Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Beklagten, dem Kläger die Dauerrente zu entziehen.

Der 1922 geborene Kläger war zuletzt als Steiger im Bergbau unter Tage beschäftigt. Vom 16. Januar 1978 an gewährte die Beklagte ihm wegen eines Meniskusschadens als Berufskrankheit im Sinne der Nr. 2102 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v.H., wobei sie den Zeitpunkt des Versicherungsfalls auf den 22. November 1977 festsetzte (Bescheid vom 15. Mai 1979). Grundlage dieser Entscheidung war ein medizinisches Gutachten vom 21. November 1978. Aufgrund eines weiteren, am 8. Oktober 1979 erstatteten Gutachtens, worin die MdE nun mit 10 v.H. eingeschätzt wurde, entzog die Beklagte mit Bescheid vom 14. November 1979 die vorläufige Rente mit Ablauf des Monats Dezember 1979 und lehnte gleichzeitig die Gewährung einer Dauerrente ab. Diesen Entziehungsbescheid hob das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 10. März 1980 auf, weil er unter Verstoß gegen die Anhörungspflicht des § 34 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) in der vor dem 1. Januar 1981 gültigen Fassung zustandegekommen war.

Am 16. Dezember 1980 erfolgte auf Veranlassung der Beklagten eine erneute ärztliche Untersuchung des Klägers. In dem daraufhin erstellten Gutachten vom 22. Dezember 1980 wurde im Vergleich zum Gutachten vom 21. November 1978 eine wesentliche Besserung bejaht. Die MdE betrage weniger als 10 v.H. Daraufhin entzog die Beklagte dem Kläger nach dessen vorheriger Anhörung mit Bescheid vom 13. Februar 1981 die Dauerrente mit Ablauf des Monats März 1981.

Auf die Klage hat das SG (Urteil vom 14. September 1981) den Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 1981 aufgehoben und ausgeführt, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) nicht eingetreten sei. Als Vergleichsgrundlage könne nicht das Gutachten vom 21. November 1978 herangezogen werden, sondern es sei, da die vorläufige Rente im November 1979 durch Zeitablauf Dauerrente geworden sei (§ 622 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), auf den objektiven Gesundheitszustand zu diesem Zeitpunkt abzustellen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten hin mit Urteil vom 27. Januar 1982 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zur Feststellung der wesentlichen Änderung i.S. von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 seien zum Vergleich die Verhältnisse heranzuziehen, die für die Gewährung der vorläufigen Verletztenrente maßgebend gewesen seien (Gutachten vom 21. November 1978), nicht dagegen diejenigen des Gutachtens vom 8. Oktober 1979, da die Dauerrente nicht durch einen Verwaltungsakt, sondern kraft Gesetzes gemäß § 622 Abs. 2 RVO entstanden sei. Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10. Zur Begründung des Rechtsmittels macht er geltend: Maßgeblich für die Beurteilung einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen seien die im Gutachten vom 8. Oktober 1979 dargelegten Befunde. Der Übergang der vorläufigen Rente in die Dauerrente kraft Gesetzes sei mit dem Erfordernis des Erlasses eines Verwaltungsaktes nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 gleichzustellen, da bei einer Rentenumwandlung nach § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO nur auf die formelle Bescheidung verzichtet werde. Außerdem sei die beabsichtigte Entscheidung der Beklagten, die vorläufige Rente zu entziehen, im Anhörungsschreiben vom 6. November 1979 klar erkennbar nach außen hervorgetreten, so daß die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 14. Dezember 1967 (BSGE 27, 244) nicht einschlägig sei.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Der Anhörungsbogen vom 6. November 1979 enthalte keine nach außen hin gerichtete Erklärung über die Verbindlichkeit der Feststellung bestimmter gesundheitlicher Verhältnisse, sondern diene lediglich der Vorbereitung der Entscheidung. Der Bescheid vom 14. November 1979 könne nicht als wirksame Festlegung des Gesundheitszustandes herangezogen werden, da er durch das rechtskräftige Urteil aufgehoben worden sei.

II

Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.

Der erkennende Senat stimmt mit dem LSG darin überein, daß dem Kläger die ihm von der Beklagten gewährte Dauerrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den Monat März 1981 hinaus nicht zusteht.

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß Rechtsgrundlage für die mit Bescheid der Beklagten vom 13. Februar 1981 ausgesprochene Entziehung der Dauerrente § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 ist (vgl. Urteil des 1. Senats des BSG in SozR 1300 § 48 Nr. 2). Hiernach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Zu Recht hat das LSG die Entziehung der Rente unter dem Gesichtspunkt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne der Norm als gerechtfertigt angesehen und entgegen der Auffassung des Klägers und der ersten Instanz für die Beantwortung der Frage nach der die Rentenentziehung rechtfertigenden wesentlichen Änderung auf die gesundheitlichen Verhältnisse abgestellt, die für die Bewilligung der vorläufigen Rente laut Bescheid vom 15. Mai 1979 maßgebend gewesen waren.

Wie der 2. Senat des BSG am 14. Dezember 1967 zu § 622 Abs. 1 RVO in der bis einschließlich 31. Dezember 1980 gültigen Fassung entschieden hat (BSGE 27, 244 = SozR Nr. 5 zu § 622 RVO), kam es für die Neufeststellung einer Dauerrente nach dieser Vorschrift auch dann auf eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen an, die für die letzte Feststellung der vorläufigen Rente maßgebend gewesen sind, wenn der Träger der Unfallversicherung die vorläufige Rente aufgrund des § 622 Abs. 1 Satz 2 RVO zur Dauerrente hat werden lassen, obwohl er vorher ein ärztliches Gutachten eingeholt hatte. Zwar ist § 622 Abs. 1 RVO mit Wirkung ab 1. Januar 1981 durch Art. 2 § 4 Nr. 1 SGB 10 aufgehoben und durch § 48 SGB 10 ersetzt worden. Die Grundgedanken der Entscheidung des 2. Senats vom 14. Dezember 1967 (a.a.O.) gelten aber in gleicher Weise für das neue Recht. Entgegen der Auffassung des Klägers und der ersten Instanz können als maßgebende Vergleichsgrundlage nicht die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers bei Umwandlung der vorläufigen Rente kraft Gesetzes in eine Dauerrente (§ 622 Abs. 2 Satz 1 RVO) herangezogen werden.

Dieses Ergebnis basiert auf einer Auslegung des § 48 Abs. l Satz 1 SGB 10 nach Sinn und Zweck der Norm im Hinblick auf den Regelungsinhalt der Vorläufervorschrift des § 622 Abs. 1 RVO. Die systematische Einordnung der Vorschrift - sie befindet sich in dem Abschnitt, der das Verwaltungsverfahren und damit den Verwaltungsakt als Handlungsform zum Regelungsinhalt hat - läßt erkennen, daß der Gesetzgeber eine Regelung für den Fall schaffen wollte, in dem sich bei einem erlassenen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung die Verhältnisse wesentlich ändern. Diese Auffassung findet eine Stütze auch in der Begründung zum Gesetzesentwurf, aus der die Absicht des Gesetzgebers hervorgeht, mit der Aufnahme des § 48 Abs. 1 Satz 1 in das SGB 10 bis dahin bestehende Lücken bei der Aufhebung von Verwaltungsakten zu schließen (vgl. BT-Drucks 8/2034 S. 35 zu § 46). § 48 Abs. 1 Satz, 1 SGB 10 setzt ebenso wie die Vorläufervorschrift des § 622 Abs. 1 RVO eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen voraus. Die Prüfung, ob dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, erfordert daher einen Vergleich der für die Bewertung der MdE maßgebenden Befunde. § 622 Abs. 1 RVO war insofern klarer gefaßt, als er als Vergleichsgrundlage den Zeitpunkt der Leistungsfeststellung ausdrücklich nannte. Dieses Erfordernis ist jedoch konkludent in der jetzigen Formulierung, "beim Erlaß eines Verwaltungsaktes" enthalten; denn dieser stellt als Abschluß des Verwaltungsverfahrens eine Entscheidung des Versicherungsträgers dar (vgl. zum Begriff des Verwaltungsaktes § 31 SGB 10), u.a. auch über den Grad der MdE. Setzt somit § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 übereinstimmend mit § 622 Abs. 1 RVO eine vorangegangene rechtsverbindlich gewordene ausdrückliche Feststellung der Leistung voraus, so fehlt es hieran bei einer Rentenumwandlung kraft Gesetzes nach § 122 Abs. 2 RVO.

Zwar sind im vorliegenden Fall die Verhältnisse, wie sie bei dem Kläger zuletzt vor Ablauf von zwei Jahren bei dem Unfall bestanden, durch den im Gutachten vom 8. Oktober 1979 wiedergegebenen Befund dargestellt worden. Auch ist im Gegensatz zur Entscheidung vom 14. Dezember 1967 (a.a.O.) das Ergebnis des Gutachtens vom 8. Oktober 1979 dem Kläger durch den vom SG aufgehobenen Bescheid vom 14. November 1979 bekannt geworden. Das führt aber nicht zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage. Das Gutachten vom 8. Oktober 1979 muß hier unberücksichtigt bleiben, weil hierüber keine bindend gewordene ausdrückliche Feststellung durch die Beklagte getroffen worden ist. Es hat bei der Rentenumwandlung - infolge der gerichtlichen Aufhebung des Bescheides vom 14. November 1979 - keinen Niederschlag gefunden. Allein das Einholen eines ärztlichen Gutachtens sowie die dem Kläger gegenüber geäußerte Absicht seiner Verwendung als Entscheidungsgrundlage können als Ausgangspunkt für den anzustellenden Vergleich nicht in Betracht kommen. Vielmehr hat die Rechtsprechung des BSG zu § 622 Abs. 1 RVO darauf abgestellt, ob die Verhältnisse für die Entscheidung "maßgebend" waren und die Erfüllung dieses Kriteriums auch dann verneint, wenn der eine Änderung der Verhältnisse feststellende Bescheid durch Urteil aufgehoben worden ist (vgl. BSGE 19, 5, 7 = SozR Nr. 2 zu § 609 RVO a.F. und Urteil vom 19. August 1975 - 8 RK 176/74 -).

Die vom erkennenden Senat vertretene Auffassung, daß Ausgangspunkt für den anzustellenden Vergleich nicht die Verhältnisse zur Zeit der Rentenumwandlung kraft Gesetzes sind, findet eine weitere Stütze im Wortlaut des § 622 Abs. 2 Satz 1 RVO, der besagt, daß "die Rente", d.h. die bisherige vorläufige Rente zur Dauerrente wird. Aus dieser Identität des Inhalts ergibt es sich zwingend, daß der Dauerrente kein anderer Befund zugrunde liegen kann als der im Bescheid über die vorläufige Rente festgestellte. Aus diesem Grunde kann auch nicht der Auffassung des Klägers gefolgt werden, wonach die Umwandlung kraft Gesetzes dem Erlaß eines Verwaltungsaktes gleichzusetzen sei. Dies hätte ein Auswechseln nur der MdE bei Unveränderlichkeit der übrigen Faktoren zur Folge, mit dem Ergebnis, daß dann nicht "die Rente" zur Dauerrente würde.

Mit diesem Hinweis auf die Wirkung der Rentenumwandlung kraft Gesetzes ist der Einwand des Klägers entkräftet, im Falle des § 622 Abs. 2 RVO sei nur auf eine formelle Bescheidung verzichtet worden. Selbst wenn die Beklagte nach der Rentenumwandlung kraft Gesetzes noch einen Bescheid erlassen hätte, so hätte dieser auf die konstitutive Wirkung des automatischen Eintritts der Dauerrente keinen Einfluß; denn alles Abweichende wäre unbeachtlich, alles Übereinstimmende hätte nur noch deklaratorische Bedeutung.

Darüber hinaus wird das genannte Ergebnis vom Sinn und Zweck des § 622 Abs. 2 RVO gedeckt. Mit der Schaffung dieser Norm wollte der Gesetzgeber lediglich die Interessen des Versicherten an einem baldigen Dauerrentenbescheid und dessen Schutzwirkungen in besonderem Maße wahrnehmen und die Versicherungsträger einem verstärkten Zwang zum Erlaß eines Bescheides unterwerfen. Seiner Intention entspricht es nicht, das Erfordernis der Leistungsfeststellung als Ausgangspunkt für den anzustellenden Vergleich abdingbar zu gestalten.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher gemäß § 163 SGG für den Senat bindenden Feststellungen des LSG betrug die durch die Berufskrankheit bedingte MdE des Klägers zur Zeit der Bescheiderteilung vom 15. Mai 1979 20 v.H. Da das LSG - ebenfalls unangegriffen - das Herabsinken dieser MdE zur Zeit der Rentenentziehung im Bescheid vom 13. Februar 1981 auf weniger als 10 v.H. bestätigt hat, steht dem Kläger eine Rente wegen des Meniskusschadens nicht mehr zu (§ 581 RVO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.5a RKnU 2/82

Bundessozialgericht

Verkündet am

23. Juni 1983

 

Fundstellen

Haufe-Index 518374

BSGE, 165

Breith. 1984, 662

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