Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Der Kläger bezog von der Beklagten wegen eines Beinbruchs von Oktober 1969 bis November 1970 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH. Als ihm die Beklagte wegen eines beruflich bedingten Meniskusschadens vorläufige Rente in Höhe von 20 vH der Vollrente gewährte (Bescheid vom 22. Februar 1980), erkannte sie auch wegen des Unfalls aus dem Jahre 1969 wieder eine Entschädigungsleistung mit einer MdE um 10 vH an. Dabei verblieb es auch, nachdem die Beklagte die wegen des Meniskusschadens gewährte Rente wegen wesentlicher Besserung nur noch mit einer MdE um 10 vH bewertete (Bescheid vom 26. Oktober 1981), und der Kläger die dagegen gerichtete Klage angesichts eines am 19. Februar 1982 erstatteten fachchirurgischen Gutachtens zurückgenommen hatte, in dem wegen des Meniskusschadens keine meßbare MdE mehr festgestellt worden war. Die Klage gegen die nunmehr von der Beklagten vorgenommene Entziehung der Entschädigung wegen des Meniskusschadens ab 1. März 1983 (Bescheid vom 13. Januar 1983) nahm der Kläger nach weiterer ärztlicher Begutachtung ebenfalls zurück. Inzwischen hatte die Beklagte nach Anhörung des Klägers durch Bescheid vom 26. Juli 1982 ab 1. September 1982 die bisherige Rentenleistung wegen des Beinbruchs entzogen, weil der Meniskusschaden nun keine MdE um mindestens 10 vH mehr verursache. Den Rechtsstreit, in dem der Kläger sich gegen diesen Bescheid wandte, beendeten die Beteiligten durch Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, dem Kläger hinsichtlich der Weitergewährung der Unfallrente wegen der Folgen des Beinbruchs für die Zeit ab 1. September 1982 einen neuen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen, wenn in der Revisionsstreitsache 5a RKnU 1/82 das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1981 bestätigt oder das Revisionsverfahren auf andere Weise erledigt werde. Als letzteres eingetreten war, erteilte die Beklagte dem Kläger den Bescheid vom 16. Januar 1984 und lehnte die Wiedergewährung einer Rente aus. Anlaß des Beinbruchs mit der Begründung ab, in den Verhältnissen, die bei Entziehung dieser Entschädigung vorgelegen hätten, sei keine wesentliche Änderung eingetreten.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Dortmund die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen des Beinbruchs eine Teilrente in Höhe von 10vH der Vollrente bis zum 28. Februar 1983 zu gewähren (Urteil vom 20. Juni 1984). Die zugelassene Berufung hat das LSG für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagte sei - trotz unstreitigen Wegfalls jeder MdE aus dem Meniskusschaden - an den in ihrem Bescheid vom 26. Oktober 1981 enthaltenen Verfügungssatz gebunden, die MdE des Klägers wegen des Meniskusschadens betrage 10 vH. Diese Bindung sei erst mit Ablauf des 28. Februar 1983 entfallen. Bis zu diesem Zeitpunkt müsse dem Kläger daher auch die Entschädigung für den Beinbruch nach einer MdE um 10 vH gewährt werden, weil insoweit eine Änderung der Verhältnisse von der Beklagten nicht geltend gemacht worden sei (Urteil vom 5. Februar 1985).
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das LSG habe § 581 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 48 Abs. 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB 10) verletzt, weil es nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Bestimmung auf den tatsächlich bestehenden Grad der MdE, nicht aber auf die Bindungswirkung eines formell bestandskräftigen Bescheides ankomme.
Die Beklagte beantragt, die Klage gegen den Bescheid vom 16. Januar 1984 unter Aufhebung der Urteile des SG Dortmund vom 20. Juni 1984 und des LSG für das LandNordrhein-Westfalen vom 5. Februar 1985 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten Ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.
Nach dem von den Beteiligten im Vorprozeß geschlossenen Überprüfungsvergleich war die Beklagte verpflichtet, dem Kläger hinsichtlich der Weitergewährung der Unfallrente wegen der Folgen des Beinbruchs für die Zeit ab 1. September 1982 ohne Bindung an ihren Bescheid vom 26. Juli 1982 einen neuen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen, weil die hierfür im Vergleich festgelegte Bedingung eingetreten war. Die Beklagte ist jedoch im angefochtenen Bescheid von ihrer Bindung an den Bescheid vom 26. Juli 1982 ausgegangen und hat daher nur geprüft, ob in den diesem Bescheid zugrunde gelegten Verhältnissen eine wesentliche, den Erlaß eines dem Kläger günstigeren Bescheides rechtfertigende Änderung eingetreten war. Sie hat deshalb übersehen, daß es auf eine wesentliche Änderung gegenüber dem letzten dem Kläger Rente gewährenden Bescheid vom 26. Oktober 1981, nicht aber gegenüber dem Bescheid vom 26. Juli 1982 ankam.
Zur Rentenentziehung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse war die Beklagte gemäß § 48 Abs. 1 SGB 10 nur befugt, wenn und soweit sich in der im Bescheid vom 26. Oktober 1981 festgestellten MdE wegen des Meniskusschadens eine wesentliche Änderung feststellen ließ. Dies traf jedoch, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, wegen der Bindung der Beklagten an die Feststellung der MdE durch den Meniskusschaden im Bescheid vom 26. Oktober 1981 und der unstreitig gleich gebliebenen MdE durch die Folgen des Beinbruchs erst nach dem 28. Februar 1983 zu. Denn erst mit Wirkung ab 1. März 1983 entfiel, wie die Beklagte im Hinblick auf § 622 RVO mit Bescheid vom 13. Januar 1983 zutreffend festgestellt hat, die im Bescheid vom 26. Oktober 1981 wegen des Meniskusschadens festgestellte MdE um 10 vH. Erst von diesem Zeitpunkt an lagen somit die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO - Gesamt-MdE von mindestens 20 vH durch zwei Teil-MdEs von jeweils mindestens 10 vH - nicht mehr vor. Bis zum 28. Februar 1983 waren die Voraussetzungen dieser Bestimmung jedoch gegeben.
Bei Erteilung des Bescheides vom 16. Januar 1984 ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, daß die MdE des Klägers wegen des Beinbruchs nach wie vor 10 A betrug und eine Änderung insoweit nicht mehr zu erwarten war. Hinsichtlich der MdE aus dem Meniskus-schaden stand bei Erlaß des Bescheides vom 16. Januar 1984 für die Beteiligten bindend fest, daß die MdE hierfür in der Zeit vom 26. Juni 1980 bis zum 30. November 1981 20 vH betragen hatte (Bescheid vom 22. Februar 1980), daß sie sodann bis zum 28. Februar 1983 mit Rücksicht auf § 622 RVO noch 10 vH ausgemacht hatte (Bescheid vom 26. Oktober 1981), und daß sie erst ab 1. März 1983 keinen meßbaren Grad mehr erreichte. Die Beteiligten waren mithin daran gebunden, daß bis zum 28. Februar 1983 beim Kläger wegen des Meniskusschadens eine MdE um 10 vH bestand. Insoweit war nach der einhelligen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Festlegung der MdE-Höhe wegen ihrer Bedeutung für die Rentenhöhe, nämlich Teil des allein der Bindung fähigen Verfügungssatzes (BSG SozR Nr. 1 zu § 570 RVO und Nr. 5 zu § 581 RVO sowie SozR 2200 § 581 Nrn. 1, 14 und 15). Soweit die Revisionsbegründung Bedenken der Beklagten gegen die in der Entscheidung SozR 2200 § 581 Nr. 14 angenommene Tatbestandswirkung von Versorgungs-bescheiden in bezug auf § 581 Abs. 3 RVO enthält, kommt es darauf hier schon deshalb nicht an, weil alle in Betracht kommenden Bescheide die Beklagte erteilt hat. Die Bindung an ihre eigenen Bescheide muß sie aber gemäß § 77 des Sozialgerichtsgesetzes AGG) beachten. Bis zum 28. Februar 1983 mußte die Beklagte somit die von ihr nicht in Zweifel gezogene dauernde MdE des Klägers wegen des Beinbruchs um 10 vH und die nach ihrem auch für sie bindenden Bescheid vom 26. Oktober 1981 bestehende MdE des Klägers wegen des Meniskusschadens um 10 vH zusammenrechnen und ihm deshalb weiterhin die Rente wegen des Beinbruchs gewähren.
Gegen diese von der Bindungswirkung ihrer Bescheide ausgehende Betrachtungsweise wendet sich die Beklagte vergeblich mit dem Hinweis auf Wortlaut und Sinn des § 581 RVO. Der Wortlaut der Bestimmung stellt auf die Hundertsätze der MdE durch die einzelnen Arbeitsunfälle ab. Ob es sich dabei um die jeweils tatsächlich gegebenen oder aber um die von den - möglicherweise unterschiedlichen - zuständigen Versicherungsträgern jeweils bindend festgestellten Sätze handelt, ist dem Wortlaut nicht eindeutig zu entnehmen. Der Sinn der Regelung geht dahin, die durch ihre unfallbedingte MdE etwa gleichmäßig betroffenen Verletzten auch in der Rentenhöhe möglichst gleichmäßig zu behandeln. Die Verletzten, deren MdE aus mehreren bei einem Unfall erlittenen Körperschäden herrührt, sollen nicht besser behandelt werden, als Verletzte, deren MdE aus mehreren Unfällen mit mehreren Körperschäden herrührt. So wenig einem Verletzten, der bei einem Unfall einen Beinbruch und einen Meniskusschaden mit einer MdE um je 10 vH erlitten hat und dessen Gesamt-MdE 20 vH beträgt, die Rente wegen Besserung des Meniskusschadens vor Ablauf des Schutzjahres des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO entzogen werden kann, kann dies bei dem Verletzten der Fall sein, der mit gleicher MdE zunächst den Unfall des Beinbruchs und sodann - Jahre danach - den Meniskusschaden in Gestalt einer Berufskrankheit erlitten hat.
Wollte man mit der Beklagten in den Fällen des § 581 Abs. 3 RVO von der jeweils tatsächlich vorhandenen und nicht von der bindend festgestellten MdE ausgehen, würden die durch mehrere Unfälle Verletzten im Vergleich zu den durch einen Unfall in gleichem Ausmaß Verletzten ohne sachlichen Grund benachteiligt, indem ihnen das Schutzjahr des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO verweigert würde. Die Feststellung der MdE für die Unfallfolgen in getrennten Bescheiden ist jedenfalls kein sachlicher Grund dafür. Auch die Beklagte hat einen sachlich überzeugenden Grund nicht vorzubringen vermocht. Ihr Hinweis, die Entscheidung der Vorinstanzen führe wieder zu dem vor Einführung des § 581 Abs. 3 RVO bestehenden Rechtszustand zurück, nach dem auch Einzelrenten mit einer MdE unter 20 vH zu gewähren waren, richtet sich vielmehr gegen ihre eigene Verhaltensweise. Sie hat nämlich dazu geführt, daß dem Kläger bislang für die Zeit vom 1. September 1982 bis zum 28. Februar 1983 nur noch Rente nach einer MdE um 10 vH wegen des Meniskusschadens gewährt worden ist. Erst die Verurteilung der Beklagten, dem Kläger für die eben genannte Zeit auch wegen des Beinbruchs Rente nach einer MdE um 10 vH zu gewähren, erfüllt die Forderung des § 581 Abs. 3 RVO, Renten nur für eine Gesamt-MdE um mindestens 20 vH zu gewähren und dabei nur solche Arbeitsunfälle oder Berufskrankheiten zu berücksichtigen, bei denen eine MdE um mindestens 10 vH besteht.
Die Verurteilung der Beklagten durch die Vorinstanzen ist nach alledem bei Beachtung der bindenden Wirkung der MdE-Feststellung und bei Gleichbehandlung der nach § 581 Abs. 3 RVO zu beurteilenden und der übrigen Verletzten hinsichtlich des Schutzjahres des § 622 Abs. 2 Satz 2 RVO, zu Recht erfolgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen