Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Krankenversicherungsbeitrags für die Zeit vom 1. April 1984 bis zum 15. Juni 1984.
Der Kläger war aufgrund eines im Dezember 1983 abgeschlossenen, auf sechs Monate befristeten Arbeitsvertrages beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt betrug 5.000 DM. Er bezog es, bis das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag vom 22. März 1984 mit Wirkung zum 31. März 1984 einvernehmlich beendet wurde. Sodann erhielt er "zum Ausgleich der mit der vorzeitigen Beendigung des Vertrages verbundenen Nachteile" eine Abfindung in Höhe von 12.500 DM.
Der Kläger war aus Anlaß der genannten Beschäftigung freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse geworden. Er setzte die Versicherung nach Aufhebung des Beschäftigungsverhältnisses fort.
Nachdem die Beklagte von der Abfindung Kenntnis erlangt hatte, stufte sie den Kläger für die Zeit vom 1. April 1984 bis zum 15. Juni 1984 in die höchste Beitragsklasse ein. Dabei behandelte sie die 12.500 DM Abfindung als Monatsbezüge von 5.000 DM für die zweieinhalb Monate vom 1. April bis 15. Juni 1984 und unterwarf sie bis zur damaligen Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 3.900 DM der Beitragserhebung. Hierüber kam es zu einem längeren Schriftwechsel, während dessen die Beklagte wegen ihrer Beitragsforderung vollstreckte. Mit Bescheid vom 15. Mai 1985 hielt die Beklagte an ihrer Beitragsberechnung fest. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 29. Januar 1986 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers durch Urteil vom 3. März 1988 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die Abfindung zu Recht in vollem Umfang berücksichtigt. Unerheblich sei deren steuerliche Behandlung. Denn die Regelung zum Gesamteinkommen in § 16 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) sei im Beitragsrecht der Krankenversicherung nicht anzuwenden. Vielmehr müsse § 180 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) berücksichtigt werden, wonach als Grundlohn neben dem Arbeitsentgelt die sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt gelten. Dazu gehöre die Abfindung in voller Höhe.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt der Kläger sinngemäß eine Verletzung des § 7 Ziff 2 Abs. 1 Buchst d der Versicherungsbedingungen (VB) der Beklagten und trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Das LSG sei mit der Berücksichtigung der gesamten Abfindung als Einnahmen zum Lebensunterhalt von den Urteilen des erkennenden Senats vom 28. April 1987 und vom 23. Februar 1988 (SozR 2200 § 180 Nr. 36 und Nr. 39) abgewichen. Danach sei nur der "Arbeitsentgeltanteil" der Abfindung anzusetzen. Hierfür spreche im vorliegenden Fall auch der Aufhebungsvertrag, nach dem die Abfindung ausdrücklich zum Ausgleich der mit der vorzeitigen Beendigung des Vertrages verbundenen Nachteile gezahlt worden sei; sie sei also keine vorweggenommene Vergütung für die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses. Dieses hätte ohne vorzeitige Auflösung im übrigen entgegen der Annahme des LSG nicht nur bis zum 15. Juni 1984, sondern bis zum 15. Juli 1984 gedauert. Deshalb hätte das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus die Abfindungssumme auf dreieinhalb statt auf zweieinhalb Monate verteilen müssen; schon dann sei die Beitragsforderung für die Zeit vom 1. April bis 15. Juni 1984 nicht mehr in voller Höhe begründet.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG vom 3. März 1988 und des SG vom 29. Januar 1986 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Mai 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 1985 zu verurteilen, an ihn 1.081, 20 DM nebst 11 v.H. Zinsen seit dem 18. März 1985 sowie 196 DM Mahnkosten zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie trägt im wesentlichen vor: Bei dem vorliegenden Sachverhalt enthalte die Abfindung keinen Anteil zur Abgeltung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Der Kläger habe sich ohnehin nach Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses beruflich neu orientieren müssen. Durch die Abfindung sei er in die Lage versetzt worden, bis zum 15. Juni 1984 seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Mit dem LSG müsse daher davon ausgegangen werden, daß die Abfindung dem Kläger als Ersatz für das in dem streitigen Zeitraum entgangene Gehalt gewährt worden sei. Hätte der Kläger einen Abfindungsbetrag erhalten, der einer vollständigen Erfüllung des Lohnanspruchs bis zum Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses gleichgekommen wäre (drei bzw. dreieinhalb Monatsgehälter), so bestünden keine Zweifel, daß es sich bei dem als Abfindung bezeichneten Betrag um das bei planmäßiger Durchführung des Arbeitsverhältnisses anfallende Gehalt gehandelt hätte. Denn mehr als die vollständige Erfüllung von Gehaltsansprüchen habe der Kläger von vornherein nicht erzielen können. Wenn demnach sogar bei vollständiger Erfüllung des Gehaltsanspruches trotz vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses Einnahmen zum Lebensunterhalt vorlägen, so verbleibe bei niedrigerem Zahlbetrag erst recht kein Betrag mehr für eine soziale Entschädigung wegen des Arbeitsplatzverlustes.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das LSG begründet. Für eine abschließende Entscheidung sind noch weitere Feststellungen erforderlich.
Im Streit ist die Beitragshöhe für die Zeit vom 1. April bis zum 15. Juni 1984. Damals war der Kläger freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Für solche Mitglieder von Ersatzkassen richtete sich der Beitrag nach der Satzung. Hiervon ist der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ausgegangen, so auch in seinen beiden Urteilen vom 28. April 1987 und vom 23. Februar 1988 (SozR 2200 § 180 Nr. 36 und Nr. 39), die sich mit der Berücksichtigung von Abfindungen bei der Beitragsbemessung durch Ersatzkassen befassen.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 der im Jahre 1984 geltenden Satzung der Beklagten waren die VB Bestandteil der Satzung. Sie bestimmten in § 7 Ziff 2 Abs. 1 Buchst d, daß die dort genannten Mitglieder der Beklagten, zu denen auch der Kläger gehörte, nach ihrem monatlichen "Einkommen" in Beitragsklassen eingestuft wurden. Was dabei unter dem "Einkommen" zu verstehen war, bestimmten die VB nicht näher. Daß die Beklagte nach § 7 Ziff 2 Abs. 4 Buchst b der VB berechtigt war, eine Einstufung in die (höchste) Beitragsklasse 738 vorzunehmen, wenn und solange Mitglieder der Gruppe d (gemeint waren offenbar die in § 7 Ziff 2 Abs. 1 Buchst d genannten) auf Verlangen der Kasse ihr "Gesamteinkommen" nicht nachwiesen, reicht nicht für die Annahme aus, mit dem "Einkommen" sei das "Gesamteinkommen" i.S. des § 16 SGB IV gemeint gewesen. Einen solchen Rückgriff auf das Gesamteinkommen i.S. des § 16 SGB IV hat der Senat im vorliegenden Zusammenhang in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt das schon erwähnte Urteil vom 28. April 1987 unter Hinweis auf weitere Entscheidungen) auch bei Ersatzkassen für unzulässig gehalten. In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung ist die Beklagte in ihrer Verwaltungsanweisung gleichfalls davon ausgegangen, daß hier nicht das Gesamteinkommen i.S. des § 16 SGB IV maßgebend war. Dort heißt es nämlich unter 5.2, zum Einkommen zählten sämtliche Mittel zum Lebensunterhalt ohne Rücksicht auf ihre Quelle, Rechtsnatur und steuerliche Behandlung; wegen seiner umfassenderen Bedeutung sei dieser Einkommensbegriff nicht mit dem am Steuerrecht orientierten Begriff des Gesamteinkommens i.S. des § 16 SGB IV gleichzusetzen. Nach allem blieb die Abfindung, die der Kläger erhalten hat, nicht deshalb beitragsfrei, weil sie steuerfrei war. Eine solche Folgerung wäre nur zutreffend gewesen, wenn das beitragspflichtige Einkommen im Sinne des § 7 der VB als Gesamteinkommen i.S. des § 16 SGB IV zu verstehen gewesen wäre. Das war jedoch, wie dargelegt, nicht der Fall.
Unter dem Einkommen waren vielmehr mangels näherer Bestimmung in der Satzung und den VB - insoweit in Übereinstimmung mit der Verwaltungsanweisung der Beklagten - zumindest das Arbeitsentgelt und die "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" i.S. des § 180 Abs. 4 RVO zu verstehen. Deswegen ist auch die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung auf das Einkommen i.S. der VB zu übertragen. Das gilt insbesondere für die beitragsrechtliche Behandlung von Abfindungen bei freiwillig Versicherten nach den beiden genannten Urteilen des Senats (SozR 2200 § 180 Nr. 36 und Nr. 39). Danach sind aber Abfindungen, die für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden sind, zwar nicht gänzlich beitragsfrei, wie der Kläger meint, andererseits jedoch auch nicht in voller Höhe beitragspflichtig, wie die Beklagte will. Daß nach 5.3.3. ihrer Verwaltungsanweisung Abfindungen insgesamt bei der Beitragsbemessung zu berücksichtigen waren, reicht bei Fehlen einer entsprechenden Bestimmung in den VB nicht aus, um eine beitragsrechtliche Behandlung der Abfindung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben auszuschließen.
Der Kläger hat die Abfindung für die Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, also für die Zeit vom 1. April 1984 an erhalten; Arbeitsentgeltanteile für die Zeit bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses (zu deren Behandlung vgl. das Urteil des Senats vom 21. Februar 1990 - 12 RK 65/87) waren darin nicht enthalten. Bei Abfindungen für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Senat in den Urteilen vom 28. April 1987 und vom 23. Februar 1988 (SozR 2200 § 180 Nr. 36 und Nr. 39) in Anlehnung an die Regelung in § 117 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) zwischen einem beitragspflichtigen "Arbeitsentgeltanteil" und einem beitragsfreien "sozialen Anteil" unterschieden. Daran hält er für § 180 Abs. 4 RVO und für die entsprechenden Bestimmungen von Ersatzkassen auch weiter fest.
Durch die verallgemeinernde Regelung zur Bemessung des "Arbeitsentgeltanteils" und des "sozialen Anteils" in § 117 Abs. 2 AFG wird aus Gründen der Praktikabilität Streitigkeiten darüber vorgebeugt, in welcher Höhe eine Abfindung im Einzelfall einen Arbeitsentgeltanteil und einen sozialen Anteil enthält. Dieses wäre vielfach auch nur schwer festzustellen, besonders bei der beitragsrechtlichen Erfassung von Abfindungen in der Krankenversicherung, wo Abfindungen bei Vorhandensein anderer beitragspflichtiger Einnahmen nur eine der zu berücksichtigenden Einkommensquellen sind und deshalb ein erhöhter Bedarf für eine pauschalierende Regelung nach Art des § 117 Abs. 2 AFG besteht. Eine demnach gebotene Übertragung dieses Modells auf das Beitragsrecht der Krankenversicherung schließt aber Untersuchungen darüber aus, ob sich nach den Umständen des Einzelfalles ein anderes als das nach § 117 Abs. 2 AFG geregelte Verhältnis zwischen Arbeitsentgeltanteil und sozialem Anteil ergeben würde. Dabei muß hingenommen werden, daß sich uU trotz nur kurzen Bestehens des Arbeitsverhältnisses allein wegen fortgeschrittenen Alters des Versicherten ein hoher sozialer Anteil ergibt, der beitragsfrei bleibt. Daß im übrigen § 117 Abs. 2 AFG i.V.m. § 180 Abs. 4 RVO auch anzuwenden war, wenn bei Ende eines befristeten Arbeitsverhältnisses eine Abfindung gezahlt wurde, folgt bereits aus § 117 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AFG, der überflüssig wäre, wenn die Regelung bei befristeten Arbeitsverhältnissen nicht gelten würde.
Indem das LSG die Abfindung in voller Höhe (bis zur Beitragsbemessungsgrenze) als beitragspflichtig angesehen hat, ist es von den Urteilen des Senats vom 28. April 1987 und vom 23. Februar 1988 (SozR 2200 § 180 Nr. 36 und Nr. 39) abgewichen. Da das LSG das Alter des Klägers nicht festgestellt hat, ist dem erkennenden Senat das beitragsrechtlich entscheidende Verhältnis von Arbeitsentgeltanteil und sozialem Anteil in der Abfindung nicht bekannt und ihm eine abschließende Entscheidung nicht möglich. Daher war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen nachholt und nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides befindet. Dabei wird auch über das Erstattungsbegehren und die Nebenforderungen des Klägers zu entscheiden sein.
In seiner abschließenden Entscheidung hat das LSG auch zu beurteilen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Beklagte außergerichtliche Kosten - einschließlich der des Revisionsverfahrens - zu erstatten hat.
Fundstellen