Beteiligte
Kläger und Revisionsbeklagter |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Krankenversicherungsträger eine Formalmitgliedschaft (§ 315a der Reichsversicherungsordnung - RVO -) wegen mangelnder Mitwirkung des Versicherten im Rentenverfahren und erheblichen Beitragsrückstandes beenden kann.
Der 1926 geborene Kläger war bei der beklagten Betriebskrankenkasse ab 16. Januar 1970 als Rentenbewerber nach § 315a RVO versichert. Durch Bescheid vom 4. Februar 1974 teilte ihm die Beklagte mit, sie habe seine Kassenmitgliedschaft mit dem 31. Dezember 1973 beendet und werde ihm nach diesem Zeitpunkt Leistungen unter keinen Umständen zur Verfügung stellen, weil er bis zum 31. Dezember 1973 einen Beitragsrückstand von insgesamt 3.066,74 DM habe auflaufen lassen und die Entscheidung über seinen Rentenanspruch im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durch mangelnde Mitwirkung mutwillig hinausgezögert habe. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. August 1974).
Das Sozialgericht (SG) Aachen hob die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 26. Juni 1975 auf, weil die Kassenmitgliedschaft nur nach § 315a RVO beendet werden könne.
Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 11. Dezember 1975 zurückgewiesen, weil die Mitgliedschaft nach § 315a RVO von der Beitragszahlung unabhängig sei und eine rechtsmißbräuchliche Ausnutzung der genannten Vorschrift durch den Kläger angesichts seiner neurotischen Persönlichkeitsveränderungen nicht festgestellt werden könne.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, § 315a RVO sei verletzt. Nicht nur bei mißbräuchlicher Rentenantragstellung, sondern auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) trete in Fällen fehlender Mitwirkung die Formalmitgliedschaft nicht ein bzw. ende. Zum gleichen Ergebnis führe die entsprechende Anwendung des § 66 Abs. 1 des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (SGB I).
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des SG Aachen vom 26. Juni 1975 und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Dezember 1975 die Klage abzuweisen.
Der Kläger begehrt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
Streitig ist unter den Beteiligten die Mitgliedschaft des Klägers bei der Beklagten nach § 315a RVO nur noch für die Zeit vom 1. Januar 1974 bis zum Ablauf der Frist für die Einlegung der Revision gegen das die Rentenablehnung bestätigende Urteil des LSG Berlin vom 10. Dezember 1974. Denn mit Ablauf dieser Frist ist das LSG-Urteil rechtskräftig (§ 141 SGG) und die darin bestätigte Ablehnung des Rentenantrages des Klägers endgültig im Sinne von § 315a Abs. 2 Satz 2 RVO geworden, weil das Bundessozialgericht (BSG) die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers in seinem Rentenstreit durch Beschluß vom 26. Mai 1975 (1 BA 3/75) als unzulässig verworfen hat (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16. Juli 1971 - III R 68/69 - BFHE 103, 42, 43). Vor diesem Zeitpunkt - insbesondere am 1. Januar 1974 - war die Mitgliedschaft jedoch nicht beendet.
Wie das BSG bereits im Urteil vom 27. August 1965 - 3 RK 6/65 - (BSGE 23, 293) hervorgehoben hat, greift § 315a RVO in allen Fällen ein, in denen ein Rentenantrag gestellt, aber wegen Fehlens der Voraussetzungen zum Bezug einer Rente ganz oder wenigstens teilweise abgelehnt wird. Die Krankenversicherung der Rentenantragsteller nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 oder 4 RVO setzt zwar grundsätzlich mit der Rentenantragstellung ein (§ 306 Abs. 2 RVO), aber nur dann, wenn die Voraussetzungen zum Rentenbezug erfüllt sind. Ob das der Fall ist, ob insbesondere der Rentenbewerber erwerbsunfähig oder berufsunfähig ist, stellt sich jedoch erst im Laufe des Rentenverfahrens heraus. Der Rentenantragsteller kann daher in zahlreichen Fällen nicht von vornherein wissen, ob seinem Rentenantrag stattgegeben wird. Er muß aber die Gewißheit haben, daß seine Krankenversicherung in jedem Fall sichergestellt ist. Diese Sicherstellung bezweckt § 315a RVO, wenn er als Mitglieder die Personen gelten läßt, die eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten beantragt haben und nicht die Voraussetzungen für den Bezug der Rente erfüllen.
In der Formalversicherung des § 315a RVO handelt es sich mithin um eine allein durch die Tatsache der Rentenantragstellung ausgelöste Versicherung, deren rechtliche Voraussetzungen zwar in der Erfüllung bestimmter Vorversicherungszeiten (§ 165 Abs. 1 Nr. 3a RVO) oder Ersatztatsachen (§ 165 Abs. 1 Nr. 3b RVO) sowie im Nichtausschluß der Versicherung nach § 165 Abs. 6 RVO bestehen, deren Entstehung aber weder von der Beitragsentrichtung noch von ihrer Regelmäßigkeit noch von der ausreichenden Erfüllung gesetzlicher Mitwirkungspflichten bei der Abwicklung des Rentenverfahrens im Verwaltungsbereich und im Prozeß abhängt. Die Formalversicherung unterscheidet sich, wie das BSG im Urteil vom 27. April 1966 - 3 RK 10/62 - (SozR RVO § 315a Nr. 3) ausgeführt hat, in Rechten und Pflichten nicht von derjenigen nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO; eine Unterscheidung besteht nur insofern, als der Rentenbewerber ohne Rentenanspruch die von allen Rentenantragstellern zu entrichtenden Beiträge zur Krankenversicherung endgültig selbst tragen muß (§ 381 Abs. 3 Satz 2 RVO).
Demgemäß wird auch das Ende der Mitgliedschaft grundsätzlich nicht dadurch herbeigeführt, daß der Rentenantragsteller seiner Beitragspflicht oder seiner Mitwirkungspflicht im Rentenverfahren nicht nachkommt. Nach § 315a Abs. 2 Satz 2 RVO endet vielmehr die Mitgliedschaft nur durch den Tod des Antragstellers oder aber durch Wegfall des sie auslösenden Rentenantrages, also durch Rücknahme des Antrags oder durch seine endgültige Ablehnung. Andere Endigungsgründe der Mitgliedschaft, namentlich fehlende Beitragsleistung oder mangelhafte Mitwirkung im Rentenverfahren sind grundsätzlich als Endigungsgründe weder gesetzlich vorgesehen noch nach Sinn und Zweck der Formalmitgliedschaft zu ihrer Beendigung geeignet.
Auch nach den in § 66 SGB I niedergelegten Rechtsgrundsätzen kann wegen mangelnder Beitragsleistung oder mangelnder Mitwirkung im Rentenverfahren die Formalmitgliedschaft des § 315a RVO nicht beendet werden. Die Sanktion, mit der die Bestimmung denjenigen bedroht, der seinen Mitwirkungspflichten als Rentenantragsteller nicht nachkommt, ist die vollständige oder teilweise Versagung der beantragten Leistung, nicht aber die Beendigung des Rechtsverhältnisses, aus dem Leistungsansprüche beantragt sind oder entstehen können. Gilt das aber schon für das unmittelbare Verhältnis zwischen Leistungsträger und Antragsteller, so kann die Sanktion für die von dem Verhältnis zwischen Rentenantragsteller und Rentenversicherungsträger nur mittelbar berührte formale Mitgliedschaft in der Krankenversicherung jedenfalls nicht stärker sein.
Die vorstehenden Grundsätze müssen allerdings dann - ausnahmsweise durchbrochen werden, wenn der Erwerb oder die Berufung auf den Fortbestand der Formalmitgliedschaft rechtsmißbräuchlich erfolgen. In den bereits genannten Entscheidungen des BSG und ebenso auch im Schrifttum (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Band II, S. 448k; Stand 15.8.77, Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Stand: Januar 1978, Anm. 2 zu § 315a; Schlemmer/Zaft, Die Krankenversicherung der Rentner, S. 35; Schmatz/Pöhler, Die Rentnerkrankenversicherung, 2. Aufl. S. 74 zu 3) wird hervorgehoben, daß die Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO dann nicht entstehen kann, wenn der Rentenantrag rechtsmißbräuchlich gestellt wird, wenn also offensichtlich und für den Antragsteller erkennbar ein Rentenanspruch nicht besteht und mit dem gleichwohl gestellten Rentenantrag nur der Krankenversicherungsschutz des § 315a RVO ausgelöst werden soll. Gleiches muß - bei rechtmäßig herbeigeführter Formalmitgliedschaft - auch für die Fälle gelten, in denen sich die Berufung auf den Fortbestand der Formalversicherung als rechtsmißbräuchlich erweist. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung für den Bereich des Sozialrechts entschieden, daß auch hier die Ausübung einer an sich gegebenen Rechtsmacht sich als unzulässige Rechtsausübung darstellt, wenn sie nicht mehr im Rahmen der rechtsethischen und sozialen Funktion des Rechts liegt und somit nur mehr formal, nicht aber sachlich Rechtsausübung ist (vgl. BSGE 2, 284, 289; 7, 152, 156; 13, 202, 204; 19, 18, 20; 20, 265; 21, 27, 33; 30, 99, 104; 35, 91, 95; 41, 263, 267; 42, 219, 223). Hierzu müßte die Berufung auf den Fortbestand der Formalversicherung jedenfalls dann gerechnet werden, wenn sich der Rentenantragsteller im Rentenverfahren davon überzeugt hat, daß ein Rentenanspruch nicht besteht, wenn er aber gleichwohl und nur in der Absicht, sich die Formalmitgliedschaft nach § 315a RVO zu erhalten, den Rentenantrag weiter verfolgt (vgl. hierzu auch die Rechtsgrundsätze des § 162 BGB). Im vorliegenden Fall ist jedoch keine unzulässige Rechtsausübung aufgrund der genannten Verhaltensweise festzustellen.
Es mag zutreffen, daß der Kläger, dessen freiwillige Weiterversicherung wegen Beitragsrückstandes (§ 314 RVO) beendet worden ist, in der Rentnerkrankenversicherung eine ihm günstige - vor allem nicht von der Beitragsleistung abhängige - Möglichkeit entdeckt hat, den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung wieder zu erlangen. Nach den Feststellungen des LSG, die die Beklagte nicht angegriffen hat und die daher gemäß § 163 SGG für das BSG bindend sind, ist sich jedoch der Kläger im Rentenverfahren der fehlenden Rentenberechtigung nicht bewußt geworden und hat insbesondere nicht mit einer solchen inneren Einstellung das Rentenverfahren weitergeführt. Unangefochten ist auch geblieben, daß das LSG ausdrücklich erklärt hat, es habe nicht feststellen können, daß der Kläger aus dem ihm im Mai 1974 übersandten Aktengutachten seine mangelnde Rentenberechtigung erkannt und das Rentenverfahren in Kenntnis dessen lediglich im Hinblick auf die Krankenversicherung weitergeführt habe. Der Kläger hat mithin weder bei Begründung seiner Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner, die sich schließlich als Formalmitgliedschaft erwiesen hat, noch bei der Berufung auf den Fortbestand dieser Versicherung über den 31. Dezember 1973 hinaus von dem ihm gesetzlich eröffneten Versicherungsschutz bewußt einen ausschließlich funktionswidrigen Gebrauch gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8/3 RK 4/76
Bundessozialgericht
Fundstellen