Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung. Operative Brustverkleinerung. Mammareduktionsplastik. Selbstbeschaffte Behandlung. Brustgröße. Körperliche Anomalität. Wirbelsäule. Physiotherapie
Leitsatz (redaktionell)
- Eine bestimmte Brustgröße kann nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, wenn die Brustgröße keine Funktionseinschränkungen bedingt und die Befunde an der Wirbelsäule im Wege der Physiotherapie zu beseitigen sind.
- Psychische Beeinträchtigungen durch eine gewisse Brustgröße rechtfertigen keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung.
Normenkette
SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 27 Abs. 1 S. 1, § 33 Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt von ihrer Krankenkasse die Kostenerstattung für die Durchführung einer operativen Brustverkleinerung (Mammareduktionsplastik).
Die 1982 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der beklagten Ersatzkasse; unter Vorlage eines fachärztlichen Attestes beantragte sie im November 2000 die Kostenübernahme für eine Reduktionsplastik bei juveniler Mammahyperplasie und Adipositas. Nach Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Ein regelwidriger Körperzustand im Sinne einer Disproportion zwischen Brustgröße und den übrigen Körpermaßen, der als Operationsindikation gewertet werden könnte, sei nicht erkennbar (Bescheid vom 8. Juni 2001, Widerspruchsbescheid vom 10. September 2001).
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) die Beklagte verurteilt, die Kosten für eine Brustreduktionsoperation zu übernehmen. Der vom gerichtlichen Sachverständigen festgestellte körperliche Befund einer erheblichen Mammahyperplasie bei nur geringem Übergewicht stelle einen regelwidrigen Körperzustand dar. Die Disproportion sei auch durch eine weitere Gewichtsabnahme der Klägerin nicht beeinflussbar. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Kostenerstattung der (mittlerweile) im Januar 2003 durchgeführten Brustoperation bestehe nicht: Der Körperzustand der Klägerin könne zwar als regelwidrig eingestuft werden, es fehle jedoch an der Behandlungsbedürftigkeit als notwendigem Element des krankenversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs. Hierbei komme es auf die durch die körperliche Normabweichung verursachten Folgewirkungen an. Nach den medizinischen Ermittlungen rechtfertigten die bei der Klägerin festgestellten orthopädischen Beschwerden eine operative Brustverkleinerung nicht. Medizinisch lägen bei der Klägerin lediglich muskuläre Verspannungen in der Schulter- und Nackenregion, die im Wege der Physiotherapie zu beseitigen seien, sowie typische Schnürfurchen der Schultern und eine Halswirbelsäulen-Kyphose vor. Unterstelle man daneben das Vorliegen psychischer Beeinträchtigungen, stellten diese ebenfalls keine Operationsindikation dar. Die vorrangig durchzuführende psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung habe die Klägerin nicht in Anspruch genommen (Urteil vom 9. Dezember 2003).
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 27 Abs 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Unstreitig liege ein regelwidriger Körperzustand vor. Dieser sei auch behandlungsbedürftig. Maßgebend sei insoweit nicht das Vorliegen von Folgeerscheinungen, sondern die Möglichkeit ihres zukünftigen Eintritts auf physischer oder psychischer Ebene. Vorliegend hätten genügend Anzeichen für das Eintreten von Folgeerscheinungen vorgelegen. Daneben ziehe schon grundsätzlich eine Regelwidrigkeit die Behandlungsbedürftigkeit nach sich. Dies gelte auch dann, wenn es kein mit der Behandlung angestrebtes abstraktes Bild eines “normierten” Menschen gebe. Einen Grundsatz, wonach psychische Beeinträchtigungen regelmäßig keine Operationsindikation darstellen, gebe es nicht. So bestehe beispielsweise eine Leistungspflicht der Krankenkassen für Operationen zur Geschlechtsumwandlung. Auf Grund ihrer psychischen Situation sei eine Operation indiziert gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Dezember 2003 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 2. Dezember 2002 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin 2.091,73 Euro zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts. Mangels eines Maßstabes für die Normgerechtheit sei schon zweifelhaft, ob bei der Klägerin ein regelwidriger Zustand vorgelegen habe. Eine Behandlungsbedürftigkeit bestehe nicht schon dann, wenn die Gefahr des Auftretens von Folgeerscheinungen eines regelwidrigen Körperzustands oder die Möglichkeit der Verschlimmerung nicht ausgeschlossen werden könne. Dementsprechend habe weder auf orthopädischem noch auf psychischem Gebiet eine Behandlungsbedürftigkeit bestanden.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Klägerin die Kosten für die Durchführung einer operativen Brustverkleinerung zu erstatten.
Als Rechtsgrundlage für die Erstattung der Kosten für die im Januar 2003 selbstbeschaffte Behandlung kommt nur § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V (in der Fassung des GSG vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) in Betracht, nachdem die Klägerin sich die in Rede stehende Behandlung auf eigene Kosten selbst beschafft hat. Nach der genannten Regelung hat eine Krankenkasse nur dann Kosten für eine vom Versicherten selbstbeschaffte Leistung zu erstatten, wenn sie die Kosten dadurch verursacht hat, dass sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringt oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die selbstbeschaffte Behandlung muss infolgedessen zu den Leistungen gehören, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr vgl zB BSG 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 101 f, 104 mwN). Der Anspruch aus § 13 Abs 3 SGB V scheitert jedoch, weil auch ein Primäranspruch auf eine operative Brustverkleinerung nicht besteht.
Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung setzt nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V eine “Krankheit” voraus. Damit wird in der Rechtsprechung ein regelwidriger, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand umschrieben, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht (BSGE 85, 36, 38 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 3-2200 § 182 Nr 14 S 64 jeweils mwN). Soweit § 33 Abs 1 SGB V eine “Behinderung” bzw eine “drohende Behinderung” genügen lässt, um iVm § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V einen Anspruch auf Krankenbehandlung auszulösen, ist nichts wesentlich anderes als eine Krankheit gemeint; es wird lediglich ein anderer Akzent gesetzt (vgl auch Schmidt in Peters, Hdb der KV, Stand Juni 2004, § 27 SGB V, RdNr 122 ff). Indem § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V neben der Heilung ausdrücklich auch die Linderung von Krankheitsbeschwerden zu den möglichen Zielen einer Krankenbehandlung zählt, macht das Gesetz keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Krankheiten im engeren Sinne, bei denen die Betonung auf dem regelmäßig nur vorübergehenden Charakter einer als überwindbar angesehenen Gesundheitsbeeinträchtigung liegt, und Behinderungen, die als weitgehend unabänderlich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Ausgleichs für eine dauerhaft regelwidrige Körperfunktion die Leistungspflicht begründen können (vgl auch § 2 Abs 1 SGB IX).
Auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen ist das LSG zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die Brustgröße bei der Klägerin keine körperliche Anomalität darstellt, die als Krankheit in diesem Sinne zu bewerten wäre. Entgegen der Auffassung der Revision kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit Krankheitswert im Rechtssinne zu; die Rechtsprechung hat diese Grundvoraussetzung für die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht vielmehr dahingehend präzisiert, dass eine Krankheit nur vorliegt, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt (zu Hautverfärbungen vgl Senatsurteil vom 13. Juli 2004 – B 1 KR 11/04 R, in JURIS RdNr 21, auch zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt; zu einer Hodenprothese BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f, wo eine Entstellung als Unterfall eines Funktionsdefizits aufgefasst wird). Unter dem Gesichtspunkt der körperlichen Fehlfunktion kann der Zustand der Klägerin schon deshalb nicht als behandlungsbedürftige Krankheit bewertet werden, weil das LSG unangegriffen festgestellt hat, dass die Brustgröße keine Funktionseinschränkungen bedingt und die Befunde an der Wirbelsäule im Wege der Physiotherapie zu beseitigen seien, aber keine Mammareduktionsplastik rechtfertigten. Deshalb braucht der Senat sich nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob diese Art von Operation generell ungeeignet ist, zu einer Besserung von Wirbelsäulenbeschwerden beizutragen (so LSG Rheinland-Pfalz vom 5. Juni 2003 – L 5 KR 93/02), oder ob es auf die Situation im Einzelfall ankommt (Sächsisches LSG vom 24. September 2003 – L 1 KR 84/01 – JURIS), und ob sie als mittelbare Behandlung einer besonderen Rechtfertigung bedarf, wie dies bei Operationen zur Behebung psychischer Leiden der Fall ist (dazu im Folgenden).
Die Leistungspflicht der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass die Klägerin wegen äußerlicher Entstellung als behandlungsbedürftig anzusehen wäre. Die Rechtsprechung hat eine Entstellung bei einer Frau ohne natürliches Kopfhaar (nochmals BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 45 S 253 f; anders beim Mann: BSG SozR 2200 § 182b Nr 18 S 50 f), bei einer Wangenatrophie (LSG Rheinland-Pfalz vom 2. Mai 2002 – L 5 KR 93/01 – KRS 02.021) oder bei Narben im Lippenbereich (BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1) angenommen bzw erörtert; im Urteil zum Fall eines Kindes mit einer angeborenen Gesichtsspalte ist zwar von einer Missbildung die Rede, gleichzeitig dürften aber Funktionsdefizite vorgelegen haben (vgl BSG SozR 2200 § 182 Nr 11 S 21 f). Dabei ist die Frage, ob ein körperliches Defizit das Aussehen eines Menschen entstellt, in erster Linie Tatfrage und daher nicht vom Revisionsgericht zu beantworten (dazu nochmals: BSG SozR 3-1750 § 372 Nr 1). Das LSG hat die vom gerichtlich bestellten Sachverständigen bei der Klägerin erhobenen Befunde einer Vergrößerung der Brüste (Mamma-Hyperplasie beidseits), eines leichten Übergewichts sowie einer Disproportion zwischen Brustgröße und den übrigen Körpermaßen anders als dieser nicht als krankhaft gewertet und dem körperlichen Befund bei der Klägerin somit keine entstellende Wirkung beigemessen. Das ist unter revisionsgerichtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden; insbesondere ist keine unzutreffende Auslegung des Rechtsbegriffs der Krankheit in der Variante der entstellenden Wirkung ersichtlich. Abgesehen davon, dass die Beispiele in der bisherigen Rechtsprechung durchweg körperliche Auffälligkeiten betreffen, die sich schon bei flüchtiger Begegnung in alltäglichen Situationen quasi “im Vorbeigehen” bemerkbar machen, wäre die Bewertung des Zustands der Klägerin als “Entstellung” mit dem Krankheitsbegriff kaum in Einklang zu bringen, vor allem wenn man die außerordentliche Vielfalt in Form und Größe der weiblichen Brust berücksichtigt.
Das LSG hat offen gelassen, ob psychische Beeinträchtigungen überhaupt vorliegen. Jedenfalls rechtfertigt eine solche Belastung der Klägerin, wie das LSG zu Recht betont, keinen operativen Eingriff auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Krankenkasse muss den Versicherten nicht mit jeglichem Mittel versorgen, das seiner Gesundheit förderlich ist oder für sich in Anspruch nimmt, auf die Krankheit einzuwirken; vielmehr mutet das Gesetz dem Versicherten zu, teilweise selbst für seine Gesundheit zu sorgen (vgl § 1 Satz 2 Halbs 1, § 2 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB V). Es weist beispielsweise die Ernährung und Körperpflege insgesamt seiner Eigenverantwortung zu, und zwar selbst dann, wenn die dafür eingesetzten Mittel wesentlich dazu beitragen, den Gesundheitszustand zu bessern oder die Verschlimmerung einer Krankheit zu verhüten (vgl BSGE 81, 240, 243 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 29 f zu Mehraufwendungen für eine eiweißarme Diät mwN zur früheren, zum Teil abweichenden Rechtsprechung; zur Abgrenzung von Körperpflege und Behandlung auch BSGE 85, 132, 138 f = SozR 3-2500 § 27 Nr 12 S 64 f). Schon daraus ergibt sich, dass Krankheit keinen undifferenzierten Bedarf an Sozialleistungen auslöst, sondern dass der Begriff der Krankenbehandlung iS von § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V in einem enger umrissenen Sinne zu verstehen ist. Deshalb geht auch der Einwand ins Leere, der operative Eingriff sei kostenmäßig günstiger als eine langwierige psychiatrische bzw psychotherapeutische Behandlung (zur Unerheblichkeit angeblicher Einsparungen infolge des Einsatzes nicht im Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung enthaltener Leistungen vgl im Übrigen schon BSGE 79, 125, 127 = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51; BSGE 80, 181, 182 = SozR 3-2500 § 13 Nr 14 S 69; BSGE 86, 66, 76 = SozR 3-2500 § 13 Nr 21 S 97 f mwN).
Die bisherige Rechtsprechung hat einen Leistungsanspruch auf Heilbehandlung in Form körperlicher Eingriffe verneint, wenn diese Maßnahmen nicht durch Fehlfunktionen oder durch Entstellung, also nicht durch einen regelwidrigen Körperzustand iS der dargestellten krankenversicherungsrechtlichen Grundsätze veranlasst werden (BSGE 82, 158, 163 f = SozR 3-2500 § 39 Nr 5 S 29 f mwN). Damit hat sie Operationen am – krankenversicherungsrechtlich betrachtet – gesunden Körper, die psychische Leiden beeinflussen sollen, nicht als “Behandlung” iS von § 27 Abs 1 SGB V gewertet und derartige Maßnahmen (ähnlich wie zB Ernährung und Körperpflege) der Eigenverantwortung des Versicherten zugewiesen. An dieser Abgrenzung hält der Senat fest. Die Gegenmeinung relativiert den Krankheitsbegriff über Gebühr, weil sie einen Körperzustand ohne objektiven Krankheitswert dennoch rechtlich als körperlich regelwidrig behandeln will – also so, wie ihn der psychisch erkrankte Versicherte subjektiv empfindet –, indem sie daraus denselben Behandlungsanspruch ableitet wie bei tatsächlich vorhandener Körperfehlfunktion oder Entstellung. Sie verkennt außerdem, dass die Kostenübernahme für die hier in Rede stehenden Operationen mit Rücksicht auf die damit verbundenen Risiken einer besonderen Rechtfertigung bedarf, weil damit nicht gezielt gegen die eigentliche Krankheit selbst vorgegangen wird, sondern nur mittelbar die Besserung eines an sich einem anderen Bereich zugehörigen gesundheitlichen Defizits erreicht werden soll. Eine solche Rechtfertigung hat der Senat für Operationen am gesunden Körper zur Behebung von psychischen Störungen vor allem wegen der Schwierigkeiten einer Vorhersage der psychischen Wirkungen von körperlichen Veränderungen und der deshalb grundsätzlich unsicheren Erfolgsprognose in ständiger Rechtsprechung verneint (zusammenfassend: BSGE 90, 289, 291 = SozR 4-2500 § 137c Nr 1 RdNr 6 mwN). Der damit aufgestellte Grundsatz wäre nur dann zu überprüfen, wenn sich die wissenschaftliche Bewertung der generellen psychotherapeutischen Eignung chirurgischer Eingriffe (hier: an der Brustgröße) wesentlich geändert hätte. Die aktuellen medizinischen Erkenntnisse widerlegen jedoch nicht die diesbezüglichen in der Rechtsprechung geäußerten Zweifel. Hierfür sind in erster Linie allgemein fundierte wissenschaftliche Nachweise (grundlegend: BSGE 76, 194, 199 = SozR 3-2500 § 27 Nr 5 S 12) und nicht die Verhältnisse im konkreten Fall der Klägerin maßgebend, sodass das LSG zu Recht keinen Anlass gesehen hat, den Einzelfall weiter aufzuklären.
Auf Grund von medizinischen Untersuchungen gab und gibt es Hinweise darauf, dass bei Patienten, die wegen einer als Makel empfundenen körperlichen Besonderheit psychisch erkranken, operative Interventionen sogar zu einer Verschlimmerung des psychischen Krankheitsbildes führen können und daher als kontraindiziert angesehen werden müssten (vgl Driesch ua, Nervenarzt 2004 ≪75≫, 917-931, hier: 928; Strian, Handchirurgie, Mikrochirurgie, Plastische Chirurgie 1984 ≪16≫, 243-245; Mester, Zeitschrift Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse, 1982 ≪28≫, 69-91; vgl auch McLaughlin ua, Psychosomatics, 2004 ≪45≫, 277-280 zur erhöhten Suizidrate bei Patientinnen mit Brustimplantaten). Selbst wenn diese Auffassung ihrerseits in der medizinischen Wissenschaft nicht unumstritten ist (vgl etwa die Auswertung von Studien auf der Grundlage von Patientenbefragungen: Castle ua, Medical Journal of Australia 2002 ≪176≫, 601-604), begründet sie doch zumindest Zweifel an der Erfolgsaussicht von Operationen zur Überwindung einer psychischen Krankheit und bestätigt jedenfalls die schon in der bisherigen Rechtsprechung angelegte Zurückhaltung.
Dem Vorbringen der Revision auf die vermeintlich vergleichbare Problematik der Transsexualität misst der Senat keine zu Gunsten der Klägerin durchgreifende Bedeutung bei. Richtig ist zwar, dass der 3. Senat des BSG im Urteil vom 6. August 1987 die dort von der Vorinstanz vorgenommene Bewertung einer besonders tief greifenden Form der Transsexualität als behandlungsbedürftige Krankheit und als Grund für den Anspruch auf eine geschlechtsangleichende Operation nicht beanstandet hat (BSGE 62, 83 = SozR 2200 § 182 Nr 106). Daraus lassen sich für den hier streitigen Anspruch auf einen brustverkleinernden chirurgischen Eingriff jedoch schon deshalb keine zwingenden Schlüsse ziehen, weil der damals anwendbare § 182 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung eine Ausweitung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung eher zuließ als der inzwischen geltende § 27 Abs 1 Satz 2 SGB V, wie der Senat bereits in anderem Zusammenhang dargelegt hat (BSGE 81, 240, 244 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9 S 30). Vor allem aber kann entgegen der Revision eine Parallele von der Mammahyperplasie zum Sachverhalt der Transsexualität nicht gezogen werden. Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in den dazu ergangenen Urteilen verwertet wurden, handelt es sich dort um eine komplexe, die gesamte Persönlichkeit erfassende tief greifende Störung mit sowohl seelischen als auch körperlichen Beeinträchtigungen (vgl OLG Köln VersR 1995, 447; BVerfGE 49, 286, 299 f = NJW 1979, 595; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – EGMR NJW-RR 2004, 289 mwN zu früheren Ablehnungen; EGMR NJW 2004, 2505; LSG Baden-Württemberg Breith 1982, 175; LSG Niedersachsen Breith 1987, 1; Bayerisches LSG Breith 1987, 531; Eidgenössisches Versicherungsgericht EVGE 120, 463 mwN zu anders lautenden Entscheidungen). Auch der deutsche Gesetzgeber hat durch den Erlass des “Transsexuellengesetzes” (TSG – Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fälle vom 10. September 1980, BGBl I 1654) bestätigt, dass der Befund der Transsexualität eine außergewöhnliche rechtliche Bewertung rechtfertigt. Nach der bisherigen Rechtsprechung der Instanzgerichte müssen geschlechtsangleichende Operationen einem transsexuellen Versicherten überdies nicht generell, sondern nur bei entsprechend massiven Krankheitserscheinungen gewährt werden; die Versicherten hatten regelmäßig einen längeren psychiatrischen Behandlungsversuch hinter sich (vgl nochmals die drei bereits zitierten LSG-Urteile). Schließlich sprechen die Gerichte einer transsexuellen Versicherten auch nicht jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer möglichst großen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild zu (Sächsisches LSG vom 3. Februar 1999 – L 1 KR 31/98, JURIS – zu einer Brustvergrößerung; vgl auch Bayerisches LSG vom 30. Oktober 2003 – L 4 KR 203/01 – zu einer besonderen Penisplastik zwecks Urinierens im Stehen bei Frau-zu-Mann-Transsexualität). Aus alledem wird deutlich, dass der Hinweis auf die Ansprüche von transsexuellen Versicherten den Anspruch der Klägerin nicht zu stützen vermag.
Die Entscheidung verletzt auch keine Grundrechte der Klägerin. Aus Art 2 Abs 1 und Art 2 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) folgt zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195; Schulze-Fielitz in: Dreier, GG-Kommentar, 2. Aufl 2004, Art 2 II, RdNr 76). Darüber hinaus ist verfassungsrechtlich nur geboten, eine medizinische Versorgung für alle Bürger bereitzuhalten (vgl Schulze-Fielitz, aaO, RdNr 96). Dabei hat der Gesetzgeber aber einen so weiten Gestaltungsspielraum, dass sich originäre Leistungsansprüche aus Art 2 Abs 2 Satz 1 GG regelmäßig nicht ableiten lassen (vgl Murswiek in: Sachs, GG, 3. Auflage 2003, Art 2, RdNr 225). Aus dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten (vgl BVerfGE 89, 120, 130) folgt jedenfalls kein grundrechtlicher Anspruch gegen seine Krankenkasse auf Bereitstellung oder Finanzierung bestimmter Gesundheitsleistungen (stRspr, vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 1998, 1775: vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 1997, 3085). Vor diesem Hintergrund ist auch das grundsätzliche Erfordernis des unmittelbaren Ansetzens einer Therapie an der konkreten Krankheit und die damit einhergehenden Einschränkungen für Behandlungsalternativen, die den Gesundheitszustand nur mittelbar beeinflussen können, mit Art 2 Abs 2 Satz 1 GG vereinbar.
Da der Anspruch der Klägerin unter keinem Gesichtspunkt begründet ist, musste ihre Revision zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen