Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständiger Rechtsanwalt. Versicherungspflicht. Student
Leitsatz (amtlich)
Zur Krankenversicherungspflicht eines selbständigen Rechtsanwalts, der neben seiner Anwaltstätigkeit ein Studium aufgenommen hat.
Normenkette
RVO § 165 Abs 1 Nr 5 Fassung: 1975-06-24; SGB 5 § 5 Abs 1 Nr 9 Fassung: 1988-12-20; SGB 5 § 5 Abs 5 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
SG Bremen (Entscheidung vom 13.01.1988; Aktenzeichen S 7 Kr 7/87) |
Tatbestand
Der Kläger streitet mit der beklagten Krankenkasse um seine Krankenversicherungspflicht als Student. Er ist zusammen mit seinem Vater als selbständiger Rechtsanwalt tätig und war bis September 1986 freiwillig bei der Beklagten versichert. Nachdem er im Oktober 1986 im Alter von 36 Jahren neben dem weiterhin ausgeübten Beruf als Rechtsanwalt ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen begonnen hatte, nahm die Beklagte zunächst (bis Ende März 1987) Versicherungspflicht als Student an, lehnte dies aber für die Folgezeit (ab April 1987) wegen seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt ab (Bescheid vom 3. November 1986 und Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 1987).
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat seine dagegen erhobene Klage als unbegründet abgewiesen: Der Gesetzgeber halte Selbständige, von Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich nicht für schutzbedürftig. Ein nicht versicherungspflichtiger Selbständiger könne deshalb auch nicht "über den Umweg der Einschreibung als Student" versicherungspflichtig werden. Das gelte jedenfalls dann, wenn er die selbständige Tätigkeit in vollem Umfange oder wenigstens überwiegend ausübe und diese sein "Erscheinungsbild" präge. Der Kläger sei dem Erscheinungsbild nach nicht Student, vielmehr uneingeschränkt im Beruf eines Rechtsanwalts tätig. Auch als angestellter Anwalt wäre er nicht als Student versicherungspflichtig (Urteil vom 13. Januar 1988).
Der Kläger hat die vom SG zugelassene Sprungrevision eingelegt und geltend gemacht: Er übe seine Anwaltstätigkeit nur etwa 35 Stunden in der Woche aus und habe deshalb genügend Freiraum für ein Studium. Im übrigen erfülle er alle gesetzlichen Merkmale einer Versicherungspflicht als Student, auf sein "Erscheinungsbild" komme es insoweit nicht an.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des SG sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, daß er auch über den 31. März 1987 hinaus in der Krankenversicherung der Studenten versicherungspflichtig war.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Ihrer Ansicht nach bedarf der Kläger des besonderen, auf die soziale Situation der Studenten abgestellten Schutzes der studentischen Krankenversicherung nicht; diese greife deshalb in seinem Fall nicht Platz.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht des SG war er während der Zeit, über die der Senat zu entscheiden hatte (1. April 1987 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 13. Januar 1988), als Student bei der beklagten Krankenkasse pflichtversichert.
Daß er während dieser Zeit die Voraussetzungen des § 165 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und der entsprechenden Bestimmung in den Versicherungsbedingungen der Beklagten erfüllte - danach waren "eingeschriebene Studenten der staatlichen und der staatlich anerkannten Hochschulen" gegen Krankheit versichert -, hat auch das SG eingeräumt. Es hat ferner festgestellt, daß beim Kläger kein Tatbestand vorlag, der die Versicherungspflicht als Student ausdrücklich ausschloß: Weder war er nach § 165 Abs 1 Nr 1 bis 4 RVO noch nach anderen gesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig (§ 165 Abs 6 Satz 2 RVO), insbesondere nicht wegen einer der in § 166 RVO genannten versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeiten. Er übte auch keine Beschäftigung als Angestellter oder Tätigkeit als Selbständiger aus, die allein wegen Überschreitens der Einkommensgrenzen nach §§ 165 Abs 1 Nr 2 und 166 RVO nicht versicherungspflichtig war, sonst also versicherungspflichtig gewesen wäre (§ 165 Abs 8 RVO). Da er somit einen die Krankenversicherungspflicht begründenden gesetzlichen Tatbestand (§ 165 Abs 1 Nr 5 RVO) erfüllte, andererseits bei ihm kein Ausnahmetatbestand vorlag, der den Eintritt der Versicherungspflicht hinderte, unterlag er während der fraglichen Zeit der Krankenversicherungspflicht als Student.
Wenn das SG dennoch aufgrund von "weiteren gesetzessystematischen Erwägungen" angenommen hat, daß der Kläger nicht als Student krankenversichert gewesen sei, und dies vor allem mit fehlender Schutzbedürftigkeit begründet hat, so kann der Senat dem nicht folgen. Allerdings hat der Gesetzgeber selbständig tätige Personen, anders als abhängig Beschäftigte, bisher nur in einzelnen, namentlich (enumerativ) aufgeführten Fällen in die Krankenversicherungspflicht einbezogen - bis zum Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG) am 1. Januar 1989 waren dies ua die in § 166 RVO genannten Personen - und hatte ihnen im übrigen nach altem Recht nur unter bestimmten Voraussetzungen die Berechtigung zum freiwilligen Beitritt eingeräumt (nach § 176 Abs 1 Nr 3 RVO: Gewerbetreibenden und anderen Betriebsunternehmern). Dies läßt in der Tat den Schluß zu, daß der Gesetzgeber Selbständige bisher nur in einzelnen Beziehungen, nicht aber allgemein des Schutzes der gesetzlichen Pflichtversicherung für bedürftig gehalten hat. Es rechtfertigt jedoch nicht den weitergehenden Schluß des SG, daß Selbständige, die bisher nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen worden sind, auch dann von ihr ausgeschlossen bleiben, wenn sie wegen eines von ihrer selbständigen Tätigkeit unabhängigen Sachverhalts einen Tatbestand der Versicherungspflicht erfüllen. Vergleichbar ist insoweit der Fall, daß jemand wegen eines bestimmten Sachverhalts, zB eines Beamtenverhältnisses, versicherungsfrei ist, wegen eines anderen Sachverhalts, zB eines außerdem bestehenden Arbeitsverhältnisses, dagegen versicherungspflichtig. In einem solchen Fall ist jeder der beiden Sachverhalte grundsätzlich für sich, dh getrennt, zu beurteilen; wenn etwas anders gelten soll, muß dies ausdrücklich im Gesetz bestimmt sein (vgl für versicherungsfreie Beamte jetzt § 6 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V - und dazu KassKomm-Peters § 6 SGB V RdNrn 17 und 38).
Von den gleichen Grundsätzen ist auch in Fällen der vorliegenden Art auszugehen. Die selbständige Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt und seine Eigenschaft als Student waren mithin getrennt zu beurteilen, solange das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmte. Daran ändert nichts, daß der Kläger nach Ansicht des SG seinem Erscheinungsbild nach nicht Student, sondern Selbständiger ist, weil er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt "uneingeschränkt" (in vollem Umfange oder wenigstens überwiegend) ausübe. Daß die Rechtsprechung bei der Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern, die nebenher studieren, und Studenten, die zugleich einer Beschäftigung nachgehen (Werkstudenten), auf das Erscheinungsbild abstellt, ist für den vorliegenden Zusammenhang ohne Bedeutung. Auch wer, wie der Kläger, seinem Erscheinungsbild nach zu den Selbständigen gehört, konnte somit nach dem Recht, das bis Ende 1988 galt, als Student versicherungspflichtig sein. Das änderte sich erst mit dem Inkrafttreten des GRG am 1. Januar 1989, wonach nunmehr gemäß § 5 Abs 5 SGB V ua Studenten nicht mehr versicherungspflichtig sind, wenn sie hauptberuflich selbständig erwerbstätig sind. Erst durch diese Regelung und die dadurch herbeigeführte Rechtsänderung sind Personen wie der Kläger von der Pflichtversicherung als Studenten ausgenommen worden, sofern sie nicht schon aus anderen Gründen, insbesondere wegen ihres Lebensalters, nicht mehr der Versicherungspflicht als Studenten unterliegen (vgl dazu § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V).
Das Urteil des SG, das im Ergebnis die erst am 1. Januar 1989 in Kraft getretene Rechtsänderung bereits für die Zeit davor angewendet hat, kann hiernach nicht bestehenbleiben. Der Senat hat es deshalb zugleich mit den angefochtenen Bescheiden der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß der Kläger auch über den 31. März 1987 hinaus als Student pflichtversichert war; dabei beschränkt sich seine Entscheidung aus prozessualen Gründen auf die Zeit bis zur mündlichen Verhandlung vor dem SG (13. Januar 1988).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen