Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Juli 1973 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin die Neufeststellung des Altersruhegeldes ihres verstorbenen Ehemannes (Versicherten) beanspruchen kann.
Der 1970 verstorbene Versicherte ist nach den Eintragungen in seinen Versicherungskarten früher als „Ackerknecht”, „Knecht” und „Gehilfe” beschäftigt gewesen. Er beantwortete in seinem Rentenantrag die Frage, für welche Zeit er neben Barbezügen freien Unterhalt erhalten habe, mit dem maschinenschriftlichen Vermerk „nicht zutreffend”. Bei der Rentenberechnung unterblieb deshalb eine Beitragsklassenvergünstigung nach Art. 2 § 55 Abs. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG). Einige Monate vor seinem Tod sprach der Versicherte beim Versicherungsamt seines Wohnortes vor; er behauptete, früher als Knecht Sachbezüge erhalten zu haben. Unterlagen legte er nicht vor. Auch stellte er keinen Antrag, seine Rente neu zu berechnen. Nach dem Tod des Versicherten wies die Klägerin nach, daß der Versicherte entgegen seinen ursprünglichen Angaben doch Sachbezüge erhalten hatte. Die Beklagte berücksichtigte deshalb bei der Berechnung der Witwenrente höhere Beitragsklassen. Eine Neufeststellung des Altersruhegeldes lehnte die Beklagte indessen ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg durch Urteil vom 14. März 1973 abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen durch Urteil vom 17. Juli 1973 die Beklagte verurteilt, das Altersruhegeld des Versicherten unter Berücksichtigung höherer Beitragsklassen neu festzustellen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat es dazu ausgeführt: Die Beklagte sei unabhängig davon, ob der Versicherte bereits einen Antrag gestellt habe, zur Neufeststellung des Altersruhegeldes verpflichtet. Das Rentenverfahren sei bereits durch den Rentenantrag eingeleitet worden und werde durch ein Verfahren nach § 1300 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nur fortgesetzt. Deshalb sei eine zu niedrig festgestellte Rente als teilweise nicht ausgezahlt i. S. des § 1288 Abs. 1 RVO zu behandeln. Auch in der gesetzlichen Unfallversicherung stehe der Tod des Berechtigten einer zugunsten der Rechtsnachfolger vorzunehmenden Neufeststellung nicht entgegen. Ebenso könne ein Sonderrechtsnachfolger das Verfahren nach § 1744 RVO beantragen. Schließlich sei der Anspruch auch nach § 1288 Abs. 2 RVO begründet. Die Vorsprache des Versicherten bei dem Versicherungsamt, seine durch die Versicherungsunterlagen belegten Beschäftigungen als „Ackerknecht”, „Knecht” und „Gehilfe” und seine damals entrichteten niedrigen Beiträge hätten auf eine zu niedrige Feststellung der Rente hingedeutet und weitere Ermittlungen erforderlich gemacht. Seine Vorsprache bei dem Versicherungsamt sei als Einleitung des Neufeststellungsverfahrens anzusehen.
Mit der – zugelassenen – Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 1288 RVO. Sie führt dazu aus: Sie habe zu Lebzeiten des Versicherten keine Veranlassung gehabt, die Rentenhöhe zu überprüfen. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 627 RVO (= § 619 RVO aF) – Hinweis auf BSG SozR Nr. 3 zu § 619 RVO aF – könne hier nicht herangezogen werden. Es bestehe im übrigen auch kein Bedürfnis, die großzügige Regelung des § 1300 RVO den Rechtsnachfolgern zugute kommen zu lassen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Nach § 1300 RVO hat der Rentenversicherungsträger eine Leistung neu festzustellen, wenn er sich überzeugt, daß sie zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt oder zu niedrig festgestellt worden ist. Nach den unangefochtenen und damit für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG ist das Altersruhegeld des Versicherten vor seinem Tod zu niedrig festgestellt werden. Das Berufungsgericht hat mit Recht ausgeführt, daß die Klägerin gemäß § 1288 RVO als Ehegatte des Versicherten berechtigt ist, von der Beklagten die Neufeststellung des Altersruhegeldes zu verlangen. Nach § 1288 Abs. 2 RVO ist nämlich der Ehegatte, der mit dem Berechtigten zur Zeit des Todes in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat oder von ihm wesentlich unterhalten worden ist, „zur Fortsetzung des Verfahrens und zum Bezug der bis zum Todestag fälligen Beträge” berechtigt, wenn der Versicherte vor seinem Tod „seinen Anspruch erhoben hatte”. Es kann hier dahinstehen, ob der Auffassung des LSG zuzustimmen ist, daß das Verfahren nach § 1300 RVO bereits als eingeleitet anzusehen ist, wenn dem Versicherungsamt – oder dem Versicherungsträger – schon zu Lebzeiten des Versicherten konkrete Anhaltspunkte dafür bekannt sind, daß das Altersruhegeld unrichtig festgestellt und eine Überprüfung – ggf. aufgrund weiterer Ermittlungen – geboten ist. Auch wenn man dieser Auffassung nicht beitritt, obwohl die Berufsbezeichnungen und die niedrigen Beiträge in den Versicherungskarten die Beklagte hätten veranlassen müssen, von Amts wegen weiter nachzuforschen, ob nicht doch wegen geleisteter Sachbezüge das Altersruhegeld zu niedrig festgestellt worden war, sind dennoch die Voraussetzungen des § 1288 Abs. 2 RVO vom LSG mit Recht als erfüllt angesehen worden.
Das Neufeststellungsverfahren nach § 1300 RVO ist nämlich lediglich die Fortsetzung des ursprünglichen Rentenverfahrens, das von dem Versicherten selbst schon mit seinem Rentenantrag eingeleitet worden ist und mit dem der Versicherte die Gewährung der dann zunächst zu niedrig festgestellten Rente bereits begehrt hat (so auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Band III S. 728 m). Das Neufeststellungsverfahren kann deshalb nach dem Tode des Versicherten von seinen in § 1288 Abs. 2 RVO genannten Sonderrechtsnachfolgern, also auch von der Klägerin, betrieben werden.
Soweit der erkennende Senat in früheren Entscheidungen eine andere Rechtsauffassung vertreten hat (BSG SozR Nr. 6 und 13 zu § 1288 RVO), wird daran nicht festgehalten. Der Senat schließt sich vielmehr der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG im Urteil vom 13. Mai 1966 (SozR Nr. 3 zu § 619 RVO aF) an. Dort ist zutreffend darauf hingewiesen worden, daß durch die mit § 1300 RVO übereinstimmende Vorschrift in der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 619 RVO aF = § 627 RVO) ebenfalls kein neuer materieller Anspruch begründet, sondern nur die Weiterverfolgung eines bereits früher erhobenen und zu Unrecht abgelehnten Anspruchs ermöglicht wird. Insoweit besteht auch eine wesentliche Ähnlichkeit mit dem Wiederaufnahmeverfahren nach § 1744 RVO. Hierzu ist aber bereits früher vom BSG (BSGE 6, 283) entschieden worden, daß nach dem Tod des Versicherten auch der Sonderrechtsnachfolger die neue Prüfung eines Rentenantrags gegenüber einem bindenden Bescheid beantragen kann. In Übereinstimmung mit dem 5. Senat des BSG (aaO) sieht der erkennende Senat keine stichhaltigen Gründe dafür, diese Möglichkeit bei dem Überprüfungsverfahren zugunsten des Berechtigten nach § 1300 RVO auszuschließen. Damit ist aber das LSG zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin im vorliegenden Fall nur ein Verfahren über einen schon vom Versicherten erhobenen Anspruch fortgesetzt hat, zu dem sie nach § 1288 Abs. 2 RVO berechtigt war.
Nach allem ist somit die Revision der Beklagten unbegründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Heußner, Dr. Friederichs, Dr. Reinhold
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 24.01.1975 durch Schuppelius RegHauptsekretär als Urk.Beamter d.Gesch.Stelle
Fundstellen
Haufe-Index 707678 |
BSGE, 211 |