Leitsatz (amtlich)
Der Beitragsbescheid einer Familienausgleichskasse ist ein Verwaltungsakt. Für seine Rechtswirksamkeit ist es nicht erforderlich, daß er unterzeichnet oder beglaubigt ist. Es genügt, wenn er einwandfrei erkennen läßt, daß er von der Familienausgleichskasse erlassen ist und ihm eine ordnungsgemäß zustande gekommene Beitragsfestsetzung zugrunde liegt.
Leitsatz (redaktionell)
Grundsätzlich kann ein Verwaltungsakt formlos ergehen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich eine besondere Form vorschreibt oder sich das Bedürfnis einer besonderen Form aus der Eigenart des Verwaltungsaktes oder aus dem Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt.
Die herrschende Lehre verlangt bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, daß er handschriftlich unterzeichnet wird, und hält ihn andernfalls für fehlerhaft, teilweise sogar für nichtig; dies kann jedoch nur gelten, wenn die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist.
Normenkette
KOVVfG § 22 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1955-05-02, S. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. September 1957 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Beklagte forderte den Kläger mit einem als "Beitragsrechnung 1955 und Vorschußleistung 1956" bezeichneten ausgefüllten Formblatt vom 7. August 1956 auf, an sie insgesamt 275.- DM als Beitrag nach dem Kindergeldgesetz (KGG) zu zahlen. Das Formblatt war nicht mit einer eigenhändigen Unterschrift versehen; doch war der Name des Geschäftsführers der Beklagten mit vorgedruckt. Eine Rechtsmittelbelehrung war aufgestempelt. Gegen die Aufforderung zur Beitragszahlung erhob der Kläger Klage. Er machte geltend, das KGG sei verfassungswidrig; der Bescheid über die Beitragszahlung sei auch fehlerhaft, weil eine eigenhändige Unterschrift und das Dienstsiegel fehlten. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 20.10.1956). Das Landessozialgericht (LSG) wies mit Urteil vom 6. September 1957 die Berufung des Klägers mit der Begründung zurück, die Beitragsrechnung der Beklagten sei ein Verwaltungsakt, für den Schriftform weder vorgeschrieben noch durch seine Eigenart bedingt sei; daher sei er auch ohne Unterschrift nicht fehlerhaft. Das KGG sei nicht verfassungswidrig. Das LSG ließ Revision zu.
Der Kläger legte gegen das am 21. Januar 1958 zugestellte Urteil am 4. Februar 1958 Revision ein und begründete sie am 10. März 1958. Er ist der Meinung, für den angefochtenen Verwaltungsakt sei Schriftform notwendig; denn es würden hierdurch Beiträge von einem Staatsbürger verlangt. Ohne Unterschrift sei ein solcher schriftlicher Verwaltungsakt nichtig. An einen schriftlichen Verwaltungsakt könnten nicht geringere Anforderungen gestellt werden als an Rechtsmittelschriftsätze im sozialgerichtlichen Verfahren, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) handschriftlich unterzeichnet sein müßten. Die Tatsache, daß für förmliche Steuerbescheide eine Unterschrift nicht notwendig sei, könne hier nicht zum Vergleich herangezogen werden. Für Steuerbescheide bestimme nämlich der § 211 der Reichsabgabenordnung (RAO) ausdrücklich die notwendigen Bestandteile der Steuerbescheide; aus der Tatsache, daß in dieser Vorschrift die Unterschrift nicht genannt sei, folgere man, sie sei auch nicht notwendig. Ebenso könne der im Strafprozeß geltende Grundsatz, nach dem eine Rechtsmittelschrift des Angeklagten von diesem nicht unterschrieben zu sein brauche, hier keine Geltung haben, da es sich um eine besondere Vergünstigung für den Angeklagten handele. Die Tatsache, daß es sogenannte "Massen-Verwaltungsakte", "Verwaltungsfabrikate" gebe, dürfe nicht zu einer völligen Auflösung des Begriffs "Verwaltungsakt" führen. Der vorgedruckte Name des Geschäftsführers der Beklagten könne nicht als Unterschrift angesehen werden. Der Heranziehungsbescheid sei somit nichtig, zum mindesten mit so schweren Fehlern behaftet, daß er als rechtswidrig angesehen werden müsse. Außerdem sei das KGG verfassungswidrig und schon aus diesem Grunde der angefochtene Verwaltungsakt fehlerhaft.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung der Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 6. September 1958 und des SG Dortmund vom 20. Oktober 1956 festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 7. August 1956 nichtig ist,
hilfsweise, den Bescheid der Beklagten vom 7. August 1956 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Parteien haben sich damit einverstanden erklärt, daß durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Kläger macht zunächst geltend, das KGG sei verfassungswidrig, weil es mit verschiedenen Vorschriften des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbaren sei. Damit kann er jedoch nicht gehört werden. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit Entscheidung vom 10. Mai 1960 (NJW 1960 S. 1099) festgestellt, daß das KGG mit dem GG in Einklang steht. Das gleiche hat der erkennende Senat bereits früher in mehreren Urteilen ausgesprochen (vgl. BSG 6 S. 213 und 238).
Weiter hat das LSG zu Recht angenommen, daß es sich bei dem Bescheid der Beklagten, mit dem die Beiträge von dem Kläger angefordert worden sind, um einen Verwaltungsakt handelt, der handschriftlicher Unterzeichnung nicht bedurfte.
Grundsätzlich kann ein Verwaltungsakt formlos ergehen, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich eine besondere Form vorschreibt oder sich das Bedürfnis einer besonderen Form aus der Eigenart des Verwaltungsaktes oder aus dem Zusammenhang mit anderen gesetzlichen Vorschriften ergibt (vgl. Peters, Lehrbuch der Verwaltung, S. 160 ff.; Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., 1948, S. 269, 271; Nebinger, Verwaltungsrecht, 2. Aufl., 1949, S. 209 Anm. 2; Turegg, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 3. Aufl., 1956, S. 116; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl., 1958 S. 200, 218; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., 1928, S. 190; Mellwitz, Komm. zum Sozialgerichtsgesetz - SGG - § 54 Anm. 8). Schriftform ist für die Bescheide, durch die Beiträge im Rahmen des KGG gefordert werden, weder im KGG und seinen Ergänzungsgesetzen noch in den sinngemäß für das Verfahren im Rahmen des KGG (§ 29) geltenden Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung vorgeschrieben. Aus der Art der Beitragsbescheide als Verwaltungsakte ergibt sich jedoch, daß sie dem Betroffenen in einer Form bekanntzugeben sind, aus der sich nicht nur der Inhalt des Verwaltungsaktes als solcher, sondern auch die Stelle ergibt, die ihn erlassen hat. Das geschieht durch eine schriftliche Mitteilung. Für diese Form der Bekanntgabe von Verwaltungsakten hat sich aber die Übung gebildet, daß sie nicht handschriftlich unterzeichnet zu sein brauchen. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) für das ähnlich gelagerte Steuerrecht, und zwar für die Steuerbescheide und Steuermeßbescheide (§§ 210 b, 211, 212 a RAO), in seinem Urteil vom 14. Februar 1956 (BFH 62 S. 263, BStBl 1956 Teil III S. 97) ausgesprochen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Schriftform für Steuerbescheide sei im Gesetz vorgeschrieben worden, damit bei den wichtigsten Steuern eine eindeutige Grundlage für die Steueransprüche geschaffen werde. Zur Erreichung dieses Zweckes sei aber die Unterschrift oder die Beglaubigung eines verantwortlichen Beamten auf dem Steuerbescheid selbst nicht erforderlich; entscheidend sei vielmehr, daß dem Steuerbescheid eine ordnungsmäßig zustande gekommene Festsetzung in den Steuerakten zugrunde liege. Diese Auffassung hält der Senat für die Formerfordernisse eines Beitragsbescheids im Kindergeldrecht ebenfalls für zutreffend. Die herrschende Lehre verlangt zwar bei einem schriftlichen Verwaltungsakt, daß er handschriftlich unterzeichnet wird, und hält ihn andernfalls für fehlerhaft, teilweise sogar für nichtig (vgl. Jellinek, a. a. O., S. 270; Forsthoff, a. a. O., S. 290; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, S. 151). Dies kann jedoch nur gelten, wenn die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist. Dagegen können an einen Verwaltungsakt, der nur in schriftlicher Form bekanntgegeben werden muß, geringere Anforderungen gestellt werden. Hier genügt es, wenn sich die erlassende Stelle und der Inhalt des Verwaltungsaktes (Beitragsbescheides) eindeutig aus dem übermittelten Schriftstück ergeben. Grundlage dieser Beitragsanforderung ist die Festsetzung des Beitrags durch die Beklagte in ihren Verwaltungsakten; das andere ist lediglich die Übermittlung dieser Festsetzung an den Beitragspflichtigen. Für die Beitragsbescheide im Rahmen des KGG genügt es daher ebenfalls, wenn sich aus dem Bescheid zweifelsfrei die anfordernde Stelle ergibt und wenn dem Bescheid eine ordnungsgemäß zustande gekommene Beitragsfestsetzung zugrunde liegt. Denn damit ist den Interessen des Staatsbürgers in der äußeren Form dieses Verwaltungsaktes ausreichend entsprochen.
Für dieses Ergebnis sprechen auch praktische Erwägungen. Wollte man verlangen, daß die zahlreichen Beitragsbescheide im Kindergeldrecht unterschriftlich vollzogen oder mit einem Dienstsiegel versehen sein müßten, so würde dies eine Erschwerung und Belastung der Verwaltung ergeben, die in keinem Verhältnis zu dem auf diese Weise erreichten Erfolg stände. Eine derartige Forderung wäre ein Formalismus, der auch nicht mit dem Interesse der Rechtssicherheit begründet werden könnte.
Der Kläger meint allerdings, im Steuerrecht enthalte § 211 RAO eine Sonderregelung, die für das KGG nicht anwendbar sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Denn der BFH hat die Schlußfolgerung, Steuerbescheide brauchten nicht unterzeichnet zu sein, nicht aus jener Vorschrift gezogen, sondern mit allgemeinen Erwägungen begründet. Des weiteren kann sich der Kläger nicht auf die Rechtsprechung des BSG betreffend die Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift berufen, weil für diese Schriftstücke im Gesetz ausdrücklich Schriftform vorgeschrieben ist (vgl. BSG 5 S. 110).
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen