Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung. Beitragspflicht. Notarassessoren. Verwaltungsakt. personelle Bestimmtheit
Leitsatz (amtlich)
Die Einzugsstelle hat über die Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit grundsätzlich personenbezogen zu entscheiden (Bestätigung von BSG vom 1.12.1977 - 12 RK 13/77 = BSGE 45, 206 = SozR 2200 § 1227 Nr 10).
Normenkette
AFG § 169 Fassung: 1988-12-20; SGB V § 6 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1988-12-20; SGB IV § 28f Abs. 2 Fassung: 1988-12-20, § 28h Abs. 2 S. 1 Fassung: 1988-12-20; SGB X § 33 Abs. 1 Fassung: 1980-08-18
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Beitragspflicht von Notarassessoren zur Bundesanstalt für Arbeit (BA).
Die im Bezirk der klagenden Notarkammer beschäftigten Notarassessoren wurden bis Ende 1988 nicht als beitragspflichtig zur BA behandelt. Ihnen war nach der Bekanntmachung des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Justiz vom 26. November 1985 (JBl S 262) Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet, was nach damaligem Recht - vom Überschreiten der Jahresarbeitsverdienstgrenze abgesehen - ihre Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Krankenversicherung und daran anschließend auch ihre Beitragsfreiheit zur BA begründete.
Mit Wirkung vom 1. Januar 1989 wurde die Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung für Beamte und ihnen Gleichgestellte in § 6 Abs 1 Nr 2 des Sozialgesetzbuchs - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) neu geregelt. Die Beitragsfreiheit zur BA knüpfte weiterhin an die - nunmehr anders als früher bestimmte - Versicherungsfreiheit in der Krankenversicherung an. Im Jahre 1990 setzte sich die Klägerin mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Koblenz als Einzugsstelle in Verbindung. Die Klägerin vertrat die Ansicht, ihre Notarassessoren, deren Zahl sie später mit derzeit 14 angab, seien auch nach neuem Recht in der Arbeitslosenversicherung beitragsfrei. Die AOK stellte jedoch mit Bescheid vom 19. November 1991 gegenüber der Klägerin fest, die von ihr angestellten Notarassessoren unterlägen der Beitragspflicht. Zur Begründung verwies sie auf den geführten Schriftverkehr, wonach mangels Anspruchs auf Beihilfe oder Heilfürsorge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen keine Beitragsfreiheit nach § 169 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm § 6 Abs 1 Nr 2 SGB V bestehe. In dem Bescheid forderte die AOK die Klägerin auf, die betreffenden Notarassessoren, soweit sie privat krankenversichert seien, rückwirkend zum 1. Januar 1989 zur Arbeitslosenversicherung anzumelden sowie die Beiträge festzustellen, nachzuweisen und zu zahlen. Notarassessoren, die bei einer Ersatzkasse freiwillig krankenversichert seien, müßten der betreffenden Ersatzkasse gemeldet werden. In einem möglichen Streitverfahren würden die betreffenden Notarassessoren notwendigerweise beigeladen, so daß für den Fall eines Widerspruchs gegen die grundsätzliche Feststellung der Beitragspflicht um eine detaillierte Aufstellung der Notarassessoren mit den persönlichen Daten und den ladungsfähigen Anschriften gebeten werde. Die Vorlage der entsprechenden Meldungen werde bis spätestens 13. Dezember 1991 erwartet. Gleichzeitig wolle die Klägerin auch die Notarassessoren namentlich bekanntgeben, die bei einer Ersatzkasse angemeldet würden.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Eine Aufstellung mit Namen und Anschriften von Notarassessoren war nicht beigefügt. Die AOK half dem Widerspruch im Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1991 nicht ab, sondern bestätigte ihre Auffassung, der Personenkreis der Notarassessoren unterliege ab 1. Januar 1989 der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung. Sie forderte die Klägerin abermals auf, die betreffenden Notarassessoren dem Bescheid vom 19. November 1991 entsprechend anzumelden, die Beitragsnachweise nachzureichen und die Beitragszahlungen bis spätestens 13. Dezember 1991 zu veranlassen.
Die Klägerin hat im Januar 1992 Klage erhoben. Im Juni 1992 hat das Sozialgericht (SG) die Klägerin gebeten, eine vollständige Liste der von der Frage der Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung betroffenen Notarassessoren vorzulegen, weil diese zum Rechtsstreit beizuladen seien. Die Klägerin hat daraufhin die Namen und Anschriften von 25 betroffenen Notarassessoren benannt, von denen einige inzwischen Notare waren. Das SG hat die Benannten (Beigeladene zu 2 bis 26) und die BA (Beigeladene zu 1) beigeladen. Mit Urteil vom 15. Dezember 1992 hat es die Klage abgewiesen und sich zur Begründung der Ansicht der AOK angeschlossen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 21. Oktober 1993 zurückgewiesen. Die Notarassessoren seien nicht beitragsfrei. Es könne offenbleiben, ob sie im Krankheitsfall beihilfeberechtigt seien. Jedenfalls hätten sie bei Dienstunfähigkeit keinen Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 169 AFG und des § 6 Abs 1 Nr 2 SGB V.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG vom 21. Oktober 1993, das Urteil des SG vom 15. Dezember 1992 und den Bescheid der Allgemeinen Ortskrankenkasse Koblenz vom 19. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1991 aufzuheben, soweit die Beitragspflicht der Notarassessoren der Klägerin zur Bundesanstalt für Arbeit betroffen ist und Beiträge gefordert werden.
Die Beklagte, die den Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin der AOK Koblenz fortführt, und die Beigeladene zu 1) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladenen zu 3) und 13) schließen sich dem Antrag der Klägerin an. Die übrigen Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist der Bescheid vom 19. November 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1991 in dem Umfang, in dem die Revision seine Aufhebung beantragt, rechtswidrig.
Der Bescheid ist entgegen § 33 Abs 1 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren (SGB X) inhaltlich nicht hinreichend bestimmt. Bis Ende 1988 hatten die Krankenkassen für die Krankenversicherung und als Einzugsstelle nach § 1399 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung und § 121 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach § 182 Abs 1 AFG über die Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung zu entscheiden. Hierzu hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß die Einzugsstelle grundsätzlich verpflichtet ist, die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht personenbezogen festzustellen. Eine personenunabhängige Feststellung durch eine Allgemeinverfügung, die sich lediglich auf bestimmte Tätigkeiten bezieht, ist unzulässig. Die Einzugsstelle ist verpflichtet, vor Erlaß von Bescheiden die von der Versicherungs- oder Beitragspflicht betroffenen Personen mit Hilfe des Arbeitgebers festzustellen und sodann für jede einzelne Person die versicherungs- und beitragsrechtliche Prüfung vorzunehmen. Der Mangel der personellen Bestimmtheit des Verwaltungsaktes kann im gerichtlichen Verfahren nicht durch ein "Nachschieben von Gründen" oder eine Beiladung behoben oder deswegen hingenommen werden, weil die Beteiligten einen "Musterprozeß" führen wollen (zum Ganzen BSGE 45, 206 = SozR 2200 § 1227 Nr 10; vgl auch BSGE 37, 114 = SozR 2200 § 1399 Nr 1; BSGE 41, 297 = SozR 2200 § 1399 Nr 4; BSGE 59, 235 = SozR 2200 § 1399 Nr 16; BSG SozR 1300 § 33 Nr 1).
An dieser Rechtsprechung hält der Senat für die Zeit ab 1989 fest (vgl schon BSG USK 92133). Seither ist die Zuständigkeit der Einzugsstelle für die Entscheidung über die Versicherungs- und Beitragspflicht in § 28h Abs 2 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) geregelt. Für das Erfordernis einer grundsätzlich personenbezogenen Entscheidung spricht auch, daß in solchen Bescheiden über höchstpersönliche Rechtsverhältnisse von "Versicherten" befunden wird, für die derartige Entscheidungen von erheblicher Bedeutung sind. Sie haben darüber hinaus sogar "rechtsgestaltende Wirkung" iS des § 12 Abs 2 Satz 2 SGB X und berühren die Rechtsstellung der betroffenen Personen derart, daß sie in einem anschließenden Gerichtsverfahren nach § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) notwendig beizuladen sind. Hieraus ergibt sich neben dem Erfordernis der personellen Bestimmtheit solcher Bescheide auch, daß die Einzugsstelle schon bei Einleitung eines Verwaltungsverfahrens über das Bestehen von Versicherungspflicht oder Beitragspflicht die betroffenen Arbeitnehmer zu benachrichtigen hat, soweit sie ihr bekannt sind (vgl zum Ganzen BSGE 55, 160 = SozR 1300 § 12 Nr 1).
Im vorliegenden Verfahren hat die AOK als Einzugsstelle im angefochtenen Bescheid und im Widerspruchsbescheid eine personenbezogene Feststellung der Beitragspflicht zur BA nicht getroffen. Dazu war sie auch nicht imstande, weil sie die Namen der Notarassessoren bis zum Abschluß des Verwaltungsverfahrens nicht kannte. Dieses hat sie selbst im Widerspruchsbescheid zum Ausdruck gebracht, indem sie die Klägerin aufgefordert hat, die bis dahin noch nicht vorliegenden Meldungen nachzureichen.
Eine nicht personenbezogene pauschale Feststellung der Beitragspflicht der Notarassessoren war nicht deswegen zulässig, weil die Klägerin die Namen der Notarassessoren trotz der Aufforderung im Bescheid vom 19. November 1991 bis zum Erlaß des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1991 nicht angegeben hatte. Die AOK hätte die Klägerin schon vor Erlaß des Bescheides vom 19. November 1991 zur namentlichen Benennung der Notarassessoren auffordern müssen. Statt dessen hat sie sogleich einen Bescheid erlassen, darin nur eine pauschale Feststellung der Beitragspflicht vorgenommen und erst hiermit die Aufforderung zu einer Meldung der betroffenen Assessoren bis zum 13. Dezember 1991 verbunden. Ohne den Ablauf dieser von ihr selbst gesetzten Frist abzuwarten, hat sie schon mit Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1991 erneut nur pauschal entschieden. Zwar hatte die Klägerin ihrem Widerspruchsschreiben die erbetene Meldung nicht beigefügt, diese andererseits aber auch nicht verweigert. Unter diesen Umständen wäre es Aufgabe der AOK gewesen, die Klägerin unter Hinweis auf die Anforderungen der Rechtsprechung zur personenbezogenen Feststellung von Versicherungs- und Beitragspflichten zu einer Meldung der betroffenen Notarassessoren spätestens vor der Entscheidung über den Widerspruch zu veranlassen. Der Senat hat keinen Zweifel daran, daß sich die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts einer solchen Aufforderung zu einer personenbezogenen Meldung nicht verschlossen hätte. Ihre Pflicht zu personenbezogenen Meldungen bestand unabhängig davon, daß sie selbst im Gegensatz zur AOK und zur BA von der Beitragsfreiheit der Notarassessoren ausging.
Der Ansicht der Beklagten, die von der Beitragspflicht betroffenen Personen seien bestimmbar gewesen und dieses müsse ausreichen, ist nicht zu folgen. Die AOK mußte selbst über die Beitragspflicht von einzelnen Personen entscheiden, die ihr namentlich bekannt oder von ihr sonst persönlich identifiziert waren. Dieses hätte möglicherweise auch dadurch geschehen können, daß im Bescheid oder spätestens im Widerspruchsbescheid (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 72) auf Namensverzeichnisse oder personenbezogene Meldungen im vorangegangenen Schriftverkehr Bezug genommen wurde. Dieses ist jedoch nicht geschehen, weil solche Verzeichnisse oder Meldungen bei Erlaß der Bescheide nicht vorlagen. Daß allein die Klägerin erkennen konnte, welcher Personenkreis von der AOK gemeint war, reichte nicht aus, weil die AOK damit eine personenbezogene Entscheidung nicht selbst getroffen, sondern die Konkretisierung teilweise der Klägerin überlassen hat. Gerade das vorliegende Verfahren zeigt, daß von einer nicht personenbezogenen Feststellung der Beitragspflicht erhebliche und nicht hinnehmbare Unsicherheiten ausgehen. So hatte die Klägerin während des Verwaltungsverfahrens die Zahl ihrer Notarassessoren mit derzeit 14 angegeben, während sie ein halbes Jahr nach Klageerhebung auf Aufforderung des SG 25 betroffene Notarassessoren benannt hat. Dieses mag darauf zurückzuführen sein, daß die Zahl der von einer Beitragspflicht ab 1989 betroffenen Notarassessoren sich durch Neueintritte mit der Zeit erhöhte. Auf welche einzelnen Notarassessoren sich der Bescheid und der Widerspruchsbescheid bezogen, ist jedoch nicht ersichtlich. So konnten sich etwa unter den 25 dem SG benannten Notarassessoren auch solche befinden, die bei Abschluß des Vorverfahrens (Erlaß des Widerspruchsbescheides) noch nicht als Notarassessoren eingestellt waren. Auch hatte die AOK schon in ihrem Bescheid erwähnt, daß sie als Einzugsstelle für solche Notarassessoren nicht zuständig war und möglicherweise auch die Beitragspflicht nicht regeln wollte, die bei einer Ersatzkasse krankenversichert waren. Ob sich unter den 25 Notarassessoren, welche die Klägerin dem SG benannt hat, solche Ersatzkassenmitglieder befanden und welche dieses gegebenenfalls waren, ist unklar.
Von dem Erfordernis der personellen Bestimmtheit von Bescheiden zur Versicherungs- oder Beitragspflicht kann schließlich nicht deswegen abgesehen werden,
weil der Gesetzgeber im Anschluß an die genannte Rechtsprechung zur personellen Bestimmtheit und zur "Beweislastumkehr" in Fällen von Beitragshinterziehung in § 28f Abs 2 SGB IV die Erhebung von Beiträgen in Form sogenannter Summenbescheide zugelassen und den Einzugsstellen eine erst nachträgliche Konkretisierung der Beitragserhebung gestattet hat. Der Erlaß eines solchen Summenbescheides, der hier nicht ergangen ist, setzt voraus, daß der Arbeitgeber die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat und dadurch die Versicherungs- oder Beitragspflicht oder die Beitragshöhe nicht festgestellt werden können. Für eine Verletzung der Aufzeichnungspflicht durch die Klägerin des vorliegenden Verfahrens ist nichts erkennbar.
Hiernach waren die Urteile der Vorinstanzen und der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides in dem beantragten Umfang aufzuheben. Sofern die Beklagte die Beitragspflicht erneut feststellen will, wird ihr die Klägerin dazu, falls nicht inzwischen außerhalb des Verfahrens geschehen, die Notarassessoren namentlich benennen sowie Beginn und Ende ihrer Beschäftigung angeben müssen. Sodann wird die Beklagte zu beachten haben, daß die benannten Notarassessoren schon von der Einleitung des Verwaltungsverfahrens zu benachrichtigen und auf Antrag am Verwaltungsverfahren zu beteiligen sind. Es könnte sich empfehlen, auch das Land Rheinland-Pfalz als Dienstherrn der Notarassessoren zum Verwaltungsverfahren hinzuzuziehen. Unbenommen bleibt es den Beteiligten zu vereinbaren, daß sie ein etwaiges weiteres Verfahren als "Musterverfahren" nur hinsichtlich der Beitragspflicht einer gewissen Anzahl von Notarassessoren durchführen und dessen Ausgang für eine endgültige Entscheidung über die Beitragspflicht der übrigen Notarassessoren abwarten. Eine Verwaltungsentscheidung über die Beitragspflicht und ein anschließender "Musterprozeß" müssen jedoch personenbezogen und unter Aufklärung der für eine abschließende rechtliche Beurteilung maßgebenden Tatsachen und der landesrechtlichen Verhältnisse erfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen