Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschränkung des Verwaltungsrechtswegs nach VwGO § 40 Abs 1 S 1 auf nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten gilt auch für den Sozialrechtsweg.
2. Bestreitet eine AOK der Landesregierung die Befugnis, durch eine Rechtsverordnung nach RVO § 226 Abs 4 S 1 diese AOK mit einer anderen zu vereinigen, ist dies eine verfassungsrechtliche Streitigkeit. Dem steht nicht entgegen, daß kein verfassungsgerichtlicher Rechtsweg gegeben ist und die AOK kein Verfassungsorgan oder am Verfassungsleben beteiligtes Organ ist (Fortführung von BVerwG 1970-10-28 VI C 55.68 = BVerwGE 36, 218, 227 f).
3. Der Rechtsschutz, der den Allgemeinen Ortskrankenkassen gegen den Staat als Träger der Versicherungsaufsicht zusteht, begründet auch unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie des GG Art 19 Abs 4 keinen Anspruch auf Rechtsschutz gegen den Staat als Träger der Organisationshoheit (Folgerung aus BVerfG 1975-04-09 2 BvR 879/73 = BVerfGE 39, 302, 314, 316).
Normenkette
SGG § 51 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; VwGO § 40 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-01-21; RVO § 226 Abs. 4 S. 1 Fassung: 1972-08-10; GG Art. 19 Abs. 4 Fassung: 1968-06-24
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.06.1978; Aktenzeichen L 16 Kr 33/78) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 21.12.1977; Aktenzeichen S 8 Kr 60/77) |
Tenor
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Juni 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die klagenden Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK'en) wenden sich gegen ihre Vereinigung mit der beigeladenen AOK.
Durch Verordnung (VO) der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 1977 (GVBl NW S. 192) wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1978 die Klägerinnen und die Beigeladene vereinigt. Zur aufnehmenden Kasse im Sinne des § 288 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wurde die Beigeladene bestimmt.
Die Klägerinnen halten die VO für verfassungswidrig, weil die in § 226 Abs 4 Satz 1 RVO erteilte Ermächtigung, die Bezirke der AOK'en an die Grenzen der Gebietskörperschaften anzupassen, nicht die Vereinigung von Kassen und damit die Auflösung der aufgenommenen Kassen umfasse.
Die Klägerinnen haben vor dem Sozialgericht (SG) Dortmund eine Feststellungsklage erhoben. Sie haben beantragt, festzustellen,
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daß sie über den 31. Dezember 1977 hinaus mit bisheriger Satzung, Organisation und Mitgliederbestand fortbestehen, |
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daß der Beklagte durch § 226 Abs 4 Satz 1 RVO nicht ermächtigt ist, sie mit der Anpassungsverordnung vom 10. Mai 1977 aufzulösen und mit der Beigeladenen zu vereinigen. |
Das SG Dortmund hat die Klagen als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerinnen in der Sache eine abstrakte Normenkontrolle begehrten, die in der Sozialgerichtsbarkeit nicht vorgesehen sei (Urteil vom 21. Dezember 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil bestätigt und ausgeführt, das Verhältnis zwischen Normgeber und Normadressat sei kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Wenn der Rechtsschutz dadurch beschränkt werde, daß die beanstandete VO eine sich selbst vollziehende Norm darstelle, sei dies jedenfalls von öffentlich-rechtlichen Körperschaften hinzunehmen (Urteil vom 12. Juni 1978).
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügen die Klägerinnen die Verletzung des § 55 Abs 1 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Art 19 Abs 4 des Grundgesetzes (GG). Zwischen ihnen und dem Beklagten bestehe ein durch Gesetz - nämlich das Aufsichtsrecht - konkretisiertes Rechtsverhältnis. Ob dieses Rechtsverhältnis bestehe und ob und wie es verändert worden sei, sei der Streitgegenstand. Ob die beanstandete VO gültig sei, sei nur eine Vorfrage. Entgegen der Meinung des LSG sei Art 19 Abs 4 GG nicht nur dann verletzt, wenn gegen die Verletzung materieller Grundrechte der Rechtsschutz versagt werde. Auch wenn öffentlich-rechtliche Körperschaften als Träger von einfach-gesetzlichen Rechten der Rechtsschutz versagt werde, sei Art 19 Abs 4 GG verletzt. Der Rechtsschutz könne nicht dadurch vereitelt werden, daß anstelle einer anfechtbaren Aufsichtsanordnung eine Rechtsverordnung gewählt werde.
Die Klägerinnen beantragen, nachdem sie im Revisionsverfahren ihre Klageanträge klargestellt haben,
festzustellen, daß sie trotz der Rechtsverordnung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 1977 (GVBl NW S. 192) als selbständige Krankenkassen mit der bisherigen Satzung, Selbstverwaltung, Organisation und dem bisherigen Mitgliederbestand über den 31. Dezember 1977 hinaus fortbestehen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend die Klagen als unzulässig abgewiesen.
Für die von den Klägerinnen begehrte Streitentscheidung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit unzulässig. Nach § 51 Abs 1 SGG entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Daß damit nur nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten erfaßt sind, ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, folgt aber aus § 40 Abs 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Hiernach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch ein Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. § 51 Abs 1 SGG ist ein solches Bundesgesetz. Es weist einen Teil der in der Generalklausel des § 40 Abs 1 Satz 1 VwGO genannten Streitigkeiten den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu und schränkt insoweit die Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugunsten einer besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit, hier der Sozialgerichtsbarkeit, ein. Das den Verwaltungsrechtsweg schlechthin umfassten Zuständigkeitsmarkmal "Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art" des § 40 Abs 1 Satz 1 VwGO ist in der Zuständigkeitsregelung des § 51 Abs 1 SGG entbehrlich, da sie nur einen Teil jener Streitigkeiten herausgreift (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd I, 1. bis 9. Aufl, 50. Nachtrag, S. 190 k; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 1977, vor § 51 Anm 7).
Die Streitigkeit der Beteiligten ist zwar öffentlich-rechtlicher Natur und wird in Angelegenheiten der Sozialversicherung geführt, denn umstritten sind die hoheitlichen Befugnisse des beklagten Landes auf dem öffentlich-rechtlich geregelten Gebiet der sozialen Krankenversicherung. Der Rechtsstreit ist aber verfassungsrechtlicher Art. Das zeigt sich zunächst am Streitgegenstand. Aber auch die Streitsubjekte geben keinen Anlaß, etwa aus Gründen des gebotenen Rechtsschutzes den Rechtsweg für zulässig zu halten.
Ob eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art ist, bestimmt sich nicht danach, ob für den betreffenden Streit eine verfassungsgerichtliche Zuständigkeit tatsächlich gegeben ist. Verfassungsrechtlich ist der Streit vielmehr grundsätzlich dann, wenn das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt ist (vgl BVerwGE 3, 159; 9, 50; 24, 272, 279; 36, 218, 227; Eyermann/Fröhler, Komm. zur VwGO, 7. Aufl, § 40 RdNr 63; Redeker/v. Oertzen, Komm. zur VwGO, 6. Aufl, § 40 Anm 3; Kopp, Komm. zur VwGO, 3. Aufl, § 40 Anm 4; wohl auch BVerfGE 42, 103, 113). Das ist hier der Fall. Das Rechtsverhältnis zwischen den klagenden AOK'en und dem beklagten Land hängt davon ab, ob und in welchem Umfang die Landesregierung als Gesetzgeber im materiellen Sinn die Organisation der Träger der Krankenversicherung verändern durfte. Streitig ist nicht, ob das beklagte Land eine Rechtsnorm richtig angewendet hat. Das würde einen Verwaltungsrechtsstreit kennzeichnen. Streitig ist vielmehr, ob das beklagte Land befugt war, die Träger der Krankenversicherung durch eine Rechtsverordnung neu zu organisieren. Der Umfang der Befugnis einer Landesregierung zur Gesetzgebung bemißt sich ausschließlich nach Verfassungsrecht. Auch die Einwände, die die Klägerinnen gegen die Rechtsverordnung erheben, sind verfassungsrechtlicher Art. Dies gilt dafür, ob die Befugnis der Landesregierung durch die Anforderungen an die Bestimmtheit der Ermächtigung - hier des § 226 Abs 4 Satz 1 RVO - beschränkt war. Denn dies ist in der Verfassungsvorschrift über den Erlaß von Rechtsverordnungen anstelle von Gesetzen im formellen Sinn geregelt (Art 80 GG). Verfassungsrechtlich geprägt ist auch die von den Klägerinnen gestellte Frage, ob die Landesregierung durch die im wesentlichen unverändert gebliebenen gesetzlichen Organisationsregelungen (insbesondere §§ 280 bis 305 RVO) gehindert war, von der Ermächtigung des § 226 Abs 4 Satz 1 RVO in der Weise Gebrauch zu machen, wie sie dies getan hat. Diese Frage läßt sich nur beantworten, wenn vorher verfassungsrechtlich geklärt ist, inwieweit die durch Bundesgesetz ermächtigte Landesregierung durch andere Bundesgesetze beschränkt ist (vgl Art 31 GG). Schließlich ist auch die Frage verfassungsrechtlicher Natur, ob das beklagte Land etwa mißbräuchlich die Form der Rechtsverordnung gewählt hat, anstatt die Vereinigung durch Aufsichtsanordnung des Oberversicherungsamts nach § 284 RVO herbeiführen zu lassen. Sie ist unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung (Art 20 Abs 2 Satz 2 GG) zu beurteilen.
Dem Ergebnis, daß der vorliegende Rechtsstreit vom Streitgegenstand her verfassungsrechtlicher Art ist, steht nicht entgegen, daß der Streit nicht ausschließlich zwischen Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen geführt wird. Das Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - (BVerwGE 36, 218, 228) und - ihm folgend - auch das oben genannte Schrifttum (früher schon Menger/Erichsen, Verwaltungsarchiv 1968, S. 174, 175) haben den verfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 40 Abs 1 Satz 1 VwGO nur die Rechtsbeziehungen von Verfassungsorganen oder am Verfassungsleben beteiligten Organen zueinander zugerechnet, nicht jedoch die Beziehungen zwischen dem Bürger und dem Staat, selbst wenn daran ein Verfassungsorgan beteiligt ist. Diese Auslegung ist indessen nicht erschöpfend; sie muß unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens ergänzt werden, der der Rechtswegbeschränkung des § 40 Abs 1 Satz 1 VwGO zugrundeliegt. Durch die Beschränkung der Fachgerichtsbarkeit auf nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten soll der Vorrang der Verfassungsgerichtsbarkeit in verfassungsrechtlichen Fragen soweit wie möglich gewahrt bleiben (vgl Pestalozza, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Grenzbereich zur Verfassungsgerichtsbarkeit, NJW 1978, 1782). Diesen Vorrang zu wahren, ist dann nicht mehr möglich, wenn unabweisbare Bedürfnisse des Rechtsschutzes die Entscheidung der Fachgerichte erfordern. Wenn man - wie auch der erkennende Senat - den Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit materiell-rechtlich sieht, muß Vorsorge dafür getroffen werden, daß der Rechtsweg dann nicht ausgeschlossen ist, wenn an dem Streit Rechtsträger beteiligt sind, die zur Durchsetzung oder Verteidigung ihrer Rechte auf den Rechtsweg angewiesen sind. In diesen Fällen muß im Interesse des Rechtsschutzes in Kauf genommen werden, daß die den Rechtsstreit kennzeichnenden Verfassungsfragen von Nichtverfassungsgerichten entschieden werden. Das gebietet die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG, die jedenfalls dann zu beachten ist, wenn kein verfassungsgerichtliches Verfahren zur Verfügung steht und Rechtsschutz somit völlig versagt wäre (vgl dazu Eyermann/Fröhler, aaO, RdNr 61 und Redeker/v. Oertzen, aaO).
Die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG kommt jedoch den AOK'en im Streit um die Rechtmäßigkeit einer Vereinigungsverordnung nicht zugute. Das hat bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in dem Beschluß vom 9. April 1975 (BVerfGE 39, 302, 316) ausgesprochen. Das BVerfG hatte zwar damals nur darüber zu entscheiden, ob zugunsten der AOK'en materielle Grundrechte anwendbar sind, denn der Rechtsweg war den Klägerinnen des damaligen Verfahrens noch nicht versagt worden. In Anwendung des Art 19 Abs 3 GG, wonach die Grundrechte juristischen Personen nur zustehen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind, lag es indessen im Rahmen der Ausführungen des BVerfG nahe, darzulegen, daß auch das formelle Grundrecht des Art 19 Abs 4 GG nicht anwendbar ist.
Der Senat folgt dem BVerfG, das den AOK'en das Grundrecht des Art 19 Abs 4 GG versagt hat. Entgegen der Meinung der Klägerinnen ist ihnen dieses Grundrecht nicht nur in den Fällen verwehrt, in denen die Verletzung von materiellen Grundrechten geltend gemacht wird. Die Klägerinnen können sich auch dann nicht auf Art 19 Abs 4 GG stützen, wenn sie nicht Grundrechte, sondern ein anderes Recht geltend machen. Als anderes Recht kommt das Selbstverwaltungsrecht der Sozialversicherung in Betracht. Gegen die Verletzung des Selbstverwaltungsrechts können sie sich aber nur dann gerichtlich zur Wehr setzen, wenn der Rechtsweg kraft einfachen Rechts gegeben ist. Das Selbstverwaltungsrecht ist nämlich, wie das BVerfG ausgeführt hat (aaO, 313), den AOK'en kraft einfachen Rechts verliehen. Ist, wie hier, der Rechtsweg nach § 51 Abs 1 SGG nicht gegeben, so müssen sie dies hinnehmen. Lücken des Rechtsschutzes können hier nicht mit Hilfe des GG ausgefüllt werden.
Daß auf das GG nicht zurückgegriffen werden kann, beweist Art 93 Abs 1 Nr 4b GG, wonach den Gemeinden und Gemeindeverbänden, deren Selbstverwaltungsrecht im GG (Art 28 Abs 2 GG) geregelt ist, ein besonderer Rechtsschutz für die Fälle gewährt ist, in denen das Selbstverwaltungsrecht durch Gesetz verletzt wird. Dieser besondere Rechtsschutz ist geschaffen worden, weil gegen Rechtsverletzungen durch Gesetz - wozu hier auch Rechtsverordnungen des Landes gehören (vgl Maunz/Dürig/Herzog, Komm. zum GG, Stand: Juni 1978, Art 93 Rdnote 82) - der Rechtsweg grundsätzlich nicht zulässig ist. Wird, wie hier, behauptet, das Selbstverwaltungsrecht eines anderen Selbstverwaltungsträgers sei durch ein Gesetz verletzt, so ist diese Behauptung im Rechtsweg nicht überprüfbar.
Schließlich greift die Rechtsverordnung nicht in die Selbstverwaltung ein. Die Rechtsverordnung ist eine Maßnahme, die die Grundlage des Selbstverwaltungsrechts, nicht das Selbstverwaltungsrecht selbst, betrifft. Die AOK'en sind nur "organisatorisch verselbständigte Teile der Staatsgewalt" (vgl BVerfGE aaO, 314). Es ist eine Angelegenheit des Organisationsrechts, wenn einer einzelnen AOK die Eigenschaft als Rechtssubjekt genommen wird. Da auch die Selbstverwaltung nur im Rahmen und auf der Grundlage des Organisationsrechts gewährt wird, kann eine organisatorische Änderung nicht mit der Behauptung selbständig angegriffen werden, das Selbstverwaltungsrecht sei verletzt. Die Klägerinnen verkennen die akzessorische Natur der sozialversicherungsrechtlichen Selbstverwaltung. Diese Selbstverwaltung hängt unabdingbar vom Bestand des jeweiligen Sozialversicherungsträgers ab.
Dem steht § 284 Abs 2 RVO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift haben die AOK'en das Recht, sich gegen eine Maßnahme auf dem Rechtswege zu wenden, die - in Verbindung mit § 288 RVO - ihre Existenzvernichtung bedeutet. Diese Maßnahme ist zwar ihrem Inhalt nach wie auch die angegriffene Rechtsverordnung ein Organisationsakt. Sie ist aber als Anordnung der Aufsichtsbehörde - nämlich des Oberversicherungsamts - konstruiert und deshalb in dieser Form wie jede Aufsichtsanordnung für anfechtbar erklärt worden. Diese gesetzliche Eröffnung des Rechtsweges ist nicht auf den Organisationsakt als solchen zu erweitern, der in § 226 Abs 4 Satz 1 RVO vorgesehen ist. Denn die Landesregierung ist keine der Behörden, denen die Aufsicht über die Versicherungsträger obliegt (vgl § 377 RVO und §§ 87 ff des seit 1. Juli 1977 geltenden Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) vom 23. Dezember 1977, BGBl I 3845). Die Landesregierung ist auch nicht oberste Verwaltungsbehörde im Sinne des § 377 Abs 2 RVO und des § 90 Abs 2 SGB 4 (zu dem Begriff der obersten Verwaltungsbehörden vgl Brackmann, aaO, S. 190 d VII). Auch wenn - was hier nicht der Fall ist - die Ermächtigung zum Erlaß der Rechtsverordnung nach § 226 Abs 4 Satz 2 RVO auf die oberste Landesbehörde übertragen ist, wird keine anfechtbare Aufsichtsanordnung erlassen.
Da somit für die hier begehrte Streitentscheidung der Rechtsweg fehlt - eine Sondervorschrift zum Rechtsweg wie zB § 47 VwGO fehlt ohnehin -, mangelt es an der neben der deutschen Gerichtsbarkeit überhaupt erstrangig zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzung (vgl Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 7. Aufl, § 31 S. 121 f; H.J. Müller, Die Bedeutung der Zulässigkeit des Rechtswegs im Verhältnis zu den sonstigen Sachurteilsvoraussetzungen, DVBl 1959 S. 694). Es kann deshalb unerörtert bleiben, ob die Klägerinnen noch rechtlich fähig waren, am Verfahren beteiligt zu sein (vgl § 70 SGG), nachdem sie nach §§ 1 und 2 der Rechtsverordnung vom 10. Mai 1977 ihre Rechtssubjektivität möglicherweise bereits zum 1. Januar 1978 verlieren sollten, ferner ob das Bundessozialgericht als Revisionsgericht in diesem Zusammenhang befugt gewesen wäre, sich zum Inhalt der beanstandeten VO als Landesrecht zu äußern (nicht revisibles Landesrecht, § 162 SGG). Schließlich bedarf es keiner Stellungnahme zu der in den Vorinstanzen im Vordergrund stehenden Frage nach den Voraussetzungen für eine bestimmte Klageart, hier der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 4 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1656273 |
BSGE, 42 |