Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungsrechtliche Beurteilung von Ordensmitgliedern sowie Nachversicherung
Leitsatz (amtlich)
Zur Annahme eines - ein Beschäftigungsverhältnis ausschließenden - Gestellungsvertrages genügt es bei einem Ordensangehörigen nicht, daß dieser mit Zustimmung, Genehmigung oder sonstwie mit dem Willen des Ordens bei einem Dritten (dem "Dienstempfänger") tätig wird; vielmehr müssen für Beginn und Ende der Beschäftigung ausschließlich Vereinbarungen zwischen dem Orden und dem Dienstempfänger maßgebend sein.
Leitsatz (redaktionell)
1. Mitglieder geistlicher Genossenschaften, die in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis zu einem Dritten stehen, unterliegen nicht nach § 1227 Abs 1 S 1 Nr 5 RVO bzw § 2 Abs 1 Nr 7 AVG, sondern als Arbeitnehmer nach § 1227 Abs 1 S 1 Nr 1 RVO bzw § 2 Abs 1 Nr 1 AVG der Rentenversicherungspflicht.
2. Für Mitglieder geistlicher Genossenschaften, die aus der Gemeinschaft ausscheiden, kommt eine Nachversicherung nach § 1232 Abs 5 RVO bzw § 9 Abs 5 AVG nicht nur für solche Zeiten in Betracht, in denen sie zu einem Arbeitgeber in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben.
Normenkette
AVG § 6 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1965-06-09, § 9 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1232 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09, § 1233 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; AVG § 9 Abs. 5 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Fassung: 1972-10-16; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 7 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 18.02.1981; Aktenzeichen L 13 An 86/79) |
SG München (Entscheidung vom 21.11.1978; Aktenzeichen S 17 An 774/77) |
Tatbestand
Streitig ist eine Nachversicherung des Klägers für Zeiten zwischen dem 21. Januar 1957 und dem 31. März 1962.
Der am 3. Mai 1926 geborene Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und gehört seit dem 29. September 1948 der belgischen Provinz des Minoritenordens als Mitglied an. Am 9. September 1953 wurde er zum Priester geweiht. In der Zeit vom 21. Januar bis zum 30. Juni 1957 war er aufgrund eigenen Bemühens, jedoch mit Genehmigung seines Ordens-Provinzials als Seelsorger in M (Erzdiözese F) beschäftigt. Nachdem er von seinem belgischen Ordensoberen zurückgerufen worden war, bemühte er sich seit Sommer 1957 um seine Säkularisierung und Rückkehr nach Deutschland in den Seelsorgedienst. Mit Schreiben vom 24. September 1957 gestattete ihm der römische Ordensgeneral, die eben frei gewordene Pfarrkuratie in K (Erzdiözese B) in der Nähe des Minoritenklosters S zu übernehmen und sich frei in Deutschland aufzuhalten (Exklaustration). Diese Stelle als Kuratieverweser hatte der Kläger von November 1957 bis Oktober 1960 inne.
Nachdem er sich bereits im Sommer 1960 um eine Rückkehr nach M bemüht hatte, erhielt er mit Erlaubnis des Ordensgenerals von der Erzdiözese F eine Anstellung als "vicarius cooperator" am Kolpinghaus in M und versah diese Stelle in der Zeit vom 1. Januar 1961 bis zum 31. März 1962; er erhielt die Barbezüge eines Vikars seiner Dienststufe. Danach hielt sich der Kläger im Kloster M auf und setzte seine Studien an den Universitäten L und M fort. Eine endgültige Lösung vom Orden erfolgte am 26. Oktober 1964 durch Reskript der Religionskongregation. Vom 15. November 1964 bis zu seinem Ausscheiden auch aus dem Diözesenpriesterdienst am 31. August 1973 war der Kläger im Bereich der Erzdiözese M als Weltpriester tätig; für diese Zeit wurde er von dieser Erzdiözese (auf ihren "Antrag" vom 6. Dezember 1973) nachversichert. Seit Oktober 1973 ist der Kläger beim Deutschen paritätischen Wohlfahrtsverband beschäftigt.
Den Antrag des Klägers vom 20. März 1974, die Nachversicherung für die gesamte Zeit seiner Tätigkeit während der Ordenszugehörigkeit durchzuführen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Juli 1975 ab, weil die einjährige Antragsfrist nach dem Ausscheiden aus dem Orden gem § 9 Abs 5 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) aF versäumt sei; eine Nachversicherung gem § 9 Abs 1 AVG komme nicht in Betracht, da dem Kläger Versorgungsanwartschaften iS des § 6 Abs 1 Nr 4 AVG nicht gewährleistet gewesen seien.
Die nach Durchführung des Vorverfahrens (Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 1976) erhobene Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteile des Sozialgerichts München vom 21. November 1978 und des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 18. Februar 1981). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Kläger sei während des gesamten Zeitraumes von 1957 bis 1962 Mitglied seiner Ordensgemeinschaft gewesen. Daran habe auch die Exklaustration nichts geändert. Die Beschäftigungsverhältnisse entsprächen inhaltlich einem Gestellungsantrag mit stillschweigender Befreiung vom Armutsgebot, auch wenn die Schriftform nicht gewahrt worden sei. Der Kläger könne als Ordensangehöriger ohne Säkularisierung und ohne Inkardination für die strittige Zeit versorgungsrechtlich nicht einem Weltpriester gleichgestellt werden. Die Ausschlußfrist des § 9 Abs 5 AVG aF sei bei Antragstellung längst abgelaufen gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung von § 9 Abs 1 und Abs 5 AVG aF. Er macht ferner geltend, daß sich das LSG bei der Annahme eines Gestellungsvertrages auf bloße Behauptungen der beigeladenen Diözesen gestützt habe. Der Kläger hat eine gutachtliche Stellungnahme des Kirchenrechtlers Prof. N, T, vorgelegt, wonach die Annahme von Gestellungsverträgen der Grundlage entbehre; es habe sich vielmehr um ein normales Dienstverhältnis gehandelt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile der Vorinstanzen sowie die Bescheide
der Beklagten aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, die Nachversicherung für die Zeiten
vom 21. Januar 1957 bis zum 30. Juni 1957 und
vom 15. Oktober 1957 bis zum 31. März 1962
"zuzulassen".
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz begründet.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Durchführung einer Nachversicherung, sei es nach § 9 Abs 1, sei es nach § 9 Abs 5 AVG. Im ersteren Falle wären die Nachversicherungsbeiträge von den beigeladenen Erzdiözesen auf der Grundlage von Arbeitsentgelten, im letzteren Falle von der belgischen Ordensgemeinschaft auf der Grundlage vom Kläger "persönlich erhaltener Geld- und Sachbezüge" zu entrichten (§§ 124 Abs 2 und 3, 126 Abs 1 iVm § 112 Abs 3 Buchst c AVG). Maßgebend ist dabei jeweils die Fassung des § 9 durch das Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) vom 23. Februar 1957 (AVG aF), im ersteren Falle für die Zeit vor März 1957 iVm Art 2 § 4 Abs 1 AnVNG.
Dem LSG ist zuzustimmen, daß eine Nachversicherung nach § 9 Abs 5 AVG aF jedenfalls am Fehlen eines fristgerechten Antrages scheitern müßte. Ein solcher Antrag hätte, was nicht geschehen ist, innerhalb eines Jahres nach dem Ausscheiden aus dem Orden, also bis zum 27. Oktober 1965, bei der Beklagten gestellt werden müssen. Eine Verlängerung dieser Frist nach § 125 AVG kommt nicht in Betracht, weil § 125 AVG nur den Aufschub der Nachentrichtung von Beiträgen bei bereits bestehender Nachversicherungspflicht regelt, der Antrag nach § 9 Abs 5 AVG aF aber schon zur Begründung der Nachversicherungspflicht erforderlich war.
Zu Unrecht hat das LSG jedoch wegen dieser Fristversäumnis beim Kläger die Nachversicherungspflicht überhaupt verneint. Für die vom Kläger ferner begehrte Nachversicherung nach § 9 Abs 1 AVG hatte die Fristversäumnis keine Bedeutung. Dieser Nachversicherung stand auch nicht im Wege, daß der Kläger, wie vom LSG hervorgehoben, während der streitigen Zeiten noch Ordensmitglied gewesen ist.
Mit der Versicherungspflicht und Nachversicherung von Ordensmitgliedern aufgrund der durch das AnVNG von 1957 geschaffenen Rechtslage hat sich der erkennende Senat bereits in seinem (zur Veröffentlichung bestimmten) Urteil vom 21. März 1982 - 11 RA 27/81 - befaßt. Der Senat hat dort klargestellt, daß sich die Versicherungspflicht von Ordensmitgliedern nicht immer nach § 2 Abs 1 Nr 7 AVG und ihre Nachversicherung sich nicht immer nach § 9 Abs 5 AVG richtet. Die Mitglieder geistlicher Genossenschaften seien vielmehr nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG versicherungspflichtig, wenn sie "als Angestellte gegen Entgelt beschäftigt" sind, also in einem entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis stehen; in diesem Falle sei für ihre Nachversicherung § 9 Abs 1 und nicht § 9 Abs 5 AVG maßgebend.
Es kommt daher darauf an, ob für die streitigen Zeiten nach § 2 Abs 1 Nr 1 AVG (an sich) versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse zwischen dem Kläger und den beigeladenen Erzdiözesen bestanden. Insofern sind die Ausführungen des LSG widersprüchlich. Es spricht von Beschäftigungsverhältnissen, die inhaltlich einem Gestellungsvertrag (zwischen dem Orden und den Erzdiözesen) entsprochen hätten. Beides ist jedoch nicht miteinander vereinbar, vielmehr schließen sich Beschäftigungsverhältnis und Gestellungsverhältnis (Gestellungsvertrag) gegenseitig aus.
Der entscheidende Unterschied besteht darin, wer über Beginn und Ende der Arbeitsleistung (Dienstleistung) bestimmt. Bei einem Beschäftigungsverhältnis liegt das in der Hand des Arbeitnehmers (Beschäftigten) und des Arbeitgebers (Dienstempfängers), bei einem Gestellungsverhältnis dagegen in der Hand des Gestellenden und des Dienstempfängers (vgl BSGE 28, 208). Der Dienstleistende (Arbeitsleistende) ist danach im ersteren Falle Vereinbarungspartner, im letzteren Falle wird er zur Dienstleistung (Arbeitsleistung) zur Verfügung gestellt. Dementsprechend zahlt der Dienstempfänger im ersteren Falle dem Dienstleistenden (gegebenenfalls als Gegenleistung ein Entgelt, im letzteren Falle dagegen dem Gestellenden (gegebenenfalls) eine Vergütung.
Sonach haben aber aufgrund des vom LSG festgestellten Sachverhalts in den streitigen Zeiten Beschäftigungsverhältnisse zwischen dem Kläger und den beigeladenen Erzdiözesen und nicht sich auf den Kläger beziehende Gestellungsverhältnisse des Ordens zu den Erzdiözesen bestanden. Nach dem Sachverhalt war der Kläger im Seelsorgedienst der Erzdiözesen "beschäftigt"; er war offensichtlich mit Verrichtungen befaßt, wie sie Bediensteten der Erzdiözesen, insbesondere Diözesangeistlichen oblagen. Das LSG geht auch ersichtlich davon aus, daß der Kläger in persönlicher Abhängigkeit in der Weise in den "Betrieb" der Erzdiözesen eingegliedert war, daß er seine Tätigkeit nicht frei gestalten konnte, sondern einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht seiner Diözesanvorgesetzten unterlag (vgl BSGE 13, 201, 202 sowie BSGE 16, 289, 294). Schließlich hat der Kläger von den Erzdiözesen Dienstbezüge erhalten.
Daß der Kläger gleichwohl nur aufgrund von Vereinbarungen zwischen dem Orden und den Erzdiözesen tätig geworden sei, läßt sich aus den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Dazu genügt es nicht, daß der Kläger mit Zustimmung, Genehmigung oder sonstwie mit dem Willen des Ordens tätig geworden ist und ebensowenig, daß seine Beschäftigung im "Benehmen" zwischen dem Orden und den Erzdiözesen erfolgt ist. Nach dem Schutzzweck des § 2 Abs 1 Nr 1 AVG ließe sich die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses des Klägers zu den Erzdiözesen nur verneinen, wenn für Beginn und Ende der Beschäftigung ausschließlich Vereinbarungen zwischen dem Orden und den Erzdiözesen maßgebend gewesen wären. Dafür findet sich in den Feststellungen des LSG, auch wenn es dazu keiner schriftlichen Vereinbarung bedurfte, kein Anhaltspunkt.
Daß der Kläger während der Beschäftigungen ab Oktober 1957 schon exklaustriert war, ist in diesem Zusammenhang unerheblich, obgleich die Exklaustration eher gegen als für einen Gestellungsvertrag spricht. Ein Beschäftigungsverhältnis des Klägers zu den Erzdiözesen kann ferner nicht deshalb verneint werden, weil der Kläger wegen der noch nicht erfolgten Inkardination in den Klerus der Erzdiözesen damals noch Versorgungsrechte für spätere Zeiten gegen den Orden gehabt haben mag.
Bestanden aber in den streitigen Zeiten versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse iS des § 2 Abs 1 Nr 1 AVG des Klägers zu den beigeladenen Erzdiözesen, so hängt die Nachversicherungspflicht nach § 9 Abs 1 AVG davon ab, ob der Kläger in den streitigen Zeiten nach § 6 Abs 1 Nr 4 AVG (für die Zeit vor März 1957 nach einer entsprechenden Vorschrift) versicherungsfrei gewesen ist. Nach dieser Vorschrift sind Geistliche und sonstige Bedienstete der als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannten Religionsgesellschaften versicherungsfrei, wenn ihnen in der dort bestimmten Weise Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist. Die Entscheidungskompetenz hierüber liegt bei den in § 6 Abs 2 AVG (bzw den §§ 11 Abs 3, 12 Satz 2 AVG idF vor 1957) bezeichneten Stellen (BSGE 50, 289, 293 f). Ob diese eine derartige Feststellung getroffen haben, hat das LSG jedoch nicht festgestellt.
Hiernach muß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden, damit dieses zunächst prüft, ob die streitigen Beschäftigungsverhältnisse des Klägers erfassende Gewährleistungsentscheidungen (in Form von Allgemeinverfügungen) ergangen sind; sollte das nicht zutreffen, wird das LSG an die zuständigen obersten Landesbehörden heranzutreten haben, damit diese über die Frage der Gewährleistung von Versorgungsanwartschaften in den streitigen Zeiten für den Kläger entscheiden.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten, an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen
Haufe-Index 1660186 |
BSGE, 278 |