Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. November 1994 und des Sozialgerichts Mainz vom 10. November 1993 sowie der Bescheid des Beklagten vom 5. April 1993 aufgehoben.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig sind Honorarkürzungen im Primärkassenbereich wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise.
Der Kläger ist als Internist mit der Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” niedergelassen und zur Versorgung der Versicherten der Primärkassen zugelassen. In den Ouartalen lV/88 bis III/89 überschritt er beim Gesamtfallwert den Durchschnittsfallwert der Fachgruppe der Internisten um 23 %, 32 %, 23 % und 30 %. Bei den Sonderleistungen betrugen die Überschreitungen 75 %, 108 %, 81 % und 78 % und bei den physikalisch-medizinischen Leistungen 348 %, 322 %, 378 % und 299 %. Der Prüfungsausschuß kürzte die Honoraranforderungen bei den Sonderleistungen für lV/88 um 15 %, für I/89 um 20 %, für II/89 und III/89 um jeweils 10 % und bei den physikalisch-medizinischen Leistungen für lV/88 und I/89 um je 25 %, für II/89 um 30 % und für III/89 um 20 %. Der beklagte Beschwerdeausschuß wies die Widersprüche des Klägers zurück (Beschluß vom 28. Oktober 1992, Bescheid vom 5. April 1993).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 10. November 1993; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 24. November 1994). Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Honorarkürzungen seien zu Recht erfolgt. Die Behandlungsweise des Klägers sei unwirtschaftlich. Dies hätten insbesondere die von dem Beklagten vorgenommenen Berechnungen bestätigt, bei denen der Kläger mit der Fachgruppe der lnternisten, der Gruppe der Internisten mit der Zusatzbezeichnung „Sportmedizin” sowie wegen bestimmter Leistungen jeweils mit den Durchschnittswerten der Fachgruppe, für die diese Leistungen typisch sei, verglichen worden sei. Bei allen Vergleichsbetrachtungen hätten sich erhebliche Überschreitungen der Durchschnittswerte ergeben, aufgrund derer eine unwirtschaftliche Behandlungsweise des Klägers bewiesen sei. Diese Unwirtschaftlichkeit werde schließlich durch den vom Gericht angeregten Selbstvergleich der Honoraranforderungen des Klägers mit Folgequartalen bestätigt.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger zunächst einen Verstoß gegen § 35 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Zwischen dem Beschluß des Beklagten und dem Erlaß des Bescheides lägen mehr als fünf Monate. Im Anschluß an die höchstrichterliche Rechtsprechung habe sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, daß die Fünf-Monats-Frist auch für die schriftliche Absetzung von Bescheiden der Beschwerdeausschüsse in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren gelte. Schon aus diesem Grund sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig und aufzuheben. Im übrigen werde der Bescheid auch nicht den Anforderungen gerecht, die im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu stellen seien.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. November 1994 und des Sozialgerichts Mainz vom 10. November 1993 sowie den Bescheid des Beklagten vom 5. April 1993 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er legt dar, daß nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) für die Absetzung der Bescheide des Beschwerdeausschusses in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren die Frist von einem Jahr gelte (Hinweis auf Urteil des BSG vom 21. April 1993 – 14a RKa 5/92). Eine Fünf-Monats-Frist finde danach keine Anwendung. In der Sache sei der angefochtene Bescheid rechtmäßig.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die übrigen Beteiligten haben sich im Verfahren nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Vorinstanzen hätten den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufheben müssen.
Der Senat kann eine Sachentscheidung treffen, obwohl die nach § 75 Abs 2 Regelung 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verfahren über Wirtschaftlichkeitsprüfungen im Primärkassenbereich notwendige Beiladung der im Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zuständigen Landwirtschaftlichen Krankenkasse unterblieben ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats steht das Unterlassen einer notwendigen Beiladung einer Sachentscheidung des Revisionsgerichts nicht entgegen, wenn diese aufgrund der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz möglich ist, den an sich Beizuladenden weder materiell noch verfahrensrechtlich benachteiligt und eine andere Entscheidung in der Sache nicht ergehen kann (vgl BSGE 69,138,140 = SozR 3-2500 § 106 Nr 6). So liegt der Fall hier.
Der Bescheid des Beschwerdeausschusses ist rechtswidrig, weil er auf Grund des Zeitraums von mehr als fünf Monaten zwischen Beschlußfassung und Absetzung des schriftlichen Bescheides entgegen § 35 Abs 1 SGB X nicht mit Gründen versehen ist. Das ergibt sich aus folgendem:
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 21. April 1993 – 14a RKa 11/92 – ≪BSGE 72, 214 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5≫ und – 14a RKa 5/92 – ≪nicht veröffentlicht≫) war ein Bescheid des Beschwerdeausschusses in der kassen- bzw vertrags(zahn)ärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht mit Gründen versehen und deshalb wegen eines Verstoßes gegen § 35 Abs 1 SGB X rechtswidrig, wenn zwischen Beschlußfassung und Zustellung des schriftlichen Bescheides ein Jahr oder mehr vergangen war. Das BSG hatte insoweit die – frühere – Rechtsprechung mehrerer oberster Gerichtshöfe des Bundes, nach der ein Urteil nicht mit Gründen versehen war, wenn zwischen seinem Erlaß und seiner Zustellung ein Jahr oder mehr vergangen war, auf die Absetzung von Bescheiden des Beschwerdeausschusses im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung übertragen. Zur Begründung hat das BSG in den genannten Entscheidungen darauf hingewiesen, es sei ein wesentliches Merkmal der kassen- bzw vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der Methode des statistischen Vergleichs, daß den Prüfgremien Beurteilungs- und Ermessensspielräume eingeräumt seien. Wegen der deshalb nur eingeschränkt möglichen gerichtlichen Überprüfung dieser Bescheide seien, ausgehend von den Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen (§ 35 Abs 1 Satz 3 SGB X), an die Begründung der die Wirtschaftlichkeitsprüfung abschließenden Entscheidung der Beschwerdeinstanz besondere Anforderungen zu stellen. Aus ihnen ergäben sich auch zeitliche Grenzen für die Abfassung und Zustellung von Bescheiden des Beschwerdeausschusses. Die auf den Inhalt der Begründung konzentrierte gerichtliche Überprüfung setze voraus, daß die dem Bescheid beigefügte Begründung mit dem Inhalt des von den Mitgliedern des Beschwerdeausschusses kollegial gefaßten Beschlusses übereinstimme. Dem Bescheid komme ebenso wie dem gerichtlichen Urteil in besonderer Weise eine Beurkundungsfunktion zu. Die Begründung eines Bescheides, die keine Gewähr dafür biete, daß sie das Abstimmungsergebnis im Beschwerdeausschuß und die hierfür maßgebenden Gründe verläßlich wiedergebe, sei für eine gerichtliche Überprüfung untauglich. Eine erhebliche zeitliche Verzögerung bei der Bescheidabfassung begründe Zweifel an das Erinnerungsvermögen derjenigen, die den Bescheid abgefaßt hätten. Deshalb sei die Übertragung der für die Absetzung von Urteilen geltenden Frist geboten. Dem stünden Besonderheiten des Verwaltungsverfahrens nicht entgegen, weil hier – anders als sonst üblich – Kollegialorgane mit quasijustitiellen Funktionen Verwaltungsentscheidungen träfen (BSGE 72, 214, 216 ff = SozR 3-1300 § 35 Nr 5).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Er führt sie in Anknüpfung an die danach ergangene Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Beschluß vom 27. April 1993 – BVerwGE 92, 367 = SozR 3-1750 § 551 Nr 4) dahin fort, daß ein Bescheid des Beschwerdeausschusses im Rahmen der kassen- bzw vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung dann nicht mit Gründen iS des § 35 Abs 1 SGB X versehen ist, wenn zwischen Beschlußfassung und Aufgabe des Bescheides zur Post zum Zwecke der Zustellung an die Beteiligten mehr als fünf Monate vergangen sind. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in dem genannten Beschluß entschieden, daß die Zeit für die nachträgliche Abfassung, Unterzeichnung und Übergabe eines bei Verkündung noch nicht vollständig abgesetzten Urteils auf längstens fünf Monate zu begrenzen ist. Aus der Regelung in den §§ 516, 552 Zivilprozeßordnung ergebe sich, daß nach Auffassung des Gesetzgebers die den Urteilsgründen zukommende Beurkundungsfunktion bei einer um mehr als fünf Monate verzögerten Absetzung nicht mehr in jedem Fall gewährleistet sei. Ein Urteil, bei dem Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht innerhalb der Fünf-Monats-Frist schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden seien, müsse deshalb so behandelt werden, als ob es nicht mit Gründen versehen sei. Dieser Rechtsprechung hat sich das BSG in mehreren Urteilen angeschlossen (vgl Urteil vom 14. September 1994 – 3/1 RK 36/93 – ≪BSGE 75, 74, 75 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12, mwN). Nachdem sich an den Gründen für die Übertragung der für die Urteilsabsetzung geltenden Grundsätze auf die Abfassung von Beschlüssen der Beschwerdeausschüsse und Beschwerdekommissionen im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nichts geändert hat, ist es geboten, aus Gründen der Rechtsvereinheitlichung und Rechtsklarheit nunmehr auch insoweit eine Frist von fünf Monaten anstelle der bisherigen Jahresfrist vorzusehen. Wird diese Frist zwischen der Beschlußfassung des Beschwerdeausschusses bzw der Beschwerdekommission und der Aufgabe des schriftlich ausgefertigten Bescheides zur Post zum Zwecke der Zustellung überschritten, ist der Bescheid nicht ordnungsgemäß begründet und damit rechtswidrig. Er kann dann auch nicht unter Berufung auf § 42 Satz 1 SGB X aufrechterhalten werden, weil im Hinblick auf die den Prüfgremien bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielräume die Möglichkeit einer abweichenden Sachentscheidung nicht auszuschließen ist.
Der angefochtene Bescheid ist nicht innerhalb einer Fünf-Monats-Frist seit der Beschlußfassung zur Post gegeben worden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beschwerdeausschuß den Beschluß am 28. Oktober 1992 getroffen. Der Bescheid ist aber erst unter dem Datum vom 5. April 1993 ausgefertigt und frühestens zu diesem Zeitpunkt zur Post gegeben worden. Der wegen Fehlens einer Begründung rechtswidrige Bescheid des Beklagten und die ihn bestätigenden Urteile der Vorinstanzen waren aufzuheben. Der Beklagte wird erneut über die Widersprüche des Klägers zu befinden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen