Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Abschluss einer Ausnahmevereinbarung nach Art 17 EWGV 1408/71 zur Weitergeltung der polnischen Rechtsvorschriften für in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmer eines polnischen Unternehmens zur Verschaffung eines Wettbewerbsvorteils. Rechtsschutzgarantie nicht auf speziellen Rechtsmittel der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage beschränkt
Leitsatz (amtlich)
Das Interesse, sich als ausländisches Unternehmen im Zielstaat (hier: Deutschland) durch die vereinbarte Fortgeltung ausländischen Rechts mittels niedrigerer Sozialabgaben einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen im Zielstaat tätigen und dem dortigen System der sozialen Sicherheit unterstellten Unternehmen und Arbeitnehmern zu verschaffen, ist kein ausreichender Grund für eine Verlängerung der Entsendung durch Abschluss einer europarechtlichen Ausnahmevereinbarung.
Orientierungssatz
Die Gewährung von Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ist nicht auf die speziellen Rechtsmittel der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage beschränkt.
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 17; EGV 883/2004 Art. 16 Abs. 1; EG Art. 48 S. 1, Art. 49 S. 1, Art. 50, 55; SGB X § 31 S. 1; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 5; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Juni 2016 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten auch des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht die Zustimmung des Beklagten zum Abschluss einer Ausnahmevereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71.
Das Europäische Sozialrecht bestimmt, dass ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates beschäftigt ist, grundsätzlich den Rechtsvorschriften dieses Staates unterliegt, und zwar auch dann, wenn er im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnt oder sein Arbeitgeber oder das Unternehmen, das ihn beschäftigt, seinen Wohn- oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates hat (Art 13 Abs 2 Buchst a VO ≪EWG≫ 1408/71; seit 1.5.2010 Art 11 Abs 3 Buchst a VO ≪EG≫ 883/2004). Eine Ausnahme wird gemacht, wenn ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates von einem Unternehmen beschäftigt wird, dem er gewöhnlich angehört, und von diesem zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandt wird. In diesen Fällen unterliegt der Arbeitnehmer weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Staates, sofern die voraussichtliche Dauer seiner Arbeit zwölf Monate nicht überschreitet und er nicht einen anderen Arbeitnehmer ablöst, für den die Entsendungszeit abgelaufen ist (Art 14 Abs 1 Buchst a Ziff i VO ≪EWG≫ 1408/71; nach Art 12 Abs 1 VO ≪EG≫ 883/2004 nunmehr 24 Monate). Darüber hinaus sieht das Gemeinschaftsrecht vor, dass zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden dieser Staaten im Interesse bestimmter Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen Ausnahmen unter anderem von den eben genannten Regelungen vereinbaren können (Art 17 VO ≪EWG≫ 1408/71 bzw Art 16 Abs 1 VO ≪EG≫ 883/2004). Zuständig für den Abschluss solcher Ausnahmevereinbarungen war in Deutschland bis 30.6.2008 die seinerzeit noch eigenständige Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung-Ausland, deren Aufgaben seit dem 1.7.2008 vom beklagten GKV-Spitzenverband wahrgenommen werden (fortan einheitlich: Beklagter). In Polen ist für den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen die dortige Sozialversicherungsanstalt (Zakład Ubezpieczeń Społecznych, fortan: ZUS) zuständig.
Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung polnischen Rechts mit Sitz in Polen, beschäftigte in den Jahren 2005 und 2006 Arbeitnehmer im Bundesgebiet. Hierfür beantragte sie noch im Jahr 2005 bei der ZUS die Erteilung einer Ausnahmevereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 mit dem Ziel, dass für die entsandten Arbeitnehmer polnisches Recht maßgeblich bleibe. Der Beklagte lehnte den Abschluss einer entsprechenden Ausnahmevereinbarung gegenüber der ZUS schriftlich ab (Schreiben vom 8.3. und 27.6.2007) und setzte die Klägerin hierüber ebenfalls schriftlich in Kenntnis (Schreiben vom 3.4. und 16.8.2007). Den daraufhin erhobenen Widerspruch der Klägerin verwarf der Beklagte als unzulässig (Widerspruchsbescheid vom 13.10.2009).
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG Berlin vom 6.2.2014 und des LSG Berlin-Brandenburg vom 3.6.2016). Das LSG hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die Weigerung der Beklagten, einer Ausnahmevereinbarung zuzustimmen, habe keine unmittelbare Außenwirkung, sei daher kein Verwaltungsakt und die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht statthaft. Die Ausnahmevereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 selbst sei ein Vertrag zwischen zwei Sozialversicherungsträgern. Soweit Betroffene hierdurch begünstigt würden, handle es sich um einen bloßen Rechtsreflex, ohne dass die Klägerin ein subjektiv-öffentliches Recht auf Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung habe. Eine hierauf gerichtete Leistungsklage sei unzulässig. Aber selbst wenn man von einem subjektiv-öffentlichen Recht ausgehe, habe die Leistungsklage keinen Erfolg, weil Art 17 VO (EWG) 1408/71 den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum einräume, ob sie eine Vereinbarung schließen wollten oder nicht; für eine Ermessensreduzierung auf Null sei nichts ersichtlich.
Zur Begründung ihrer vom LSG zugelassenen Revision macht die Klägerin Folgendes geltend: Das Zustandekommen einer Ausnahmevereinbarung sei allein von der Entscheidung des Beklagten abhängig gewesen, ob sie dem entsprechenden Angebot der ZUS zustimme. Diese Entscheidung sei ein Verwaltungsakt. Verneine man die Verwaltungsaktqualität, verstoße dies gegen Art 19 Abs 4 GG. In einem Verfahren gegen etwaige Beitragsbescheide könne sie keinen effektiven Rechtsschutz erlangen, weil die Einzugsstelle an das (Nicht-)Vorliegen einer Ausnahmevereinbarung gebunden sei. Ebenso wenig könne sie effektiven Rechtsschutz in einem Verfahren gegen die ZUS vor einem polnischen Gericht erlangen, weil der Beklagte nicht der polnischen Gerichtsgewalt unterliege und daher von einem polnischen Gericht nicht zum Abschluss einer Ausnahmevereinbarung verurteilt werden könne. Das "Ermessen" des Beklagten sei vorliegend auf Null reduziert: Sie - die Klägerin - habe in den Jahren 2005 und 2006 23,47 % bzw 28,51 % ihrer Gesamtumsätze in Polen erzielt und jeweils mindestens 25 % ihrer Arbeitnehmer in Polen beschäftigt. Weiter habe die Bearbeitungsdauer über zwei Jahre betragen, während derer sie darauf vertraut habe, dass eine Ausnahmevereinbarung noch rückwirkend zustande kommen werde, und daher die wesentlich höheren Beiträge zur deutschen Sozialversicherung in ihre Preise nicht einkalkuliert habe.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Juni 2016 und des Sozialgerichts Berlin vom 6. Februar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 8. März 2007, 3. April 2007, 27. Juni 2007 und 16. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2009 zu verurteilen, rückwirkend seine Zustimmung zum Abschluss von Ausnahmevereinbarungen nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 für die im Schriftsatz vom 29. August 2016 (Blatt 59 ff der Gerichtsakten) genannten Arbeitnehmer und Zeiträume zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage ist unzulässig (dazu 1.), während die damit kombinierte echte Leistungsklage zwar zulässig (dazu 2.), aber unbegründet ist (dazu 3.).
1. Die Anfechtungsklage ist unzulässig, weil sich das Begehren der Klägerin nicht auf die Aufhebung eines Verwaltungsaktes richtet. Mit der Anfechtungsklage kann (nur) die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsakts begehrt werden (§ 54 Abs 1 S 1 SGG). Bei der Ablehnung des Beklagten, eine Ausnahmevereinbarung mit der ZUS als zuständiger polnischer Stelle zu schließen (dazu a), handelt es sich ebenso wenig um einen Verwaltungsakt wie bei den entsprechenden Mitteilungen an die Klägerin (dazu b). Verwaltungsakte sind nur solche Verfügungen, Entscheidungen oder andere hoheitliche Maßnahmen, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet sind (§ 31 S 1 SGB X).
a) Die mit den Schreiben vom 8.3. und 27.6.2007 gegenüber der ZUS erklärte Ablehnung, eine Ausnahmevereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 zu schließen, ist keine hoheitliche, das heißt einseitig Rechtsfolgen setzende behördliche Maßnahme (zum Begriff der hoheitlichen Maßnahme vgl zB BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 ff = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 31 RdNr 10a). Zu Rechtsfolgen führen nur das Angebot auf Abschluss einer Vereinbarung sowie dessen korrespondierende Annahme. Der Umstand, dass einer Willenserklärung im Rahmen von Vertragsverhandlungen notwendig die Entscheidung vorausgeht, ob und mit welchem Inhalt ein Angebot abgegeben oder angenommen werden soll, bedeutet nicht, dass dieser "Vor"-Entscheidung eigenständige Rechtsqualität zukäme (vgl zum Ganzen Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl 2017, § 54 RdNr 17, der die Anwendung der Zweistufentheorie auf den Abschluss von Verträgen für "lebensfremd" hält). Anderes mag gelten, wenn zwischen den Vertragsparteien ein Über-/Unterordnungsverhältnis besteht (zur Entscheidung über den Abschluss von Versorgungsverträgen iS des § 109 SGB V vgl BSG vom 29.5.1996 - 3 RK 23/95 - BSGE 78, 233, 235 f = SozR 3-2500 § 109 Nr 1 S 3 f). Vorliegend stehen sich die Vertragsparteien - die jeweils zuständigen Stellen der Republik Polen und der Bundesrepublik Deutschland - einander aber in einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber.
Auch die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG erfordert es nicht, die Entscheidung der Beklagten als Verwaltungsakt einzuordnen, denn die Gewährung von Rechtsschutz gegen die öffentliche Gewalt ist nicht auf die speziellen Rechtsmittel der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage beschränkt. Der Klägerin steht die echte Leistungsklage zur Verfügung, um klären zu lassen, ob der Beklagte dem Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zustimmen muss. Soweit es um Verwaltungsakte geht, hält das Gesetz zwar mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage spezielle Rechtsschutzformen bereit (vgl §§ 54 Abs 5, 55 SGG; zur Ordnungsfunktion des § 54 SGG, vgl Söhngen in jurisPK-SGG, 2017, § 54 SGG, RdNr 4), beschränkt den Rechtsschutz gegen hoheitliches Handeln aber nicht hierauf (Siewert/Waschull in LPK-SGB X, 4. Aufl 2016, § 31 RdNr 7).
b) Bei den Schreiben vom 3.4. und 16.8.2007, mit denen der Beklagte die Klägerin davon in Kenntnis gesetzt hat, dass er den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung gegenüber der ZUS abgelehnt hat, handelt es sich ebenfalls nicht um Verwaltungsakte. Diese Schreiben enthalten keine Regelung iS des § 31 S 1 SGB X. Der Beklagte setzte damit keine Rechtsfolgen, sondern unterrichtete die Klägerin lediglich darüber, dass er das Angebot der ZUS auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung abgelehnt hat. Dies ergibt sich schon aus dem insoweit identischen Wortlaut beider Schreiben ("Dem Antrag auf weitere Unterstellung unter die polnischen Rechtsvorschriften konnte jedoch, wie wir zwischenzeitlich der zuständigen Behörde in Polen mitteilten, nicht entsprochen werden."). Das Schreiben vom 16.8.2007 ist noch deutlicher; der Beklagte bringt darin zum Ausdruck, dass er davon ausgeht, dass die ZUS den dort gestellten Antrag der Klägerin bescheide ("Wir gehen davon aus, dass die zuständige polnische Behörde Sie mittlerweile entsprechend beschieden hat."), er selbst also rechtsförmige Maßnahmen gegenüber der Klägerin nicht zu treffen hatte und auch nicht treffen wollte.
2. Der Klägerin steht die echte Leistungsklage zur Verfügung, um klären zu lassen, ob der Beklagte dem Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zustimmen muss. Die Leistungsklage ist statthaft (dazu a) und die Klägerin auch klagebefugt (dazu b); sie kann effektiven Rechtsschutz auch nicht anderweitig erlangen (dazu c). In der Sache ist die echte Leistungsklage allerdings unbegründet (dazu 3.).
a) Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage ist statthaft. Mit der Leistungsklage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat (§ 54 Abs 5 SGG). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin begehrt eine Leistung des Beklagten iS des § 54 Abs 5 SGG, namentlich dass er das Angebot der ZUS zum Abschluss einer Ausnahmevereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 annimmt (zur echten Leistungsklage im Fall eines auf Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Begehrens vgl auch BSG vom 18.3.1999 - B 3 P 8/98 R - SozR 3-3300 § 77 Nr 1 S 2).
b) Die Klägerin ist auch klagebefugt. Es ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass ihr der behauptete Anspruch zusteht.
aa) Die echte Leistungsklage setzt analog § 54 Abs 1 S 2 SGG voraus, dass der Kläger klagebefugt ist, also geltend machen kann, durch die Ablehnung oder Unterlassung der beanspruchten Leistung beschwert zu sein. Die Klagebefugnis fehlt erst dann, wenn dem Kläger der geltend gemachte Anspruch unter keinem Gesichtspunkt zustehen kann, die Verletzung seiner subjektiven Rechte nicht möglich erscheint. Das tatsächliche Bestehen des geltend gemachten Rechts ist dagegen eine Frage der Begründetheit der Klage. Die Klagebefugnis fehlt nur dann, wenn dem Kläger das geltend gemachte Recht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann (sog Möglichkeitstheorie - dazu BSG vom 11.5.1999 - B 11 AL 45/98 R - BSGE 84, 67, 69 f = SozR 3-4300 § 36 Nr 1 S 4 f, BSG vom 27.6.2013 - B 10 ÜG 9/13 B - SozR 4-1710 Art 23 Nr 1, RdNr 21; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 41b, 22).
bb) Nach Auffassung des Senats ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass sich ein subjektives Recht der Klägerin aus Art 17 VO (EWG) 1408/71 ergibt. Art 17 VO (EWG) 1408/71 ist eine Schutznorm, aus der sich subjektive Rechte auch der Arbeitgeber ergeben können (zu subjektiven Rechten der Arbeitnehmer vgl Schreiber in Schreiber/Wunder/Dern, VO ≪EG≫ 883/2004, 2012, Art 16 RdNr 6; aA Österreichischer VwGH vom 19.10.2005 - 2003/08/0195 - ZESAR 2006, 318, 320 mit kritischer Anm Karl, dort insbesondere S 322). Eine solche Schutznorm liegt vor, wenn die einschlägigen gesetzlichen Regelungen nicht nur eine objektive Ordnung aufstellen, sondern auch dazu dienen, bestimmten Rechtssubjekten ein subjektives Recht zur Wahrung ihrer Interessen einzuräumen (sog Schutznormtheorie - dazu BSG vom 11.5.1999 - B 11 AL 45/98 R - BSGE 84, 67, 69 f = SozR 3-4300 § 36 Nr 1 S 4 f). Art 17 VO (EWG) 1408/71 erwähnt zwar ausdrücklich nur die Interessen "bestimmter Arbeitnehmer und Arbeitnehmergruppen" und nimmt nur diese damit ausdrücklich in seinen Schutzbereich auf. Die Klägerin ist durch den Abschluss wie durch die Ablehnung einer Ausnahmevereinbarung aber nicht nur rechtlich unmittelbar betroffen (dazu ≪1≫). Sie kann sich darüber hinaus auf die ihr zustehende Dienstleistungsfreiheit berufen, in deren Licht das einschlägige Sekundärrecht auszulegen ist (dazu ≪2≫).
(1) Auch Arbeitgeber wie die Klägerin sind durch den Abschluss wie durch die Ablehnung einer Vereinbarung nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 rechtlich unmittelbar betroffen. Der Abschluss oder die Ablehnung einer Ausnahmevereinbarung berührt die Arbeitgeber nicht nur im Sinne eines bloßen Rechtsreflexes aus den ihre Arbeitnehmer treffenden Rechten und Pflichten; vielmehr sind die Arbeitgeber rechtlich wie finanziell unmittelbar selbst betroffen. Sie spielen - jedenfalls nach deutschem Recht - für die Sozialversicherung eine zentrale Rolle. Sie sind nicht nur für Zwecke der Durchführung der Sozialversicherung in vielfältiger Weise in Dienst genommen und übernehmen verwaltungstechnisch vielfach Aufgaben und Funktionen, die andernfalls der Sache nach Aufgaben der Versicherungsträger und von diesen zu erfüllen wären (zB Melde- und Anzeigepflichten, Pflichten zur Berechnung, zum Nachweis und zur Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags, Dokumentations- und Aufbewahrungspflichten etc - zum Ganzen vgl BSG vom 29.4.1976 - 12/3 RK 66/75 - BSGE 41, 297, 298 f = SozR 2200 § 1399 Nr 4 S 7 f; BSG vom 27.1.2000 - B 12 KR 10/99 R - SozR 3-2400 § 28h Nr 11 S 45 f; Schlegel in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S 265-288). Sie sind darüber hinaus in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung zur Tragung von Arbeitgeberanteilen an den Beiträgen sowie in der Unfallversicherung zur alleinigen Beitragstragung verpflichtet.
(2) Art 17 VO (EWG) 1408/71 ist zudem im Licht der Grundfreiheiten - namentlich der Dienstleistungsfreiheit (Art 49 Abs 1 EGV - konsolidierte Fassung 2006, ABl C 321E vom 29.12.2006) - der Klägerin auszulegen. Die Klägerin unterfällt grundsätzlich dem Schutz der Dienstleistungsfreiheit, will sie als polnisches Unternehmen mit Sitz in Polen doch grenzüberschreitend Dienstleistungen (iS des Art 50 EGV) in der Bundesrepublik erbringen, ohne sich dort niederzulassen. Weiter kann sich die Klägerin auch als juristische Person des Privatrechts auf die Dienstleistungsfreiheit berufen (Art 55 iVm 48 Abs 1 EGV). Die Dienstleistungsfreiheit verlangt dabei nicht nur die Beseitigung sämtlicher Diskriminierungen des Dienstleistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie unterschiedslos für einheimische Dienstleistende wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten -, wenn sie geeignet sind, die Tätigkeit des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern (stRspr - EuGH vom 25.7.1991 - Rs C-76/90 - Säger, Slg 1991, I-04221, RdNr 12). Nach diesen Maßstäben wäre die Dienstleistungsfreiheit jedenfalls betroffen, wenn der Beklagte den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung willkürlich verweigerte und die Klägerin deshalb von der für sie günstigeren und auch gemeinschaftsrechtlich möglichen Fortgeltung polnischen Sozialrechts bei der Tätigkeit ihrer Arbeitnehmer in Deutschland abgeschnitten wäre. Demgemäß ist etwa die grundsätzliche Begrenzung des Zeitraums, währenddessen das Recht der sozialen Sicherheit des Entsendestaates fortgilt, auf zwölf Monate (Art 14 Nr 1 Buchst a VO ≪EWG≫ 1408/71; nach Art 12 VO ≪EG≫ 883/2004 nunmehr 24 Monate), als Regelung anzusehen, die wesentlich dem Schutz vor Wettbewerbsverzerrungen dient (dazu Boecken, ZIAS 1999, 219, 238 ff).
(3) Darüber hinaus sieht das Durchführungsrecht zur Nachfolgeregelung (Art 16 VO ≪EG≫ 883/2004) ein Recht auch der Arbeitgeber, Ausnahmen zu beantragten, nunmehr sogar ausdrücklich vor (Art 18 VO ≪EG≫ 987/2009; dazu Schreiber, aaO, RdNr 6). Auch ohne eine entsprechende Vorschrift entsprach dies bereits der Verwaltungspraxis unter der VO (EWG) 1408/71 (so Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 17 VO ≪EWG≫ 1408/71 RdNr 6).
cc) Der Klagebefugnis lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Klägerin den Abschluss einer völkerrechtlichen Vereinbarung begehrt (zur Rechtsnatur von Ausnahmevereinbarungen nach Art 17 VO ≪EWG≫ 1408/71 Schreiber, aaO, RdNr 7; Steinmeyer, aaO, RdNr 5; vgl auch BSG vom 8.10.1981 - 7 RAr 30/80 - BSGE 52, 210, 217 f = SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 15 f). Auch wenn Ausnahmevereinbarungen nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 - ebenso wie politische Verträge nach Art 59 Abs 2 S 2 GG (dazu BVerfG vom 18.12.1984 - 2 BvE 13/83 - BVerfGE 68, 1, 97; BVerfG vom 16.12.1980 - 2 BvR 419/80 - BVerfGE 55, 349, 365) - als Maßnahme der auswärtigen Gewalt nur der Grenze offensichtlicher Willkür unterliegen und insoweit ein weites Ermessen der zuständigen Stellen besteht (dazu BVerfG vom 18.12.1984 - 2 BvE 13/83 - BVerfGE 68, 1, 97), ist die Überprüfung, ob diese Grenzen eingehalten worden sind, grundsätzlich eine Frage der Begründetheit (vgl Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 RdNr 78, Stand Juni 2017: keine gerichtsfreien Hoheitsakte).
c) Schließlich kann die Klägerin effektiven Rechtsschutz auch nicht anderweitig erlangen. Art 19 Abs 4 S 1 GG verlangt aber, dass, wenn jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, ihm der Rechtsweg offensteht (vgl dazu auch Schweikardt in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, Art 16 VO ≪EG≫ 883/2004 RdNr 26). So kann die Klägerin insbesondere nicht darauf verwiesen werden, um Rechtsschutz gegen die ZUS nachzusuchen. Eine Klage vor deutschen Gerichten würde schon daran scheitern, dass die ZUS als polnische Behörde nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegt. Eine Klage gegen die ZUS vor polnischen Gerichten dürfte ohne Aussicht auf Erfolg sein. Denn selbst wenn die ZUS eine Ausnahmevereinbarung treffen wollte, hinge deren Zustandekommen von der Zustimmung des Beklagten ab. Diese könnte ein polnisches Gericht aber wiederum nicht erzwingen, weil der Beklagte seinerseits nicht der polnischen Gerichtsbarkeit unterliegt.
3. Die somit zulässige Leistungsklage ist jedoch unbegründet. Dabei kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung im Einzelnen bestehen kann. Jedenfalls ergibt sich im Fall der Klägerin ein entsprechender Anspruch weder aus Art 17 VO (EWG) 1408/71 selbst (dazu a) noch aus den Grundfreiheiten (dazu b) und auch nicht Art 3 Abs 1 GG (dazu c) oder einem Gleichheitssatz des Gemeinschaftsrechts (dazu d).
a) Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf Art 17 VO (EWG) 1408/71 berufen. Zwar kann sich hieraus in Ausnahmefällen ein Anspruch auf Abgabe einer bestimmten Willenserklärung im Rahmen von Verhandlungen über den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung ergeben (dazu ≪aa≫). Ein derartiger Fall liegt hier aber nicht vor (dazu ≪bb≫).
aa) Nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 können zwei oder mehr Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden dieser Staaten oder die von diesen Behörden bezeichneten Stellen im Interesse bestimmter Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen Ausnahmen von den Vorschriften der Art 13 bis 16 VO (EWG) 1408/71 vereinbaren. Die Vorschrift nennt - neben dem "Interesse bestimmter Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen" - keine weiteren Voraussetzungen für den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen und enthält damit keinerlei Beschränkung der den Mitgliedstaaten bzw deren Behörden oder Stellen verliehenen Befugnis. Mithin steht den Mitgliedstaaten insoweit ein weiter Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu, der ausschließlich durch das Interesse des Arbeitnehmers begrenzt ist (EuGH vom 17.5.1984 - Rs 101/83 - Brusse, Slg 1984, 2223, RdNr 25, spricht insoweit von einem "Ermessensspielraum"; vgl auch BSG vom 8.10.1981 - 7 RAr 30/80 - BSGE 52, 210, 217 f = SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 15 f). Verstieße eine Ausnahmevereinbarung gegen die Interessen der Arbeitnehmer, dürfte sie danach nicht geschlossen werden. Für den Fall, dass eine Ausnahmevereinbarung im Interesse der Arbeitnehmer liegt, räumt Art 17 VO (EWG) 1408/71 den Mitgliedstaaten aber ausdrücklich einen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum ("können") ein, ohne einen Automatismus des Inhalts vorzuschreiben, dass bei Wahrung der Arbeitnehmerinteressen eine Vereinbarung abgeschlossen werden müsste. Ein Anspruch auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung ist danach nur in Ausnahmefällen denkbar, in denen jede andere Entscheidung den den Mitgliedstaaten eingeräumten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum verletzte (vgl auch Schreiber, aaO, RdNr 6, der eine Ermessensreduktion auf Null für "kaum konstruierbar" hält). Dies ist etwa in Fällen denkbar, in denen den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer ein alles andere überragendes Gewicht zukäme. Daneben ist eine Einschränkung des Entscheidungs- und Gestaltungsspielraums denkbar, wenn die Weigerung, eine Ausnahmevereinbarung abzuschließen, offensichtlich willkürlich ist. Dies mag etwa der Fall sein, wenn der Beklagte sich ohne sachlichen Grund in Widerspruch zu seiner bisherigen Verwaltungspraxis setzt.
bb) Vorliegend sind keine Umstände oder Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dieser der deutschen Seite eingeräumte Beurteilungsspielraum derart eingeengt wäre, dass nur eine bestimmte Entscheidung - hier: die begehrte Zustimmung des Beklagten zu der von der ZUS vorgeschlagenen Ausnahmevereinbarung - in Betracht kommt. Ein Anspruch auf Abschluss der begehrten Ausnahmevereinbarung ergibt sich nicht mit Blick auf die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer (dazu ≪1≫). Weiter ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte in vergleichbaren Fällen seine Zustimmung zum Abschluss einer Ausnahmevereinbarung erklärt oder sich anderweitig durch eine entsprechende Verwaltungspraxis in einer vor dem Hintergrund des Willkürverbots beachtlichen Weise selbst gebunden hätte (dazu ≪2≫).
(1) Dass den Interessen der betroffenen Arbeitnehmer vorliegend überragendes Gewicht zukäme, ist nicht ersichtlich. Die Klägerin selbst hat derartige Interessen ihrer Arbeitnehmer nicht geltend gemacht. Vielmehr stützt sie ihr Begehren vorrangig darauf, dass sie mit den aus dem Abschluss einer Vereinbarung folgenden geringeren Kosten des polnischen Sozialrechts kalkuliert habe. Von der ZUS konnte die Beklagte zeitnah keine hinreichenden Informationen darüber erlangen, dass und weshalb die von der Klägerin beanspruchte Ausnahmevereinbarung gerade im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer läge und diesem obendrein auch besonderes Gewicht zukäme. Auch anderweitig ergeben sich keine Anhaltspunkte hierfür.
(2) Weiter ergibt sich ein Anspruch auf Abschluss einer Ausnahmevereinbarung auch nicht daraus, dass der Beklagte sich durch seine bisherige Verwaltungspraxis selbst gebunden hätte (zur Selbstbindung der Verwaltung im Gemeinschaftsrecht s von Danwitz, Europäisches Verwaltungsrecht, 2008, S 353 ff, 366 mwN). Zu dieser Verwaltungspraxis hat der Beklagte wie folgt vorgetragen (zur Ermittlung genereller Tatsachen im Revisionsverfahren vgl BSG vom 6.5.2008 - B 7/7a AL 16/07 R - SozR 4-4300 § 217 Nr 2 RdNr 23, dort zur Feststellung einer Verwaltungspraxis der BA):
Das Zustandekommen von Ausnahmevereinbarungen sei in der Staats- und Verwaltungspraxis durch ein gegenseitiges Geben und Nehmen gekennzeichnet, wobei auch die Bundesrepublik ein Interesse am Zustandekommen von Ausnahmevereinbarungen zugunsten deutscher Arbeitnehmer habe. Grundsätzlich schließe der Beklagte Ausnahmevereinbarungen nur ab, wenn der Entsendezeitraum auf höchstens fünf Jahre befristet sei. Im Einzelfall seien auch Ausnahmevereinbarungen über Entsendezeiträume von mehr als fünf Jahren möglich. Ausnahmevereinbarungen für Entsendezeiträume von über acht Jahren treffe der Beklagte dagegen - von besonderen Einzelfällen abgesehen - grundsätzlich nicht. Weiter sei der Beklagte grundsätzlich nicht bereit, Ausnahmevereinbarungen zu schließen, wenn der entsendende Arbeitgeber keine nennenswerte Geschäftstätigkeit in dem Mitgliedstaat ausübe, dessen Vorschriften über die soziale Sicherheit ausnahmsweise auch für die Beschäftigung in der Bundesrepublik gelten sollten. Vom Fehlen einer solchen nennenswerten Geschäftstätigkeit gehe der Beklagte aus, wenn weniger als 25 % des erwirtschafteten Umsatzes dort erzielt oder weniger als 25 % des Personals dort eingesetzt würden. Ziel dieses sog 25 %-Kriteriums sei es, einen Missbrauch von Ausnahmevereinbarungen durch "Briefkastenfirmen" zu vermeiden. Bei einem Umfang der Geschäftstätigkeit von unter 25 % sei eine Prüfung einzelner Umstände angezeigt. Bei Entsendezeiträumen von über fünf Jahren rückten zudem nationale Interessen stärker in den Vordergrund.
Der Senat legt seiner Entscheidung die so beschriebene Verwaltungspraxis des Beklagten zugrunde. Die Klägerin hat die Darlegungen des Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Der Senat sieht auch keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Beschreibung unzutreffend oder die beschriebene Verwaltungspraxis mit dem deutschen oder dem europäischen Recht unvereinbar wäre. Insbesondere bestehen keine Bedenken, wenn der Beklagte bei seiner Entscheidung über den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen auch andere als die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen berücksichtigt, um etwa Missbrauch durch "Briefkastenfirmen" zu vermeiden. Dass die Mitgliedstaaten bei ihrer Entscheidung über den Abschluss von Ausnahmevereinbarungen auch andere Interessen als die der betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmergruppen berücksichtigen dürfen, ergibt sich schon aus der Weite des ihnen eingeräumten Entscheidungs- und Gestaltungsspielraums. Auch stellt Art 17 VO (EWG) 1408/71 lediglich eine Öffnungsklausel dar, die eine entsprechende Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten voraussetzt (Schreiber, aaO, RdNr 7), knüpft also letztlich an die in der Souveränität der Mitgliedstaaten begründete Vertragsabschlusskompetenz an. Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte die Grenzen des ihm durch Art 17 VO (EWG) 1408/71 eingeräumten Entscheidungs- und Beurteilungsspielraums eingehalten, als er den Abschluss der ihm von der ZUS angetragenen Ausnahmevereinbarung ablehnte.
(3) Die von der Klägerin für eine Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss einer Ausnahmevereinbarung vorgebrachten Gründe greifen nicht durch.
So macht die Klägerin zuvörderst geltend, sie habe die höheren Beiträge zur deutschen Sozialversicherung bei der Kalkulation ihrer Preise nicht berücksichtigt, weil sie vom Abschluss einer Ausnahmevereinbarung zugunsten des polnischen Rechts ausgegangen sei. Dem hat der Beklagte zu Recht keine Bedeutung beigemessen. Dies gilt schon deshalb, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, worauf sich ihr Vertrauen auf den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung gegründet hat und weshalb es überhaupt schützenswert gewesen sein soll. Vielmehr gelten in allen Fällen, für die keine Ausnahmevereinbarung getroffen wurde, ohne Weiteres die allgemeinen Regeln der Art 13 bis 16 VO (EWG) 1408/71, von denen nach Art 17 VO (EWG) 1408/71 eben nur ausnahmsweise abgewichen werden kann. Art 13 Abs 2 Buchst a VO (EWG) 1408/71 enthält dabei den ausdrücklichen Grundsatz, dass jenseits der regulären Fortgeltungsdauer des Rechts des Entsendestaates das Recht des jeweiligen Beschäftigungsortes maßgeblich ist (lex loci labori). Hinzu kommt, dass das Interesse, sich als ausländisches Unternehmen im Zielstaat (hier: Deutschland) durch die vereinbarte Fortgeltung ausländischen Sozialversicherungsrechts und damit niedrigere Sozialabgaben einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen im Zielstaat tätigen und dem dortigen System der sozialen Sicherheit zugeordneten Unternehmen und Arbeitnehmern zu verschaffen, kein ausreichender Grund für den Abschluss einer Ausnahmevereinbarung ist. Die Vermeidung von (höheren) Sozialabgaben entspricht nicht Sinn und Zweck der Verordnung. Die Vorschriften über die Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften für die soziale Sicherheit sollen zur Verbesserung der Lebenshaltung und der Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer beitragen; sie sollen innerhalb der EU sicherstellen, dass alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten gleich behandelt werden und die Arbeitnehmer und ihre anspruchsberechtigten Angehörigen unabhängig von ihrem Arbeits- oder Wohnort in den Genuss der Leistungen der sozialen Sicherheit kommen (so ausdrücklich die Erwägungsgründe zur VO ≪EWG≫ 1408/71).
Soweit die Klägerin weiter behauptet, sie habe das 25 %-Kriterium erfüllt, verkennt sie dessen Funktion. Dem 25 %-Kriterium kommt auch in der Verwaltungspraxis des Beklagten die Funktion zu, solche Fälle von vornherein auszuschließen, in denen kein Entsendungstatbestand vorliegt. Dies dient der Vermeidung von Missbrauch durch "Briefkastenfirmen". Dass der Beklagte schon bei Erfüllung des 25 %-Kriteriums - und damit in nahezu jedem Entsendungsfall - eine Ausnahmevereinbarung abschlösse, ist nicht dargetan und wäre überdies auch kaum mit Sinn und Zweck des Art 17 VO (EWG) 1408/71 vereinbar. Dieser erlaubt schon seinem Wortlaut nach nur die Vereinbarung von "Ausnahmen". Damit bedarf es auch keiner weiteren Erörterung, ob die Klägerin das 25 %-Kriterium tatsächlich erfüllte.
b) Auch im Licht der Dienstleistungsfreiheit ergibt sich keine andere Beurteilung. Dabei kann dahinstehen, inwieweit die Grundfreiheiten vorliegend neben dem in der VO (EWG) 1408/71 niedergelegten Sekundärrecht überhaupt zur Anwendung kommen (zum Vorrang des Sekundärrechts vor den Grundfreiheiten vgl Ehlers in Ehlers, Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 4. Aufl 2014, § 7 RdNr 8; von Bogdandy, JZ 2001, 157, 166). Jedenfalls ist die Dienstleistungsfreiheit nicht verletzt. Sie verbietet in ihrem Anwendungsbereich direkte und indirekte Diskriminierungen sowie Beschränkungen (Randelzhofer/Fortshoff in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art 56, 57 AEUV RdNr 69, Stand März 2011; s auch bereits oben unter 2b bb ≪2≫). Weder das Diskriminierungs- noch das Beschränkungsverbot greifen vorliegend aber durch.
aa) In ihrer Ausprägung als Diskriminierungsverbot gebietet die Dienstleistungsfreiheit eine Inländergleichbehandlung (Art 50 Abs 3 EGV; dazu Kluth in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl 2016, Art 56, 57 AEUV RdNr 54). Durch die Zuordnung der entsandten Arbeitnehmer zur deutschen Sozialversicherung wird die Klägerin aber gerade nicht schlechter gestellt als deutsche Unternehmen.
bb) Auch das aus der Dienstleistungsfreiheit folgende Beschränkungsverbot ist nicht verletzt. Art 49 EGV idF der konsolidierten Fassung von 2006 erfasst nämlich nicht Maßnahmen, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie deren Erbringung innerhalb eines einzigen Mitgliedstaates berühren (EuGH vom 8.9.2005 - 544/03 und 545/03 - Mobistar und Belgacom Mobile, Slg 2005, I-7723 ff RdNr 31). Steuern und Abgaben sind daher nicht allein deshalb als Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs anzusehen, weil sie allgemein die Erbringung einer Dienstleistung verteuern; etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Steuern und Abgaben prohibitiv hoch sind (Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 56 AEUV RdNr 87; s auch die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott vom 2.7.2009 - C-169/08 - Presidente del Consiglio dei Ministri, Slg 2009, I-10821 ff RdNr 50 und vom 28.10.2004 - C-134/03 - Viacom Outdoor, Slg 2005, I-1167 ff RdNr 58 ff). Dass die Beiträge zur deutschen Sozialversicherung von prohibitiver Höhe wären, ist indes nicht ersichtlich.
c) Eine gegen Art 3 Abs 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung liegt ebenfalls nicht vor. Insoweit gilt das oben zum Nichtvorliegen einer Selbstbindung der Verwaltung Ausgeführte gleichermaßen (zur Herleitung der Selbstbindung der Verwaltung aus dem Gleichbehandlungsgebot vgl BSG vom 18.12.2013 - B 12 R 2/11 R - SozR 4-2400 § 23a Nr 7, RdNr 42). Danach mag dahinstehen, inwieweit Art 3 Abs 1 GG auf die Klägerin als ausländische juristische Person überhaupt Anwendung finden kann (zur Anwendung der Grundrechte des GG im Lichte der Grundfreiheiten vgl BVerfG vom 6.12.2016 - 1 BvR 2821/11 ua - RdNr 196 ff).
d) Jedenfalls wegen des Fehlens einer Ungleichbehandlung kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbote berufen. Dies gilt für Art 12 Abs 1 EGV wie auch für den allgemeinen Grundsatz der Gleichheit und Nichtdiskriminierung (Art 6 Abs 2 EUV, dazu EuGH vom 12.12.2002 - C-442/00 - Caballero, Slg 2002, I-11915 RdNr 32 = SozR 3-6084 Art 2 Nr 3 S 20; EuGH vom 19.10.1977 - Rs 117/76 - Ruckdeschel, Slg 1977, 1753 RdNr 7).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm §§ 154 Abs 2, 162 Abs 3 VwGO.
5. Die Festsetzung des Streitwerts für das Revisionsverfahren hat seine Grundlage in § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm §§ 63 Abs 2 S 1, 52 Abs 1 und 2, 47 Abs 1 GKG. Sie entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Streitwertfestsetzung durch das LSG.
Fundstellen
BSGE 2018, 47 |
DB 2017, 22 |
DStR 2017, 14 |
NWB 2019, 1360 |
NVwZ 2017, 8 |
FA 2017, 309 |
NZA 2017, 8 |
WzS 2017, 295 |
NZS 2017, 9 |
NZS 2018, 366 |
SGb 2017, 580 |
AUR 2017, 424 |
Breith. 2018, 345 |