschritten war.
Die Grundlage für die Befreiungsentscheidung, die abhängige Beschäftigung, die grundsätzlich Versicherungspflicht begründet, bleibt bei Fortdauer desselben Beschäftigungsverhältnisses unabhängig von Veränderungen des Entgelts erhalten. Die Wirksamkeit der Befreiungsentscheidung bei einem erneuten Überschreiten der JAV-Grenze zu beenden, ist nicht gerechtfertigt. Sonst würde der „stärkere” Versicherungsfreiheitstatbestand – die Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes wegen Überschreitens der JAV-Grenze – den „schwächeren” Versicherungsfreiheitstatbestand – die Befreiung auf Antrag nach § 173b RVO (jetzt § 8 Abs 1 Nr 1 SGB V) – ersetzen und beenden. Damit würde das vorübergehende Eingreifen eines „stärkeren” Versicherungsfreiheitstatbestandes dazu beitragen, daß nach seinem Ende wegen Erhöhung der Grenze Versicherungspflicht (mit erneutem Befreiungsrecht) einträte und nicht das näherliegende Aufleben des schwächeren Freiheitstatbestandes anzunehmen wäre. Eine Erledigung der Befreiungsentscheidung ist auch sachlich nicht begründet. Sie würde Personen, die vorübergehend wegen Überschreitens der JAV-Grenze auch nach § 165 Abs 1 Nr 2 RVO (jetzt § 6 Abs 1 Nr 1 SGB V) versicherungsfrei sind und deshalb als weniger schutzbedürftig erscheinen, gegenüber denjenigen begünstigen, die nach der Befreiung mit ihrem Arbeitsentgelt die JAV-Grenze dauerhaft nicht mehr überschreiten. Die Letztgenannten werden im selben Beschäftigungsverhältnis nie mehr versicherungspflichtig und können sich auch freiwillig nicht mehr für die gesetzliche Krankenversicherung entscheiden. Ihre einmal ausgesprochene Befreiung ist unwiderruflich (§ 173b Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 173a Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 RVO; jetzt § 8 Abs 2 Satz 3 SGB V). Diejenigen hingegen, die nach einer Befreiung vorübergehend die JAV-Grenze wieder überschreiten, hätten unter der Annahme, die frühere Befreiung sei nicht mehr wirksam, wenn sie später wegen einer Erhöhung der Grenze wieder versicherungspflichtig werden, erneut das Recht, sich befreien zu lassen und damit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung zu wählen. Dieses leuchtet nicht ein. Die hier vertretene Auffassung hat auch den praktischen Vorteil, daß der Arbeitgeber bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses von Versicherungsfreiheit ausgehen kann.
5. War der Befreiungsbescheid vom 29. Januar 1980 rechtswidrig, so sind gleichwohl keine weiteren Mitgliedschaftszeiten vorhanden. Denn auch in diesem Fall hatte die Beklagte den Bescheid nicht mit Wirkung für die hier geltend gemachten Zeiten bis Juni 1990 zurückzunehmen. Allein über eine solche Rücknahme für die Vergangenheit ist hier zu entscheiden, weil nur die Rücknahme für die Vergangenheit bewirken könnte, daß zusätzliche Vorversicherungszeiten zu berücksichtigen wären.
Der Senat läßt offen, ob sich die Rücknahme des Befreiungsbescheides nach § 45 SGB X richtet, weil er bei seinem Erlaß im Jahr 1980 dem Antrag des Klägers in vollem Umfang stattgegeben hat und deshalb als ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt zu beurteilen ist, oder ob sie nach § 44 SGB X zu beurteilen ist, weil der Bescheid sich nunmehr aus der Sicht des Betroffenen auch als belastend darstellt (vgl dazu Steinwedel in Kasseler Kommentar § 44 SGB X RdNr 20 f ≪Stand Dezember 1998≫; zur Anwendung des § 44 SGB X für den Fall der Rücknahme eines Befreiungsbescheides in der Rentenversicherung BSG SozR 5755 Art 2 § 1 Nr 4). Wird der Bescheid als nur begünstigender Verwaltungsakt angesehen, scheidet hier eine Rücknahme für die Vergangenheit nach § 45 SGB X von vornherein aus. Der Bescheid kann aber auch als belastender Verwaltungsakt nicht nach § 44 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Da mit dem Befreiungsbescheid weder über Beiträge noch über Leistungen iS des Abs 1 des § 44 SGB X entschieden worden ist, richtet sich die Rücknahme nach Abs 2 des § 44 SGB X. Danach steht die hier allein streitige Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides für die Vergangenheit grundsätzlich im Ermessen der Krankenkasse. Die Beklagte hat im Bescheid vom 22. Februar 1996 neben ihrer Ansicht, der Bescheid sei nach § 44 SGB X schon mangels Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf einen vor Inkrafttreten des SGB X erlassenen Bescheid nicht rücknehmbar, hilfsweise Ermessenserwägungen angeführt, die es nach ihrer Ansicht ausschließen, den Bescheid vom 29. Januar 1980 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Solcher Erwägungen bedurfte es jedoch nicht.
Die Rücknahme für die Vergangenheit ist bei einem Befreiungsbescheid wie dem vorliegenden, mit dem auf Antrag des Versicherten eine Befreiung ausgesprochen worden ist, stets ausgeschlossen, jedenfalls für die Zeit vor Geltendmachung einer Rechtswidrigkeit der Befreiungsentscheidung. Dies folgt aus dem Grundsatz, daß die Beurteilung von Versicherungsverhältnissen rückwirkend grundsätzlich nicht geändert werden soll. Der Senat hat deshalb in ständiger Rechtsprechung die rückwirkende Begründung einer Mitgliedschaft in der KVdR abgelehnt, wenn die Aufhebung einer die Mitgliedschaft ablehnenden bindenden Entscheidung im Streit war oder früher eine beantragte Mitgliedschaft des Rentenantragstellers wegen Versagung der Rente geendet hatte. Er hat dies auch damit begründet, daß Sachleistungen der Krankenversicherung ohnehin nachträglich nicht erbracht werden können und Beitragsnachforderungen für die Vergangenheit vermieden werden (vgl zuletzt BSGE 80, 102, 107 = SozR 3-2500 § 5 Nr 33 S 133 mwN). Diese Gründe treffen in gleicher Weise für die Rücknahme einer Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht zu. Bei der hier umstrittenen Rücknahme einer Befreiungsentscheidung im Rahmen eines Streits um den Zugang zur KVdR kommt hinzu, daß die Durchführung der Versicherung für die Vergangenheit ohnehin nicht angestrebt wird. Die Rücknahme des Befreiungsbescheides für die Vergangenheit soll auch beim Kläger des vorliegenden Verfahrens für die Vergangenheit lediglich den formalen Status eines Versicherungspflichtigen begründen, um daraus günstige Rechtsfolgen für die Zukunft abzuleiten. Das Gesetz knüpft jedoch die angestrebte Zugehörigkeit zur KVdR an eine ausreichend lange frühere Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung, die seinerzeit entsprechend dem Befreiungsantrag des Versicherten tatsächlich nicht bestanden hat. Auf das widersprüchliche Verhalten des Klägers, der sich früher ständig der Befreiung entsprechend verhalten hat und nunmehr dieselbe Zeit teilweise als Pflichtversicherungszeit berücksichtigt haben will, hat die Beklagte schon in ihrem Bescheid vom 22. Februar 1996 zutreffend hingewiesen.
6. Auch aus der Zeit vor 1980 ergeben sich keine weiteren Mitgliedschaftszeiten. Der Senat läßt offen, ob die erstmals im Revisionsverfahren aufgestellte Behauptung, der Kläger habe schon vor 1980 die JAV-Grenze nicht überschritten und sei versicherungspflichtig gewesen, als neues tatsächliches Vorbringen unbeachtlich ist. Auch wenn angenommen wird, er sei schon in den Jahren vor 1980 versicherungspflichtig gewesen, wären diese Zeiten hier nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte hat mit dem Bescheid vom 29. Januar 1980 zwar nur die Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zukunft ausgesprochen. Diese Entscheidung enthielt aber zugleich die notwendige Vorentscheidung, daß bis einschließlich 1979 wegen Überschreitens der JAV-Grenze keine Versicherungspflicht bestand. Nur unter dieser Voraussetzung konnte die damalige Befreiungsentscheidung ergehen. Jedenfalls wenn die nunmehr für die Zeit vor 1980 behauptete Versicherungspflicht als Vorfrage Gegenstand einer Befreiungsentscheidung gewesen ist, zu deren Rücknahme für die Vergangenheit die Krankenkasse nicht verpflichtet ist, kann eine vor 1980 tatsächlich nicht durchgeführte Versicherung nachträglich nicht mehr begründet werden.
7. Die Rüge der Revision, das LSG habe zu Unrecht weitere Mitgliedschaftszeiten aus den Jahren 1959 bis 1964 nicht berücksichtigt, greift nicht durch. Diese Zeiten sind vom Kläger erstmals im Dezember 1994 mit der Begründung geltend gemacht worden, er müsse damals von seinem Stiefvater versichert worden sein. Der Kläger hat aber noch im Jahre 1995 selbst eingeräumt, daß diese Zeiten bisher noch nicht belegt werden konnten. Dementsprechend hat die Beklagte sie in ihrem Bescheid vom 22. Februar 1996 nicht berücksichtigt, ohne daß der Kläger dagegen etwas eingewandt hat. Bei diesem Sachverhalt brauchte sich das LSG mit der möglichen Berücksichtigung der genannten Zeiten auch sachlich-rechtlich nicht auseinanderzusetzen. Der erstmals mit der Revision vorgebrachte Grund, diese Zeiten müßten berücksichtigt werden, weil Beweisschwierigkeiten nicht zu Lasten des Klägers gehen dürften, konnte vom LSG noch nicht beschieden werden und ist darüber hinaus unzutreffend.
8. Die Beklagte hat den Kläger nicht im Wege des Herstellungsanspruchs so zu stellen, als ob er 1980 nicht von der Versicherungspflicht befreit worden wäre. Ein Beratungsfehler der Beklagten ist nicht erkennbar. Wenn sie den Kläger 1980 zu Unrecht als versicherungspflichtig angesehen haben sollte, so hat sie doch keine Beratungspflicht verletzt. Sie wäre dann lediglich von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen und hätte eine unrichtige Befreiung vorgenommen, die später möglicherweise mit Wirkung für die Zukunft hätte zurückgenommen werden können. Den Kläger hierüber zu beraten, bestand für die Beklagte später kein Anlaß, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht um eine Beratung angegangen worden ist. Ohne Erfolg macht die Revision schließlich geltend, der Kläger sei 1980 nicht darüber beraten worden, daß er später als Rentner in der privaten Krankenversicherung einen weit höheren Beitrag zahlen müsse als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Beklagte war zur Beratung hierüber nicht verpflichtet. Beitragssteigerungen in der privaten Krankenversicherung lagen vielmehr im Risikobereich des Klägers.
Hiernach erwies sich die Revision als unbegründet und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 208 |
FA 2000, 204 |
NZS 2000, 457 |
SozSi 2000, 400 |