Orientierungssatz
Die Zeit, in der ein Versicherter während des zweiten Weltkrieges aufgrund des Luftschutzgesetzes bei der freiwilligen Feuerwehr verpflichtet war, kann nicht als Ersatzzeit iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 gewertet werden Anschluß an BSG 1973-08-22 12 RJ 102/73 = SozR Nr 69 zu § 1251 RVO). Zeiten einer Dienstverpflichtung können als militärähnlicher Dienst nur dann Ersatzzeiten nach RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 sein, wenn hierdurch der Dienstverpflichtete zeitlich voll in Anspruch genommen ist. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Versicherte in der Lage war, seinen selbständigen Gewerbebetrieb - wenn auch mit Einschränkungen - weiterzuführen.
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; LuftSchG
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 5. September 1973 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Rechtsstreit wird darüber geführt, ob dem Kläger die Zeit vom 1. Juli 1943 bis zum 15. Mai 1945 bei der Berechnung seiner Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als Ersatzzeit gutzubringen ist.
Der Kläger - damals selbständiger Klempner und Installateur - war während der angegebenen Zeit zur Dienstleistung im Sicherheits- und Hilfsdienst der freiwilligen Feuerwehr verpflichtet. Die Beklagte lehnte seinen Antrag auf Anerkennung der vorbezeichneten Zeit als Ersatzzeit ab (Bescheid vom 29. November 1971). Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 20. Juni 1972), das Landessozialgericht (LSG) dagegen das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. September 1973).
Das Berufungsgericht hat festgestellt: Die Verpflichtung des Klägers im Hilfsdienst sei aufgrund der §§ 2 und 5 des Luftschutzgesetzes vom 26. Juni 1935 (RGBl I 827) i. V. m. § 9 der Ersten Durchführungsverordnung (1. DVO) zum Luftschutzgesetz vom 4. Mai 1937 (RGBl I 559) erfolgt. Sein Betrieb sei während dieser Zeit weitergeführt worden, und zwar auch während seines - des Klägers - Einsatzes zur Brandbekämpfung und nach Fliegerangriffen. Insgesamt sei er 435 mal zum Einsatz gekommen. Die Einsätze hätten in ihrer Folge stark gewechselt. Gelegentlich sei es mehrmals am Tage zum Einsatz gekommen, dann seien sie tagelang ausgeblieben. Bei dieser Sachlage - so hat das LSG ausgeführt - könne die streitige Zeitspanne nicht als Ersatzzeit gewertet werden. Zwar habe es sich um eine Dienstverpflichtung gehandelt, die einen militärähnlichen Dienst i. S. des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) - und damit eine Ersatzzeit - darstellen könne (vgl. § 3 Abs. 1 Buchst. o des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -). Eine Ersatzzeit sei jedoch nur anzunehmen, wenn es infolge der Dienstleistung zu einer vollen, eine persönliche Berufstätigkeit ausschließenden Inanspruchnahme des Versicherten gekommen sei. An dieser Voraussetzung fehle es. Der Kläger habe seinen Betrieb - wenn auch mit Einschränkungen und mit Unterstützung seiner Ehefrau - während der angegebenen Zeit weitergeführt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Revision. Er meint, das LSG habe zu Unrecht auf den vollen, eine berufliche Tätigkeit ausschließenden Einsatz abgestellt. Er weist auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 1973 (12 RJ 102/73) hin. Dort sei der Versicherte zur Dienstleistung mit der Maßgabe herangezogen worden, daß er in der - ihm nach Ausübung des Berufs verbleibenden - Freizeit als Sachverständiger zur Verfügung zu stehen habe. Für diesen Fall sei es gerechtfertigt gewesen, von der Anerkennung einer Ersatzzeit abzusehen. Gleichwohl habe das BSG dort die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Für das Vorliegen einer Ersatzzeit sei hiernach entscheidend, ob der Versicherte in seiner Berufsausübung behindert gewesen sei. Diese Voraussetzung sei bei ihm, dem Kläger, erfüllt. Er sei in nicht ganz zwei Jahren 435 mal zum Einsatz gekommen. Das SG habe daraus zu Recht den Schluß gezogen, daß er bei 290 Arbeitstagen im Jahr fast jeden Tag im Einsatz gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie stützt sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.
Die Revision hat keinen Erfolg
Im vorliegenden Fall kommt die Anerkennung einer Ersatzzeit nur in Anwendung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO i. V. m. § 3 Abs. 1 Buchst. o BVG in Betracht. Zeiten militärähnlichen Dienstes können hiernach Ersatzzeiten sein (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Als militärähnlicher Dienst gilt auch der Dienst im Luftschutz aufgrund der 1. DVO zum Luftschutzgesetz in der seit dem 1. September 1939 jeweils geltenden Fassung (§ 3 Abs. 1 Buchst. o BVG). Es mag unterstellt werden, daß der Kläger zum Luftschutzdienst herangezogen worden ist. Gleichwohl scheidet die Anerkennung einer Ersatzzeit aus. Es trifft zu, daß - wie das LSG schon ausgeführt hat - eine Ersatzzeit nur dann vorliegen könnte, wenn die Arbeitskraft des Klägers in vollem Umfang durch die Dienstleistung in Anspruch genommen worden wäre. Dies hat das BSG bereits in einer früheren Entscheidung ausgesprochen (SozR Nr. 69 zu § 1251 RVO). Dieser Entscheidung ist der folgende Leitsatz vorangestellt: "Zeiten der Notdienstverpflichtung im 2. Weltkrieg sind als militärähnlicher Dienst gemäß § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG nur dann Ersatzzeiten nach § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO, wenn sie den Dienstverpflichteten zeitlich voll in Anspruch genommen haben". Auf die Gründe dieser Entscheidung wird Bezug genommen. Sie ist mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift und auch damit begründet, daß bei den Ersatzzeittatbeständen des § 1251 RVO jeweils auf die volle Inanspruchnahme des Versicherten abgestellt sei. Hiernach muß der Versicherte durch die Dienstleistung in einem zeitlichen Umfang eingesetzt gewesen sein, der dem Einsatz eines Vollbeschäftigten unter Berücksichtigung der im 2. Weltkrieg üblichen langen Arbeitszeit entsprach. Der Kläger gibt diesem Urteil des BSG in seiner Revisionsbegründung einen unrichtigen Inhalt. Es trifft zwar zu, daß in jenem Fall der Versicherte nach dem Wortlaut der Verpflichtungsverfügung nur während der Freizeit dienstverpflichtet sein sollte. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG ist jedoch deshalb erfolgt, weil das Vorbringen des Klägers es nicht ausschloß, daß er sich entgegen dem Wortlaut der Verpflichtungsverfügung damals in vollem Einsatz befunden hat. - Der erkennende Senat schließt sich nach eigener Prüfung dieser Rechtsprechung an. Er sieht in diesem Zusammenhang keinen Anlaß zu einer unterschiedlichen Beurteilung, je nachdem, ob es sich um eine Dienstverpflichtung nach § 3 Abs. 1 Buchst. k BVG oder um eine solche nach Buchst. o handelt.
An dem hiernach erforderlichen vollen Einsatz des Klägers in diesem Sinne fehlt es nach den vom LSG getroffenen Feststellungen. Der Kläger war - wenn auch mit Einschränkungen - in der Lage, seinen Betrieb weiterzuführen. Die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Die Einsatzhäufigkeit unter Berücksichtigung dessen, daß es an manchen Tagen mehrmals zum Einsatz kam, andere Tage aber einsatzfrei blieben, war nicht geeignet, die freiberufliche Tätigkeit des Klägers auszuschließen. - Die Tatsachenfeststellungen des LSG sind vom Kläger übrigens auch nicht substantiiert angegriffen worden (§ 164 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die Revision muß hiernach zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen