Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 1. Juni 1966 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.
Gründe
[XXXXX]
Das SG hält die Voraussetzungen der KnAL nach § 98 a RKG in der vor dem 1. Juli 1965 geltenden Fassung beim Kläger nicht für gegeben. Die erste Alternative für die Erfüllung der besonderen Wartezeit nach § 49 Abs. 4 RKG liege nicht vor, weil er höchstens während 175 Kalendermonaten Hauerarbeiten nach Maßgabe der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) verrichtet habe. Zur zweiten Alternative habe er zwar eine Versicherungszeit von mehr als 300 Kalendermonaten unter Tage zurückgelegt, auch während dieser Zeit Hauerarbeiten verrichtet, diese aber nicht aus dem allein rechtserheblichen Grund, nämlich „wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit” aufgegeben. Bei Aufgabe der Hauerarbeit im August 1941 sei er nicht „vermindert bergmännisch berufsfähig” im Sinne des § 45 Abs. 2 RKG – diese Begriffsbestimmung sei maßgeblich – gewesen, weil er anschließend noch lange Zeit eine im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Tätigkeit, nämlich die eines Maschinisten unter Tage (Lohngruppe I der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau) verrichtet habe. Hierbei sei es – anders als zur Frage der Erhaltung des Hauptberufs bei stufenweisem Absinken der Leistungsfähigkeit – nicht von Bedeutung, daß er dann später noch vermindert bergmännisch berufsfähig geworden sei; der Zustand, der verminderte bergmännische Berufsfähigkeit bedinge, müsse Grund der Aufgabe der Hauerarbeit gewesen sein.
Der Anspruch des Klägers sei jedoch für die Zeit vom 1. Juli 1965 an nach § 98 a Abs. 1 Nr. 2 RKG in der Fassung des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 begründet. Nach dieser – hinsichtlich der Voraussetzungen für die Wartezeiterfüllung gemilderten – Fassung bestehe Anspruch auf die KnAL, wenn ein knappschaftlich Versicherter eine Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten mit einer Beschäftigung unter Tage zurückgelegt hat und seine bisherige Beschäftigung in einem knappschaftlichen Betrieb aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, nach Vollendung des 55. Lebensjahres endet. Diese Voraussetzungen seien im vorliegenden Fall erfüllt. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten sei diese am 1. Juli 1965 in Kraft getretene Regelung auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Zwar bestimme Art. 5 § 3 RVÄndG ausdrücklich, daß für Rentenansprüche aus Versicherungsfällen vor dem 1. Juli 1965 die bisher geltenden Vorschriften maßgeblich sind, soweit nichts anderes bestimmt ist. Jedoch sei die KnAL eine Leistung eigener Art, die nur aus besonderem Anlaß geschaffen und nur aus praktischen, nicht aus rechtssystematischen Gründen als Leistung der Knappschaften ausgestaltet worden sei. Für diese Leistung sei nicht der Eintritt eines bestimmten „Versicherungsfalls”, sondern die rechtliche Erfassung einer bestimmten Personengruppe entscheidend. Es handele sich also bei der Neuregelung um die Erweiterung eines begünstigten Personenkreises, von der alle diesem Kreis zugehörenden Personen mit dem Inkrafttreten der günstigeren Regelung erfaßt würden.
Das SG hat die Berufung zugelassen. Mit der im Einverständnis des Klägers eingelegten Sprungrevision rügt die Beklagte die Anwendung des § 98 a Abs. 1 RKG in der Fassung des RVÄndG auf den vorliegenden Fall als Verletzung materiellen Rechts; die Beschäftigung des Klägers habe bereits am 30. April 1963, also vor Inkrafttreten der Neuregelung geendet. Da eine rückwirkende Anwendung der Neuregelung im Gesetz nicht angeordnet worden sei, hätten die Erleichterungen nur für die Fälle Bedeutung, in denen der Versicherte nach dem 30. Juni 1965 entlassen wurde; das folge auch aus Art. 5 § 3 RVÄndG. Eine Sonderregelung, wie sie in Art. 2 § 1 des Gesetzes zur Änderung des RKG vom 30. Mai 1963 getroffen wurde, wonach auch derjenige die KnAL erhält, dessen Beschäftigung vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes, aber nach dem 31. Dezember 1959 endet, fehle im RVÄndG. Das entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers, der den künftigen, nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes zu erwartenden stärkeren Entlassungen aus dem Bergbau habe Rechnung tragen wollen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Anwendung der Neuregelung nach dem RVÄndG auf seinen Fall für richtig.
II
Die Sprungrevision ist zulässig, jedoch nicht begründet; das SG hat dem Kläger im Ergebnis zu Recht die beantragte Leistung zugesprochen. Allerdings steht sie ihm – entgegen der Ansicht des SG – schon auf Grund der bis zum 30. Juni 1965 maßgeblichen Fassung des § 98 a RKG nach dem Gesetz vom 23. Mai 1963 (BGBl I 359) zu. Die bisherige Beschäftigung des Klägers in einem knappschaftlichen Betrieb endete am 30. April 1963 nach Vollendung, seines 55. Lebensjahres aus Gründen, die nicht in seiner Person lagen, insbesondere von ihm nicht zu vertreten waren. Zwar ist das oa Gesetz erst am 1. Juni 1963 in Kraft getreten, jedoch gilt die Vorschrift gem. Art. 2 § 1 auch für Versicherte, deren Beschäftigung bereits vorher, aber nach dem 31. Dezember 1959 endete.
Voraussetzung für die Gewährung der KnAL ist nach § 98 a RKG in dieser ursprünglichen Fassung, daß der Versicherte die besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 4 RKG, also die Wartezeit für das Knappschaftsruhegeld wegen Vollendung des 60. Lebensjahres, erfüllt hat. Hierbei gibt es zwei Alternativen. Die erste erfordert – wie für die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres –, daß eine Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten zurückgelegt ist und während dieser Zeit mindestens 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten nach Maßgabe der HaVO verrichtet worden sind. Diese Alternative scheidet hier aus, weil der Kläger allenfalls 175 Monate Arbeiten dieser Art verrichtet hat. Die zweite Alternative, die nur bei der Wartezeit für das besondere Knappschaftsruhegeld vorgesehen ist, läßt es, wenn eine Versicherungszeit mit 300 Kalendermonaten unter Tage zurückgelegt worden ist, genügen, daß überhaupt während dieser Zeit auch Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten (kurz: Hauerarbeiten) verrichtet worden sind, wenn diese wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit aufgegeben werden mußten. Mit „verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit” kann hierbei nur der durch die Legaldefinition in § 45 Abs. 2 RKG festgelegte Begriff gemeint sein, also der Zustand eines Versicherten, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben. Es bestehen keine Bedenken dagegen, für die Zeit vor dem Inkrafttreten des § 45 Abs. 2 RKG nF an die Stelle der „verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit” den ihr für das alte Recht im wesentlichen entsprechenden Begriff der „knappschaftlichen Berufsunfähigkeit” nach § 35 RKG aF zu setzen, zumal es praktisch kaum noch möglich sein wird, nachträglich die damalige Situation nach neuem Recht zu beurteilen. Jedenfalls war der Kläger bei Aufgabe der Hauerarbeiten im August 1941 weder vermindert bergmännisch berufsfähig nach neuem, noch knappschaftlich berufsunfähig nach altem Recht; seine noch über 12 Jahre unter Beweis gestellte Tauglichkeit, Tätigkeiten der Lohngruppe I unter Tage im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau zu verrichten, schloß dies aus. Erst zu Anfang 1954 wurde er wegen Verschlimmerung seines Staublungenleidens für „berufsunfähig” nach altem Recht befunden und es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß er damals nicht auch vermindert bergmännisch berufsfähig nach neuem Recht gewesen ist.
Wenn in § 49 Abs. 4 Nr. 2 RKG für die Erfüllung der besonderen Wartezeit vorausgesetzt wird, daß Hauerarbeiten „wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit” aufgegeben werden mußten, so ist – wie auch das SG betont – auffällig, daß hier Begriffe miteinander verquickt werden, die inhaltlich keine Beziehung zueinander haben. Die Bewertung einer Arbeit als Hauerarbeit beruht auf ihrer besonderen Schwere, Härte und Gefährlichkeit, während es bei der Beurteilung der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit auf die wirtschaftliche und soziale Bewertung verschiedener Tätigkeiten ankommt. Bei der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit handelt es sich um die versicherungsrechtliche Bewertung eines sozialen Zustandes, der durch einen medizinischen Tatbestand, nämlich „Krankheit, andere Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte” verursacht worden ist. Begrifflich kann daher auch nicht die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit selbst Ursache der Aufgabe von Hauerarbeiten sein, sondern der medizinische Tatbestand, der zur verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit führt. Muß also die Hauerarbeit „wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit” aufgegeben worden sein, so ist ohne jeden Zweifel damit gemeint, daß sie aus den angeführten gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden mußte. Dagegen zwingt der Gesetzeswortlaut nicht notwendig zu der Annahme, daß auch der Zustand verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bereits bei Aufgabe der Hauerarbeit vorgelegen haben muß. Die zweite Alternative in § 49 Abs. 4 RKG ist offensichtlich nur als Härtemilderung gegenüber der ersten Alternative, in der 180 Monate Hauerarbeiten verlangt werden, gedacht. Für ihre Ausgestaltung lassen sich zwei Motive erkennen. Zunächst soll zugunsten des Versicherten berücksichtigt werden, daß er die bisher von ihm verrichteten Hauerarbeiten vorzeitig, d. h. vor Vollendung der grundsätzlich erforderlichen 180 Monate, unfreiwillig aufgeben mußte und zwar aus den gleichen gesundheitlichen Gründen, für die die knappschaftliche Rentenversicherung auch im Falle der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit einzustehen hat. Außerdem soll aber diese besondere Vergünstigung gerade demjenigen zugute kommen, der durch die gesundheitlichen Schäden in wesentlichem Umfang beruflich betroffen, d. h. zumindest vermindert bergmännisch berufsfähig geworden ist. Bei Berücksichtigung dieser beiden sozialpolitisch begründeten und durchaus sachgerechten Erwägungen, die man wohl auch dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu § 48 des Entwurfs (BT-Drucks. 2. Wahlp. – 1957 – Nr. 3365) entnehmen kann, ergibt sich für die Auslegung des § 49 Abs. 4 Nr. 2 RKG aber keine Notwendigkeit, den Zustand verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bereits bei Aufgabe der Hauerarbeit vorauszusetzen, vielmehr muß es genügen, wenn sie – wie hier – infolge Verschlechterung des Gesundheitszustandes erst später, spätestens zu dem Zeitpunkt eintritt, von dem ab das Knappschaftsruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG oder – wie hier – die KnAL in Anspruch genommen wird. Die Aufgabe der Hauerarbeiten und der Eintritt der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit stehen in keinem logisch notwendigen zeitlichen Zusammenhang, beiden gemeinsam ist allein, daß sie durch die in § 45 Abs. 2 RKG angeführten Gesundheitsschäden verursacht werden.
Demgegenüber sind sozialpolitisch begründete und sachgerechte Motive des Gesetzgebers für eine Regelung, die einer streng dem Wortlaut folgenden Auslegung entsprechen würde, nicht zu erkennen. Es ist nicht einzusehen, warum einem sechzigjährigen, vermindert bergmännisch berufsfähigen Versicherten, der 300 Monate unter Tage gearbeitet und dabei auch Hauerarbeiten verrichtet hat, diese aber aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aufgeben mußte, das Ruhegeld nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 RKG nur dann zustehen soll, wenn die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit bei ihm bereits bei Aufgabe der Hauerarbeit vorgelegen hat, nicht aber dann, wenn sie infolge Verschlimmerung seines Leidens erst später eingetreten ist. Die beiden Fälle liegen zwar nicht völlig gleich, aber der Unterschied liegt in Umständen, die für den erkennbaren Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sachlich ohne Bedeutung sind; ihre unterschiedliche Behandlung wäre daher letztlich willkürlich.
Das SG unterstellt dem Gesetzgeber, er habe das Vorliegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit bei Aufgabe der Hauerarbeit bewußt deshalb gefordert, um sicherzustellen, daß der Versicherte keinerlei Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten mehr verrichten konnte; er habe aus praktischen Gründen verminderte bergmännische Berufsfähigkeit an Stelle der an sich hier angebrachten Untauglichkeit zur Hauerarbeit verlangt. Jedoch sind die genannten Begriffe schon deshalb nicht austauschbar, weil sie auf ganz verschiedenen Ebenen liegen. Einerseits setzt verminderte bergmännische Berufsfähigkeit keineswegs voraus, daß der Betroffene überhaupt Hauerarbeiten verrichtet oder auch nur unter Tage gearbeitet hat. Andererseits führt der Eintritt der Untauglichkeit zu allen durch die HaVO begünstigten Arbeiten, sogar zur Untertagearbeit überhaupt, nicht notwendig zu verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Schließlich ist es jedenfalls begrifflich nicht auszuschließen, daß die Voraussetzungen der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit bei einem Bergmann bereits erfüllt sind, der noch gewisse durch die HaVO begünstigte Arbeit verrichten kann (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 1 zu § 8 HaVO, betr. die Ungültigkeit dieser Vorschrift). Es ist nun nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber bewußt eine systemwidrige und zu willkürlich unterschiedlicher Behandlung sachlich gleichwertiger Tatbestände führende Regelung hat treffen wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er bei der Formulierung der nachträglich in den § 49 Abs. 4 RKG eingefügten Nr. 2 die beiden Voraussetzungen – daß nämlich die Hauerarbeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden mußte und daß der vorliegende Grund, gleichzeitig oder später, auch zu verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit geführt hat – in dem Ausdruck „wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit” sprachlich kurz hat zusammenfassen wollen, ohne zu erkennen, daß hierdurch der Eindruck entstehen konnte, die beiden Voraussetzungen müßten auch zeitlich zusammenfallen.
Der Kläger, der zunächst wegen beginnender Staublungenerkrankung seine Gedingearbeit aufgeben mußte und später infolge Verschlimmerung dieses Leidens vermindert bergmännisch berufsfähig geworden ist, hatte also bei Beendigung seiner knappschaftlichen Beschäftigung die Voraussetzungen nach § 49 Abs. 4 Nr. 2 RKG erfüllt; er hat somit auch Anspruch auf die KnAL zumindest für die Zeit, für die sie ihm vom SG zugesprochen worden ist. Ob sie ihm insoweit auch mit Rücksicht auf das RVÄndG zustehen würde, hatte der Senat bei dieser Rechtslage nicht mehr zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Richter, Dr. Dapprich, Dr. Witte
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 23.02.1967 durch Bittner RegObersekretär Schriftführer
Fundstellen