Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht von Behinderten. Fiktion eines Beschäftigungsverhältnisses
Leitsatz (amtlich)
Unfallversicherungsrechtlich geschützt ist der in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte (§ 57 SchwbG) im Arbeitsbereich beschäftigte Behinderte auch bei der Durchführung arbeitsbegleitender Maßnahmen (§ 5 Abs 3 SchwbWV; hier: therapeutisches Reiten).
Orientierungssatz
Unter der Voraussetzung, daß die Beschäftigung körperlich, geistig oder seelisch Behinderter in anerkannten Werkstätten für Behinderte iS des § 1 Abs 2 SVBehindertenG stattfindet, fingiert § 3 Abs 1 S 2 SVBehindertenG ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis.
Normenkette
RVO § 539 Abs 1 Nr 1, § 539 Abs 2, § 548 Abs 1; SchwbG § 54; SchwbWV § 5 Abs 3; SVBehindertenG Art 1 § 1 Abs 1, § 1 Abs 2, § 3 Abs 1 S 2; SGB 5 § 5 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1988-12-20; SGB 5 § 5 Abs 1 Nr 7 Fassung: 1988-12-20; SGB 5 § 5 Abs 1 Nr 8 Fassung: 1988-12-20
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 28.04.1988; Aktenzeichen L 6 U 268/87) |
SG Osnabrück (Entscheidung vom 20.10.1987; Aktenzeichen S 4 U 270/85) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Unfall der Klägerin, den sie beim therapeutischen Reiten erlitten hatte, als Arbeitsunfall anzuerkennen ist und ihr entsprechende Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren sind.
Die im Jahre 1942 geborene Klägerin ist aufgrund eines frühkindlichen Hirnschadens geistig schwer behindert. Sie ist unter Gebrechlichkeitspflegschaft (§ 1910 Abs 2 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) gestellt. Die Klägerin verrichtete in der Werkstatt für Behinderte der "Kinderhilfe", Verein für heilpädagogische Hilfe e. V., in M. an wöchentlich fünf Arbeitstagen von 8.30 Uhr bis 15.40 Uhr verschiedene hauswirtschaftliche Tätigkeiten. Für sie wurden Sozialversicherungsbeiträge nach § 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter (SVBG) entrichtet. Während der üblichen Arbeitszeit wurde wöchentlich einmal ein therapeutisches Reiten durchgeführt, an dem Mitarbeiter des Arbeitsbereichs der Werkstatt, so ua die Klägerin, teilnahmen. Am 9. Februar 1984 um 9.30 Uhr stürzte die Klägerin beim therapeutischen Reiten vom Pferd. An Verletzungsfolgen wurden ärztlicherseits eine Versteifung des rechten Ellenbogengelenks in rechtwinkliger Beugestellung und mittlerer Auswärtsdrehung des rechten Unterarms festgestellt. Nach dem von der Beklagten eingeholten Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. H. vom 10. August 1984 wurde die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 30 vH geschätzt. Mit Bescheid vom 25. Februar 1985 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, da das therapeutische Reiten ausschließlich der Behandlung des Grundleidens gedient habe und deshalb unversichert gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20. Oktober 1987), da die Klägerin im Unfallzeitpunkt bereits völlig erwerbsunfähig gewesen sei. Nach dem vom SG eingeholten Sachverständigengutachten hatte der Facharzt für Chirurgie Dr. W. die unfallbedingte MdE auf 40 vH geschätzt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28. April 1988). Es hat im wesentlichen ausgeführt: § 2 Abs 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Viertes Buch (SGB IV)- erweitere die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht für den Personenkreis der Behinderten. Zwar fingiere § 2 Abs 2 Satz 1 SVBG ein Beschäftigungsverhältnis auch im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn eine behinderte Person - wie die Klägerin - gegen Entgelt in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringe, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspräche. Das therapeutische Reiten sei dem fingierten Beschäftigungsverhältnis jedoch nicht zuzurechnen. Dies selbst dann nicht, wenn es sich beim therapeutischen Reiten um eine geeignete arbeitsbegleitende Maßnahme iS des § 5 Abs 3 der Werkstätten-Verordnung (SchwbWV) gehandelt habe und zusätzlich unter Berücksichtigung der gutachtlichen Stellungnahme des Arztes Dr. B. davon auszugehen sei, daß die Teilnahme am therapeutischen Reiten im konkreten Fall zweckmäßig war, um günstig auf die Arbeitsfähigkeit der Klägerin einzuwirken. Ebensowenig seien die Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 17 RVO erfüllt. Der Gesetzgeber habe den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf therapeutische Maßnahmen für Schwerbehinderte ausgedehnt.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision macht die Klägerin geltend, Unfallversicherungsschutz gemäß § 539 Abs 1 Nr 1 RVO bestehe auch beim Betriebssport. Die insoweit nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Voraussetzungen seien erfüllt. Im übrigen enthalte § 539 Abs 1 Nr 17 RVO keine abschließende Regelung, so daß auch Unfallversicherungsschutz bei anderen Rehabilitationsmaßnahmen gegeben sei.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des SG sowie LSG und den Bescheid der Beklagten vom 25. Februar 1985 aufzuheben, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin wegen der Folgen des Arbeitsunfalles eine Verletztenrente in Höhe von 40 % der Vollrente seit dem 3. Juli 1984 zu gewähren und festzustellen, daß eine Versteifung des rechten Ellenbogengelenks in rechtwinkliger Beugestellung und mittlerer Auswärtsdrehung des rechten Unterarms, eine Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk und ausgedehnte Knochen- und Weichteilnarben am rechten Ellenbogengelenk Folge des Arbeitsunfalles vom 9. Februar 1984 sind.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt darüber hinaus vor, die Klägerin habe zum Träger der Werkstatt nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden. Ihre Arbeit habe nicht auf einer freien Willensentschließung beruht. Aufgrund der Behinderung sei eine Verständigung mit der Klägerin nicht möglich. Deshalb sei eine Gebrechlichkeitspflegschaft ohne ihre Zustimmung angeordnet worden. Auch die Voraussetzungen des § 539 Abs 2 RVO seien nicht erfüllt. Die Fiktion eines Beschäftigungsverhältnisses gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG gelte nur für die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, nicht aber für die Unfallversicherung. Ein Unfallversicherungsschutz habe auch nicht bei einer weiten Auslegung des § 540 RVO bestanden. Die Klägerin habe keine wirtschaftlich verwertbare Arbeit erbracht.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Entgegen der Annahme der Vorinstanzen sowie der Beklagten stand die Klägerin, als sie am 9. Februar 1984 beim therapeutischen Reiten verunglückte, unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Beklagte hat mithin den Arbeitsunfall zu entschädigen.
Nach § 548 Abs 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeit erleidet. Nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten versichert. Ein derartiges Beschäftigungsverhältnis als Anknüpfungspunkt der Sozialversicherung hat bei der Klägerin vorgelegen.
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung folgt, wie das LSG zutreffend anmerkt, zwar nicht unmittelbar aus § 2 Abs 2 Nr 2 SGB IV. Danach sind Behinderte, die in den geschützten Einrichtungen beschäftigt werden, "nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige versichert". Dieser Vorschrift kommt nur zusammenfassende und deklaratorische Bedeutung zu (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I/1, S 80p II; Hauck/Haines, SGB IV, § 2 Anm 1 und 6; Merten in GK-SGB IV, § 2 RdNr 114). Dies ist aus dem Wortlaut "nach Maßgabe der besonderen Vorschriften ..." wie auch aus der Entstehungsgeschichte abzuleiten. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf eines SGB IV (BT-Drucks 7/4122 S 30) sollte der versicherte Personenkreis nach § 2 SGB IV "nicht abschließend und im einzelnen geregelt" werden (zur Entstehungsgeschichte auch Brackmann aaO).
Der Unfallversicherungsschutz der Klägerin ist aus dem Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses abzuleiten. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Behinderte, die in einer Werkstatt für Behinderte arbeiten, im arbeitsrechtlichen Sinne Arbeitnehmer sind oder ihre Arbeitsleistung aufgrund eines "sozialen Beschäftigungsverhältnisses eigener Art" erbringen (vgl ua Baltzer/Jürgens, SGb 1981, 241, 246; Schulin, Soziale Sicherung der Behinderten, Bd 20 der Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes, S 49 f; Aretz, "Die Rechtsstellung der Behinderten in Werkstätten für Behinderte", Köln 1985, S 41 f mwN; Lachwitz, "Die Rechtsstellung behinderter Menschen in der Werkstatt für Behinderte" in Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen, Heft 1, Köln 1988, S 33 f und 35 f). Das Beschäftigungsverhältnis im Sinne der Sozialversicherung ist nicht mit dem Arbeitsvertrag im Sinne des Arbeitsrechts gleichzusetzen (Brackmann aaO Bd II S 470b mit zahlreichen Nachweisen aus Literatur und Rechtsprechung). Wesentlich für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses der Klägerin ist allein die Tatsache, daß die Klägerin als Behinderte in einer nach § 57 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anerkannten Werkstatt für Behinderte, worauf § 1 Abs 2 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 (BGBl I S 1061) verweist, beschäftigt war. Die Anerkennung als Werkstatt für Behinderte ist aus der Feststellung des LSG abzuleiten. Danach sind für die Klägerin Sozialversicherungsbeiträge nach § 1 Abs 1 SVBG geleistet worden. Voraussetzung hierfür ist, daß die Beschäftigung körperlich, geistig oder seelisch Behinderter in anerkannten Werkstätten für Behinderte iS des § 1 Abs 2 SVBG stattfindet. Bei diesen Begebenheiten fingiert § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis. Indem der Gesetzgeber nicht nur ein Beschäftigungsverhältnis, sondern sogar die Entgeltlichkeit unterstellt, vollzieht er damit die Gleichstellung mit sonstigen in der Krankenversicherung und Rentenversicherung versicherten Personen. Damit sind die Merkmale gegeben, an die sonst das Gesetz die Versicherungspflicht knüpft (s § 165 Abs 2 iVm § 165 Abs 1 Nrn 1 und 2 RVO aF; § 5 Abs 1 Nr 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - -SGB V-; ebenso § 1227 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RVO: BSGE 62, 149, 151 = SozR 5085 § 1 Nr 4). Für den Versicherungsschutz in der Unfallversicherung nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO reicht schon das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses aus; die Entgeltlichkeit des Beschäftigungsverhältnisses ist nicht Voraussetzung der Versicherung (BSG SozR 2200 § 539 Nr 68).
Aufgrund dieser Gesetzesfiktion bedarf es nicht der Prüfung (s BSGE 62, 149, 154 = SozR 5085 § 1 Nr 4; zum Recht vor Inkrafttreten des SVBG s BSGE 46, 244, 245 = SozR 4100 § 168 Nr 7), ob - wofür die vom LSG getroffenen Feststellungen allerdings sprechen - die Kriterien vorliegen, die üblicherweise kennzeichnend für ein sozialversicherungsrechtlich relevantes Beschäftigungsverhältnis sind, so etwa die unselbständige Arbeitsleistung in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs 1 SGB IV), die persönliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht, die Weisungsgebundenheit oder die Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers (vgl BSGE 46, 244, 248; Brackmann aaO Bd II S 469g/h und 470a mwN). Durch das SVBG wurde für den Versicherungsschutz eine Differenzierung zwischen solchen in der Werkstatt für Behinderte tätigen Behinderten, die in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist, überflüssig (BSGE 46, 244, 248). Dem entspricht nunmehr § 5 Abs 1 Nrn 1, 7 und 8 SGB V. Zwar erstreckt sich die Fiktion des Beschäftigungsverhältnisses iS des § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG nicht ausdrücklich auf die Unfallversicherung. Das SVBG in der hier maßgebenden Fassung bis zum 31. Dezember 1988 (s Erl 10 des Gesundheits-Reformgesetzes -GRG- vom 20. Dezember 1988 - BGBl I S 2477) war seinem Wortlaut nach nur für die Versicherung behinderter Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung konzipiert. Einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung für die gesetzliche Unfallversicherung bedurfte es jedoch, wie schon in der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf zutreffend ausgeführt ist (BT-Drucks 7/1992 S 2; Urteil des Senats vom 28. Juni 1988 - 2 RU 14/87 -; Merten in GK-SGB IV § 2 RdNr 151), für die in geschützten Einrichtungen lernenden und beschäftigten behinderten Personen nicht, da Unfallversicherungsschutz bereits nach Maßgabe der besonderen Vorschriften über die Unfallversicherung (s § 539 Abs 1 Nr 1 und Abs 2 RVO) als gegeben angenommen wurde. Es wäre mit dem Gesetzeszweck unvereinbar, bei Behinderten nur deswegen ein Beschäftigungsverhältnis zu fingieren, um sie in der gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung einzubinden (für die Krankenversicherung vgl BSGE 48, 283, 284 = SozR 2200 § 182 Nr 50 und nunmehr § 5 Abs 1 Nrn 1, 7 und 8 SGB V), sie andererseits aber nicht zugleich aufgrund dieser Fiktion am Schutze der gesetzlichen Unfallversicherung teilhaben zu lassen. Dies würde gegen das Eingliederungsprinzip des SchwbG verstoßen, wie es bereits in seiner Überschrift "Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Behinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft" deutlich zum Ausdruck kommt. Das SchwbG erfaßt alle Behinderten, so auch diejenigen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Ihnen bietet die Werkstatt für Behinderte einen Arbeitsplatz oder Gelegenheit zur Ausübung einer geeigneten Tätigkeit (s § 54 Abs 1 SchwbG idF vom 26. August 1986 - BGBl I S 1421; früher § 52 SchwbG). Um diesem Personenkreis eine Gleichstellung mit unselbständig Beschäftigten, die nicht iS des § 54 SchwbG behindert sind, zu gewährleisten, ist gerade das SVBG geschaffen worden. Es wäre von daher unverständlich, wenn sich die sozialversicherungsrechtliche Gleichstellung der Behinderten nur auf den Bereich der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, nicht aber auch auf die Unfallversicherung erstrecken sollte. Folglich bezieht § 539 Abs 1 Nr 1 RVO in Verbindung mit § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG auch die in Werkstätten für Behinderte Beschäftigten, jedenfalls soweit sie im Arbeitsbereich tätig sind (s BSGE 62, 149, 151), in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung mit ein. Dies entspricht nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz -GRG-) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) den Regelungen in § 5 Abs 1 Nrn 1, 7 und 8 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V).
Die Werkstatt für Behinderte soll allen Behinderten unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung offen stehen, sofern sie in der Lage sind, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen (§ 54 Abs 3 SchwbG). Demzufolge werden nach § 3 der Dritten Verordnung zur Durchführung des SchwbG vom 13. August 1980 (BGBl I 1365 - SchwbWV -) im Eingangsverfahren Feststellungen getroffen, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Eingliederung des Behinderten ist. Sodann werden nach § 4 der SchwbWV im sog Zweiten Abschnitt, dem Arbeitstrainingsbereich, die Behinderten so gefördert, daß sie dann im Dritten Abschnitt, dem Arbeitsbereich nach § 5 der SchwbWV, in die Lage versetzt werden, wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung zu erbringen. Nach den Feststellungen des LSG war die Klägerin im Arbeitsbereich tätig und verrichtete die vom LSG festgestellten Tätigkeiten. Demzufolge ist davon auszugehen, zumal entgegenstehende Feststellungen nicht getroffen sind, daß die Arbeitsleistung der Klägerin den gesetzlichen Anforderungen des § 54 Abs 3 SchwbG entsprochen hatte. Nur dann ist, wie seitens des LSG festgestellt, eine Versicherung nach § 1 Abs 1 SVBG überhaupt möglich. Im Unterschied hierzu, und dies wird seitens des LSG verkannt, wird nach § 2 Abs 2 iVm § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis nur dann fingiert, wenn Behinderte, die in anderen Einrichtungen iS des § 2 Abs 1 SVBG aufgenommen sind, eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbstätigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht (zur Entstehungsgeschichte des SVBG und seiner sozialrechtlichen Bedeutung im einzelnen: BSGE 62, 149 = SozR 5085 § 1 Nr 4). Diese Vorschrift findet auf die Klägerin keine Anwendung, weil sie in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte zum Unfallzeitpunkt tätig war.
Entgegen der Meinung der Beklagten ist die Versicherungspflicht nach § 1 SVBG nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft. Vielmehr trägt das SVBG und im Einklang damit das SchwbG den besonderen Bedürfnissen der diesen gesetzlichen Vorschriften unterfallenden Behinderten Rechnung und läßt ein gesetzlich fingiertes Beschäftigungsverhältnis genügen. Demgemäß erfordert die Versicherungspflicht nach dem SVBG auch nicht den - vom LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht ermittelten - Abschluß eines Vertrages zwischen dem Träger der Werkstatt und den Behinderten. Vielmehr ist die Werkstatt nach § 13 Abs 1 SchwbWV nur verpflichtet, den Abschluß eines schriftlichen Vertrages anzubieten. Diese Verpflichtung sollte nur auf das rechtlich Mögliche beschränkt werden. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, daß eine große Zahl von Behinderten entmündigt oder unter Gebrechlichkeitspflegschaft gestellt werden, nur weil sie in der Werkstatt für Behinderte oder in ähnlichen Institutionen Aufnahme gefunden haben (Cramer, Die neue Werkstattverordnung, 1980, § 13 RdNr 1). Unabhängig davon, ob diejenigen Behinderten, die mit der Werkstatt keinen Vertrag abgeschlossen haben, in einem besonderen Rechtsverhältnis eigener Art zu der Werkstatt stehen, für das es ein besonderes Recht derzeit (noch) nicht gibt (Cramer aaO § 13 RdNr 3), ist allein die Fiktion des Bestehens eines Beschäftigungsverhältnisses nach § 3 Abs 1 Satz 2 SVBG für das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung entscheidend. Aufgrund dessen ist es rechtlich nicht, wie die Beklagte meint, von Bedeutung, daß die Gebrechlichkeitspflegschaft ohne Einwilligung der Klägerin angeordnet worden sein soll, weil eine Verständigung mit ihr nicht möglich ist (§ 1910 Abs 3 BGB).
Der Unfall während des therapeutischen Reitens ist auch bei der Beschäftigung der Klägerin geschehen. § 54 SchwbG wird von der Zielvorstellung des Gesetzgebers beherrscht, zwei voneinander abweichende Konzeptionen der Werkstatt für Behinderte - die eine mehr arbeitsmarkt-, leistungs- und produktionsorientiert, die andere mehr auf Beschäftigungs- und Arbeitstherapie, auf Betreuung und soziale Eingliederung ausgerichtet - zu einer einzigen einheitlichen Konzeption zu vereinigen (Jung/Cramer, SchwbG, 3. Aufl, § 54 RdNr 4). Um dies verwirklichen zu können, sind zur Erhaltung und Erhöhung der im Arbeitstrainingsbereich erworbenen Leistungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit arbeitsbegleitend geeignete Maßnahmen im Arbeitsbereich durchzuführen (s § 5 Abs 3 SchwbWV). Das therapeutische Reiten entspricht diesen Erfordernissen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war das therapeutische Reiten zweckmäßig, um günstig auf die Arbeitsfähigkeit der Klägerin einzuwirken. Diese auf Entwicklung und Steigerung der Arbeitsleistungsfähigkeit ausgerichteten arbeitsbegleitenden Maßnahme (Cramer aaO § 5 RdNr 16) steht in einem engen Bezug zur Beschäftigung der Klägerin. Zwischen der versicherten Tätigkeit und dem therapeutischen Reiten ist mithin ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang (Brackmann aaO Bd II S 480n II) gegeben. Diese innere Verknüpfung mit der versicherten Tätigkeit ist zusätzlich auch daraus abzuleiten, daß die für Behinderte in § 6 Abs 1 Satz 1 SchwbWV festgelegten Mindest- und Höchststundenzahlen (35 und 40) nach Satz 2 dieser Vorschrift ua auch Maßnahmen iS des § 5 Abs 3 SchwbWV umfaßt. Das therapeutische Reiten war nach alldem als arbeitsbegleitende Maßnahme Bestandteil der versicherten Tätigkeit und stand damit nicht nur in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang, der für den Unfallversicherungsschutz nicht ausreicht (Brackmann aaO Bd II S 480n II). Demzufolge ist der Unfall der Klägerin entgegen ihrer Ansicht auch nicht nach den Grundsätzen des Versicherungsschutzes beim Betriebssport zu beurteilen. Das therapeutische Reiten diente nicht dem Ausgleich gegenüber der versicherten Tätigkeit, sondern ist selbst - wie ausgeführt - als versicherte Tätigkeit zu werten (Brackmann aaO Bd II S 483d mwN).
Dem Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung steht die vom SG angenommene Erwerbsunfähigkeit der Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht entgegen. Richtig ist, daß gemäß § 581 Abs 1 RVO Verletztenrente gezahlt wird, solange der Verletzte "infolge des Arbeitsunfalles" seine Erwerbsfähigkeit verloren hat (§ 581 Abs 1 Nr 1 RVO) oder diese um wenigstens ein Fünftel gemindert ist (§ 581 Abs 1 Nr 2 RVO). Daraus ist zu folgern, daß ein Anspruch auf Verletztenrente nicht besteht, wenn die versicherte Person im Unfallzeitpunkt bereits aus unfallunabhängigen Gründen dauernd völlig erwerbsunfähig war (Brackmann aaO Bd III S 568d mwN). § 561 RVO in der vor dem 1. Juli 1963 geltenden Fassung regelte dies ausdrücklich. Die Streichung dieser Vorschrift durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 (BGBl I S 241) bewirkte nach Rechtsprechung und Schrifttum keine Rechtsänderung (Brackmann aaO). Völlige Erwerbsunfähigkeit in diesem Sinne ist demnach weiterhin nicht mit dem Begriff der Erwerbsunfähigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung gleichzusetzen (BSGE 17, 160, 162 = SozR Nr 2 zu § 561 RVO). Eine den Verletztenanspruch ausschließende völlige Erwerbsunfähigkeit liegt vielmehr nur dann vor, wenn die verletzte Person vor dem Unfall überhaupt nicht imstande war, noch einen nennenswerten Verdienst zu erzielen. Davon ist nicht auszugehen, wenn der Versicherte diese Fähigkeit aufgrund besonderer Schutzgesetze, hier des SchwbG, besitzt (Brackmann aaO Bd III S 568f). So war es bei der Klägerin. Sie erbrachte in der Werkstatt für Behinderte - wie ausgeführt - eine wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistung (s § 54 Abs 3 SchwbG).
Da die Klägerin beim therapeutischen Reiten nach § 539 Abs 1 Nr 1 iVm § 548 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand, war nicht zu prüfen, ob der vom LSG angeführte § 539 Abs 1 Nr 17 Buchst b RVO Anwendung findet. Die Versicherung nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO geht der Versicherung nach der vorgenannten Vorschrift vor (Brackmann aaO, Bd II S 475d).
Nachdem der Anspruch der Klägerin begründet ist, war dem Grunde nach zu entscheiden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG iVm § 130 SGG). Dabei geht der Senat einerseits auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG davon aus, daß zumindest ein Anspruch der Klägerin auf eine Mindestgeldleistung vorhanden ist (BSG SozR Nr 3 zu § 130 SGG); andererseits hat das LSG aufgrund seiner Rechtsauffassung nicht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für eine Entscheidung über die Unfallfolgen und die Höhe der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit getroffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen