Leitsatz (amtlich)
Als Berufsausbildung iS des BVG § 45 Abs 4 Buchst a ist auch der Besuch einer Fachlehranstalt zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung anzusehen, wenn dieser die Arbeitskraft und Arbeitszeit der Waise überwiegend in Anspruch nimmt.
Der Anspruch auf Waisenrente kann nicht deshalb abgelehnt werden, weil der Vater der Waise als Arbeiter einer Bevölkerungsschicht angehörte, in der die Berufsausbildung regelmäßig mit der Gesellenprüfung endet.
Normenkette
BVG § 45 Abs. 4 Buchst. a Fassung: 1960-06-27
Tenor
Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 16. August 1965 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene haben dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Vater des 1939 geborenen Klägers ist im Kriege gefallen. Dieser erhielt Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die Waisen-Grundrente wurde auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt, weil der Kläger sich in der Ausbildung für den Beruf eines Starkstromelektrikers befand. Mit Beendigung der Lehrzeit, Ende September 1957, wurde die Rente eingestellt. Im November 1962 beantragte der Kläger die Wiedergewährung von Versorgungsbezügen, weil er vom 5. November 1962 bis zum 27. April 1963 zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung die Bundes-Fachlehranstalt für das Elektrohandwerk in O besuchen wolle. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 23. Januar 1964 abgelehnt, weil der Besuch eines Lehrganges zum Erwerb des Meistertitels nicht als Ausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 BVG angesehen werden könne. Der Widerspruch war erfolglos. Durch Urteil vom 18. Februar 1965 verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten, dem Kläger Waisenrente für die Zeit vom 1. November 1962 bis 30. April 1963 zu zahlen. Es ließ die Berufung zu. Das Landessozialgericht (LSG) lud die Bundesrepublik bei. Durch Urteil vom 16. August 1965 wies es die Berufung des Beklagten zurück. Es ließ die Revision zu. Die für die Weitergewährung der Waisenrente wegen Berufsausbildung im Sinne des § 45 BVG erforderliche Voraussetzung, daß diese die Arbeitskraft der Waise voll in Anspruch nehme, ergebe sich aus der Bescheinigung der Bundes-Fachlehranstalt vom 7. November 1962. Anders als in dem durch Laufbahnrichtlinien streng geregelten Beamtenrecht könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Berufsausbildung des Handwerkers schon mit der Gesellenprüfung ihren Abschluß gefunden habe und die Erlangung des Meistertitels nur eine bestimmte Qualifikation darstelle. Es sei nicht einzusehen, daß im technischen Zeitalter die an der Gewinnung von Führungskräften ebenso wie die Allgemeinheit interessierte öffentliche Hand diejenigen Arbeitnehmer benachteiligen wolle, die ihr Berufsziel nur unter erschwerenden Voraussetzungen erreichen könnten. Da es nach dem Wortlaut des Gesetzes lediglich darauf ankomme, daß "Ausbildung" vorliege, so daß selbst ein Berufswechsel unbeachtlich sei, sei die Versagung der Waisenrente hier nicht vertretbar. Wenn auch von einem Berufswechsel im engeren Sinne nicht gesprochen werden könne, so handele es sich doch sicher um einen höherwertigen Beruf, der sich bei den erhöhten Anforderungen in Handwerk und Industrie nicht allein durch die Praxis erreichen lasse. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, daß die Berufsausbildung mit Beendigung der Lehrzeit grundsätzlich abgeschlossen sei. Der Besuch der Meisterschule diene nicht nur der Vervollkommnung des bereits während der Lehr- und Gesellenzeit erworbenen praktischen und theoretischen Wissens, sondern auch dem Erwerb des Meistertitels und eröffne damit neue berufliche Möglichkeiten. Im übrigen würden in der Fachschule zusätzliche Kenntnisse wie Buchführung, Fachkunde und Kalkulation vermittelt.
