Entscheidungsstichwort (Thema)

vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Beschwerdeverfahren. Krankenkassenbediensteter. Mitwirkungsverbot. Ausschluß wegen Befangenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Krankenkassenbediensteter ist von der Mitwirkung als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses in der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht deshalb ausgeschlossen, weil er zuvor im Verwaltungsverfahren die Interessen seiner Kasse vertreten hat.

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

SGB V § 106; SGB X § 16 Abs. 1 Nr. 3, § 17 Abs. 2, § 16 Abs. 4, 2 S. 2

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 21.02.1995; Aktenzeichen L 6 Ka 15/94)

SG Kiel (Entscheidung vom 29.09.1993; Aktenzeichen S 8a Ka 86/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Beigeladenen zu 2) wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1995 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Die Prüfungskommission kürzte die Honoraranforderung des Klägers, eines an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Gynäkologen, für das Quartal II/91 im Ersatzkassenbereich wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise um 3.149,72 DM (Prüfbescheid vom 15. Oktober 1991). Dem Widerspruch des Klägers half die Prüfungskommission in vollem Umfang ab. Auf den Widerspruch des zu 2) beigeladenen Verbandes der Ersatzkassen (VdAK), der von dem Vorsitzenden des VdAK-Ortsausschusses Kiel M. begründet wurde, stellte die Ersatzkassen-Beschwerdekommission, deren Funktionsnachfolge der beklagte Beschwerdeausschuß übernommen hat, unter dem Vorsitz von M. die Kürzung in Höhe von 3.149,72 DM wieder her (Bescheid vom 16. Juli 1992).

Während die Klage vor dem Sozialgericht (SG) erfolglos geblieben ist (Urteil vom 29. September 1993), hat das Landessozialgericht (LSG) auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid des Beklagten aufgehoben (Urteil vom 21. Februar 1995). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Bescheid sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil der Vorsitzende des Beklagten über einen von ihm unterschriebenen Widerspruch mitentschieden habe. Zwar gelte der gesetzliche Ausschluß von der Teilnahme am Verwaltungsverfahren für Personen, die kraft Vollmacht einen Beteiligten im Verwaltungsverfahren vertreten, gemäß § 16 Abs 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nicht für das Verwaltungsverfahren aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen. Diese Ausnahme vom Mitwirkungsverbot könne sich jedoch nur auf das einfache Mitglied des paritätisch mit Ärzten und Krankenkassenvertretern besetzten Beschwerdeausschusses beziehen, nicht aber auf den Vorsitzenden. Dieser gebe bei Stimmengleichheit den Ausschlag. Die Vorschrift des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X sei deshalb teleologisch dahingehend zu reduzieren, daß derjenige, der für einen Krankenkassen-Verband Beschwerde oder Widerspruch gegen den Bescheid einer Prüfungskommission eingelegt und das Rechtsmittel begründet habe, gemäß § 16 Abs 1 Nr 3 SGB X von der Mitwirkung im Verfahren als Vorsitzender des Beschwerdeausschusses ausgeschlossen sei. Diese Auslegung sei zudem durch eine verfassungskonforme Normanwendung geboten. Das Verwaltungsverfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung diene auch dem Schutz der Grundrechte des betroffenen Arztes. Es müsse deshalb so ausgestaltet sein, daß vor dem Hintergrund effektiv gebotenen Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 Grundgesetz ≪GG≫) die bei Entscheidungen der Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien eingeschränkte gerichtliche Kontrolldichte hinnehmbar bleibe. Dazu gehöre, daß der behördliche Beurteilungs- und Ermessensspielraum in einer der richterlichen vergleichbaren Neutralität konkretisiert werde. Da in der Sache auch eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können, führe der Verfahrensfehler zur Aufhebung des Bescheides.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beigeladene zu 2) eine Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung sei der Wortlaut des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X nicht „überweit”. Dem Gesetzgeber sei bei der Schaffung der Vorschrift bewußt gewesen, daß die Stimme des Vorsitzenden bei Stimmengleichheit den Ausschlag gebe. Gleichwohl habe er in der genannten Norm keine Einschränkungen vorgenommen. Er habe damit dem Umstand Rechnung getragen, daß ohne diese Regelung eine Beschlußfassung bei der Entscheidung in den paritätisch besetzten Ausschüssen nicht möglich wäre. Da sich Wortlaut der Norm und der Normzweck deckten, bestehe kein Anlaß für eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereiches.

Der Beigeladene zu 2) beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 21. Februar 1995 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1) und 3) schließen sich den Ausführungen des Beigeladenen zu 2) an.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beigeladenen zu 2) ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Bescheid des Beklagten nicht verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Die Mitwirkung des Vorsitzenden des Ortsausschusses Kiel des Beigeladenen zu 2) als Vorsitzender der vormaligen Beschwerdekommission verstößt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß dieser dem Widerspruch des Beigeladenen zu 2) gegen die Entscheidung der Prüfungskommission begründet hat, nicht gegen § 16 Abs 1 Nr 3 SGB X.

§ 16 SGB X, der auch im Rechtsbehelfsverfahren Anwendung findet, regelt im Interesse eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens den Ausschluß bestimmter Personen von der Mitwirkung am sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren, zu dem auch das Verfahren vor den Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen bzw Prüfungs- und Beschwerdekommissionen im Rahmen der kassen- bzw vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nach § 106 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zählt (vgl BegrRegEntw, BT-Drucks 8/2034, S 36, zu § 16). Bei den von Abs 1 aaO erfaßten Personen wird von Gesetzes wegen davon ausgegangen, daß Umstände vorliegen, die objektiv geeignet sind, Mißtrauen gegen ein sachgemäßes, unparteiisches Verhalten der Behörde gegenüber dem Bürger zu rechtfertigen (Bonk in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz ≪VwVfG≫, 4. Aufl 1993, § 20 RdNr 1). Die in § 16 Abs 1 SGB X aufgeführten Ausschließungsgründe enthalten eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung der Befangenheit. Sie sind von Amts wegen zu beachten (v. Mutius, in GK-Komm, SGB X, § 16 RdNr 5; Schroeder-Printzen/v. Wulffen, SGB X, 3. Aufl 1996, § 16 RdNr 2).

Während es in den Fällen des Abs 1 aaO, nämlich des Tätigwerdens für eine Verwaltungsbehörde, keiner gesonderten Entscheidung für die Ausschließung bedarf, ist eine derartige Entscheidung für die Mitglieder von Ausschüssen erforderlich. Nach § 16 Abs 4 SGB X ist dem Ausschuß oder Beirat mitzuteilen, sofern sich ein Mitglied für ausgeschlossen hält oder Zweifel bestehen, ob die Voraussetzungen des Abs 1 aaO gegeben sind. Der Ausschuß oder Beirat entscheidet über den Ausschluß (Satz 2 aaO). Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen hat der Ausschuß – die vormalige Beschwerdekommission – den Ortsausschußvorsitzenden des Beigeladenen zu 2) M. nicht von der Mitwirkung am Verfahren der Beschwerdekommission ausgeschlossen. Daraus, daß ein Ausschuß den Ausschluß einer nach § 16 Abs 1 SGB X von Gesetzes wegen ausgeschlossenen Person nicht vorgenommen hat, folgt jedoch nicht, daß das Vorliegen des Ausschließungsgrundes unbeachtlich wäre. In der Mitwirkung einer kraft Gesetzes ausgeschlossenen Person liegt vielmehr ein Verstoß gegen § 16 Abs 1 SGB X. Dieser führt zur Rechtswidrigkeit der in den Verwaltungsverfahren getroffenen Verwaltungsentscheidung und zieht deren Anfechtbarkeit nach sich (vgl Schneider-Danwitz/Adami, SozVersGesKomm, § 16 SGB X Anm 8; Schroeder-Printzen/v. Wulffen, aaO, RdNr 3).

In der Person des M. liegt an sich ein Ausschließungsgrund gemäß § 16 Abs 1 SGB X, nämlich der des Abs 1 Nr 3 aaO, vor. Danach darf in einem Verwaltungsverfahren für eine Behörde (bzw für einen Ausschuß) nicht tätig werden, wer einen Beteiligten kraft Gesetzes oder Vollmacht allgemein oder in diesem Verwaltungsverfahren vertritt oder als Beistand zugezogen ist. Der zu 2) beigeladene Ersatzkassenverband, zu dessen Vertretung M. als dessen Ortsausschußvorsitzender berechtigt war, hat neben der zu 1) beigeladenen KÄV den Antrag auf Einleitung des Prüfungsverfahrens gestellt. Der Beigeladene zu 2) ist damit gemäß § 12 Abs 1 Nr 1 SGB X Beteiligter des Verwaltungsverfahrens geworden. Einem Ausschluß des M. gemäß § 16 Abs 4 iVm Abs 1 Nr 3 SGB X steht jedoch die Regelung des § 16 Abs 2 SGB X entgegen, die allgemein Ausnahmen vom Ausschluß wegen Interessenkollisionen normiert. Sie enthält in Satz 2 eine speziell auf das kassen- bzw vertragsarztrechtliche Verwaltungsverfahren bezogene Vorschrift. Nach ihr gilt § 16 Abs 1 Nrn 3 und 5 SGB X (auch) nicht für das Verwaltungsverfahren aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten, Zahnärzten und Krankenkassen. Damit wird die in den Fällen des § 16 Abs 1 SGB X unwiderleglich vermutete Interessenkollision und der mit ihr verbundene Ausschluß der betroffenen Personen von der Mitwirkung in diesem Verfahren aufgehoben.

Die Vorschrift war, wie in der Begründung des Gesetzentwurfs ausgeführt wird (BegrRegEntw BT-Drucks 8/2034, S 31, zu § 16) erforderlich, um den Rechtszustand zB in den für die Zulassung als Kassenarzt eingerichteten Zulassungs- und Berufungsausschüssen, den Prüfungs- und Beschwerdeausschüssen zur Überwachung der Wirtschaftlichkeit der kassenärztlichen Versorgung sowie bei den Schiedsämtern beizubehalten. Trotz der vom Bundesrat geäußerten Bedenken (Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks 8/2034, S 46, Nr 9) gegen die – vermeintlich zu weite – Fassung des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X-Entwurf hat die Bundesregierung an der ursprünglichen Formulierung festgehalten (Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks aaO, S 61 zu Nr 9) und darauf hingewiesen, daß die Regelung einem Bedürfnis der Praxis und der bestehenden Rechtslage entspreche. Die Vorschrift ist ohne Änderung Gesetz geworden. Ihre Entstehungsgeschichte weist mithin aus, daß bei dem Erlaß des Gesetzes diejenigen Auswirkungen bekannt waren, die sich aus der Einbeziehung von Personen ergeben, die bei Körperschaften beschäftigt sind, die in einer Vielzahl kassenarztrechtlicher Verwaltungsverfahren regelmäßig von Gesetzes wegen Beteiligte dieses Verfahrens sind (vgl zur Mitwirkung einer bei der KÄV angestellten Prüfärztin im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung Urteil des Senats vom 15. November 1995 – BSG SozR 3-1300 § 16 Nr 1). Diese Ausnahmeregelung war erforderlich, weil ohne sie die Mitwirkung von aufgrund ihrer beruflichen Position herausgehobenen Vertretern der Krankenkassen in den paritätisch besetzten Ausschüssen nicht möglich gewesen wäre (ebenso Hauck in Hauck/Haines, SGB X / 1, 2, Komm, § 16 RdNr 21).

Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung ist es – auch aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs 4 GG) – nicht geboten, die Anwendung der bereichsspezifischen Regelung des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X einzuschränken. Wegen der zwischen dem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren und einem sich daran anschließenden Sozialgerichtsprozeß bestehenden strukturellen Unterschiede läßt sich keine Verpflichtung und auch nicht die Notwendigkeit begründen, in vollem Umfang den Standard des gerichtlichen Verfahrensrechts auf das Verwaltungsverfahrensrecht zu übertragen, auch soweit die Mitwirkung von Personen am konkreten Verwaltungsverfahren in Frage steht. Ein wesentlicher Unterschied des Verwaltungsverfahrens im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren zeigt sich bereits darin, daß aufgrund des Widerspruchs oder der Beschwerde eines Beteiligten gegen einen Verwaltungsakt regelmäßig ein weiteres Verwaltungsverfahren in Gang gesetzt wird, in dem die Ausgangsentscheidung der Verwaltungsbehörde auf ihre Rechtmäßigkeit und – anders als im gerichtlichen Verfahren – auch auf ihre Zweckmäßigkeit hin überprüft und ggf geändert wird (zur Eigenständigkeit des Beschwerdeverfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung und den sich daraus ergebenden prozessualen Konsequenzen: BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 22). Diesem Unterschied in der rechtlichen Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren und Sozialgerichtsprozeß trägt die Regelung des § 16 SGB X zB dadurch Rechnung, daß sie den Ausschluß eines Bediensteten, der bereits am Verwaltungsverfahren der Vorinstanz teilgenommen hat, von der Mitwirkung im Rechtsbehelfsverfahren nicht vorsieht (dazu v. Mutius, aaO, § 16 RdNr 12; Pickel, SGB X, Komm, § 16 RdNr 4). Im gerichtlichen Verfahren zieht hingegen die Mitwirkung eines Richters an der vorinstanzlichen Entscheidung zwingend dessen Ausschluß nach sich (vgl zB § 60 Abs 1 SGG iVm § 41 Nr 6 der Zivilprozeßordnung ≪ZPO≫). Weiterhin gewähren die Ausschlußvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts – insoweit ebenfalls abweichend vom Prozeßrecht (vgl § 60 Abs 1 SGG iVm §§ 42 ff ZPO) – dem einzelnen Beteiligten kein förmliches Ablehnungsrecht wegen der Besorgnis der Befangenheit eines auf Seiten der Behörde Mitwirkenden (vgl v. Mutius, aaO, § 17 RdNr 3). Die Argumentation, das Beschwerdeverfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung erfordere eine der richterlichen Neutralität vergleichbare Ausgestaltung der Mitwirkungsbefugnis am Verwaltungsverfahren, verkennt diese Unterschiede.

Gegen die Notwendigkeit, den Anwendungsbereich des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X in dem vom LSG vertretenen Sinne zu beschränken, spricht darüber hinaus, daß die – vom LSG in seine rechtliche Beurteilung nicht einbezogene – Vorschrift des § 17 SGB X eine ausreichende Korrekturmöglichkeit in den Fällen, in denen Interessenkollisionen konkret bestehen können, eröffnet. Nach Abs 1 aaO kann die Besorgnis der Befangenheit einer Person geltend gemacht werden mit der Folge, daß, wenn Befangenheit zu besorgen ist, diese am Verwaltungsverfahren nicht mehr mitwirken kann. Nach § 17 Abs 2 SGB X, der für Ausschüsse die entsprechende Geltung des § 16 Abs 4 SGB X anordnet, ist in diesen Fällen eine Entscheidung des Ausschusses über den Ausschluß von der Mitwirkung herbeizuführen. Die Vorschrift ergänzt die generellen Mitwirkungsverbote des § 16 Abs 1 SGB X um die Möglichkeit, eine bestimmte Person im jeweiligen Verfahren von der Mitwirkung auszuschließen. Sie stellt damit ein rechtsstaatliches Regulativ für solche Fälle dar, in denen die Besorgnis der Befangenheit aufgrund konkreter Umstände anzunehmen ist. Auch aus diesem Grunde ist es nicht erforderlich, den Anwendungsbereich des § 16 Abs 2 Satz 2 SGB X im Wege teleologischer Reduktion generell zu beschränken.

Wegen der aufgezeigten Unterschiede zwischen Verwaltungsverfahren und Sozialgerichtsprozeß steht dieses Ergebnis nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Senats über den Ausschluß ehrenamtlicher Richter von der Mitwirkung am gerichtlichen Verfahren (Urteile vom 8. Mai 1996 – 6 RKa 16/95 = BSGE 78, 175, 176 ff = SozR 3-5407 Art 33 § 3a Nr 1 – und 6 RKa 20/95). Damit ist im übrigen auch nicht ausgeschlossen, zur Lösung solcher verwaltungsverfahrensrechtlicher Probleme, die in den Bestimmungen über das Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht ausdrücklich geregelt sind, auf einzelne Elemente der Vorschriften über das gerichtliche Verfahren zurückzugreifen (vgl etwa BSGE 72, 214 = SozR 3-1300 § 35 Nr 5 und BSGE 76, 300 = SozR 3-1300 § 35 Nr 7 zur zulässigen Frist zwischen Beschlußfassung und Zustellung von Prüfbescheiden). Rechtlich nicht zulässig ist es jedoch, ausdrückliche gesetzliche Regelungen wie diejenigen über die Einschränkung des Mitwirkungsverbots des § 16 Abs 1 SGB X in Verwaltungsverfahren aufgrund der Beziehungen von Ärzten und Krankenkassen mit Verweis auf strukturelle Parallelen dieser und der gerichtlichen Verfahren zu übergehen.

Der Vorsitzende der vorherigen Beschwerdekommission war nach allem in Anwendung des § 16 Abs 4 iVm Abs 2 Satz 2 und Abs 1 Nr 3 SGB X nicht von der Mitwirkung an dem Beschwerdeverfahren ausgeschlossen. Auch eine Befangenheit iS des § 17 Abs 1 iVm Abs 2 SGB X war nicht gegeben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob Befangenheitsgründe, die ein Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren und nicht bereits vor dem Ausschuß geltend gemacht hat, überhaupt noch zu berücksichtigen sind (verneinend Urteil des Senats vom 26. Oktober 1989 – SozR 1300 § 16 Nr 1; OVG Nordrhein-Westfalen NWVBl 1993, 293, 295 mwN). Denn der Kläger, dem ausweislich der vom LSG in Bezug genommenen Akten bekannt war, daß der Beschwerdekommissionsvorsitzende als Vorsitzender des Ortsausschusses Kiel des Beigeladenen zu 2) den Widerspruch gegen die Entscheidung der Prüfungskommission unterschrieben hatte, hat weder im Verwaltungsverfahren noch im erst- bzw zweitinstanzlichen gerichtlichen Verfahren vorgetragen bzw zu erkennen gegeben, daß bei dem Vorsitzenden der Beschwerdekommission Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit bestanden hätte. Ein solcher Anlaß ergibt sich auch nicht daraus, daß der Vertreter eines Beteiligten im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung den Antrag auf Einleitung eines solchen Verfahrens bzw den Widerspruch gegen die Entscheidung einer Prüfungsinstanz unterschrieben hat. Nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt lag damit kein Grund vor, der geeignet war, den Vorsitzenden der Beschwerdekommission wegen Befangenheit von der Mitwirkung am Verwaltungsverfahren auszuschließen.

Der angefochtene Bescheid der Beschwerdekommission, den sich der beklagte Beschwerdeausschuß zurechnen lassen muß, ist somit verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Da das LSG eine Entscheidung in der Sache nicht getroffen hat, war entsprechend dem Antrag des Beigeladenen zu 2) das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174358

SozR 3-1300 § 16, Nr.2

SozSi 1998, 239

SozSi 1998, 397

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