Beteiligte
…, Klägerin und Revisionsklägerin |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der beklagte Freistaat die von der Bundeswehrverwaltung bei der Gewährung von Ausgleich zugrunde gelegte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Versorgung des Beschädigten nach dessen Ausscheiden aus der Bundeswehr zu übernehmen hat oder ob er berechtigt ist, die MdE hierfür niedriger festzustellen.
Der am 9. Oktober 1934 geborene und am 7. Juni 1994 verstorbene Ehemann der Klägerin (B) war seit 1956 Berufssoldat der Bundeswehr. 1964 erlitt er auf einer Dienstfahrt mit dem Pkw einen Unfall. Für die Folgen der dabei erlittenen Wehrdienstbeschädigungen gewährte das zuständige Wehrbereichsgebührnisamt ab November 1966 Ausgleich iS des § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) nach einer MdE um 40 vH. Mit Bescheid vom 3. Oktober 1969 erhöhte die Bundeswehrverwaltung wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen (Funktionsstörung des linken Hüftgelenks, Schwäche der Gesäß- und Oberschenkelmuskulatur bei posttraumatischer Hüftkopfnekrose mit entsprechender Gelenkarthrose) die MdE ab 1. Juni 1969 auf 50 vH. In entsprechender Höhe bezog B Ausgleich bis zu seinem Ausscheiden aus der Bundeswehr (31. März 1988). Mit Bescheid vom 30. Mai 1988 gewährte der Beklagte ab 1. April 1988 Versorgung nach § 80 SVG nach einer MdE von nur 40 vH, obwohl er keine Besserung der Schädigungsfolgen festgestellt hatte. Widerspruch, Klage und Berufung des B mit dem Ziel der Beibehaltung der früheren oder Festsetzung einer höheren MdE blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 1989, Urteil des Sozialgerichts München [SG] vom 18. Dezember 1990, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts [LSG] vom 7. Dezember 1993).
In den Entscheidungsgründen hat das LSG im wesentlichen ausgeführt: Wie der vom SG zugezogene Sachverständige bestätigt habe, verursachten die bei B bestehenden Schädigungsfolgen eine MdE um nur 40 vH. Die bisherige höhere Bewertung der MdE durch die Wehrverwaltung sei für den Beklagten nicht bindend. § 88 Abs 3 Satz 1 SVG schreibe die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung lediglich hinsichtlich der dort ausdrücklich aufgeführten Tatbestandsmerkmale (zB Wehrdienstbeschädigung und ursächlicher Zusammenhang einer Gesundheitsstörung) vor. Auf die von der Wehrverwaltung festgesetzte MdE erstrecke sich die Bindungswirkung nicht. Eine so weitgehende Bindung entspreche auch nicht der Entstehungsgeschichte der fraglichen Bestimmung.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des B im wesentlichen folgende Gesichtspunkte geltend: Wie bereits das LSG erwogen habe, spreche die Regelung in § 88 Abs 3 Sätze 2 und 3 SVG dafür, daß ohne Änderung der Verhältnisse (auch) die von der Wehrverwaltung festgesetzte MdE zu übernehmen sei. § 88 Abs 3 Satz 1 SVG enthalte keine abschließende Aufzählung der durch die Wehrverwaltung bindend festgestellten rechtlichen Voraussetzungen für die Versorgung, sondern erkläre den Inhalt der Entscheidung der Wehrverwaltung weitestmöglich für bindend. Gerade die Nichterwähnung der MdE in § 88 Abs 3 Satz 1 SVG erlaube es, die Bindungswirkung auch auf sie zu erstrecken. Nach dem Ausscheiden des Wehrdienstbeschädigten aus der Bundeswehr wechsele nur die für die Durchführung der Versorgung zuständige Behörde, nicht aber der Kostenträger, weil das Land die Kosten für die Versorgung des Beschädigten vom Bund erstattet erhalte (§ 88 Abs 8 Satz 1 SVG). Es sei nicht verständlich und verstoße gegen den Vertrauensgrundsatz, wenn der gleichbleibende Kostenträger durch den Wechsel der zuständigen Entscheidungsbehörde entlastet würde.
Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Dezember 1993 sowie das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Dezember 1990 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30. Mai 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 1989 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. April 1988 als Rechtsnachfolgerin des B Versorgung nach einer MdE von mindestens 50 vH zu gewähren. |
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Der Beklagte beantragt
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die Zurückweisung der Revision als unbegründet. |
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Er hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für richtig.
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen durften die angefochtenen Bescheide der Versorgungsverwaltung des beklagten Landes nicht bestätigen. Der Beklagte war vielmehr unter Aufhebung dieser Bescheide zu verurteilen, der Berechnung der Grundrente des verstorbenen Ehemannes der Klägerin die MdE zugrunde zu legen, die die Wehrverwaltung bei der Berechnung des Ausgleichs zugrunde gelegt hat.
Über die Höhe der auf die Wehrdienstbeschädigung des Ehemannes der Klägerin zurückzuführende MdE hat die Wehrverwaltung in ihrem Bescheid vom 15. Oktober 1969 bindend entschieden. Die Bindungswirkung beschränkt sich nicht auf den Träger der entscheidenden Behörde, sondern erstreckt sich auch auf den Beklagten als Träger der Versorgungsverwaltung. Die Versorgungsverwaltung darf über die MdE nicht neu entscheiden. Sie darf zu Lasten des Soldaten nur nach den Vorschriften über die Rücknahme (§ 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - [SGB X]) oder die Aufhebung (§ 48 SGB X) die Änderungen vornehmen, die auch die entscheidende Behörde hätte vornehmen können. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen aber hier, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, nicht vor.
Die Meinung des Beklagten, über die Höhe der MdE anläßlich der Zuerkennung der Grundrente neu entscheiden zu dürfen, beruht auf der Vorstellung, über die Höhe der MdE sei noch nicht bindend entschieden worden; die Ausführungen der Wehrverwaltung darüber seien nur Teil der Begründung. Diese Vorstellung ist weder mit Form und Inhalt des Bescheids vom 15. Oktober 1969, noch mit den dem Bescheid zugrundeliegenden Vorschriften zu vereinbaren. Die Wehrverwaltung hat in ihrem Bescheid vom 15. Oktober 1969 nicht nur über den Ausgleich und seine Höhe entschieden, sondern in einem besonderen Verfügungssatz die MdE auf 50 % festgesetzt. Diese Festsetzung stützt sich auf § 30 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Anwendung dieser Vorschrift ist durch § 85 Abs 1 SVG ausdrücklich angeordnet. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist die MdE nicht nur zu ermitteln und der Berechnung der Grundrente (Verletztenrente) zugrunde zu legen, sondern in der Weise festzusetzen, daß sie in Bindung erwachsen kann (vgl SozR Nr 1 zu § 570 Reichsversicherungsordnung; BSGE 5, 96, 100; 37, 177, 180), mag auch die Feststellung nur im Rahmen einer Rentengewährung erfolgen dürfen (BSG aaO und 7, 126; 55, 32 und Urteil des Senats vom 13. März 1985 - 9a RV 10/83 Leitsatz VersorgB X 85 Nr 63). Die (im Rahmen der Rentengewährung) selbständige Festsetzung der MdE durch den Versorgungsträger kommt auch in § 30 Abs 2 Satz 1 BVG zum Ausdruck, wonach die MdE im Fall besonderer beruflicher Betroffenheit "höher zu bewerten" ist, ferner in § 4 Abs 2 Schwerbehindertengesetz, der voraussetzt, daß bestimmte Rentenbescheide (gedacht ist vor allem an solche der Unfallversicherungs- und der Versorgungsträger) "Feststellungen" einer MdE enthalten können. Dem entspricht auch die ständige Praxis der Versorgungsverwaltung. Es ist kein Grund ersichtlich und auch von keiner Seite vorgetragen worden, der dagegen spräche, daß die Wehrverwaltung anläßlich der Zuerkennung des Ausgleichs ebenso zu handeln hat und handelt wie die Versorgungsverwaltung bei Zuerkennung der Grundrente.
Durch die Änderung der Zuständigkeit für die Soldatenversorgung, die die Beendigung des Wehrdienstverhältnisses zur Folge hatte, ist keine neue Entscheidungsbefugnis über die MdE entstanden. In der Aufnahme einer zivilen Beschäftigung könnte allenfalls eine wesentliche Änderung gesehen werden, die eine besondere berufliche Betroffenheit des ehemaligen Soldaten begründen und eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG (iVm § 80 SVG) rechtfertigen könnte. Im Hinblick auf die nach § 30 Abs 1 BVG festgesetzte MdE bedeutet die Änderung der Zuständigkeit jedenfalls keine neue Entscheidungsbefugnis. Das ist in den Vorschriften, die die Voraussetzungen für die Änderung bestandskräftiger Verwaltungsakte aufstellen, ausdrücklich geregelt. Nach § 44 Abs 3 SGB X entscheidet über die Rücknahme nicht begünstigender Verwaltungsakte nach deren Unanfechtbarkeit die zuständige Behörde; "dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist". Auf diese Vorschrift ist in den Vorschriften verwiesen, die die Aufhebung von rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakten oder von Dauerverwaltungsakten bei Änderung der Verhältnisse regeln (vgl §§ 45 Abs 5 und 48 Abs 4 SGB X).
Ob das schon vor Inkrafttreten des SGB X am 1. Januar 1981 nach dem für die Kriegsopferversorgung geltenden Verwaltungsverfahrensgesetz oder nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts galt, braucht nicht entschieden zu werden. Der 10. Senat des BSG hat das in seinem Urteil vom 17. Mai 1977 (SozR 3100 § 62 Nr 9) nicht angenommen und eine gesetzliche Regelung vermißt, soweit die Schädigung, die Schädigungsfolge und der ursächliche Zusammenhang zwischen Schädigung und Schädigungsfolgen in Frage stand. Das hat den Bundesrat und den Verteidigungsausschuß veranlaßt, auf die entsprechende Änderung des § 88 Abs 3 SVG hinzuwirken (vgl BT-Drucks 8/4030 S 25). Diese Änderung ist durch das 7. Gesetz zur Änderung des SVG vom 7. Juli 1980 (BGBl I 851) mit Wirkung vom 1. Januar 1981 vollzogen worden (Art 1 Nr 33 Buchst b) und Art 10 dieses Gesetzes. Wie sich eine Entscheidung der Wehrverwaltung über die Höhe der MdE auf die Befugnisse der später zuständig werdenden Versorgungsverwaltung auswirkt, ist aber ungeregelt geblieben. Deshalb gilt der Grundsatz des § 37 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil, wonach das SGB X für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs gilt, soweit sich aus den Regelungen dieser Sozialleistungsbereiche nichts Abweichendes ergibt. Aus der Nichtregelung einer Verbindlichkeit der Entscheidungen über die MdE folgt nicht, daß entgegen der zitierten Regelung des SGB X bei einem Zuständigkeitswechsel neu entschieden werden könnte. § 88 Abs 3 SVG wollte die durch das BSG aaO angemahnte Erweiterung oder Klarstellung der Verbindlichkeit früherer Entscheidungen aussprechen, nicht aber eine Einschränkung dieser Verbindlichkeit herbeiführen. Die MdE-Festsetzung der Wehrverwaltung wird daher nicht erst durch § 88 Abs 3 SVG für die Versorgungsverwaltung verbindlich. Das hat das LSG zutreffend erkannt (vgl auch Sailer/Wilke, SozEntschR, 7. Aufl, § 88 SVG, RdNr 3). Eine solche Regelung war aber entbehrlich, weil die Verbindlichkeit insoweit bereits aus dem SGB X folgt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517771 |
Breith. 1996, 131 |
Breith. 1996, 876 |