Gegen dieses Urteil haben der Beklagte und die Beigeladene Revision eingelegt. Der Beklagte rügt als Verfahrensmangel Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und sachlich-rechtlich des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG idF des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453). Das LSG habe durch Verkennung des Begriffs der Berufsausbildung und Außerachtlassung eines Erfahrungssatzes den Tatbestand unrichtig gewürdigt. Der Vater des Klägers habe als Arbeiter einer Bevölkerungsschicht angehört, bei der nach allgemeiner Auffassung die handwerkliche Berufsausbildung mit der bestandenen Gesellenprüfung ihren Abschluß finde. Dabei handele es sich um einen Erfahrungssatz, der gleichermaßen in Handwerk und Industrie gelte. Eine Ausnahme sei vielleicht bei selbständigen Handwerksmeistern anzuerkennen, die möglicherweise ihre Söhne bis zur Meisterprüfung gefördert haben würden. Die Waisenrente sei dazu bestimmt, in gewissem Umfang die Unterstützung durch den Vater zu ersetzen, die sich im Erlebensfalle nach dessen Mitteln und der Entscheidung gerichtet haben würde, wie weit er das Kind fördern wolle. In dem Lehrgang habe der Kläger sich lediglich besondere Kenntnisse aneignen wollen, um in dem mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Beruf eine andere Stellung einzunehmen oder sich selbständig machen zu können. Da er mit der Gesellenprüfung auch die Befähigung erlangt habe, in dem erworbenen Beruf seinen Lebensunterhalt zu finden, sei die Vorbereitungszeit zum Erwerb des Meistertitels nicht mehr als Berufsausbildung anzusehen. Von 18000 Lehrlingen in Handwerksbetrieben und 3000 in industriellen Kraftfahrzeugbetrieben würden jährlich 1800 Gesellen Meister, 8,6 % der gelernten Kraftfahrzeughandwerker. Sofern die Voraussetzungen dafür vorlägen, erführen Gesellen jedes Handwerks für die Ablegung der Meisterprüfung Förderung nach den Richtlinien der Bundesregierung über die Vergabe von Beihilfen zur beruflichen Fortbildung der unselbständigen Mittelschichten (BMA III - S 5 - 6511.9 - 5/62 - vom 16. Juli 1962 und vom 18. Dezember 1963). Es sei somit dafür gesorgt, daß die Angehörigen der Bevölkerungsschicht des Klägers sich fortbilden und gehobene Stellungen erreichen könnten. Der Erwerb des Meistertitels sei den Fällen vergleichbar, in denen ein Diplom-Chemiker promoviere, weil er hierdurch Aussicht auf günstigere Anstellungsbedingungen erlange. Auch hierbei handele es sich nur um die Weiterbildung in einem Berufe, die nicht als Berufsausbildung anerkannt werden könne.
Die Beigeladene hat Verletzung des § 45 Abs. 4 BVG gerügt und insbesondere ausgeführt, der Begriff der Berufsausbildung sei im Bereich des sozialen Leistungsrechts wesentlich inhaltsgleich und deshalb einheitlich auszulegen.
Als Ausbildung für einen künftig gegen Entgelt auszuübenden Lebensberuf sei die Berufsausbildung mit dem Zeitpunkt beendet, von dem an der angestrebte Beruf ausgeübt werden könne. Eine darüber hinausgehende Aneignung oder Vertiefung von Kenntnissen und Fähigkeiten in dem erreichten Beruf sei dementsprechend der beruflichen Weiterbildung oder Qualifizierung im erlernten Beruf zuzurechnen (BSG 18, 140). Bei dem Besuch eines Meisterprüfungslehrganges handele es sich um berufliche Fortbildung, die sich an die Berufsausbildung anschließe und ein von dieser getrenntes Bildungsgebiet darstelle. Mit ihr werde kein neuer Beruf angestrebt, sie diene vielmehr lediglich dem Ziel, im erlernten und ausgeübten Beruf eine gehobene Stellung zu erreichen. Der Unterschied liege allein in der unterschiedlichen Qualifikation für ein und denselben handwerklichen Beruf, die für die wirtschaftliche Stellung und für die soziale Einstufung maßgeblich sei. Die Differenzierung der Berufsbilder in der modernen Wirtschaft sei allein für die Beurteilung der Frage von Bedeutung, ob nach Abschluß einer Berufsausbildung in einem bestimmten Berufe ein neuer, anderer Lebensberuf angestrebt werde. Der vom Bundessozialgericht (BSG) in SozR Nr. 14 zu § 1267 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als maßgeblich angesehene Gedanke der Spezialisierung der Berufe greife im Verhältnis von Handwerksgeselle und Handwerksmeister nicht durch. Die Berufsdifferenzierung wäre im Streitfalle nur dann von Bedeutung, wenn sich der Kläger einem handwerklichen Spezialberuf innerhalb eines überkommenen Handwerkszweiges zugewandt hätte. Eine andere rechtliche Beurteilung rechtfertige auch nicht der Hinweis des LSG auf den Bedarf der gewerblichen Wirtschaft und das Interesse an qualifizierten Arbeitskräften. Diesem Interesse werde durch die Förderung des Besuches von Lehrgängen und Kursen zur Ablegung der Handwerks- und Industriemeisterprüfung Rechnung getragen.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Urteile des SG Oldenburg vom 18. Februar 1965 und des LSG Niedersachsen vom 16. August 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthaften Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und deshalb zulässig. Sachlich sind sie nicht begründet.
Streitig ist der Waisenrentenanspruch des Klägers für die Zeit vom 1. November 1962 bis 30. April 1963. Das SG und das LSG haben im Ergebnis zu Recht den Anspruch für diesen Zeitraum, in dem der Kläger nach Abschluß der Gesellenprüfung die Bundes-Fachlehranstalt für das Elektrohandwerk in Oldenburg zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung besucht hat, bejaht. Nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG in der hier anzuwendenden Fassung des 1. NOG ist die Waisenrente nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres einer unverheirateten Waise zu gewähren, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet, längstens bis zur Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres. Berufsausbildung ist die Ausbildung für einen zukünftigen gegen Entgelt auszuübenden Beruf, die die Arbeitskraft (und Arbeitszeit) des Auszubildenden ausschließlich oder überwiegend in Anspruch nimmt. Diese Begriffsbestimmung, die das BSG in ständiger Rechtsprechung der Auslegung des inhaltlich mit § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG übereinstimmenden § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO zugrunde gelegt hat (BSG 18, 116; 23, 166; vgl. auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S 690 a), entspricht auch den Erfordernissen, die an die Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG zu stellen sind (vgl. Wilke, Bundesversorgungsgesetz 2. Aufl. § 45 V und § 33 b V sowie Nr. 1 der Verwaltungsvorschriften - VerwV - zu § 45 BVG und Nr. 12 der VerwV zu § 33 b BVG vom 14. August 1961, Bundesanzeiger Nr. 161 vom 23. August 1961). Nach den von dem Beklagten und der Beigeladenen nicht angefochtenen Feststellungen des LSG erhielt der unverheiratete Kläger an der Bundes-Lehranstalt Vollunterricht, der eine Erwerbstätigkeit während des Fachschulbesuches ausschloß. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, daß es sich bei dem Besuch dieser Schule zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung um eine beruflichen Zwecken dienende Ausbildung im allgemeinen Wortsinn handelte. Der Beklagte und die Beigeladene sehen in dem Besuch des Lehrganges zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung nur eine Fortbildung in dem bereits erlernten Beruf, somit keine Ausbildung für einen (zukünftigen) Beruf. Der Senat ist der Auffassung, daß die Vorbereitung auf den Beruf eines Elektromeisters als Berufsausbildung den Anforderungen für die Gewährung der Waisenrente über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG genügt. Dem steht insbesondere nicht, wie der Beklagte und die Beigeladene meinen, entgegen, daß der Kläger durch die Gesellenprüfung bereits eine Berufsstellung erlangt hatte, die es ihm ermöglichte, den Beruf eines Handwerkers gegen Entgelt auszuüben. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß der Übergang zu einem höher zu bewertenden Beruf nicht mehr gefördert werden sollte und daß der Anspruch auf die Waisenrente über das vollendete 18. Lebensjahr hinaus davon abhängig sei, daß die Waise noch nicht in der Lage ist, ihren Unterhalt durch eine Berufstätigkeit zu bestreiten. Die Waisenrente ist vielmehr grundsätzlich uneingeschränkt längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres - nach § 45 Abs. 3 Buchst. a BVG idF des 3. NOG vom 28. Dezember 1966 (BGBl I 750) bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres - einer Waise zu gewähren, die sich in der Schul- oder Berufsausbildung befindet. Demgemäß ist auch in der Begründung zum Entwurf des Bundesversorgungsgesetzes nur hervorgehoben, für den Fall, daß die Waise bei Vollendung des achtzehnten Lebensjahres die Schul- oder Berufsausbildung noch nicht "beendet" habe, sei in § 44 Abs. 3 vorgesehen, daß Rente bis zum vollendeten vierundzwanzigsten Lebensjahr gewährt werden könne, "um die Ausbildung nicht zu gefährden" (Deutscher Bundestag, 1. Wahlperiode 1949, Drucks. Nr. 1333, zu den §§ 37 bis 51, S. 60). Dieser Begründung ist nicht zu entnehmen, wann die Berufsausbildung als beendet, d. h. als abgeschlossen anzusehen ist, insbesondere dann, wenn es sich um ein Berufsziel handelt, das einen stufenmäßigen Ausbildungsgang voraussetzt. Da der Begriff der Berufsausbildung im Gesetz nicht dahin eingeschränkt wurde, daß eine weitere Förderung durch Zahlung der Rente nach Erlangung einer zunächst erstrebten Berufsstellung nicht mehr in Betracht kommen soll, hat das BSG entschieden, daß Berufsausbildung im Sinne des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO auch dann vorliegt, wenn die Waise nach beendeter Einzelhandelslehre einen sechsmonatigen Lehrgang an einer kaufmännischen Privatschule zur Erlernung von Buchführung, Kurzschrift und Maschinenschreiben besucht, und der Lehrgang dazu dient, Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, die für die in Aussicht genommene berufliche Anstellung im Großhandel oder in der Industrie vorausgesetzt werden, und wenn die Teilnahme an dem Lehrgang Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch nehmen (BSG in SozR Nr. 14 zu § 1267 RVO; vgl. auch BSG 23, 166). Es ist nicht einzusehen, warum der Gesetzgeber, der vertretbaren Berufswünschen der Waise keine erkennbaren Schranken gesetzt und deshalb auch ein akademisches Studium von der Förderung nicht ausgeschlossen hat, die Berufsziele anderer Bevölkerungsschichten grundsätzlich beschneiden und nur solche Waisen hätte fördern wollen, die sich in ihrer Ausbildung auf den ursprünglich gewählten Beruf beschränken (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III, 1966, S. 690 b). Auch Nr. 11 der VerwV zu § 33 b BVG, auf die in Nr. 1 der VerwV zu § 45 BVG verwiesen ist, bestimmt, daß es unerheblich sei, ob der Berufsausbildung bereits eine andere - selbst eine abgeschlossene - Berufsausbildung vorangegangen ist. Der Senat ist allerdings der Auffassung, daß eine bloße Vertiefung der Kenntnisse in dem bereits erlernten und beibehaltenen Beruf nicht als eine Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG angesehen werden kann. Es mag auch zweifelhaft sein, ob nach Erlangung eines Berufs die Vorbereitung auf einen gänzlich anderen Beruf stets noch als Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG anerkannt werden kann, zB dann, wenn es sich um einen bei objektiver Beurteilung sachlich nicht motivierten Berufswechsel handelt. Im Unterschied zu den in BSG 12, 109, 115 und in BSG 18, 136, 139 entschiedenen Fällen, in denen der Begriff der Berufsausbildung im Sinne des § 565 RVO idF vor dem Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes "eigenständig" aus dieser Vorschrift auszulegen war (BSG 18, 141), handelt es sich hier nicht darum, ob der nach erfolgreichem Abschluß der Ausbildung erzielte Jahresarbeitsverdienst der Rentenberechnung zugrunde zu legen ist. Im übrigen führt die Ausbildung des Gesellen zum Handwerksmeister zu einer von der des Gesellen wesentlich abgehobenen Berufsstellung. Nach § 32 Abs. 2 der Handwerksordnung vom 17. September 1953 idF des Änderungsgesetzes vom 9. September 1965 (BGBl I 1254) ist durch die Gesellenprüfung festzustellen, ob der Lehrling die in seinem Handwerk notwendigen Fertigkeiten und praktischen und theoretischen Fachkenntnisse besitzt und mit dem ihm im Berufsschulunterricht vermittelten Lehrstoff vertraut ist. Durch die Meisterprüfung ist gemäß § 41 Abs. 2 der Handwerksordnung festzustellen, ob der Prüfling befähigt ist, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen und Lehrlinge ordnungsgemäß auszubilden; der Prüfling hat insbesondere darzutun, ob er die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten kann und die notwendigen Fachkenntnisse sowie die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen, rechtlichen und berufserzieherischen Kenntnisse besitzt. Der Befähigungsnachweis für den Meistertitel setzt somit nicht nur vertiefte allgemeine handwerkliche Kenntnisse, sondern eine darüber hinausgreifende Vorbildung voraus, die ihn zur selbständigen Führung eines Handwerksbetriebes befähigen soll. Der Handwerksmeister muß insbesondere den kaufmännischen und betriebstechnischen Aufgaben gewachsen sein, die der Beruf eines selbständigen Meisters an ihn stellt. Deshalb bedeutet die bestandene Meisterprüfung nicht nur eine handwerkliche Qualifizierung des bis dahin als Geselle tätig gewesenen Erwerbstätigen. Der zum Meister aufgestiegene Geselle erlangt nicht nur eine gehobene Berufsstellung innerhalb des Handwerks, sondern auch einen von der Tätigkeit des Gesellen deutlich unterschiedenen Aufgabenbereich. Der Meistertitel ermöglicht ihm die Wahl, in abhängiger Stellung tätig zu bleiben oder einen eigenen Betrieb zu eröffnen. Die Meisterprüfung ist deshalb nicht allein der Nachweis für eine qualifizierte Tätigkeit innerhalb der Berufstätigkeit des Gesellen, sondern im Aufbau des Handwerks die gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzung für eine andere Art der handwerklichen Berufsausübung, d. h. für ein weitergestecktes Berufsziel. Auf diese anders geartete Tätigkeit kommt es aber an, wenn zu entscheiden ist, ob die Ausbildung nur der Vertiefung von Kenntnissen im bisher ausgeübten Beruf dient oder ob es sich um die Ausbildung zu einer anders und höher zu wertenden Tätigkeit handelt. Von dieser Betrachtungsweise her erscheint der Unterschied in der beruflichen Tätigkeit des Gesellen und des Meisters sicher nicht weniger erheblich, als etwa der Unterschied, der sich aus einem Berufswechsel des Einzelhandelsangestellten zum Angestellten im Großhandel ergibt (vgl. BSG in SozR Nr. 14 zu § 1267 RVO). Die Berufsausbildung muß der in der modernen Industriegesellschaft bestehenden weitgehenden Differenzierung der Berufe Rechnung tragen; dazu gehören auch die herkömmlichen Unterschiede zwischen der Tätigkeit des Gesellen und des Meisters. Entgegen der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen ist deshalb mit Wilke (aaO § 33 b Anm. V Abs. 2) die Vorbereitung des Gesellen auf die Meisterprüfung als Berufsausbildung im Sinne des § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG und nicht als Fortbildung in einem bereits erlangten Beruf anzusehen, wenn die Waise ihre Arbeitskraft ganz oder überwiegend der Vorbereitung auf die Meisterprüfung widmet (vgl. auch Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., Bd. 1, § 583 RVO Anm. 17). Auch der 12. Senat des BSG ist in dem Urteil vom 30. März 1967 - 12 RJ 590/63 - zu dem Ergebnis gelangt, daß die Teilnahme eines Gärtnergehilfen an einem Unter- und Oberstufenlehrgang einer Gartenbauschule zur Vorbereitung auf die Gärtnermeisterprüfung Berufsausbildung im Sinne des § 1267 Satz 2 RVO ist.
Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, daß in den Bevölkerungsschichten, denen sein Vater angehörte, in aller Regel der Ausbildungsgang mit dem Abschluß der Gesellenprüfung ende und daß er deshalb als Arbeiter dem Kläger nicht die Ausbildung bis zum Meister vermittelt haben würde. Zunächst ist nicht ersichtlich, weshalb der Vater des Klägers, der verstarb, als dieser erst zwei Jahre alt war, vermutlich nicht den Berufswünschen seines Kindes Rechnung getragen hätte, zumal er als angelernter Modellschlosser schon im Alter von 29 Jahren gestorben ist, also zu einer Zeit, als seine Berufsaussichten noch nicht zu übersehen waren. Abgesehen davon, daß ein verantwortungsbewußter Vater sich vertretbaren Berufswünschen seines Kindes nicht entgegenzustellen pflegt, ergibt sich aus dem Gesetz auch kein Anhalt für eine Einschränkung des Anspruchs auf Grund solcher hypothetischer Erwägungen. Die Weitergewährung der Waisenrente über das vollendete 18. Lebensjahr soll zwar dazu beitragen, der Waise keine geringere Ausbildung zu vermitteln als diejenige, auf welche sie ohne die Schädigung hätte rechnen können. Insofern hat die Rente eine Unterhaltsersatzfunktion. Das bedeutet aber nicht, daß es jeweils der Prüfung bedürfte, ob die Waise die von ihr erstrebte Ausbildung auf Grund bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsverpflichtung oder darüber hinausgehender Leistungen des Vaters wahrscheinlich erhalten hätte. Die gesetzliche Regelung in § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG läßt - im Unterschied etwa zu den aus der Kriegsopferfürsorge sich ergebenden Ansprüchen (vgl. § 25 Abs. 1 BVG) - nicht erkennen, daß auf diesen Umstand abzustellen, insbesondere ein solcher Zusammenhang nachzuweisen ist. Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, Regelungen zu treffen, denen zwar der Gedanke der Unterhaltsersatzfunktion vorschwebte, bei denen es aber im Einzelfalle nicht auf einen solchen Nachweis ankommen soll (vgl. BSG 9, 199). Insoweit hat sich das Hinterbliebenenrentenrecht durch den Verzicht auf die genannten Unterhaltsvoraussetzungen vom bürgerlichen Unterhaltsrecht entfernt, wie das BSG für die Berufsausbildung im Sinne des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO bereits ausgesprochen hat (BSG 23, 167). Dasselbe ist auch für den Waisenrentenanspruch nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG anzunehmen, da das Gesetz nur auf die Schul- oder Berufsausbildung abstellt. Bei der Anwendung dieser Vorschrift können ebensowenig wie bei der Auslegung des § 1267 RVO die allgemein anerkannten sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele unserer Rechtsordnung außer Betracht bleiben, gleichgültig, ob diese sich in Programmsätzen der Verfassung niedergeschlagen oder zu einem unmittelbar verbindlichen "Recht auf Bildung" verdichtet haben (BSG 23, 230). Die Waisenrente nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG soll dazu beitragen, der Waise grundsätzlich eine ihren Berufswünschen und Anlagen entsprechende möglichst qualifizierte Berufsausbildung ohne Rücksicht auf Herkunft und wirtschaftliche Lage zu sichern. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift läßt sich auch nicht, wie die Beigeladene meint, damit begründen, daß durch besondere Beihilfen als Fortbildung im Beruf von der Bundesregierung der Besuch von Lehrgängen und Kursen zur Ablegung der Meisterprüfung gefördert wird. Durch Maßnahmen dieser Art werden die der Waise nach dem BVG zustehenden Rechte nicht eingeschränkt; sie rechtfertigen auch nicht die Auffassung, daß es sich bei der Erlangung des Meistertitels um eine bloße Fortbildung im bereits erworbenen Beruf des Gesellen handelt. Diese Folgerung ist auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu dem Anspruch der Waise auf Erziehungsbeihilfe nach § 27 BVG abgelehnt worden. Das BVerwG hat vielmehr ausgesprochen, daß diese Hilfe nach Lage des Einzelfalles auch für die Vorbereitung zur Meisterprüfung gewährt werden kann. Zwar seien unzweckmäßige, unvernünftige, unwirtschaftliche oder sonst unangemessene Berufswünsche nicht zu berücksichtigen. Auch sei die Kriegsopferfürsorge nach § 25 Abs. 1 BVG (nur) dazu bestimmt, die Folgen des Verlustes des Ernährers nach Möglichkeit zu überwinden oder zu mildern. Der Gewährung der Hilfe stehe aber nicht entgegen, daß der Vater der Waise - nicht Meister sondern nur - Schmelzer gewesen sei (BVerwG, Urt. v. 24. November 1965 - VC 142/65 - veröff. in dem Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1966 S. 268).
Das Urteil des BSG vom 12. Juli 1966 - 10 RV 879/64 -, auf das der Beklagte hinwies, betraf einen insofern anders gelagerten Fall, als dort ein Beamter auf Probe mit vollen Dienstbezügen zur Weiterbildung in diesem bereits erlangten Beruf am Lehrgang einer Polizeischule teilnahm.
Aus alledem ergibt sich, daß es für die Zuerkennung der Waisenrente nach § 45 Abs. 4 Buchst. a BVG nicht darauf ankommt, welcher Bevölkerungsschicht der Vater des Klägers angehörte. Das LSG hat damit, daß es hierauf nicht näher eingegangen ist, § 128 SGG nicht verletzt. Offensichtlich kam es nach der auch vom LSG vertretenen Rechtsauffassung hierauf nicht an. Deshalb ist auch die Verfahrensrüge des Beklagten nicht begründet. Das LSG hat somit zu Recht die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Deshalb waren auch die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen