Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.07.1993) |
SG Ulm (Urteil vom 08.09.1992) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Sozialgerichts Ulm vom 8. September 1992 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Juli 1993 sowie die Bescheide vom 28. November 1990 und vom 23. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1991 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Übergangsleistungen ohne Anrechnung der Abfindung zu gewähren.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten sämtlicher Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von dem Beklagten gemäß § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) bewilligten Übergangsleistung. Streitig ist, ob der Beklagte bei der Berechnung der Übergangsleistung die Abfindung, die die Klägerin aus Anlaß der Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses von ihrem früheren Arbeitgeber erhalten hat, berücksichtigen durfte.
Die Klägerin war beim Landratsamt G. … als Reinigungsfrau beschäftigt. Ihr Arbeitsverhältnis wurde durch Auflösungsvertrag vom 24. August 1987 auf Veranlassung des Arbeitgebers zum 31. August 1987 beendet, „weil durch die Beauftragung eines Unternehmens für die Reinigung … eine weitere Beschäftigungsmöglichkeit (für die Klägerin) nicht besteht. Es wird eine Sozialabfindung gemäß § 3 Ziff 9 EStG in Höhe von 8.000,– DM gewährt” (§ 4 des Auflösungsvertrages). Seit dem 1. September 1987 war die Klägerin arbeitslos und erhielt in der Folgezeit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe.
Aufgrund der Anzeige über eine Berufskrankheit (BK) vom 10. November 1986 erkannte der Beklagte mit Schreiben vom 9. Mai 1988 an, daß bei der Klägerin eine BK nach Ziff 5101 der 7. BKVO ab 11. Juli 1987 vorliege. Eine Verletztenrente wurde der Klägerin nicht gewährt, da die Minderung der Erwerbsfähigkeit 20 vH nicht erreiche.
Mit Bescheid vom 28. November 1990 gewährte der Beklagte der Klägerin zum Ausgleich des Minderverdienstes und sonstiger wirtschaftlicher Nachteile eine Übergangsleistung nach § 3 BKVO für die Zeit vom 11. Juli 1987 bis 28. Februar 1990 und mit weiterem Bescheid vom 23. September 1991 für die Zeit vom 1. März 1990 bis 10. Juli 1991, und zwar degressiv gestaffelt nach Bruchteilen von 5/5 bis 2/5 des durch die BK verursachten Einkommensverlustes. Er berücksichtigte dabei die Differenz zum fiktiven Verdienst beim früheren Arbeitgeber, abzüglich der Leistungen der Arbeitsverwaltung und der gezahlten Sozialabfindung, die bei der Berechnung auf zwölf Monate verteilt wurde.
Mit ihrem erfolglosen Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1991) machte die Klägerin geltend, der Abfindungsbetrag von 8.000,– DM dürfe nicht berücksichtigt werden, weil die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus betriebsbedingten Gründen vorgenommen worden sei. Ihre Klage hat ebenfalls keinen Erfolg gehabt (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 8. September 1992).
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide des Beklagten hinsichtlich der Anrechnung der gewährten Abfindung aufgehoben und den Beklagten insoweit verurteilt, die Klägerin erneut zu bescheiden (Urteil vom 22. Juli 1993). Der Beklagte habe bindend (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) festgestellt, daß der Klägerin dem Grunde nach für die Zeit vom 11. Juli 1987 bis 10. Juni 1991 Übergangsleistungen nach § 3 BKVO zustünden. Auch sei der Beklagte grundsätzlich berechtigt gewesen, den Abfindungsbetrag zur Anrechnung zu bringen. Dies folge daraus, daß bei der Übergangsleistung eine konkrete Schadensberechnung vorzunehmen sei und deshalb neben wirtschaftlichen Nachteilen auch wirtschaftliche Vorteile zu berücksichtigen seien, zu denen auch solche zählten, die ihrer Art nach nicht als Arbeitseinkommen qualifiziert werden könnten. Während dem Beklagten aber bei der – hier nicht streitigen – Entscheidung über die Gewährung einer Übergangsleistung kein Wahlrecht oder Ermessensspielraum zustehe, habe er über die Höhe und zum Teil über die Dauer der wiederkehrenden Geldleistung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dieses Ermessen habe der Beklagte im vorliegenden Fall nicht ausgeübt. Es liege auch kein Fall der Ermessensreduzierung auf „Null” vor – so hätte der Beklagte die Abfindung statt in Teilbeträgen von 666,67 DM in monatlichen Teilbeträgen von 111,11 DM anrechnen können –, so daß die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben gewesen seien.
Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 3 BKVO. Das LSG habe die Sozialabfindung in Höhe von 8.000,– DM zu Unrecht als berücksichtigungsfähigen Vorteil angesehen. Dies sei weder mit dem Wortlaut des § 3 Abs 2 BKVO noch mit der rechtlichen Qualität der Abfindung vereinbar. Die genannte Norm verlange nämlich eine Ursächlichkeit zwischen der BK und der dadurch eingetretenen Minderung des Verdienstes. Im vorliegenden Fall sei die Sozialabfindung aber nicht aus Anlaß der BK, sondern aus betriebsbedingten Gründen – „wegen Arbeitsmangels” – gewährt worden.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide des Beklagten vom 28. November 1990 und 23. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin höhere Übergangsleistungen ohne Anrechnung von 8.000,– DM zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil jedenfalls insoweit für zutreffend, als der Abfindungsbetrag grundsätzlich anrechenbar sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet.
Der Beklagte ist nicht berechtigt, die an die Klägerin gezahlte Abfindung bei der Neuberechnung der Übergangsleistung zu berücksichtigen.
Zutreffend ist das LSG zunächst davon ausgegangen, daß im vorliegenden Rechtsstreit nur darüber zu entscheiden ist, ob und ggf wie der Beklagte die Abfindung in Höhe von 8.000,– DM bei der Berechnung des dem Grunde nach bindend zuerkannten (§ 77 SGG) Anspruchs auf Gewährung der Übergangsleistung in Ansatz bringen darf. Offen kann deshalb bleiben, ob die Voraussetzungen des § 3 Abs 2 BKVO überhaupt gegeben waren. Danach ist ein Anspruch auf eine Übergangsleistung nur dann gegeben, wenn der Versicherte seine bisherige Tätigkeit einstellt, weil die Gefahr der Entstehung, des Wiederauflebens oder der Verschlimmerung einer BK für ihn andernfalls nicht zu beseitigen ist, und ferner nur zum Ausgleich einer „hierdurch verursachten Minderung des Verdienstes und sonstiger wirtschaftlicher Nachteile”. Ob diese Anspruchsvoraussetzungen gegeben waren, ist deshalb fraglich, weil die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Inhalt des Auflösungsvertrages vom 24. August 1987 auf betriebsbedingten Gründen beruhte. Aus diesem Grunde ist insbesondere fraglich, ob der nach der Berufsaufgabe eingetretene Minderverdienst ursächlich auf die mit Schreiben vom 9. Mai 1988 anerkannte BK zurückzuführen ist.
Diese Fragen durfte das LSG jedoch nur insoweit offen lassen, als der Beklagte bindend festgestellt hat, die zuerkannte Übergangsleistung diene dem Ausgleich des konkreten wirtschaftlichen Nachteils, der durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit eingetreten sei. Hinsichtlich des mit dem Widerspruch und den Rechtsmitteln allein angefochtenen Vorteilsausgleichs (vgl hierzu BSGE 19, 157, 159; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 492v) durch die Berücksichtigung der Abfindung kommt der Kausalitätsfrage dagegen entscheidende Bedeutung zu. Ebenso wie nur solche wirtschaftlichen Nachteile berücksichtigt werden dürfen, die durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit eingetreten sind, darf der Versicherungsträger nur solche wirtschaftlichen Vorteile schadenmindernd heranziehen, die durch den erzwungenen Berufswechsel bzw die Tätigkeitsaufgabe verursacht worden sind, wie zB den Wegfall der Fahrtkosten zum bisherigen weit entfernten Arbeitsplatz oder die günstigere Miete am neuen Arbeitsort (vgl BSGE aaO). So wie im Schadensersatzrecht des bürgerlichen Rechts zum Vorteilsausgleich die Formel gilt, daß zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil ein adäquater Kausalzusammenhang bestehen muß (vgl Palandt/Heinrichs, BGB, 51. Aufl, Vorbem vor § 249, Erl 7, b), können auch im Rahmen der Übergangsleistung den auf der BK beruhenden Nachteilen nur solche Vorteile gegenübergestellt werden, die ihrerseits in einem wesentlichen inneren Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis – der berufskrankheitsbedingten Arbeitsaufgabe – stehen.
Um einen solchen Vorteil handelt es sich bei der hier im Streit stehenden Abfindung nicht. Aus dem eindeutigen Inhalt des Auflösungsvertrages vom 24. August 1987 geht vielmehr hervor, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet wurde, weil dieser ein fremdes Unternehmen mit der Reinigung seiner Räume beauftragt hatte und deshalb keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für die Klägerin vorhanden war. Daß es sich um eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes nach § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gehandelt hat, ist von dem Beklagten auch zu keiner Zeit bestritten worden. Damit fehlt es an der erforderlichen Kausalität zwischen der BK und der gezahlten Abfindung, so daß diese im Rahmen der Übergangsleistung nicht berücksichtigt werden darf.
Bei diesem Ergebnis bedurfte es keiner Entscheidung über die Frage, ob und ggf wie Abfindungen bei einer Übergangsleistung zu berücksichtigen sind, die aus Anlaß einer berufskrankheitsbedingten Arbeitsaufgabe gewährt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BB 1994, 1430 |
Breith. 1994, 817 |