Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. Versicherungspflicht. Musiklehrer. Geringverdiener. Beitragserhebung. Beitragshöhe. Beitragstragung. Verfassungsmäßigkeit. Gleichheitssatz. Blockflötenlehrer
Leitsatz (amtlich)
Die Einbeziehung geringverdienender selbständiger Musiklehrer in die Künstlersozialversicherung während der ersten fünf Berufsjahre verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Normenkette
KSVG §§ 1-3; GG Art. 3, 12, 14, 20
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1991 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1947 geborene Kläger war bis zum 30. August 1979 als Angestellter beschäftigt und deswegen bei der beigeladenen Krankenkasse zu 1. krankenversichert und bei der Beigeladenen zu 2. rentenversichert. Seit dem 1. September 1979 erteilt er als selbständiger Musiklehrer Blockflötenunterricht. Bis zum 31. Januar 1982 hatte er über seine Ehefrau Anspruch auf Familienkrankenhilfe. Seit dem 1. Februar 1982 war der Kläger als selbständiger Musiklehrer sowohl in der Kranken- als auch in der Rentenversicherung pflichtversichert. Für die Zeit ab Januar 1983 stellte die beklagte Künstlersozialkasse die Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung und Rentenversicherung aufgrund des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) fest und forderte monatliche Beitragszahlungen nach einem voraussichtlichen Einkommen im Jahre 1983 von 6.300,00 DM (Bescheid vom 7. März 1983 idF des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 1983). Die dagegen erhobene Klage, mit der der Kläger die Verfassungswidrigkeit des KSVG geltend machte, blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts vom 5. November 1986). Während des anschließenden Berufungsverfahrens setzte die Beklagte mit Bescheid vom 2. Februar 1987 die Beiträge des Klägers für die Kalenderjahre 1983 und 1984 nach Vorlage der Einkommensteuerbescheide erneut fest und erkannte Versicherungsfreiheit wegen geringfügiger Tätigkeit ab dem 1. Januar 1985 an. Nach erfolgloser Berufung des Klägers hob das Bundessozialgericht (BSG) auf die Revision das Berufungsurteil wegen fehlender Beiladung der Versicherungsträger auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) zurück. Mit Urteil vom 29. Mai 1991 wies das LSG nach Beiladung der Versicherungsträger die Berufung des Klägers mit dem Hauptantrag, die Bescheide über die Feststellung der Versicherungspflicht ab Januar 1983 aufzuheben, und dem Hilfsantrag, Versicherungsfreiheit ab 1. Januar 1984, hilfweise ab 1. September 1984 festzustellen, erneut zurück: Die Beklagte habe den Kläger aufgrund der bestehenden Gesetzesvorschriften zu Recht in den Jahren 1983 und 1984 als nach dem KSVG versicherungspflichtig angesehen; die gesetzliche Regelung sei verfassungsgemäß.
Mit der vom BSG zugelassenen Revision macht der Kläger weiterhin die Verfassungswidrigkeit seiner Einbeziehung in die Künstlersozialversicherung geltend. Im einzelnen sieht er einen Verstoß gegen die Art 3, 12 und 14 Grundgesetz (GG) darin, daß er als Geringverdiener im Vergleich zu anderen Personen durch die Beitragspflicht in hohem Maße benachteiligt werde und dafür sowohl in der Krankenversicherung als auch in der Rentenversicherung keine entsprechenden Gegenleistungen erhalte.
Der Kläger beantragt,
die angefochtenen Urteile sowie die zugrundeliegenden Bescheide der Beklagten aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.
Entscheidungsgründe
II
1. Die Revision des Klägers ist zulässig, obwohl ein ausdrücklicher Revisionsantrag erst in der mündlichen Verhandlung nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gestellt wurde. Denn dieser Antrag war sinngemäß schon der Revisionsbegründungsschrift zu entnehmen. § 164 Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verlangt zwar, daß die Begründung einen “bestimmten Antrag” enthalten muß. Dies bedeutet aber nicht, wie in ständiger Rechtsprechung des BSG entschieden, daß der Antrag ausdrücklich gestellt werden muß (BSGE 1, 98 zur früheren Fassung des § 164 Abs 2 Satz 1 SGG; ferner SozR 1500 § 164 Nrn 6 und 8). Es reicht aus, wenn sich aus der rechtzeitig eingereichten Revisionsbegründung zweifelsfrei entnehmen läßt, in welchem Umfang das Berufungsurteil angefochten wird.
Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Haupt- und Hilfsantrag abgewiesen. Der Hauptantrag war darauf gerichtet, die Bescheide über die Feststellung der Versicherungspflicht ab Januar 1983 und die Festsetzung der nach dem voraussichtlichen Einkommen zu entrichtenden Beiträge aufzuheben. Zur Abweisung des Hauptantrags hat das LSG in den Entscheidungsgründen erläutert, daß die angefochtenen Bescheide idF durch den im Berufungsverfahren ergangenen Änderungsbescheid einschließlich der im Änderungsbescheid erstmalig erfolgten Festsetzung der Beiträge nach Maßgabe des 1983 und 1984 tatsächlich aus der künstlerischen Tätigkeit erzielten Einkommens rechtmäßig waren. Damit hat das LSG die Berufung des Klägers zum Hauptantrag zurückgewiesen und die in der Berufungsinstanz gegen den Änderungsbescheid erhobene Klage abgewiesen, auch wenn letzteres in der Urteilsformel nicht deutlich zum Ausdruck kommt. Der ebenfalls abgewiesene Hilfsantrag war darauf gerichtet, Versicherungsfreiheit ab 1. Januar 1984, hilfweise ab 1. September 1984 festzustellen.
Aus der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich, daß der Kläger das Urteil des LSG anficht, soweit es seinen Hauptantrag auf Aufhebung der Bescheide über die Feststellung der Versicherungspflicht und der Beitragshöhe abgewiesen hat. Nach den in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen ist Gegenstand des Revisionsverfahrens allein die Einbeziehung des Klägers in die Versicherungspflicht nebst Beitragsfestsetzung, die der Kläger als verfassungswidrig ansieht und gegen die er sich mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) wehrt. Hinsichtlich der Abweisung des Hilfsantrags auf Feststellung eines früheren Zeitpunkts des Endes der Versicherungspflicht, der einen anderen Streitgegenstand als die Anfechtungsklage betrifft und für den die in der Revisionsbegründungsfrist geltend gemachten verfassungsrechtlichen Rügen ohne Bedeutung sind, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt.
2. Die Revision des Klägers ist jedoch unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, daß der Kläger der Versicherungspflicht nach dem KSVG unterliegt. Die vom Kläger geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken greifen nicht durch, so daß keine Veranlassung besteht, den Rechtsstreit gemäß Art 100 Abs 1 GG auszusetzen und die Frage der Vereinbarkeit des KSVG insgesamt oder einzelner Vorschriften mit dem GG dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorzulegen.
Nach dem KSVG ist der Kläger versichert, weil er als selbständiger Blockflötenlehrer Musik lehrt (§§ 1 und 2 KSVG idF vom 27. Juli 1981 ≪KSVG 1981≫ BGBl I 705). Die Versicherungspflicht des Klägers (Kranken- und Rentenversicherung) bereits ab 1. Januar 1983 – dem Inkrafttreten des Gesetzes – folgt aus den §§ 53, 56 KSVG 1981, die anordnen, daß die schon vorher nach § 2 Abs 1 Nr 4 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) bzw § 166 Nr 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherten selbständigen Künstler unabhängig vom Zeitpunkt der Feststellung der Versicherungspflicht nach dem KSVG weiterversichert sind. Mit Inkrafttreten des KSVG ist die Versicherungspflicht für Musiklehrer nach den genannten Vorschriften des AVG und der RVO, die bis dahin für den Kläger galten, entfallen.
3. Die Einführung einer Pflichtversicherung für selbständige Künstler verstößt weder gegen den von der Revision angeführten Art 12 GG noch gegen Art 14, 2 Abs 1 oder 3 Abs 1 GG. Das BVerfG hat bereits entschieden, daß die im KSVG den Verwertern auferlegte Künstlersozialabgabe nicht verfassungswidrig ist (BVerfGE 75, 108 = SozR 5425 § 1 Nr 1). Wäre ein besonderes Sozialversicherungssystem für selbständige Künstler nicht verfassungsgemäß, so wäre das ganze KSVG einschließlich der Vorschriften über die Künstlersozialabgabe verfassungswidrig. Die Entscheidung des BVerfG besagt damit nach ihrem Gesamtzusammenhang auch, daß die Einführung einer Pflichtversicherung für selbständige Künstler im Grundsatz verfassungsgemäß ist.
Art 12 GG, der die Berufsfreiheit schützt, wird durch die Einbeziehung der selbständigen Künstler in die Pflichtversicherung nicht verletzt. Es ist schon fraglich, ob durch die Auferlegung von Sozialversicherungsbeiträgen überhaupt die Berufsfreiheit tangiert wird (vgl BVerfGE 34, 62, 70). Jedenfalls handelt es sich dann um eine Berufsausübungsregelung, die schon zulässig ist, wenn – wie hier – vernünftige Zwecke des Gemeinwohls damit verfolgt werden (vgl BVerfG SozR 2100 § 8 Nr 6 und BVerfG SGb 1989, 386).
Die Auferlegung von Zwangsbeiträgen verletzt auch nicht Art 14 GG (BVerfGE 10, 354, 371), zumindest dann nicht, wenn sie keine Erdrosselungswirkung hat (BVerfG SozR 2100 § 8 Nr 6). Eine solche Erdrosselungswirkung ist bei Beiträgen, die in etwa denen von Arbeitnehmern entsprechen, nicht ersichtlich und wird auch vom Kläger, der für die Jahre 1983 und 1984 insgesamt 1.299,77 DM zahlen soll, nicht behauptet. Damit scheidet auch eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips aus (vgl zur Einbeziehung in ein berufsständisches Versorgungswerk bei geringfügigen Einkünften auch BVerwGE 94, 82 ff = NJW 1994, 1888).
Das allgemeine Freiheitsgrundrecht des Art 2 Abs 1 GG umfaßt zwar die wirtschaftliche Handlungsfreiheit. Der insoweit garantierte Spielraum, sich als verantwortlicher Unternehmer frei zu entfalten, wird durch eine den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrende Belastung mit Beiträgen nicht verletzt.
Der Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG steht einer besonderen Pflichtversicherung für Künstler und Publizisten nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat allerdings 1989, also nach der oben angeführten Entscheidung des BVerfG zum KSVG (BVerfGE 75, 108 = SozR 5425 § 1 Nr 1), mit dem Gesundheitsreformgesetz (GRG) die Krankenversicherungspflicht für selbständige Lehrer und Erzieher beseitigt (§ 5 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – ≪SGB V≫). Das ist zwar im Vergleich mit der Krankenversicherungspflicht der Künstler und Publizisten nicht sehr überzeugend (Peters in KassKomm SGB V § 5 RdNr 153), überschreitet aber nicht die durch Art 3 GG gezogenen Grenzen. Im übrigen könnte ein Verstoß gegen Art 3 GG nur die Wirksamkeit der Aufhebung der Versicherungspflicht für selbständige Lehrer und Erzieher berühren, aber nicht die Aufrechterhaltung der Künstlersozialversicherung, insbesondere nicht rückwirkend für die hier streitigen Jahre 1983 und 1984.
Der Gesetzgeber war entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deshalb gehalten, selbständige Musiklehrer von der Künstlersozialversicherung auszunehmen, weil diese bereits nach Maßgabe der RVO versicherungspflichtig und damit nicht mehr schutzlos waren. Der nach der RVO bestehende Versicherungsschutz bestätigt vielmehr die besondere Schutzbedürftigkeit der selbständigen Musiklehrer. Der Gesetzgeber hat die Künstlersozialversicherung eingeführt, weil er insbesondere die selbständigen Künstler und Publizisten im allgemeinen als deutlich schlechter sozial gesichert angesehen hat als Arbeitnehmer, aber auch als andere selbständig erwerbstätige Personen (vgl Amtliche Begründung BR-Drucks 410/76 S 13 sowie BR-Drucks 260/79 S 19). Mit dem KSVG hat er ein besonderes Sozialversicherungssystem eingeführt, das den Besonderheiten dieses Personenkreises Rechnung trägt; gleichzeitig hat er die bis dahin bestehenden sozialversicherungsrechtlichen Regelungen für Musiklehrer durch das neue System abgelöst. Bei der Einführung einer gesetzlichen Pflichtversicherung liegt es in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfGE 10, 354, 370 f und BVerfGE 29, 221, 235 = SozR Nr 7 zu Art 2 GG). Ob der Gesetzgeber bei der Abgrenzung des versicherungspflichtigen Personenkreises auch hinsichtlich anderer Künstlergruppen, zu denen der Kläger nicht gehört, die weiten Grenzen seiner Gestaltungsfreiheit eingehalten hat (vgl dazu kritisch Wiese, Gema-Nachrichten 1979, 83, 90 ff), war hier nicht zu entscheiden.
4. Es verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art 20 GG), daß das KSVG für die ersten fünf Berufsjahre die zuvor bestehende Aussicht versicherungspflichtiger Musiklehrer beseitigte, bei einer selbständigen Tätigkeit unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze versicherungsfrei zu bleiben oder mit dem Unterschreiten der Geringfügigkeitsgrenze versicherungsfrei zu werden.
Insoweit unterstellt der Senat, daß der Kläger ohne Einführung der Künstlersozialversicherung in den Jahren 1983 und 1984 versicherungsfrei gewesen wäre. Ohne KSVG wäre die Regelung über die Versicherungsfreiheit einer geringfügigen selbständigen Tätigkeit in der Rentenversicherung nach Maßgabe des § 4 Abs 1 Nr 5 AVG idF durch Art II § 2 Nr 3 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) und in der Krankenversicherung nach § 168 RVO idF durch Art II § 1 Nr 3 des Gesetzes vom 23. Dezember 1976 (BGBl I 3845) auf den Kläger weiterhin anwendbar geblieben. Nach § 8 Sozialgesetzbuch – Viertes Buch – idF durch Art II § 16 Nr 2 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) war eine Tätigkeit von weniger als 15 Stunden wöchentlich geringfügig, wenn das Arbeitseinkommen monatlich 390,00 DM nicht übersteigt. Das Arbeitseinkommen des Klägers betrug 1983 DM 4.013,00 (/12 = 334,42 DM) und 1984 DM 4.581,00 (/12 = 381,75 DM). Der Senat unterstellt, daß auch die Zeitgrenze nicht überschritten wurde.
Nach dem KSVG war der Kläger in beiden Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig. Die dort für Künstler mit geringfügigem Arbeitseinkommen aus der künstlerischen Tätigkeit vorgesehene Versicherungsfreiheit (§ 3 Abs 1 KSVG) gilt nicht für die ersten fünf Jahre seit der erstmaligen Aufnahme der selbständigen Tätigkeit (§ 3 Abs 2 KSVG). Diese Frist war im Falle des Klägers jedenfalls bei Erlaß des Widerspruchsbescheides am 20. Juli 1983 nicht abgelaufen. Die Beklagte hat daher nach dem KSVG zu Recht Versicherungspflicht ab dem 1. Januar 1983 festgestellt.
Ein Vertrauen darauf, daß sozialversicherungsrechtliche Vorschriften unverändert bleiben, ist grundsätzlich nicht schutzwürdig (vgl BSG SozR 2200 § 1385 Nr 16 und dazu BVerfG aaO Nr 17). Eine Ausnahme kann nur dann gelten, wenn die frühere Rechtslage einen besonderen Besitzstand begründet oder besondere Aufwendungen veranlaßt hat, die nicht oder zumindest nicht ohne Übergangsregelungen entwertet werden dürfen. Die bloße Aussicht des Klägers, bei geringfügigem Einkommen nach den bisher bestehenden Vorschriften versicherungsfrei zu bleiben, ist keine solche schutzwürdige Position.
5. Soweit der Kläger die Ausgestaltung der Versicherungspflicht im einzelnen als verfassungswidrig angreift, ist dies zT für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich; soweit es erheblich ist, ist es sachlich unbegründet. Das gilt gleichermaßen für die Einbeziehung in die Krankenversicherungspflicht wie für die Rentenversicherungspflicht.
Zur Krankenversicherungspflicht: Die Einbeziehung des Klägers in die Krankenversicherungspflicht in den streitigen Jahren verstößt nicht deshalb gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), weil andere selbständige Lehrer und Erzieher mit gleichen Einkünften auch in ihren ersten fünf Berufsjahren nach den für sie weitergeltenden Vorschriften versicherungsfrei blieben. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (vgl BVerfGE 1, 14, 52 und stRspr). Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd und deshalb willkürlich ist, läßt sich nicht allgemein feststellen, sondern nur stets in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll (BVerfG SozR 5425 § 1 Nr 1; BVerfGE 17, 122, 130).
Der Gesetzgeber hat für die Versicherungspflicht von geringverdienenden Künstlern in den ersten Berufsjahren eine besondere Schutzbedürftigkeit angeführt, weil geringe Einkünfte in den ersten Berufsjahren gerade bei Künstlern typisch seien (vgl BT-Drucks 9/26 S 18 zu § 3). Die Versicherungsfreiheit einer geringfügigen Beschäftigung in der Krankenversicherung, nunmehr nach § 7 SGB V, soll sicherstellen, daß der Versicherungsschutz nur auf der Grundlage einer Beschäftigung erfolgt, die für die Bestreitung des Lebensunterhalts des Beschäftigten wesentlich ist. Daher sind Ausnahmen vom Grundsatz der Versicherungsfreiheit einer geringfügigen Beschäftigung für Personengruppen sachgerecht, auf die der Erfahrungssatz, daß geringfügig Beschäftigte regelmäßig über andere Einnahmequellen verfügen, aus besonderen Gründen nicht zutrifft und die deshalb hinsichtlich der Einbeziehung in den Versicherungsschutz besonders schutzwürdig sind. So hat der Gesetzgeber die grundsätzliche Versicherungsfreiheit bei geringfügiger Beschäftigung eingeschränkt bei Beschäftigungen im Rahmen der Berufsausbildung (§ 168 Buchst a RVO aF, nunmehr § 7 Nr 1 SGB V) oder bei Behinderten in geschützten Einrichtungen (§ 168 Buchst b RVO aF, vgl nunmehr die unabhängig von einer Beschäftigung bestehende Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 7 SGB V). Für selbständige Lehrer und Erzieher hat der Gesetzgeber in den ersten Berufsjahren eine besondere Schutzbedürftigkeit nicht gesehen; mit dem GRG und der Einführung des SGB V ist die Versicherungspflicht für diese Personen sogar gänzlich entfallen (kritisch dazu Peters in KassKomm, SGB V, § 5 RdNr 152). Ob dies zweckmäßig war, ist hier nicht zu überprüfen, da der Kläger nicht den Wegfall der Versicherungspflicht für diese Personen, sondern die Begründung der Versicherungspflicht für selbständige Musiklehrer angreift. Die unterschiedliche Einschätzung der Schutzbedürftigkeit der Personenkreise durch den Gesetzgeber ist im Grundsatz ein sachlicher Grund, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt. Eine den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers überschreitende Fehleinschätzung der Schutzwürdigkeit selbständiger Musiklehrer ist nicht zu erkennen.
Es verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz, daß der Gesetzgeber von der Versicherungspflicht geringverdienender Künstler in den ersten fünf Berufsjahren keine Ausnahme für Künstler vorgesehen hat, die als Angehörige eines Krankenversicherten Versicherungsschutz gemäß § 205 RVO aF genossen, wie dies beim Kläger über die Versicherung seiner Ehefrau der Fall war. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, bei der Ordnung globaler Sachverhalte, um die es sich bei der Einbeziehung von selbständigen Künstlern und Publizisten in eine Sozialversicherung handelt, untypische Fallgestaltungen zu berücksichtigen; er darf pauschalieren. Hier kann offenbleiben, wie groß die Gruppe der geringverdienenden Künstler in den ersten fünf Berufsjahren ist, und wie viele Angehörige dieser Gruppe familienversichert sind. Selbst wenn die vorgenannte Teilgruppe der Familienversicherten nach ihrer Mächtigkeit vom Gesetzgeber hätte berücksichtigt werden müssen, wäre es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, einen nur abgeleiteten Krankenversicherungsschutz durch eine eigenständige, wenn auch mit Beitragspflichten verbundene Krankenversicherung zu ersetzen. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, daß der Versicherung aus einer aktiven Tätigkeit der Vorrang einzuräumen ist. Wer aus entgeltlicher Tätigkeit in der Lage ist, einen Krankenversicherungsbeitrag aufzubringen, soll nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft kostenlosen Versicherungsschutz erhalten (vgl BVerfG SozR 5420 § 3 Nr 8 zum Vorrang der beitragspflichtigen Krankenversicherung der Landwirte vor der beitragsfreien Rentnerkrankenversicherung).
Auch die vom Kläger monierte Ungleichbehandlung gegenüber den nach § 5 KSVG versicherungsfreien Personen bedeutet keinen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Nach § 5 KSVG sind im wesentlichen solche Personen versicherungsfrei, die entweder anderweitig sozialversichert sind, auf andere Weise wie etwa Beamte sozial abgesichert sind oder wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht als in der gesetzlichen Krankenversicherung schutzbedürftig angesehen werden. Der Gesetzgeber hat auch hier das Schutzbedürfnis der jeweils in Betracht kommenden Personengruppen abgewogen und anders bewertet als das von hauptberuflichen selbständigen Künstlern in den ersten Berufsjahren.
Eine nach dem Maßstab des Art 3 Abs 1 GG ungerechtfertigte Benachteiligung des Klägers liegt auch nicht darin, daß er im Vergleich zu gering entlohnten versicherungspflichtigen Arbeitnehmern, deren Beiträge voll von den Arbeitgebern aufgebracht werden (§ 381 Abs 1 Satz 2 RVO aF, jetzt § 249 Abs 2 SGB V), mit Beitragszahlungen belastet wird. Der Gleichheitssatz gebietet nicht, daß der Kläger als selbständiger Künstler in jeder Hinsicht einem Arbeitnehmer gleichgestellt wird. Das gilt sowohl in der Frage der Beitragshöhe wie in der Frage der Verteilung der Beitragslast. In der Künstlerkrankenversicherung trägt die Künstlersozialkasse die Beiträge (§ 381b RVO aF, 251 Abs 3 SGB V). Die hierfür notwendigen Mittel sind zur Hälfte von den Versicherten aufzubringen (§ 10 KSVG), wobei der Beitragssatz für die Krankenversicherung die Hälfte des durchschnittlichen Beitragssatzes der Krankenkassen beträgt. Der Gesetzgeber hat sich zwar am Leitbild der bis dahin bestehenden Sozialversicherungssysteme orientiert, das von einer von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragenen Solidargemeinschaft ausgeht. Er hat aber allein deshalb die Künstler und Publizisten nur zur Hälfte mit den zur Finanzierung der Leistungen erforderlichen Beiträgen belastet, während die andere Hälfte durch die Künstlersozialabgabe der Verwerter und einen Staatszuschuß aufgebracht wird, weil er die Stellung der Künstler und Publizisten auf dem freien Markt für zu schwach einschätzte, um Teile ihrer Beitragslast über den Preis auf den Abnehmer abzuwälzen (vgl BR-Drucks 260/79 S 19). Die Auferlegung nur der halben Beitragslast beruht also nicht auf einer generellen Gleichstellung mit abhängig Beschäftigten, sondern bedeutet nur eine Ausnahme von dem noch zu erörternden Grundsatz, daß Selbständige ihre Beiträge allein tragen. Weil der Gesetzgeber Künstler nicht wie Arbeitnehmer, sondern – entsprechend den gegebenen Tatsachen – als Selbständige behandelt, kann der Kläger nicht verlangen, wegen seiner niedrigen Einkünfte hinsichtlich seiner eigenen Beitragslast so behandelt zu werden wie ein Arbeitnehmer, der von seinem Arbeitgeber nur ein geringes Entgelt erhält. Insoweit findet die besondere Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, der nur niedrige Entgelte zahlt, in der Künstlersozialversicherung keine Entsprechung.
Es besteht kein allgemeiner Grundsatz in der Sozialversicherung, daß die auf geringfügige Einnahmen entfallenden Beiträge vom Versicherten nicht zu tragen sind. Vielmehr ist auch bei nur geringfügigen Einnahmen im Grundsatz die Versicherungspflicht mit der Beitragspflicht des Versicherten verbunden. Nur bei versicherungspflichtig Beschäftigten und den diesen gleichgestellten Heimarbeitern (§ 12 Abs 2 SGB IV) führt ein Arbeitsentgelt unterhalb der dort genannten Grenze, die der Geringfügigkeitsgrenze entspricht, zur vollen Beitragspflicht des Arbeitgebers und der entsprechenden Freistellung des Versicherten, desgleichen bei Behinderten in geschützten Einrichtungen (§ 5 Abs 1 Nr 8 SGB V), wobei die hier für maßgebende Entgeltgrenze von 20 vH der monatlichen Bezugsgröße (§§ 251 Abs 2 Nr 2 und 235 Abs 3 SGB V) die Entgeltgrenze des § 381 Abs 1 Satz 2 RVO aF noch übersteigt. Die übrigen Krankenversicherten tragen im Grundsatz auch bei nur geringfügigen Einnahmen Beiträge selbst, zB Rentner ihren hälftigen Beitrag (§§ 237, 249a SGB V), Studenten und Praktikanten ihren vollen Beitrag (§§ 250 Abs 1 Nr 3 und 236 SGB V). Selbständige Lehrer und Erzieher tragen ihre Beiträge selbst und dürfen diese auch bei geringfügiger Tätigkeit nur zur Hälfte auf den Auftraggeber abwälzen (§ 475b Satz 2 RVO aF). Das GRG hat den Grundsatz, daß Selbständige ihren Beitrag aus dem Arbeitseinkommen alleine tragen, in Zusammenfassung der früher geltenden Vorschriften ausdrücklich ausgesprochen (§ 250 Abs 1 Nr 2 SGB V). Auch selbständige Landwirte haben, soweit sie versicherungspflichtig sind, ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens Beiträge zu entrichten (§ 37 des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte).
Die Beitragserhebung bei geringfügigen Einnahmen von Künstlern und Publizisten ist nur Folge ihrer Versicherungspflicht, deren Rechtmäßigkeit oben dargelegt worden ist. In der Krankenversicherung mit ihrem vollen Versicherungsschutz bedeutet ein nach einem geringfügigen Einkommen bemessener Beitrag bereits eine erhebliche Anforderung an die Solidargemeinschaft. Ein weiteres Entgegenkommen iS einer Freistellung von jeglicher Beitragslast ist verfassungsrechtlich darüber hinaus nicht geboten. Im Gegenteil kann zur Sicherung der Finanzgrundlagen der Krankenversicherung die Einführung eines Mindestbeitrags gerechtfertigt sein, wie er mit dem Änderungsgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2606) in § 234 Abs 1 SGB V geregelt worden ist.
Der für die Krankenversicherung der Künstler (vor der Änderung des § 46 SGB V durch das Gesetz zur Änderung des KSVG vom 20. Dezember 1988 – BGBl I 2606 –) angeordnete Ausschluß vom Anspruch auf Krankengeld für die ersten sechs Wochen der Arbeitsunfähigkeit, der in den hier streitigen Jahren 1983 und 1984 galt, rechtfertigt es nicht, die Einbeziehung des Klägers in die Versicherungspflicht insgesamt in Frage zu stellen. Wenn diese Regelung gegen Art 3 und 12 GG verstoßen würde, so würde dies einen Anspruch auf Krankengeld begründen, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist. Weitergehende Rechtsfolgen könnten allenfalls dann erwogen werden, wenn mit der Vorenthaltung des Krankengeldes in den ersten sechs Wochen der Beitragspflicht des Klägers überhaupt keine adäquate Gegenleistung mehr gegenüberstünde. Das ist nicht der Fall. Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Anspruch auf Krankengeld nur eine von vielen Leistungen, wenn auch neben der Krankenhilfe bei Selbständigen von größerer Bedeutung als bei abhängig Beschäftigten mit Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die vom Kläger beanstandete fehlende Krankengeldzahlung bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an belastet ihn auch nicht nachteilig auf der Beitragsseite. Das Gegenteil ist der Fall: Durch den Anspruch auf Krankengeld vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an erhöhen sich die Leistungsverpflichtungen der Krankenkasse, so daß dem höheren Risiko durch höhere Beiträge Rechnung getragen werden muß. § 16 KSVG (idF vom 20. Dezember 1988) hat daraus mit der Anordnung eines erhöhten Beitragssatzes die Konsequenzen gezogen. Da der Kläger in der streitigen Zeit tatsächlich nicht zur Beitragszahlung trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit und damit verbundener Einkommenslosigkeit herangezogen worden ist, kommt es auch nicht darauf an, ob dies verfassungswidrig gewesen wäre. Weder die Einbeziehung in die Versicherungspflicht als solche noch die Höhe der vom Kläger zu zahlenden Beiträge hängt davon ab. Ob die später eingeführten, jetzt geltenden Wahlmöglichkeiten für den Anspruch auf Krankengeld nach § 46 SGB V verfassungsrechtlich ebenfalls bedenklich sind, wie der Kläger meint, ist damit auch nicht entscheidungserheblich.
6. Zur Rentenversicherungspflicht: Soweit der Kläger seine Heranziehung zur Rentenversicherung wegen Verstoßes gegen Art 3 Abs 1, Art 12 und Art 14 GG für verfassungswidrig hält, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Der Kläger meint, die von ihm in den Jahren 1983 und 1984 wegen seines geringen Einkommens zu zahlenden Beiträge seien so gering, daß sich daraus allenfalls eine monatliche Rentenanwartschaft von 10,00 DM pro Jahr ergebe. Wenn der Kläger darin eine Benachteiligung gegenüber anderen Personengruppen sieht, die bei geringfügigen Einkünften versicherungsfrei sind, kann auf das oben Ausgeführte zur Krankenversicherung verwiesen werden. Auch hier rechtfertigt die vom Gesetzgeber angenommene besondere Schutzbedürftigkeit der selbständigen Künstler die unterschiedliche Regelung. Die Behauptung des Klägers, daß die Entrichtung von geringen Beiträgen zum Aufbau einer Rentenversicherung nicht sinnvoll sei, läßt einen Verstoß gegen Art 14 GG nicht erkennen. Denn er macht nicht geltend, daß die von ihm geforderten Beiträge ohne jede Gegenleistung blieben. Das LSG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, daß auch geringe Beitragsleistungen zum Aufbau und zur Erhaltung von Anwartschaften auf Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrenten (vgl §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – ≪SGB VI≫) oder Leistungen der medizinischen oder beruflichen Rehabilitation (vgl § 11 SGB VI) dienen können. Wenn diese Rechte nicht wahrgenommen werden können, besteht in Höhe der gezahlten Beiträge ein Erstattungsanspruch (§ 210 SGB VI). Soweit der Kläger vorträgt, daß bei geringverdienenden Künstlern die Anwartschaftszeit von fünf Jahren häufig nicht erfüllt wird, ist dies eine Einschätzung, die in seinem Fall gerade nicht zutrifft. Der Kläger hatte aus seiner abhängigen Beschäftigung vor der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Künstler die Mindestversicherungszeiten bereits erfüllt. Seine allgemeine Einschätzung richtet sich im übrigen gegen die Zweckmäßigkeit der gesetzlichen Regelung, die im Gestaltungsfreiraum des Gesetzgebers liegt.
Soweit der Kläger auf eine Benachteiligung von Selbständigen im Vergleich zu abhängig Beschäftigten hinsichtlich des Hinzuverdienstes bei Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente hinweist, ist ein Zusammenhang mit dem Streitgegenstand, nämlich der Versicherungspflicht dem Grunde nach und der Beitragszahlung, nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 911841 |
BSGE, 11 |
BB 1995, 1748 |
NJW 1995, 902 |