Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagter und Revisionsbeklagter |
Tatbestand
I.
Der Rechtsstreit geht um die Gewährung von Berufsschadensausgleich im Zugunstenwege.
Der am 1. März 1922 geborene Kläger erlernte nach dem Besuch der Volksschule von 1936 bis 1939 den Beruf des Schneidemüllers (Sägewerker) und war anschließend als Geselle tätig. Nach seiner Einberufung zum Wehrdienst am 1. Oktober 1941 verpflichtete er sich am 15. April 1943 für die Zeit ab 4. Oktober 1943 für weitere 10 Jahre zu allen Dienstleistungen in der Wehrmacht. Am 6. Mai 1943 erlitt er eine Granatsplitterverletzung des rechten Arms; dieser mußte im Bereich des Oberarms amputiert werden. Nach Abschluß der Lazarettbehandlung wurde der Kläger als Lagermeister-Anwärter bzw. Lagermeister (Unteroffizier) weiterhin bei der Wehrmacht verwendet und nach Beendigung des Krieges bis zum 30. Juni 1945 bei der Heeresstandortverwaltung Schwerin als Zivilangestellter weiterbeschäftigt. Am 16. September 1946 wurde er als Aushilfsangestellter (Vergütungsgruppe TO. A X) bei der Stadtverwaltung C… eingestellt und mit Wirkung ab 1. November 1947 in das Angestelltenverhältnis überführt. Er ist in der Botenmeisterei der Stadtverwaltung tätig und erreichte inzwischen die Vergütungsgruppe BAT VII.
Wegen der Folgen seiner Kriegsverletzung bezieht der Kläger seit dem 1. August 1947 Versorgungsrente, die ab 1. Dezember 1960 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. bemessen wurde (Zugunstenbescheid des Versorgungsamts -VersorgA- Dortmund vom 11. Oktober 1961). Als Schädigungsfolgen wurden zuletzt (Ausführungsbescheid vom 23. Juli 1964) anerkannt:
1. Verlust des rechten Oberarms im oberen Drittel (Kurzstumpf),2. leichte Verbiegung der unteren Hals- und oberen Brustwirbelsäule,
zu 1. hervorgerufen,
zu 2. verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 Bundesversorgungsgesetz.
Einem Antrag des Klägers vom 2. Januar 1967 auf Neufeststellung seiner Versorgungsbezüge unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit wurde nicht stattgegeben (Bescheid vom 2. März 1967, Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1968, Urteil des Sozialgerichts -SG- Dortmund vom 7. November 1968).
Am 27. Januar 1965 beantragte der Kläger die Bewilligung eines Berufsschadensausgleich mit der Begründung, er habe infolge der Aufhebung des Berufsheeres und wegen seiner Schädigung das Durchschnittseinkommen eines Berufsunteroffiziers (Besoldungsgruppe A 6 bzw. A 8, des Bundesbesoldungsgesetzes -BBesG-) nicht erreicht. Mit Bescheid vom 30. März 1966 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Antrag ab, weil von dem Beruf des Sägewerkers auszugehen sei und im Vergleich zu dem Durchschnittseinkommen dieses Berufes die Angestelltenvergütung des Klägers (damals Vergütungsgruppe VIII) höher sei. Dieser Bescheid wurde bindend.
Am 25. Januar 1969. beantragte der Kläger unter Hinweis auf das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 21. Februar 1967 (BVB1 S. 37) die Gewährung von Berufsschadensausgleich im Zugunstenwege auf der Grundlage eines Durchschnittseinkommens der Besoldungsgruppe A 8 BBesG. Durch Bescheid vom 25. März 1969 lehnte das VersorgA den Antrag ab weil der bindende Bescheid vom 30. März 1966 nicht unrichtig und insbesondere der Kläger durch die anerkannten Schädigungsfolgen nicht daran gehindert worden sei, nach Beendigung seines Dienstverhältnisses als Unteroffizier Beamter des mittleren Dienstes zu werden. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts -LVersorgA- Nordrhein-Westfalen vom 9. Juli 1969, Urteile des SG Dortmund vom 27. Februar 1970 und des Landessozialgerichts -LSG- für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. März 1973).
Am 22. März 1973 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf den Runderlaß des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom. 11. Februar 1971 (MBl. NW S. 356) abermals die Erteilung eines Zugunstenbescheides über die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Das VersorgA lehnte den Antrag durch Bescheid vom 16. Mai 1973 im wesentlichen mit der Begründung ab, daß der vom Kläger herangezogene Runderlaß in seinem hier entscheidenden Teil wörtlich mit dem Erlaß des Arbeits- und Sozialministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. April 1967 übereinstimme und dieser Erlaß bei der Erteilung des bindenden Bescheides vom 25. März 1969 beachtet worden sei. Der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1974).
Das SG Dortmund (Urteil vom14. November 1975) hat der Klage stattgegeben und die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Das LSG (Urteil vom 24. September 1976) hat nach Einholung einer Auskunft des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. W… in C… vom 23. Mai 1976 und Vernehmung der Eheleute B… (Schwester und Schwager des Klägers) das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Ein Zugunstenbescheid setze die zweifelsfreie Unrichtigkeit der früheren Entscheidung voraus. Es stehe nicht fest, daß die bindende Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Berufsschadensanspruch durch den Bescheid vom 30. März 1966 seinerzeit unrichtig gewesen sei. Es sei nicht zweifelsfrei wahrscheinlich; daß der Kläger ohne die Schädigung einer Berufs- oder Wirtschaftsgruppe mit einem gegenüber seinen tatsächlich erzielten Einkünften höheren Durchschnittseinkommen angehört hätte und daß er insbesondere bis zum März 1966 oder danach Berufsunteroffizier bei der Bundeswehr geworden wäre oder bei der Stadtverwaltung C…, eine höhere als die innegehabte berufliche Stellung erreicht hätte. Unter Berücksichtigung dessen, daß der Kläger nicht zweifelsfrei ein begeisterter Soldat gewesen sei, daß er seit 1950 wegen eines Herzleidens ärztlich behandelt worden sei, daß er 1954 ein eigenes Haus bezogen und 1956 zwei kleine Kinder gehabt habe, daß er mit seiner beruflichen Stellung zufrieden und an einem beruflichen Aufstieg nicht interessiert gewesen sei und daß er schließlich auch eine Rückkehr in seinen erlernten Beruf für möglich gehalten habe, sei es nicht zweifelsfrei wahrscheinlich, daß er sich ohne die Schädigung um Wiederverwendung als Berufsunteroffizier der Bundeswehr beworben hätte. Diese gegen die Fortsetzung des Soldatenberufs sprechenden Umstände würden durch die Zeugenaussagen nicht ausreichend entkräftete. Darüber hinaus sei es auch nicht zweifelsfrei wahrscheinlich, daß der Kläger ohne die Schädigung eine andere Berufs- oder Wirtschaftsgruppe erreicht hätte, deren Durchschnittseinkommen in dem Zeitraum von Januar 1964 bis März 1966 und danach höher als sein tatsächlichen Einkünfte gewesen wäre. Sein gesamtes Verhalten deute auf ein Desinteresse an einem beruflichen Aufstieg hin.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40 Abs. 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts setze die Erteilung eines Zugunstenbescheides nicht voraus, daß die frühere Entscheidung zweifelsfrei unrichtig gewesen und daß es zweifelsfrei wahrscheinlich sei, daß er - der Kläger - ohne die Schädigung einer Berufs- , oder Wirtschaftsgruppe mit einem höheren Durchschnittseinkommen angehört hätte. Diese Ansicht stehe im Widerspruch zu den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juni 1969 (BSGE 29, 278) und vom 22. Mai 1975 (SozR 3900 § 40 Nr. 2), wonach Iediglich die Berichtigung zuungunsten des Berechtigten nach § 41 KOV-VfG davon abhängig sei, daß die tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit der früheren Entscheidung außer Zweifel stehe. Für die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 KOV-VfG reiche es hingegen aus, daß die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen und bei Berücksichtigung dieses Beurteilungsmaßstabes die Verwaltung von der Unrichtigkeit ihres rechtsverbindlichen Bescheides überzeugt sei, bzw. überzeugt sein müsse. Nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen bestehe eine ausreichende Wahrscheinlichkeit dafür, daß er (Kläger) ohne die Schädigungsfolgen Berufsunteroffizier bei der Bundeswehr geworden wäre oder zumindest eine höher bewertete und besoldete Stellung bei der Stadtverwaltung C… erreicht hätte.
Der Kläger beantragt,dar Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. September 1976 aufzuheben und die Berufung (des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14. November, 1975 zurückzuweisen;hilfsweise:das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. September 1976 aufzuheben die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte hat von einer Stellungnahme zu dem Hilfsantrag abgesehen. Hinsichtlich des Hauptantrages beantragt er,die Revision zurückzuweisen.
Er ist der Meinung, daß die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Gewährung des vom Kläger begehrten Berufsschadensausgleichs nicht rechtfertigten, auch wenn davon auszugehen sei, daß eine zweifelsfreie Unrichtigkeit des bindend gewordenen Bescheides nicht Voraussetzung für die Erteilung eines Zugunstenbescheides sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne des von ihm gestellten Hilfsantrages begründet.
Die Beteiligten streiten darum, ob und ggf. mit welchem Inhalt der Beklagte, dem Kläger einen ihm günstigen Bescheid über die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs zu erteilen hat. Rechtsgrundlage hierfür ist § 49 Abs. 1 KOV-VfG in der seither unveränderten Fassung des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl. I S. 453). Danach kann die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen.
Schon nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, die nunmehr in den §§ 18, 49 und 54 des allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vom 25. Mai 1976 (BGBl. I S. 1253) teilweise ihren gesetzlichen Niederschlag gefunden haben, ist die Verwaltungsbehörde befugt, jederzeit eine neue Prüfung des Versorgungsrechtsverhältnisses vorzunehmen und einen neuen Bescheid zu erteilen, sofern hierdurch die in einem vorangegangenen Bescheid enthaltene Belastung des Betroffenen nicht erhöht wird, (BSGE 10, 248, 249; 18, 22, 25 ff.; 19, 146, 148; 29, 278, 280; BSG BVBl. 1970, 15). Diese Befugnis ist nicht regelungsbedürftig und nicht Gegenstand der Regelung des § 40 Abs. 1 KOV-VfG. Inhalt und Bedeutung dieser Vorschrift ergeben sich vielmehr aus der Systematik des Verwaltungsverfahrens der Kriegsopferversorgung (KOV). Ausgangspunkt ist § 24Abs. 1 KOV-VfG (gleichlautend § 77 SGG). Danach wird ein Verwaltungsakt, wenn der gegen ihn gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird, für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Diese Bindung ergibt für die Verwaltung das grundsätzliche Verbot einer Abänderung zum Nachteil des Versorgungsberechtigten und für diesen den grundsätzlichen Ausschluß des Anspruchs auf Besserstellung (BSGE 15, 137, 140). Sie ist Ausdruck des Gebotes der Rechtssicherheit, welches sich unmittelbar aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit ergibt (Art 20 Abs. 3 des Grundgesetzes -GG-). Das Rechtsstaatsprinzip beinhaltet jedoch ebenso und gleichrangig das Gebot der materiellen Gerechtigkeit, d.h. das Gebot, das Versorgungsverhältnis entsprechend den Vorschriften des dafür maßgebenden materiellen Rechts zu gestalten. Dieses Gebot kann im Einzelfall mit demjenigen der Rechtssicherheit in Kollision geraten. Zwar kann und muß aufgrund der durch § 24 KOV-VfG § 77 SGG statuierten Bindungswirkung davon ausgegangen werden, daß die davon erfaßte Entscheidung der Verwaltungsbehörde in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zutrifft (BSGE 29, 278, 283). Gleichwohl kann sich nachträglich herausstellen oder zumindest wegen bestimmter Umstände naheliegen (vgl. BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 7), daß die Entscheidung, von Anfang an (BSGE 26, 146, 147), d.h. zur Zeit ihres Erlasses, mit dem damals geltenden materiellen Recht und dadurch mit dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit nicht in Einklang gestanden hat. In diesem Fall treten die Gebote der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit in Widerstreit. § 40 Abs. 1 KOV-VfG eröffnet der Verwaltungsbehörde die Möglichkeit zur Lösung dieses Konfliktes durch Berichtigung der früheren Entscheidung zugunsten des Versorgungsberechtigten. Die Bestimmung ist durch die Verwendung des Wortes "kann" als Ermessensvorschrift ausgestaltet. Mit der in früheren Entscheidungen des BSG (BSGE 26, 146, 147 f.; BSG BVBl. 1969, 66 und 118) verwendeten Formulierung, der Verwaltungsbehörde werde ein Ermessen in zweierlei Hinsicht eingeräumt, nämlich einmal darüber, "ob", und zum anderen darüber, "von wann an" sie die Berichtigung vornehmen wolle, ist im Lichte der neueren Rechtsprechung der Ermessensbereich allerdings nur noch unzulänglich umschrieben. Die Befugnis zur Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen besteht vielmehr in mehrfacher Hinsicht:
Zunächst ist zu berücksichtigen, daß nach § 40 Abs. 1 KOV-VfG anders als nach Abs. 2 der Vorschrift die Erteilung eines Zugunstenbescheides nicht von einem Antrag des Berechtigten abhängig ist, Zwar enthält § 40 Abs. 1 KOV-VfG auch eine dem § 42 Abs. 1 KOV-VfG, wonach die Verwaltungsbehörde auf Antrag oder von Amts wegen zu entscheiden hat, entsprechende Regelung nicht. Hieraus kam jedoch nicht geschlossen werden, daß die Verwaltungsbehörde nach § 40 Abs. 1 KOV-VfG nur auf Antrag des Berechtigten zu dessen Gunsten neu entscheiden darf. Vielmehr ist sie nach pflichtgemäßem Ermessen, etwa weil ihr Zweifel an der Richtigkeit der früheren Entscheidung gekommen sind (vgl. BSGE 10, 248, 249), oder aufgrund fürsorgerischer Aufgaben gegenüber einem Beschädigten (vgl. BSGE 22, 210, 213), berechtigt, auch ohne einen ausdrücklichen Antrag neu zu entscheiden, wobei unter besonderen Umständen dieses Ermessen nur noch dann fehlerfrei ausgeübt wird, wenn die Behörde einen neuen Bescheid erteilt, und sich damit im Ergebnis auf die Verpflichtung reduziert, ohne Antrag von Amts wegen einen neuen Bescheid zu erteilen (BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 16). Allerdings kann dies nur ausnahmsweise der Fall sein; der Verwaltungsbehörde kam im allgemeinen nicht angesonnen werden, ohne zwingenden Anlaß, wie ihn insbesondere ein Antrag des Berechtigten bietet, eine bindend gewordene Entscheidung ständig auf mögliche Widersprüche gegen das Gebot der materiellen Gerechtigkeit neu zu überprüfen. Es ist daher nicht zu beanstanden, daß - wie es nach den dem Senat zugänglichen. Erkenntnissen offenbar der Verwaltungspraxis entspricht - in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nur auf Antrag des Berechtigten eine Neuüberprüfung gemäß § 40 Abs. 1 KOV-VfG vorgenommen wird.
Selbst auf einen solchen Antrag hin ist der Verwaltungsbehörde eine sachliche Überprüfung der früheren Entscheidung auf etwaige Widersprüche gegen das Gebot der materiellen Gerechtigkeit nicht zwingend auferlegt. Wie der Senat in seinen Urteilen vom 24. Juni 1969 (BSGE 29, 278, 283 = SozR VerwVG § 40 Nr. 12) und vom 22. Juni 1977 - 10 RV 67/76 - (zur Veröffentlichung bestimmt) (vgl. auch Beschluß vom 21. Januar 1976 -, 10 RH 7/75 - ) dargelegt hat, kann die bloße Behauptung eines Widerspruchs der früheren Entscheidung gegen das Gebot dem materiellen Gerechtigkeit nicht genügen, um nach dieser Richtung eine erneute Überprüfung und ein Tätigwerden der Verwaltung in Gang zu setzen. Vielmehr steht auch die Frage, ob die Verwaltungsbehörde in eine erneute sachliche Überprüfung eintreten oder aber davon absehen will, in ihrem Ermessen, dessen Ausübung im gerichtlichen Verfahren nur daraufhin überprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Allerdings ist der Bereich des der Verwaltungsbehörde hiernach zustehenden Ermessensspielraums nicht unterschiedslos gleich. Vielmehr wird er maßgeblich von der - im gerichtlichen Verfahren voll nachprüfbaren - Frage bestimmt, ob und inwieweit der Antrag des Berechtigten und ein eventuelles weiteres Vorbringen im Verwaltungsverfahren zur Begründung dieses Antrages konkrete Anhaltspunkte für eine Überprüfung der früheren Entscheidung bieten: Fehlt es an solchen Anhaltspunkten, etwa weil das Vorbringen des Berechtigten unschlüssig oder unsubstantiiert ist, so ist zwar selbst in diesem Falle der Verwaltungsbehörde der Antritt in eine Nachprüfung des früheren Bescheides nicht verwehrt (vgl. BSGE 29, 278, 283). Sie hält sich jedoch ebenso in den Grenzen des ihr zustehenden Ermessens, wenn sie es unter dieser Voraussetzung ablehnt, in eine erneute Sachprüfung einzutreten. Der Ermessensspielraum im einzelnen wird je nach den Umständen des Falles von dem Inhalt des Vorbringens des Berechtigten, ggf. nach Ergänzung auf Veranlassung der Versorgungsbehörde (vgl. § 7 Abs. 2 und, 3 KOV-VfG; Art I § 16 Abs. 3 des Sozialgesetzbuches, Allgemeiner Teil - SGB 1 - vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015), bestimmt und reduziert sich äußerstenfalls darauf, daß die Verwaltungsbehörde nur noch dadurch ihr Ermessen fehlerfrei ausübt, daß sie eine erneute Überprüfung der früheren Entscheidung vornimmt dann nämlich, wenn das Vorbringen des Berechtigten, ggf. in Verbindung mit anderen offenkundigen Umständen, unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht der Verwaltungsbehörde und ihrer Bindung an die Grundsätze der Rechts- und Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 und 1 GG) eine solche Überprüfung zwingend gebietet und ihre Unterlassung mit dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit unvereinbar erscheint.
Der Schwerpunkt des durch § 40 Abs. 1 KOV-VfG eingeräumten Ermessens liegt in der Entscheidung der Verwaltungsbehörde, ob sie aufgrund des Ergebnisses einer Überprüfung des früheren Bescheides von der ihr durch § 40 Abs. 1. KOV-VfG eingeräumten Möglichkeit, die Bildung des früheren Bescheides zugunsten den Berechtigten zu durchbrechen (vgl. BSG SozR VerwVG 5 40 Nr. 3), Gebrauch machen will oder nicht. Allerdings ist ihr dieses Auswahlermessen nicht voraussetzungslos eingeräumt worden. Wie der Senat insbesondere in seinem Urteil vom 24. Juni. 1969 (BSGE 29, 278, 282 = SozR VerwVG § 40 Nr. 12) und seither wiederholt (BSGE 35, 91, 93; BSG SozR 1500 § 141 Nr. 2 und 3900 § 40 Nr. 2; Urteil vom 9. Februar 1977 - 10 RV 23/76 -; ebenso 9. Senat in BSG BGBl. 1970, 15) ausgesprochen hat, hat die Ausübung des Ermessens zur Voraussetzung, daß die frühere Entscheidung von Anfang an unrichtig gewesen ist. Das ergibt sich insbesondere daraus, daß § 40 Abs. 1 KOV-VfG ein Unterfall, der "Berichtigung von Bescheiden" (Überschrift vor § 40 KOV-VfG) ist und der Lösung eines Konfliktes zwischen den Geboten der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit dient, der notwendigerweise nur dann entstehen kann, wenn die bindend gewordene Entscheidung unrichtig ist und dadurch dem Gebot für materiellen Gerechtigkeit, widerspricht. Das Tatbestandsmerkmal der "Unrichtigkeit des Erstbescheides" unterliegt im Streitfalle wie jedes Tatbestandsmerkmal der vollen tatrichterlichen Nachprüfung (BSGE 29, 278, 284; Urteil vom 9. Februar 1977 - 10 RV 23/76 -). Es bestimmt zugleich die Grenzen des der Verwaltungsbehörde nach § 40 Abs. 1 KOV-VfG zustehenden Ermessens. Dessen Spielraum ist jenach Sachlage unterschiedlich groß und wird wesentlich beeinflußt durch die Schärfe des Konflikts, der zwischen der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit bei verbindlich gewordenen Verwaltungsakten entstehen kann, und durch den Grad des Unrechtsgehaltes der früheren Entscheidung. Dieser kann so erheblich sein, daß der Spielraum des Ermessens über die Frage, ob die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten einen neuen Bescheid erteilen will, sich dergestalt verengt, daß der neue Bescheid erteilt werden muß (BSG KOV 1970, 61, 62; BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 14; SozR 3900 § 40 Nr. 5). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG handelt daher die Verwaltungsbehörde ermessensfehlerhaft und ihrer Verpflichtung zu sozial angemessener Rechtsausübung zuwider, wenn sie die Erteilung einen neuen Bescheides unter Berufung auf dessen Bindungswirkung verweigert, obgleich seine Überprüfung ergeben hat, daß er der im Zeitpunkt seines Erlasses maßgebenden materiellen Rechtslage und damit der Gerechtigkeit widerspricht (vgl. u.a. BSGE 19, 286, 287 f.; 26, 146, 148 f.; 35, 91, 93; 36, 21, 22; 401 120, 121; BSG SozR SGG § 54 Nr. 133; VerwVG § 40 Nr. 14; 3100 § 40a Nr. 4). Hingegen ist es ihr bei bloßen Zweifeln an der Richtigkeit der früheren Beurteilung, ohne daß aber deren Unrichtigkeit feststellbar wäre, nicht verwehrt, an der Bindungswirkung der früheren Entscheidung festzuhalten und die Erteilung eines neuen Bescheides abzulehnen (BSG KOV 1970, 61, 62; BSG SozR 1500 § 141 Nr. 2). In jedem Falle und damit auch dann, wenn sich der Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörde deswegen, weil die frühere Entscheidung in Widerspruch zur materiellen Rechtslage steht, auf eine Verpflichtung zur Erteilung eines neuen Bescheides verengt, handelt es ich um eine Ermessensentscheidung die als solche nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG gerichtlich nachprüfbar, ist (vgl. insbesondere BSG BVBl. 1969, 85, 86 m.w.N.). Auch in diesen Fällen begründet § 40 Abs. 1 KOV-VfG nicht einen Anspruch auf eine Leistung, wie sie ohne den bindend gewordenen ersten Bescheid von Anfang an hätte gewährt werden müssen, sondern lediglich einen Anspruch auf eine an pflichtgemäßem Ermessen orientierte Regelung, ob und inwieweit von dem früheren Bescheid abgegangen werden kam (BSG, BVBl. 1966, 6; KOV 1970, 61)
Sofern die Verwaltungsbehörde einen dem Berechtigten günstigeren Bescheid erteilt oder nur durch die Erteilung eines solchen Bescheides ihr Ermessen fehlerfrei ausüben kann, steht es - anders als im Rahmen des § 40 Abs. 2 KOV-VfG (vgl. hierzu BSGE 15, 137, 141; BSG KOV 1968, 44; offengelassen in BSG BVBl. 1966, 38, 39) - schließlich in ihrem pflichtgemäßen Ermessen, darüber zu entscheiden, ob und ggf. für welchen Zeitraum die Bindungswirkung des ersten Bescheides auch für die Vergangenheit beseitigt und der Zugunstenregelung Rückwirkung beigelegt werden soll (BSGE 19, 12, 13; 26, 146, 150 ff.; 31, 21, 22; 40, 121, 122; BSG BVBl. 1969, 85, 86 und 129; 1970,15, 16). Dabei ist zu berücksichtigen, daß einerseits der Verwaltungsbehörde unter Voranstellung des Gebotes der Rechtssicherheit ein Festhalten an der Bindungswirkung des früheren Bescheides für die Vergangenheit nicht grundsätzlich verwehrt ist (BSGE 19, 12, 13; 26, 146, 151; BSG BVBl. 1969, 129) und es von daher sogar nahe liegt, die Neugestaltung des Versorgungsrechtsverhältnisses auf Gegenwart und Zukunft zu beschränken (BSGE 40, 120, 121), andererseits aber aufgrund besonderer Umstände wie etwa einer Selbstbindung der Verwaltung durch ständige Verwaltungsübung aufgrund von Verwaltungsvorschriften (BSGE 40, 120, 122; BSG BVBl. 1969, 66 und 118), oder einer gröblichen Verletzung des Gerechtigkeitsempfindens bei Versagung einer Rückwirkung (BSG SozR 3900 § 40 Nr. 5) ein Ermessensfehler nur dadurch ausgeschlossen werden kam, daß der Zugunstenregelung eine - zumindest partielle - Rückwirkung beigelegt wird.
Was die Voraussetzung für die, Ermessensentscheidung darüber anbelangt, ob die Verwaltungsbehörde die Bindung der früheren Entscheidung zugunsten des Berichtigten durch Erteilung eines neuen Bescheides durchbrechen will, so ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß hierfür eine "zweifelsfreie Unrichtigkeit" der früheren Entscheidung erforderlich sei. Dabei läßt das angefochtene Urteil allerdings nicht mit der gebotenen Deutlichkeit erkennen, ob das LSG unter "zweifelsfreier Unrichtigkeit" einen durch Eigenschafts--und Hauptwort umschriebenen komplexen Begriff versteht oder aber mit dem Wort "zweifelsfrei" die Beweisanforderungen bezüglich des Begriffs der "Unrichtigkeit" hat bezeichnen wollen. In beiden Fällen erweist sich jedoch das angefochtene Urteil als unzutreffend. Weder setzt die Erteilung, eines Zugunstenbescheides eine "zweifelsfreie Unrichtigkeit" der früheren Entscheidung voraus, noch muß diese Unrichtigkeit "zweifelsfrei" bewiesen sein.
Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 24. Juni 1969 (BSGE 29, 278 = SozR VerwVG § 40 Nr. 12) ausgeführt hat, ist im Wortlaut des § 40 Abs. 1 KOV-VfG eine besondere Voraussetzung für die Ausübung des der Verwaltungsbehörde eingeräumten Handlungsermessens nicht zum Ausdruck gekommen. Unter Berücksichtigung ihres Zweckes und systematischen Zusammenhanges sind der Vorschrift jedoch im Wege der Auslegung die Worte "wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen ist" ergänzend hinzuzufügen (a.a.O., S. 282), ohne daß damit besondere Beweisanforderungen wie etwa in § 41 KOV-VfG, ("außer Zweifel steht") gestellt werden (a.a.O., S. 280; vgl. auch BSG SozR 3900 § 40 Nr. 2). Hieraus ergibt sich, daß dem Begriff der "Unrichtigkeit" schon im Sinne des § 41 Abs. 1 KOV-VfG und damit erst recht im Sinne des § 40 Abs. KOV-VfG das Moment des "Zweifelsfreien" nicht immanent ist, sondern es sich insofern allenfalls um eine - im Rahmen des § 40 Abs. 1 KOV-VfG allerdings nicht anwendbare - Beweisanforderung handelt. Dieses Verständnis des Begriffs der "Unrichtigkeit" entspricht dem allgemeinen und juristischen Sprachgebrauch. "Unrichtigkeit" ist das Gegenteil von "Richtigkeit" Die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde oder eines Gerichts ist dann "richtig", wenn sie - zumindest im Ergebnis (vgl. u.a. § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG) - dem geltenden Recht entspricht, also rechtmäßig ist. Nicht hingegen ist sie erst dann rechtmäßig, wenn sie - was angesichts der begrenzten menschlichen Erkenntnismöglichkeiten ohnehin mehr einem rechtsethischen Postulat als einer konkretisierbaren Forderung entsprechen würde - zweifelsfrei dem geltenden Recht entspricht. Begriffsgegensatz der "Rechtmäßigkeit" (=Richtigkeit) ist die "Rechtswidrigkeit" (vgl. z.B. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) - Danach ist eine Entscheidung unrichtige wenn, sie rechtswidrig ist. Hingegen ist es - ebensowenig wie umgekehrt bei der Rechtmäßigkeit - nicht erforderlich, daß sie "zweifelsfrei" rechtswidrig ist. Zwar ist es dem Gesetzgeber und, sofern sie damit die ihnen übertragenen Aufgaben der Rechtsanwendung und
-auslegung wahrnehmen, auch den Gerichten nicht versagt, besondere. Beweisanforderungen bezüglich des Begriffe der "Unrichtigkeit" (=Rechtswidrigkeit) aufzustellen und insofern auch eine "zweifelsfreie" Unrichtigkeit zu verlangen. Solange dies jedoch nicht geschehen ist, trägt der Begriff der Rechtswidrigkeit (Unrichtigkeit) allein von sich aus nicht schon das Erfordernis des "Zweifelsfreien" in sich. Im Rahmen des § 40 Abs. 1 KOV-VfG ergibt sich dies aus einem weiteren Grunde: Wie ausgeführt, eröffnet 140 Abs. 1 KOV-VfG der Verwaltung die Möglichkeit der Lösung eines Konfliktes zwischen den Geboten der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit, wobei letzterer durch Erteilung eines neuen Bescheides der Vorrang einzuräumen ist, wenn die Überprüfung des früheren Bescheides ergibt, daß er der materiellen Rechtslage widerspricht (BSGE 26, 146, 148 f.; 35, 91, 93; 36, 21, 22 u.a.m.). Der materiellen Gerechtigkeit widerspricht jedoch nicht nur eine "zweifelsfrei" unrichtige (rechtswidrige) Entscheidung. Die "Zweifelsfreiheit", "Eindeutigkeit" oder "Offenkundigkeit" der Unrichtigkeit ist allenfalls ein Indiz für einen besonders eklatanten Verstoß gegen das Gebot der materiellen Gerechtigkeit. Nicht hingegen begründet erst und allein sie einen solchen Verstoß. Vielmehr widerspricht jede unrichtige Entscheidung ohne Rücksicht darauf, ob die Unrichtigkeit klar zutage liegt oder sich erst aufgrund einer sachlichen Überprüfung der früheren Entscheidung herausstellt, dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit. Diese ist jedenfalls zugunsten des Berechtigten unteilbar und läßt im Rahmen des § 40, Abs. 1 KOV-VfG eine differenzierende Auslegung des Begriffs der Unrichtigkeit je nachdem, ob sie "zweifelsfrei" ist oder nicht, nicht zu. Vielmehr schafft jede Art der Unrichtigkeit die Voraussetzung für eine Ausübung des der Verwaltungsbehörde durch § 40 Abs. 1 KOV-VfG eingeräumten Handlungsermessens.
Über die Beweisanforderungen bezüglich des Begriffs der "Unrichtigkeit" als Voraussetzung und zugleich als einer der Faktoren zur Bestimmung der Grenzen der Ermessensausübung der Verwaltungsbehörde ist dem § 40 Abs. 1 KOV-VfG unmittelbar nichts zu entnehmen und kann ihm schön deswegen nichts entnommen werden, weil eine besondere Voraussetzung für die Ausübung des Handlungsermessens im Wortlaut der Vorschrift nicht zum Ausdruck gekommen ist (BSGE 29, 278, 282). Die Beweisregel des § 41 Abs. 1 KOV-VfG ("außer Zweifel steht") kann nicht ergänzend herangezogen werden. Sie ist speziell auf den Fall der Berichtigung zuungunsten des Berechtigten zugeschnitten und trägt dem Umstand Rechnung, daß gegenüber einer solchen Berichtigung ein erhöhter Bestands- und Vertrauensschutz des Bürgers besteht und sie deswegen im Gegensatz zu der Berichtigung zugunsten des Berechtigten, der ein vergleichbarer Bestand- oder Vertrauensschutz der Verwaltung nicht entgegen steht (vgl. BSGE 15, 137, 141), an strengere Voraussetzungen geknüpft sein soll (BSG SozR 3900 § 40 Nr. 2), so daß eine Vergleichbarkeit beider Vorschriften nach Voraussetzungen und Zweck ausgeschlossen ist (vgl. BSGE 26, 146, 152). Die Frage, welche Beweisanforderungen an den Begriff der "Unrichtigkeit" im Sinne des § 40 Abs. 1 KOV-VfG zu stellen sind, kann somit nur nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen beantwortet werden. Dabei kann der Begriff der "Unrichtigkeit" nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß eine "Unrichtigkeit" dann vorliegt, wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen die Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs oder einer höheren Leistung nunmehr gegeben sind (vgl. BSGE 29, 278, 280). Von den Beweisanforderungen, an diese anspruchsbegründenden Tatsachen her bestimmen sich auch die Beweisanforderungen an den Begriff der "Unrichtigkeit".
In der KOV wie, auch in den anderen, zur Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit gehörenden Angelegenheiten bedürfen die anspruchsbegründenden Tatsachen im allgemeinen des vollen Beweises, sofern nicht aufgrund ausdrücklicher Ausnahmevorschriften geringere Beweisanforderungen wie etwa die Wahrscheinlichkeit (vgl. u.a. § 1 Abs. 3 Satz. 1, § 30 Abs. 4 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz -BVG- , letztere Vorschrift jetzt gültig in der Fassung des 9. AnpG-KOV vom 27. Juni 1977, BGBl. I S. 1037), die Glaubhaftmachung (§ 45 Abs. 2 Nr. BVG) oder die Vermutung (z.B. § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG) genügen. Der Beweis erfordert eine an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit; eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, daß alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (Senat in BSGE 8, 159, 161; vgl. ferner BSGE 6, 142, 144, 9, 209, 211; 20, 255, 256). Wahrscheinlich hingegen ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt; es muß sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, daß ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden (BSG Breithaupt 1963, 60, 61).
Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun überwiegender Wahrscheinlichkeit, der guten Möglichkeit, daß der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus noch gewisse Zweifel bestehen können (BSGE 8, 159, 160; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl., § 67, Anm. 4c, S. 211).
Diese Beweisgrundsätze gelten im Rahmen des § 40 Abs. 1 KOV-VfG auch für den Begriff der "Unrichtigkeit" mit folgenden Konsequenzen: Ist durch den früheren Bescheid ein Anspruch oder die Gewährung einer höheren Leistung deswegen abgelehnt worden, weil die Behörde und in einem evtl. anschließenden Rechtsstreit die Gerichte eine des Beweises bedürftige anspruchsbegründende Tatsache nicht als bewiesen angesehen haben, so ist diese Entscheidung unrichtig, wenn aufgrund des Ergebnisses der Überprüfung des Bescheides die anspruchsbegründende Tatsache nunmehr bewiesen, d.h. zur vollen Überzeugung festgestellt worden ist. Nicht erforderlich ist, daß dies über die allgemeinen Anforderungen an den Nachweis einer Tatsache hinaus in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise geschehen ist. Beruht der ablehnende frühere Bescheid darauf, daß eine Tatsache für die die Wahrscheinlichkeit genügt, nicht als wahrscheinlich angesehen worden ist, so erweist sich der Bescheid dann als unrichtig, wenn aufgrund seiner Überprüfung nunmehr der früher verneinten Möglichkeit gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt. Auch diese Wahrscheinlichkeit braucht nicht "zweifelsfrei" zu sein, wobei dahinstehen kam, ob angesichts dessen, daß die Wahrscheinlichkeit schon von ihrem Begriff her nicht den Ausschluß jeglichen Zweifels erfordert und ermöglicht, eine "zweifelsfreie Wahrscheinlichkeit" nicht ein Widerspruch in sich wäre. Ist bei dem Erlaß des früheren Bescheids eine anspruchsbegründende Tatsache, deren Glaubhaftmachung genügt, nicht als glaubhaft gemacht angesehen worden, so ist der Bescheid unrichtig, wenn nunmehr die überwiegender Wahrscheinlichkeit oder die gute Möglichkeit des Vorliegens dieser Tatsache dargetan worden ist; der Ausschluß jeglichen Zweifels ist nicht erforderlich und würde in noch stärkerem Maße als bei der Wahrscheinlichkeit dem Wesen der Glaubhaftmachung widersprechen, bei der gewisse Zweifel durchaus bestehen können. Zusammenfassend ist somit festzustellen, daß im Rahmen des § 40 Abs. 1 KOV-VfG die Beweisanforderungen an den Begriff der "Unrichtigkeit" dieselben sind wie an diejenige anspruchsbegründende Tatsache, deren Unrichtigkeit geltend gemacht bzw. festgestellt worden ist. Nicht erforderlich ist hingegen, daß die Unrichtigkeit "zweifelsfrei" feststehen muß.
Mit seiner Auslegung des Begriffs der "Unrichtigkeit" und mit der Entscheidung, welche Beweisanforderungen hieran zu stellen sind, jetzt sich der Senat nicht in. Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BSG. Zwar hat der 9. Senat des BSG wiederholt (vgl. BSGE 19, 286, 288; BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 3; vgl. aber auch BSG SozR 3100 § 40a Nr. 4) ausgesprochen, daß die Versorgungsbehörde den Berechtigten nicht an einem bindend gewordenen Bescheid festhalten dürfe, wenn dieser erkennbar und zweifelsfrei gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoße und seine Überprüfung im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung nach § 40 Abs. 1 KOV-VfG ergebe, daß er offensichtlich materiell unhaltbar sei. Ebenso hat der 8. Senat (BSG BVBl. 1969, 66 und 118) entschieden, die Versorgungsbehörde handhabe ihr Ermessen, ob sie überhaupt berichtigen wolle, dann fehlerhaft, wenn sie an der bindenden Wirkung der früheren Bescheide festhalte, obgleich für sie feststehe, daß diese erkennbar und zweifelsfrei zum Nachteil des Berechtigten gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen hätten. Auch der erkennende Senat (BSG 26, 146, 148; vgl. auch BSG SozR VerwVG § 40 Nr. 16) hat sich der Auffassung angeschlossen, daß, soweit ein Ermessen über das "Ob" in Frage komme, die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Berechtigten nicht mehr an einem bindend gewordenen, Bescheid festhalten dürfe, wenn dieser zweifelsfrei gegen eine gesetzliche Vorschrift verstoßen habe und seine Nachprüfung im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung ergebe, daß er offensichtlich unhaltbar sei. Diesen Entscheidungen kann jedoch nicht entnommen werden, daß die Verwaltungsbehörde zur Ausübung des ihr durch § 40 Abs. 1, KOV-VfG eingeräumten Handlungsermessens nur unter der Voraussetzung verpflichtet und berechtigt ist, daß der frühere Bescheid zweifelsfrei, oder offensichtlich unrichtig ist. Vielmehr besagen sie lediglich ,daß sich unter diesen Voraussetzungen der Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörde auf die Verpflichtung zur Erteilung eines neuen Bescheides reduziert, ohne damit die Voraussetzungen für ein Ermessenshandeln als solche abschließend und erschöpfend zu bestimmen.
Das Berufungsgericht hat nach alledem seiner Entscheidung einen unzutreffenden Begriff der "Unrichtigkeit" zugrunde gelegt bzw. die an diesen Begriff zu stellenden Beweisanforderungen zum Nachteil des Klägers verkannt. Es ist nicht auszuschließen, daß es unter Beachtung der rechtlichen Beurteilung des Senats (§ 170 Abs. 5 SGG) zu einer anderen Würdigung der insoweit erheblichen Tatsachen gelangen könnte. Dem Senat selbst ist eine solche Tatsachenwürdigung verwehrt. Deswegen war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerde- und Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen