Entscheidungsstichwort (Thema)
Satzungsmäßige Unternehmerversicherung. Höhe und Ermittlung des JAV. Festbetrag. Versicherungssumme. JAV unabhängig vom individuellen Einkommen. Berufsgenossenschaft. Beitragsberechnung nach fiktivem Einkommen
Orientierungssatz
1. Es steht dem Unfallversicherungsträger offen, als Jahresarbeitsverdienst für die Berechnung der Beiträge und der Geldleistungen für die satzungsmäßige Unternehmerversicherung (§ 543 RVO) einen nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit ermittelten, frei gegriffenen Festbetrag zu wählen, der vom individuellen Erwerbseinkommen des versicherten Unternehmers ganz unabhängig ist.
2. Die Pflicht zur Entrichtung eines von der Höhe des Einkommens unabhängigen - hier: für alle versicherten Unternehmer mit derselben Gefahrklasse grundsätzlich gleichen - Beitrags verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 GG). Auch eine Verletzung des Art 14 Abs 1 GG liegt nicht vor.
Normenkette
RVO § 543 Fassung: 1963-04-30, § 671 Nr 9 Fassung: 1963-04-30; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14 Abs 1; RVO § 725 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.05.1984; Aktenzeichen L 6 U 238/83) |
SG Hannover (Entscheidung vom 14.04.1983; Aktenzeichen S 13 U 361/80) |
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Kommanditgesellschaft (KG), die den Einzelhandel mit Drogeriewaren betreibt. Persönlich haftende Gesellschafterin der KG ist Frau C. H., Kommanditist ist ihr Ehemann G. H.. Die Beklagte hat die Versicherungspflicht auf die Unternehmer und die in den Unternehmen tätigen Ehegatten der Unternehmer erstreckt (§ 40 der Satzung). Für die Berechnung der Beiträge und der Geldleistungen gilt als Jahresarbeitsverdienst (JAV) für den Unternehmer und den Ehegatten der Betrag von je 24.000,-- DM (Versicherungssumme, - s § 41 Abs 1 der Satzung vom 22. Mai 1975 idF der Nachträge vom 22. November 1977 und 30. Juni 1978 -).
Im Beitragsbescheid vom 17. April 1980 für das Jahr 1979 legte die Beklagte eine Versicherungssumme für Unternehmer von 48.000,-- DM und ein Arbeitsentgelt "für Personal" von 9.430,-- DM zugrunde und setzte den Beitrag der Klägerin unter Berücksichtigung eines Nachlasses von 10 vH (§ 27 der Satzung) und Zurechnung eines Betrages von 4,20 DM als Anteil des Arbeitsentgelts nach dem Gesetz über Konkursausfallgeld auf insgesamt 287,90 DM fest; davon entfielen 237,10 DM auf die Unternehmerversicherung. Die Klägerin erhob Widerspruch und beantragte die Berechnung des Unternehmerbeitrags nach dem wirklichen - geringeren - Einkommen. Die Beklagte lehnte dies ab (Widerspruchsbescheid vom 11. November 1980).
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage abgewiesen, mit welcher die Klägerin beantragt hat, bei der Beitragsberechnung nur ihre tatsächlich erzielten Einkünfte, hilfsweise, ein Unternehmereinkommen von 24.000,-- DM zugrunde zu legen (Urteil vom 14. April 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 17. Mai 1984) und zur Begründung ua ausgeführt: Der Beitragsbescheid sei nicht zu beanstanden. Für pflichtversicherte Unternehmer und deren im Unternehmen tätige Ehegatten enthalte die Reichsversicherungsordnung (RVO) keine die Gestaltungsfreiheit der Unfallversicherungsträger einschränkende Regelung hinsichtlich der Bemessungsgrundlage für die Beitragserhebung. Die Festsetzung bestimmter Versicherungssummen sei nicht deshalb unwirksam, weil die Betroffenen Einkünfte in Höhe der festgesetzten Beträge nicht erzielten. Gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 des Grundgesetzes (GG) verstoße der Versicherungsträger insoweit nur, wenn die satzungsmäßige Regelung zu Beiträgen führe, welche die Versicherten - anders als hier - in ihren Vermögensverhältnissen grundlegend beeinträchtigen würden. Ein Verstoß gegen Art 3 GG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die Arbeitnehmer nicht beitragspflichtig zur Unfallversicherung seien. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet, weil außer Frau C. H. auch deren Ehemann nach § 3 des Gesellschaftsvertrages vom 8. Juli 1965 in vollem Umfang im Unternehmen arbeite.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt, mit der sie - nur noch - begehrt, der Beitragsberechnung für das Jahr 1979 die von den Gesellschaftern C. und G. H. in diesem Jahr tatsächlich erzielten Einkünfte (16.247,-- DM, s Feststellungsbescheid des Finanzamts Hannover-Nord vom 25. August 1980, Bl 20/21 SG-Akte) zugrunde zu legen. Sie rügt die Verletzung der §§ 671 Nr 9, 725 Abs 1 und 728 Abs 1 RVO, §§ 23 Abs 2 und 41 Abs 1 der Satzung der Beklagten sowie der Verfassungsgrundsätze der Gleichbehandlung (Art 3 GG), der Eigentumsgarantie (Art 14 GG) und der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit. Grundlage der Beitragsberechnung sei nach § 725 Abs 1 RVO ua das Entgelt der Versicherten, also auch dasjenige der satzungsmäßig versicherten Unternehmer. Die Beklagte habe ihre Satzungsautonomie willkürlich ausgeübt, indem sie bei der Festlegung eines fingierten JAV keine Ausnahmeregelung für den Fall getroffen habe, daß die Unternehmer überhaupt keinen oder - wie hier - einen wesentlich geringeren als den festgesetzten JAV erzielten. Soweit es darauf ankomme, ob die Belastung durch die Höhe des Beitrags einen unzumutbaren Eingriff in die Einkommensverhältnisse der Klägerin bedeute, hätte das LSG nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Feststellung treffen müssen, daß die im Bescheid des Finanzamts für das Jahr 1979 festgesetzten Einkünfte der Gesellschafter deren tatsächlich erzieltes Arbeitseinkommen iS des § 15 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) gewesen sei.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Mai 1984 aufzuheben, auf ihre Berufung das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 14. April 1983 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. April 1980 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1980 zu verurteilen, der Berechnung des Umlagebeitrages für 1979 die von den Gesellschaftern C. H. und G. H. im Jahre 1979 tatsächlich erzielten Einkünfte zugrunde zu legen, hilfsweise, das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Mai 1984 aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Der Beitragsbescheid (§ 746 RVO) der Beklagten für das Jahr 1979 vom 17. April 1980 idF des Widerspruchsbescheides vom 11. November 1980 ist entgegen der Auffassung der Klägerin hinsichtlich der Berechnung des Beitrages für die beiden Gesellschafter C. und G. H. als den bei der Klägerin gegen Arbeitsunfall versicherten Unternehmern rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, daß der Beitragsberechnung an Stelle der Versicherungssummen von je 24.000,-- DM die durch das Finanzamt Hannover-Nord (Bescheid vom 25. August 1980) für das Veranlagungsjahr 1979 auf 16.247,-- DM festgesetzten Einkünfte der Gesellschafter zugrunde gelegt werden.
Die Satzung des Trägers der Unfallversicherung kann nach § 543 Abs 1 RVO die Versicherung auf Unternehmer erstrecken, die nicht schon kraft Gesetzes versichert sind oder zu den - hier nicht in Betracht kommenden - in Halbsatz 2 der Vorschrift angeführten Personen gehören; das gleiche gilt für die im Unternehmen tätigen Ehegatten der auf Grund des Absatzes 1 versicherten Unternehmer (s § 543 Abs 2 RVO). Die Beklagte hat von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht und auch durch § 40 Abs 1 und 3 - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen (s § 40 Abs 2) - ihrer genehmigten Satzung vom 22. Mai 1975 - wie schon früher - die Versicherungspflicht auf die Unternehmer sowie die in den Unternehmen tätigen Ehegatten der Unternehmer erstreckt. Der Vorschrift des § 671 Nr 9 RVO entsprechend, nach welcher die Satzung ua über Höhe und Ermittlung des JAV der kraft Satzung versicherten Personen bestimmen muß, hat die Beklagte in § 41 Abs 1 der Satzung idF der Nachträge vom 22. November 1977 und 30. Juni 1978 festgelegt, daß für die Berechnung der Beiträge und der Geldleistungen als JAV für den Unternehmer und den Ehegatten - im hier maßgeblichen Zeitraum - der Betrag von je 24.000,-- DM (Versicherungssumme) gilt. Für die Berechnung der Beiträge tritt dementsprechend bei Unternehmern und ihren Ehegatten an die Stelle des tatsächlichen Entgelts (§ 23 Abs 2 Sätze 1 und 2 der Satzung) die Versicherungssumme (§ 23 Abs 2 Satz 3 der Satzung). Bei der Festsetzung des Umlagebeitrags für das Jahr 1979 im angefochtenen Bescheid hat die Beklagte die angeführten Satzungsbestimmungen angewendet und für die Unternehmerversicherung eine Versicherungssumme von 48.000,-- DM für zwei versicherte Personen zugrunde gelegt, so daß auf die beiden Versicherten unter Berücksichtigung eines Nachlasses von 10 vH (§ 27 Abs 5 der Satzung) ein Jahresbeitrag von insgesamt 237,10 DM entfällt. Die Revision behauptet nicht, die Beklagte habe die - insoweit im Wortlaut eindeutigen - Satzungsbestimmungen unrichtig angewendet. Sie macht auch - anders als noch in den Vorinstanzen - zutreffend nicht mehr geltend, die Beklagte hätte einen Unternehmerbeitrag nur von der Komplementärin C. H., nicht auch von dem Kommanditisten G. H. erheben dürfen (s BSG SozR Nr 33 zu § 539 RVO). Sie meint vielmehr, die Satzung verstoße insoweit gegen höherrangige Normen. Diese Auffassung trifft aber nicht zu.
Die Satzungsbestimmungen, auf die sich die Beitragsforderung der Beklagten stützt, sind autonome Rechtsnormen, die für die Mitglieder der Berufsgenossenschaft und für die Versicherten verbindlich sind und diesen gegenüber normativen Charakter haben (BSGE 27, 237, 240; 54, 243, 244; 55, 26, 27).
Bei einem Streit über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts, der auf Grund autonomer Normen des Unfallversicherungsträgers ergangen ist, haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit das von dem Versicherungsträger erlassene autonome Recht darauf zu prüfen, ob es mit dem Gesetz, auf dem die Berechtigung beruht und dessen Erfüllung es dient, und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist (vgl BSGE aaO). Allerdings ist den Trägern der Sozialversicherung innerhalb der ihnen gesetzlich erteilten Ermächtigung gewöhnlich ein großer Regelungsspielraum eingeräumt (s BVerfG SozR 2200 § 543 Nr 6; BSGE 54, 243, 245), der ausgefüllt, nicht jedoch überschritten werden darf.
Die Satzungsbestimmungen der Beklagten über die Unternehmerversicherung stehen entgegen der Auffassung der Revision mit höherrangigen Normen nicht in Widerspruch. § 725 Abs 1 RVO, wonach sich die Höhe der Beiträge grundsätzlich nach dem - tatsächlichen - Entgelt der Versicherten und nach dem Grade der Unfallgefahr richtet (s aber auch § 728 Abs 2 RVO - Entrichtung der Beiträge nach der Zahl der Versicherten statt nach Entgelten), gilt für die satzungsmäßige Unternehmerversicherung (§ 543 RVO) nicht. Vielmehr hat der Unfallversicherungsträger mit der Aufgabe, über Höhe und Ermittlung des JAV der satzungsmäßig versicherten Unternehmer durch Satzung zu bestimmen (§ 671 Nr 9 RVO), auch das Recht erhalten, auf diesem Wege in freier Gestaltung festzulegen, nach welchem JAV die Berechnung der Entschädigungsleistungen sowie der Beiträge zu erfolgen hat (BSGE 5, 222, 229, 230; 21, 148, 150). Wie der erkennende Senat (BSGE aaO) bereits ausgesprochen hat, steht es dem Unfallversicherungsträger hierbei offen, einen - wie hier - rein nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit ermittelten, frei gegriffenen Festbetrag zu wählen, der vom individuellen Erwerbseinkommen des versicherten Unternehmers ganz unabhängig ist (vgl auch § 41 des Musters einer Satzung für gewerbliche Berufsgenossenschaften, abgedruckt in Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, Anhang Nr 23). Bei der Festlegung einer Versicherungssumme von 24.000,-- DM ist die Beklagte weder willkürlich verfahren, noch hat sie gegen das Übermaßverbot verstoßen. Abgesehen von der Zweckmäßigkeit der Regelung ergibt sich dies schon aus der Orientierung am durchschnittlichen JAV aller Angestellten im Einzelhandel (25.025,-- DM im Jahre 1978, s BABl 1980, Heft 3 S 91). Daß die Einkünfte der Klägerin und ihres Ehegatten den in der Satzung bestimmten JAV - wie die Klägerin vorträgt - bei weitem nicht erreichen, zwingt nicht zu einer Ausnahmeregelung. Auch ein erhebliches Abweichen nach oben oder unten ist einem Festbetrag eigen. Vor allem ist der Festbetrag auch für die vom Einkommen abhängigen Leistungen der Beklagten maßgebend und bietet einen Mindestschutz bei Arbeitsunfällen (s BVerfG SozR 2200 § 543 Nr 6). Hinzu kommt, daß die tatsächliche Belastung der Klägerin und ihres Ehemannes für den Schutz gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten auch im Verhältnis zu dem von ihnen angeführten tatsächlichen Einkommen keine unvertretbare Härte bedeutet.
Die Pflicht zur Entrichtung eines von der Höhe des Einkommens unabhängigen - hier: für alle versicherten Unternehmer mit derselben Gefahrklasse grundsätzlich gleichen - Beitrags verstößt auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art 3 Abs 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat dies für die insoweit vergleichbaren Fälle nach dem Handwerkerversicherungsgesetz bereits mehrfach (BVerfGE 34, 62, 66; 52, 264, 274; SozR 5800 § 4 Nr 3) und nunmehr auch ausdrücklich für die Unternehmerversicherung der gesetzlichen Unfallversicherung ausgesprochen (BVerfG SozR 2200 § 543 Nr 6). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen, wie sie insbesondere die Sozialversicherung enthält, sind typisierende Regelungen allgemein als notwendig anerkannt und als verfassungsrechtlich unbedenklich behandelt worden (BVerfGE 17, 1, 23; BVerfG SozR aaO). Härten im Einzelfall sind bei solchen typisierenden Regelungen unvermeidbar und hinzunehmen (BVerfGE 13, 21, 29), vor allem wenn sich diese Härten - wie hier - bei einer Leistungsgewährung ausgleichen. Auch eine Verletzung des Art 14 Abs 1 GG liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt die Auferlegung von Zwangsbeiträgen jedenfalls in der hier strittigen Höhe keine Verletzung des Eigentums dar (BVerfGE 10, 354, 371; BVerfG SozR 5800 § 4 Nr 3).
Die Revision ist danach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen