Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Dezember 1997 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Juli 1997 zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) die Erstattung von Kinderbetreuungskosten für die Zeit vom 8. Mai bis 31. Dezember 1995 während ihrer Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme.
Die 1965 geborene Klägerin, die verheiratet ist und ein Kind, den am 9. Mai 1991 geborenen Sohn C. … hat, war bis zum 8. November 1992 bei der L. … -Elektronik S. … AG (Holding) beschäftigt und während dieser Zeit vom 5. Juli 1991 bis 8. November 1992 in Erziehungsurlaub. Nach zwischenzeitlichem Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) war sie vom 1. April 1993 bis 31. Mai 1994 als Glasbläserin an der Universität P. … beschäftigt. Im Anschluß daran erhielt sie vom 1. Juni 1994 bis 6. Mai 1995 wiederum Alg.
Ab 8. Mai 1995 nahm die Klägerin an einer bis 7. Februar 1997 dauernden beruflichen Bildungsmaßnahme teil. Die Beklagte übernahm die mit dem Maßnahmeträger unmittelbar abzurechnenden Lehrgangsgebühren sowie Prüfungsgebühren und Kosten für Pendelfahrten in Höhe von insgesamt 686,– DM. Außerdem bewilligte die Beklagte der Klägerin Unterhaltsgeld in Höhe von 285,– DM wöchentlich.
Die Kosten für die Betreuung ihres seit dem 1. November 1992 in einer Kindertagesstätte untergebrachten Sohnes C. … in Höhe von 75,– DM monatlich wurden von der Beklagten nicht übernommen (Bescheid vom 1. August 1995). Mit ihrem Widerspruch verwies die Klägerin darauf, daß die Betreuung ihres Sohnes durch die Umschulung notwendig geworden sei, da sie ohne Betreuung in der Kindertagesstätte keine Maßnahme hätte beginnen können. Vor der Maßnahme sei sie fast ein Jahr arbeitslos gewesen und habe ihren Sohn in die Kindertagesstätte geben müssen, um auf dem Arbeitsmarkt vermittelbar zu sein. Aufgrund ihrer finanziellen Lage erhielten sie und ihr Ehemann auch Kindergeldzuschlag. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1995).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, Kinderbetreuungskosten für Mai 1995 in Höhe von 51,92 DM und für die Monate Juni bis Dezember 1995 in Höhe von 75,– DM monatlich zu gewähren: Die Voraussetzungen des § 45 Satz 1 und 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) seien für die streitige Zeit erfüllt. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei es nicht erforderllich, daß die Kinderbetreuung kostenunmittelbar durch die Teilnahme an der Maßnahme entstanden seien. Dies sehe nämlich Satz 2 des § 45 seit der Neufassung durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) ab 1. Januar 1982 nicht mehr vor. Es reiche eine spezifische Kausalität zwischen der Umschulung und den entstandenen Kinderbetreuungskosten aus, sofern die Kosten unvermeidbar gewesen seien (Urteil vom 10. Juli 1997).
Auf die – vom SG zugelassene – Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 19. Dezember 1997 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des LSG sind die Voraussetzungen des § 45 Satz 2 AFG nicht gegeben, da die Kosten für die Kinderbetreuung durch die Teilnahme der Klägerin an der Fortbildungsmaßnahme nicht unvermeidbar entstanden seien. Kosten, die vor Eintritt in die Bildungsmaßnahme ohne Zusammenhang mit ihr entstanden seien, seien von der Beklagten nach § 45 AFG nicht zu tragen, und zwar auch dann nicht, wenn sie ansonsten durch die Maßnahme herbeigeführt worden wären. Da das Kind C. … bereits seit 1. November 1992 in einer Kindertagesstätte gewesen sei, seien die Kosten losgelöst von der Bildungsmaßnahme entstanden. Sie hätten von der Klägerin auch ohne die geförderte Fortbildungsmaßnahme getragen werden müssen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 45 Satz 2 AFG: Die Betreuungskosten für C. … seien unvermeidbar gewesen, denn sie habe während ihrer Teilnahme an der Bildungsmaßnahme das Kind nicht selber betreuen können und es sei auch eine anderweitige Betreuung außerhalb der Kindertagesstätte nicht in Betracht gekommen. Die Unvermeidbarkeit sei auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß für einen Zeitraum vor Beginn der Maßnahme bereits entsprechende Kosten entstanden seien. Das Gesetz schränke die Erstattungsfähigkeit insoweit nicht ein. Zwar spreche § 45 Satz 1 AFG von den notwendigen Kosten der Fortbildungsmaßnahme, § 45 Satz 2 AFG jedoch lediglich von den unvermeidbaren Kosten. Beide Begriffe seien nicht deckungsgleich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Brandenburg vom 19. Dezember 1997 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 10. Juli 1997 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihr steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, ein Anspruch auf Erstattung der in der Zeit vom 8. Mai bis 31. Dezember 1995 aufgewendeten Kinderbetreuungskosten zu.
In welchem Umfang die Beklagte zur Kostentragung verpflichtet ist, richtet sich nach § 45 AFG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann die BA ganz oder teilweise die notwendigen Kosten tragen, die durch die Fortbildungsmaßnahme unmittelbar entstehen, insbesondere Lehrgangskosten, Kosten für Lernmittel, Fahrkosten, Kosten der Arbeitskleidung, der Kranken- und Unfallversicherung sowie Kosten der Unterkunft und Mehrkosten der Verpflegung, wenn die Teilnahme an einer Maßnahme notwendig ist, die auswärtige Unterbringung erfordert. Nach § 45 Satz 2 AFG in der hier anzuwendenden ab 5. August 1992 geltenden Fassung durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz vom 27. Juli 1992 (BGBl I S 1398) trägt die Beklagte auch die Kosten für die Betreuung der Kinder des Teilnehmers bis zu 120 DM monatlich ganz oder teilweise, wenn diese durch die Teilnahme einer Maßnahme unvermeidbar entstehen und die Belastung durch diese Kosten für den Teilnehmer eine unbillige Härte darstellen würde. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Satz 2 AFG räumt diese Vorschrift dem Anspruchssteller einen Rechtsanspruch auf Kostenübernahme ein (Menard in: Niesel, AFG, 2. Aufl 1997, § 45 RdNr 3).
Daß der Klägerin auf der Grundlage des § 45 Satz 2 AFG ein Anspruch auf Erstattung der Kinderbetreuungskosten zusteht, ergibt sich aus der Rechtsentwicklung. Bis zur Einfügung des Satzes 2 durch das AFKG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) enthielt das Gesetz keine gesonderte Kostentragungsregelung hinsichtlich der Betreuungskosten für Kinder. Die Erstattung derartiger durch die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme entstehender Kosten hing dementsprechend nach der allgemeinen Regelung über die Kostenerstattungspflicht in § 45 AFG davon ab, daß es sich um „notwendige” und „unmittelbar” durch die Maßnahme entstandene Kosten handelte. Das Merkmal der Unmittelbarkeit erfordert für die Erstattung von Maßnahmekosten nach § 45 AFG eine enge kausale Verknüpfung zwischen den entstandenen notwendigen Kosten und der Weiterbildungsmaßnahme in dem Sinne, daß sie ohne die Teilnahme an dem Lehrgang nicht entstanden wären (BSGE 38, 109, 116 = SozR 4100 § 44 Nr 1; BSGE 38, 292, 295 = SozR 4100 § 45 Nr 3). Hinsichtlich der Betreuungskosten während der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme hatte das BSG den erforderlichen unmittelbaren Zusammenhang verneint, denn der Antragsteller müsse, um überhaupt an der Maßnahme teilnehmen zu können, zunächst von der Aufgabe befreit sein, seine Kinder zu betreuen. Es handele sich folglich um eine Bedingung, die Voraussetzung für die Teilnahme an der Maßnahme sei, so daß die Kosten nur aus Anlaß der Teilnahme und nicht unmittelbar durch sie entstünden (BSG Urteil vom 12. Mai 1982 – 7 RAr 17/81 –, DBl BA R Nr 2768a AFG, § 44; vgl auch Urteil vom 30. September 1975 – 7 RAr 111/74 –, DBl BA C Nr 2016a AFG, § 45).
Gegenüber dieser Rechtslage sollte die Einfügung des neuen Satzes 2 in § 45 AFG durch das AFKG die BA in die Lage versetzen, in Härtefällen die Kosten der Kinderbetreuung ganz oder teilweise bis zu einem monatlichen Höchstsatz zu übernehmen. Hierdurch sollte insbesondere Frauen die Teilnahme an beruflichen Bildungsmaßnahmen ermöglicht werden (BT-Drucks 9/799 S 37). Die Neufassung des Satzes 2 durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz hat die bisherige Rechtslage dem Grunde nach übernommen und lediglich die Beträge erhöht (BT-Drucks 12/2605 S 19 zu Art 6).
Die mit der Einfügung des Satzes 2 durch das AFKG verfolgte Zielsetzung, eine Möglichkeit zur Kostenerstattung für Kinderbetreuung zu eröffnen, schließt es aus, den neu eingeführten Begriff der Unvermeidbarkeit iS einer gegenüber der bisherigen Rechtslage zusätzlichen Voraussetzung zu verstehen. Vielmehr besteht der Anspruch seither unabhängig davon, ob die Kinderbetreuungskosten unmittelbar durch die Maßnahme entstanden sind.
Der nach § 45 Satz 2 AFG erforderliche spezifische Ursachenzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn eine Teilnahme an der Maßnahme ohne die Betreuung der Kinder nicht möglich ist. Dies ist der Fall, wenn der Teilnehmer die Betreuung infolge der Teilnahme nicht selbst oder durch einen Dritten – zB den Ehepartner – sicherstellen kann. Dementsprechend ist nicht zusätzlich zu fordern, daß der Teilnehmer das Kind bzw die Kinder in jedem Fall vor Beginn der Maßnahme selber betreut hat und er sie während der Maßnahme nicht mehr betreuen kann (so aber Richter in: Gagel, AFG, § 45 RdNr 57). Die letztgenannte Anforderung würde eine Kostenerstattung im übrigen von Zufälligkeiten abhängig machen, denn der Zeitpunkt, zu dem das Kind zB in einen Kindergarten oder in eine Kindertagesstätte gegeben werden kann, ist nicht allein vom Beginn der Maßnahme, sondern zB von Wartezeiten oder festen Eintrittsterminen abhängig. Im übrigen führt die Auffassung des LSG zu einer Benachteiligung derjenigen Personen, die sich rechtzeitig um eine Betreuungsmöglichkeit bemühen, um dem Arbeitsmarkt aktuell zur Verfügung zu stehen bzw um an einer Maßnahme der beruflichen Bildung teilnehmen zu können.
Damit hängt der Kostenerstattungsanspruch nach § 45 Satz 2 AFG nur noch davon ab, daß die Belastung durch diese Kosten für die Klägerin eine Härte bedeuten würde. Ob der Beklagten hinsichtlich des Rechtsbegriffs der Härte ein Beurteilungsspielraum eingeräumt worden ist, kann offenbleiben, denn sie hat einen etwaigen Spielraum jedenfalls bereits durch das Anordnungsrecht konkretisiert. Nach § 21 Abs 3 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung (AFuU) vom 29. April 1994 in der hier maßgeblichen Fassung durch die 1. Änderungsanordnung vom 16. März 1994 (ANBA S 295) liegt eine Härte iS des § 45 AFG insbesondere dann vor, wenn der Antragsteller oder dessen Ehegatte Kindergeldzuschlag erhält oder Familienmitglieder des Antragstellers Hilfe zum Lebensunterhalt oder Arbeitslosenhilfe beziehen. Die Voraussetzungen einer Härte liegen nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG vor, da im streitigen Zeitraum Kindergeldzuschlag gezahlt worden ist. Auch die Voraussetzungen für die Kostentragung bis zu 120,– DM monatlich nach § 21 Abs 1 AFuU sind erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen