Leitsatz (amtlich)
Ein "Eintritt in die versicherungspflichtige Beschäftigung" (RVO § 306 Abs 1) kann auch dann vorliegen, wenn das Beschäftigungsverhältnis mit einem unbezahlten Urlaub des Arbeitnehmers beginnt.
Ein solcher Arbeitnehmer wird mit dem Beginn des Tages Mitglied der KK, an dem und für den er nach Entgegennahme seiner Arbeitspapiere durch den Arbeitgeber unbezahlten Urlaub erhält.
Leitsatz (redaktionell)
Krankenversicherungsschutz bereits vor Aufnahme der Tätigkeit (hier: spanische Gastarbeiterin).
Normenkette
RVO § 306 Abs. 1 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Oktober 1966 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Konservenfabrik K & M GmbH in G hatte die Deutsche Kommission in Spanien der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung beauftragt, ihr spanische Arbeitskräfte zu vermitteln. Die Kommission vermittelte u. a. die Klägerin. In Ihrem Arbeitsvertrag mit der GmbH heißt es: "Der Arbeitgeber verpflichtet sich, den Arbeitnehmer ... ab sofort, frühestens vom Tage des Eintreffens des Arbeitnehmers am Beschäftigungsort ab bis zu einem Jahr ab Arbeitsbeginn evtl. länger zu beschäftigen." Die Klägerin traf am 4. Februar 1965 abends in Grünstadt ein. Die GmbH brachte sie in einer Wohnung auf dem Betriebsgelände unter. Als Beginn der tatsächlichen Arbeitsleistung der Klägerin wurde der 8. Februar 1965, ein Montag, festgelegt. Am 6. Februar 1965 wollte die Klägerin einen Koffer vom Kleiderschrank herunternehmen, stürzte dabei und brach sich den Arm. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Juni 1965 eine Kostenübernahme ab, weil der Unfall sich vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses ereignet habe. Der Widerspruch wurde am 8. Juli 1965 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen der Krankenversicherung aufgrund des am 6. Februar 1965 eingetretenen Krankheitsfalles zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Nach dem Arbeitsvertrag sollte das Beschäftigungsverhältnis mit dem Eintreffen der Arbeitnehmerin am Arbeitsort beginnen. Von diesem Zeitpunkt an sollte die GmbH die Verfügungsmacht über die Klägerin besitzen und von diesem Tage an sollte die Klägerin dienstbereit sein. Tatsächlich habe auch die GmbH vom Eintreffen der Klägerin am Beschäftigungsort über sie verfügt. Sie habe sie noch am Abend des Ankunftstages in ihrem Wohnheim auf ihrem Betriebsgelände untergebracht und habe sie seit dieser Zeit aus der Werksküche verpflegt. Die Klägerin habe ihre Dienstbereitschaft vom Zeitpunkt des Eintreffens am Beschäftigungsort dadurch zum Ausdruck gebracht, daß sie sich in die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers begeben habe. Daß der Arbeitgeber den Beginn der tatsächlichen Arbeitsleistung erst auf den 8. Februar 1965, den folgenden Montag, festgesetzt habe, habe zwar für die Zeit vom 4. bis zum 7. Februar 1965 seine Verfügungsgewalt eingeschränkt. An dem Bestehen der Verfügungsgewalt wie auch an dem Vorhandensein der Dienstbereitschaft seitens der Klägerin habe diese Einschränkung jedoch nichts geändert. Mit der Unterbringung im Wohnheim auf dem Betriebsgelände der GmbH sei neben der bestehenden Dienstbereitschaft räumlich ein so nahes Verhältnis geschaffen worden, daß der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt unschwer habe verwirklichen können. Die Unterbringung auf dem Werksgelände und die Verpflegung durch die Werksküche seien Vergünstigungen gewesen, die - gleichgültig ob sie unentgeltlich oder gegen Bezahlung gewährt worden seien - nur Angehörigen des Betriebes zugestanden hätten und die deshalb bei der Klägerin nur als Entgelt für ihre Bereitschaft zur Dienstleistung gewertet werden könnten. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor:
Nach § 165 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei Voraussetzung der Versicherung die Beschäftigung gegen Entgelt. Für die Zeit vor der tatsächlichen Arbeitsaufnahme könne nur dann ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift angenommen werden, wenn die Betriebsleitung bereits Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer besitze und der Arbeitnehmer seinerseits auch dienstbereit sei. Wesentliche Merkmale seien demgemäß, daß der Arbeitgeber Dauer, Ort, Art und Ausführung der Arbeit in umfassender Weise bestimmt habe und daß der Arbeitnehmer sich durch eine nach außen erkennbare Handlung diesen Anordnungen unterworfen habe. Für die Klägerin, die z. Zt. des Unfalls die Arbeit noch nicht aufgenommen gehabt habe, seien diese beiden Erfordernisse nicht erfüllt gewesen. Denn sie habe bis zum Tage der tatsächlichen Arbeitsaufnahme weder in einem Unterordnungsverhältnis gestanden noch sei sie zur Dienstbereitschaft verpflichtet gewesen. Zwischen ihrer Ankunft am Ort ihrer in Aussicht genommenen Tätigkeit und der vereinbarten Arbeitsaufnahme habe ein Zeitraum von mehreren Tagen gelegen. Während dieser Zeit hätte für die Klägerin die Möglichkeit bestanden, ein anderweitiges Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber einzugehen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 26. Oktober 1966 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Speyer vom 3. März 1966 zurückzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 26. Oktober 1966 aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 306 Abs. 1 RVO beginnt die Mitgliedschaft Versicherter mit dem Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung. Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Februar 1967 (BSG 26, 124, 125 ff) näher dargelegt hat, ist der für den Beginn der Mitgliedschaft entscheidende "Tag des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung" nicht schon der Tag, an dem ein Verpflichteter aufgrund seines Arbeitsvertrages seinen Dienst antreten soll. Es muß vielmehr zu der schuldrechtlichen Verpflichtung zum Dienstantritt auch deren Erfüllung durch den Eintritt in die Beschäftigung hinzukommen. Typische Erfüllungshandlung ist die Aufnahme der Arbeit. In diesem Regelfall kommt das Element, welches das Beschäftigungsverhältnis begründet (Eingliederung in den Betrieb, Unterordnung unter die Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers), besonders deutlich zum Ausdruck. Indessen hat das für die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses wesentliche Merkmal der Verfügungsmacht des Arbeitgebers keinen ein für allemal vorgesehenen Inhalt; es braucht sich die Verfügungsmacht nicht notwendig auf die Verwertung der Arbeitskraft des Beschäftigten (auf die Erteilung von Weisungen am Arbeitsplatz) zu beziehen. So hat der Senat in dem genannten Urteil (aaO S. 126 ff) die nur sehr begrenzt vorhandene Verfügungsmacht eines Arbeitgebers über einen Arbeitnehmer, der am Tag des vorgesehenen Dienstantritts infolge Krankheit arbeitsunfähig war, als für die Begründung des Beschäftigungsverhältnisses ausreichend angesehen, sofern nicht der Arbeitnehmer durch sein Verhalten zu erkennen gegeben hat, daß ein Beschäftigungsverhältnis nicht begründet werden solle.
Ähnlich - nämlich als Eintritt in die Beschäftigung im Sinne des § 306 Abs. 1 RVO - muß auch der im vorliegenden Fall gegebene Sachverhalt beurteilt werden, wenn ein vertragsgebundener Arbeitswilliger seine Arbeitspapiere an der Betriebsstätte abgibt und der Arbeitgeber von seinem Dispositionsrecht nur in der Weise Gebrauch macht, daß er den Arbeitnehmer für einen Tag von der Arbeit freistellt.
Die Gründe einer solchen Beurteilung sind dabei unerheblich (im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber die Freistellung mit der Anpassung an die veränderte Umgebung und die klimatischen Verhältnisse, der Erledigung notwendiger Formalitäten wie Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung, polizeiliche Anmeldung u. ä., aber auch der Ausgabe von Arbeitskleidung begründet). Wie mit einem erkrankten Arbeitnehmer kann das Beschäftigungsverhältnis auch mit einem ohne Entgelt Beurlaubten beginnen. In jedem Fall ist dieser unbezahlte Urlaub von verhältnismäßig kurzer Dauer ohne Einfluß auf den Bestand des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses (BSG 12, 190, 193; 20, 154, 156). Offenbleiben kann daher, ob schon die Gewährung von Unterkunft auf dem Werksgelände und Werksverpflegung vom Abend des Ankunftstages an Entgelt darstellt, wie das LSG angenommen hat, und ob die Klägerin schon in diesem Zeitpunkt in das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis eingetreten ist. Jedenfalls ist sie spätestens mit der Abgabe bzw. Entgegennahme ihrer Arbeitspapiere am 5. Februar 1965 Betriebsangehörige und somit Mitglied der beklagten Krankenkasse geworden.
Diese ist daher verpflichtet, die Kosten für die Erkrankung der Klägerin vom 6. Februar 1965 an zu tragen.
Ihre Revision muß daher mit der Kostenfolge aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zurückgewiesen werden.
Fundstellen