Leitsatz (amtlich)
Ein Übergang der Rente wegen Berufsunfähigkeit nach RVO § 183 Abs 5 auf die KK findet nicht statt, wenn Krankengeld und Rente ab demselben Tage beginnen.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12
Tenor
Die Revision der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse F gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. April 1967 wird zurückgewiesen.
Die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die von dem Rechtsvorgänger der jetzigen Kläger, dem am 15. September 1967 verstorbenen Paul W (W.), vorgenommene Abtretung des Anspruchs auf Kinderzulage der beantragten Berufsunfähigkeitsrente an den Beigeladenen E (E.), sein uneheliches Kind, wirksam ist oder ob dieser Anspruch nach § 183 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf die beigeladene Allgemeine Ortskrankenkasse F (AOK) übergegangen ist.
W. ist der uneheliche Vater des am 22. November 1950 geborenen Beigeladenen E. Er ist dem Kinde gegenüber unterhaltspflichtig aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Vilsbiburg vom 10. September 1954 und zahlte regelmäßig bis zum 11. Oktober 1961 Unterhalt. Am 22. März 1962 erging gegen ihn ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluß, aufgrund dessen seine Forderung auf Rentennachzahlung gegen die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) wegen eines Unterhaltsrückstandes in Höhe von 1.866,80 DM gepfändet und dem Beigeladenen E. zur Einziehung überwiesen wurde. Am 29. März 1962 erklärte sich W. mit der Überweisung des Kinderzuschusses an das Kreisjugendamt V als Amtsvormund des Beigeladenen E. einverstanden.
Ab 11. Oktober 1961 bis zum 4. März 1962 gewährte die AOK W. Krankengeld und machte mit Schriftsätzen vom 22. Dezember 1961 und 13. September 1963 einen Ersatzanspruch gegenüber der Beklagten von insgesamt 457,95 DM geltend. Das Sozialamt der Stadt F gewährte W. für die Zeit vom 1. März 1962 bis zum 30. Juni 1963 Sozialhilfe für den Lebensunterhalt und meldete mit den Schriftsätzen vom 19. März 1962 und vom 8. März 1963 seine Ersatzansprüche in Höhe von 164,80 DM an.
Die beklagte LVA gewährte W. mit Bescheid vom 5. April 1962 Rente wegen Berufsunfähigkeit vom 11. Oktober 1961 bis Ende April 1963 und behielt den Rentenzahlbetrag bis zur Abwicklung der geltend gemachten Ersatzansprüche ein. Unter dem 4. Juli 1963 erließ die Beklagte zwei weitere Bescheide. Mit dem ersten Bescheid gewährte sie Rente wegen Berufsunfähigkeit über den 30. April 1963 hinaus für die Dauer der Berufsunfähigkeit. Mit dem zweiten Bescheid, dem sogenannten Ergänzungsbescheid, nahm sie eine Neuberechnung der Rente vor, nach der W. bis zum 31. Dezember 1962 eine Stammrente von 50,90 DM und ein Kinderzuschuß von 44,40 DM und ab 1. Januar 1963 eine Stammrente von 54,20 DM und ein Kinderzuschuß von 47,40 DM monatlich zustanden. Mit einem weiteren am 29. Oktober 1963 zur Post aufgelieferten Bescheid wickelte die Beklagte die geltend gemachten Ersatzansprüche ab und überwies der AOK einen Teilbetrag von 457,90 DM, dem Sozialamt F einen Teilbetrag von 164,80 DM und W. den Betrag von 24,80 DM, so daß der gesamte Nachzahlungsbetrag von 647,50 DM aufgeteilt war.
Mit seiner Klage wandte sich W. gegen diese Aufteilung der Rentennachzahlung, weil die beigeladene AOK ihm das Krankengeld ohne Kinderzuschlag gewährt und das beigeladene Sozialamt Sozialhilfe ohne Kinderzuschuß geleistet habe. Auch habe er am 29. März 1962 seinen Anspruch auf Kinderzuschuß zugunsten seines unehelichen Kindes abgetreten. Diese Abtretung sei vorrangig, so daß zur Tilgung der Ersatzansprüche der AOK und des Sozialamtes nur die Stammrente zur Verfügung stehe.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der AOK F, der Stadt F (Sozialamt) und des minderjährigen E., die Beklagte verurteilt, den in der Zeit vom 11. Oktober 1961 bis 30. April 1962 auf Kinderzuschuß entfallenden monatlichen Rententeilbetrag von 44,40 DM an das Kreisjugendamt V als den Amtsvormund des Beigeladenen E. zu zahlen. Es hat die Berufung zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben die beigeladene AOK und die Stadt F (Sozialamt) Berufung eingelegt. Das Landessozialgericht (LSG) hat diese zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger sei zur Klageerhebung aktiv legitimiert, auch wenn er seinen Anspruch auf Kinderzuschuß abgetreten habe. Er habe hier als Geschäftsführer ohne Auftrag gehandelt und auch Leistung nicht an sich, sondern an den Amtsvormund begehrt.
Die LVA Hessen sei die richtige Beklagte, weil sie entgegen den gesetzlichen Vorschriften die Rentennachzahlung an Dritte aufgeteilt und damit gegenüber dem Anspruchsberechtigten nicht mit befreiender Wirkung geleistet habe.
Grundsätzlich stehe zwar der Kinderzuschuß dem Rentner zu, es sei denn, daß ein Ausnahmefall des § 1262 Abs. 8 RVO vorliege. Damit sei aber noch nicht gesagt, daß auch die Gesamtrente von den Ersatzansprüchen nach § 183 Abs.5 und § 1536 RVO erfaßt werde. Denn das Gesetz lasse erkennen, daß der Kinderzuschuß ein eigenes rechtliches Schicksal haben könne. Er sei eine zweckgebundene Leistung, und zwar sei er für den Unterhalt des Kindes bestimmt. Dies sei aus § 119 a RVO zu entnehmen. Die dem Kinderzuschuß zugedachte Funktion, nämlich die Verwendung für das Kind, würde vereitelt, wenn die nach § 183 Abs. 5, § 1536 RVO Ersatzberechtigten ihre formale Rechtsstellung ausnützten, den Kinderzuschuß in Anspruch zu nehmen, und so den Unterhalt des Kindes gefährden würden.
Beide Behörden hätten auch mit Recht den Familien- bzw. den Kinderzuschuß zu ihren Leistungen abgelehnt, weil W. sein minderjähriges Kind nicht überwiegend unterhalten habe. Den Ersatzberechtigten würde aber ein vom Gesetz nicht gewollter Vermögensvorteil zufließen, wenn sie auf den Kinderzuschuß zurückgreifen könnten, ohne selbst entsprechende Leistungen erbracht zu haben.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die beigeladene AOK hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie rügt Verletzung des § 183 Abs. 5 RVO: Der Kinderzuschuß bilde einen festen Bestandteil der Rente und teile als solcher das Schicksal derselben. Dies gelte auch für den Forderungsübergang nach § 183 Abs. 5 RVO. Der Ausnahmefall des § 119 a RVO liege nicht vor. Da aber der Rentenanspruch des Versicherten im Zeitpunkt seiner Entstehung mit einem Ersatzanspruch der Kasse belastet gewesen sei, so würden die Rechte der Kassen nicht durch eine nachfolgende vertragliche Forderungsabtretung berührt. Es sei auch nicht richtig, daß - wie das LSG annehme - die Krankenkasse keinen Anspruch auf den Kinderzuschuß habe, weil sie selbst keinen Kinderzuschlag zum Krankengeld gezahlt habe. Denn § 183 Abs. 5 RVO biete keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich der Forderungsübergang für einzelne Krankengeld- bzw. Rentenbestandteile getrennt und in jeweiliger Abhängigkeit von dem Zweck der Zuwendung vollziehe.
Die beigeladene AOK beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 25. April 1967 und das Urteil des SG Frankfurt vom 1. März 1966 insoweit aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen, als die beklagte LVA verurteilt wurde, den Kinderzuschuß, der mit monatlich 44,40 DM in dem an die beigeladene AOK F überwiesenen Betrage von 457,90 DM enthalten ist, an das Kreisjugendamt V zu zahlen.
Die beigeladene LVA und die beigeladene Stadt F. (Sozialamt) stellten den gleichen Antrag.
Der Beigeladene E. beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Rechtsnachfolger des Verstorbenen, die jetzigen Kläger, sind im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die Kläger sind als Rechtsnachfolger des W. für den mit der Klage geltend gemachten Anspruch aktiv legitimiert. Hierbei kann offenbleiben, ob W. mit seiner Erklärung vom 29. März 1962, wie das LSG angenommen hat, den Anspruch auf den Kinderzuschuß an den Beigeladenen E. abgetreten oder nicht nur seine nach § 1262 Abs. 8 RVO zulässige Zustimmung zur Aushändigung des Kinderzuschusses an das Kreisjugendamt als den Dritten, der den Unterhalt des Kindes überwiegend bestreitet, erteilt hatte. In diesem Fall wäre W. -und nach seinem Tode seine Rechtsnachfolger-Inhaber des Anspruchs auf den Kinderzuschuß geblieben. Selbst wenn W. aber den streitigen Anspruch an seinen unehelichen Sohn abgetreten hätte, wären die Kläger zur Prozeßgeschäftsführung befugt. Dem Umstand, daß sie ein fremdes Recht verfolgen, haben sie dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß sie Zahlung nicht an sich, sondern an den Beigeladenen E. begehren. Für die Geltendmachung des fremden Rechts mit dieser Maßgabe waren sie durch ein eigenes rechtliches Interesse legitimiert: Durch die Begleichung der abgetretenen Forderung würden sie von ihrer Schuld gegenüber dem Beigeladenen E. befreit werden (vgl. BGHZ 4, 153, 164; Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 29. Aufl. Anm. 4 C vor § 50).
Im Ergebnis zutreffend hat das LSG den Anspruch der beigeladenen AOK auf den streitigen Kinderzuschuß für unbegründet angesehen.
Nach § 183 Abs. 5 RVO wird das Krankengeld um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente gekürzt, wenn dem Versicherten während des Bezuges von Krankengeld Rente wegen Berufsunfähigkeit ... von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird; insoweit geht bei rückwirkender Gewährung der Rente der Rentenanspruch auf die Kasse über. Die Voraussetzungen des Übergangs nach § 183 Abs. 5 RVO sind aber hier nicht erfüllt. Denn der Übergang der Rente auf die Krankenkasse findet nur statt, wenn während des Bezugs von Krankengeld Rente zugebilligt wird. Dabei ist für die Rentenzubilligung maßgebend der Zeitpunkt, von dem an die Rente rückwirkend gewährt wird (vgl. BSG 20, 135). Im vorliegenden Fall hat die Rente am 11. Oktober 1961 begonnen, das Krankengeld ebenfalls am 11. Oktober 1961. Maßgebend sind die Feststellungen des LSG, weil die Revisionsklägerin innerhalb der Revisionsbegründungsfrist insoweit keine Angriffe erhoben hat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Beginn beider Leistungen fällt also auf denselben Tag. Der Begriff "während des Bezuges von Krankengeld" setzt aber voraus, daß das Krankengeld schon an dem Tage läuft, von dem an die Rente zugebilligt worden ist; dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Mai 1967 - 3 RK 29/67 - zusätzlich zu der in erster Linie gegebenen Begründung ausgeführt: § 183 Abs. 5 RVO könnte nicht angewendet werden, wenn beide Leistungen an demselben Tage begännen. Nach dem Sprachgebrauch bedeute "während des Bezuges", daß das Krankengeld schon bezogen werde, wenn die Rente zugebilligt worden sei; diese dürfe also frühestens am Tag nach Beginn des Krankengeldes gezahlt werden.
Dieses Ergebnis entspricht auch dem Sinn dieser Vorschrift. Wie der Senat in seinem Urteil vom 18. Dezember 1963 - BSG 20, 135 - dargelegt hat, beruht die Regelung des § 183 Abs. 5 RVO auf der Erwägung, daß das Krankengeld, das vor der Rente begonnen hat, im allgemeinen nach einem Entgelt berechnet worden ist, das ohne geminderte Erwerbsfähigkeit erzielt worden ist. In diesem Falle stellt das Krankengeld allein schon vollen Lohnersatz dar, und die Zubilligung einer weiteren Leistung mit Lohnersatzfunktion (der Rente wegen Berufsunfähigkeit) ist nicht gerechtfertigt. Beginnt aber die Rente schon vor dem Krankengeld, so ist der Versicherte bei Beginn des Krankengeldes schon berufsunfähig; er bezieht deshalb im allgemeinen ein geringeres Entgelt und bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit auch ein niedrigeres Krankengeld. In solchen Fällen unterbleibt eine Kürzung des Krankengeldes, und bei rückwirkender Rentenbewilligung findet kein Übergang des Rentenanspruchs auf die Krankenkasse statt. Die Berufsunfähigkeitsrente wäre ja auch neben dem - geringen - Arbeitseinkommen gezahlt worden. Im vorliegenden Falle, in dem beide Leistungen an demselben Tage beginnen, läßt sich im Gegensatz zu den beiden anderen Möglichkeiten nichts aus der Reihenfolge der Leistungen für oder gegen eine Anrechnung bzw. für oder gegen einen Übergang auf die Krankenkasse herleiten. Bei einem solchen Grenzfall muß die Erwägung den Ausschlag geben, daß es sich bei § 183 Abs. 5 RVO um eine Ausnahmevorschrift zum Nachteil des Versicherten handelt, die in Zweifelsfällen nicht zu seinem Nachteil angewandt werden darf. Er behält deshalb den Anspruch auf beide Leistungen, für die ja auch entsprechende Beiträge entrichtet worden sind.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen