Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestehen eines Versicherungsschutzes im Zeitpunkt eines Unfalls
Beteiligte
… Kläger und Revisionskläger |
Gemeindeunfallversicherungsverband Westfalen-Lippe,Münster, Salzmannstraße 156, Beklagter und Revisionsbeklagter |
Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft,Duisburg, Düsseldorfer Straße 193 |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger im Zeitpunkt seines Unfalls am 6. März 1986 unter Versicherungsschutz stand.
Der Kläger, freiwilliges Mitglied bei der Beigeladenen, ist Gründer und Mitinhaber eines Unternehmens, das ua Segeltouren auf Hochseeyachten anbietet und durchführt. Zu diesem Zweck werden Yachten privater Eigentümer gechartert, die sich verpflichten, als Schiffsführer Urlaubs- und Ausbildungsfahrten durchzuführen.
Im Rahmen der Urlaubsvertretung eines Yachteigentümers britischer Nationalität führte der Kläger im Februar/März 1986 in der Funktion eines Kapitäns eine Urlaubsfahrt in den Gewässern um Jamaika mit vier Teilnehmern durch. Die gecharterte Yacht segelte unter der Flagge von Jamaika. Am 6. März 1986 befand sich die Yacht auf hoher See auf einem Kurs mit raumem Wind, als die Leine, mit der der Großbaum auf der Steuerbordseite des Schiffes gehalten wurde, riß. Der Kläger verhinderte ein Überschwenken des Großbaums, indem er in die Großschot eingriff. Dabei wurde er vom Endstück des Großbaums im Rücken getroffen und verletzt. Nach einem von der Beigeladenen beigezogenen Befundbericht wurde als Folge des Unfalls eine posttraumatische Zerrung des Plexus lumbalis diagnostiziert.
Die Beigeladene lehnte eine Unfallentschädigung ab, weil der Kläger als Führer eines Schiffes unter ausländischer Flagge vor Jamaika nicht unter dem Schutz der bei ihr abgeschlossenen freiwilligen Unternehmerversicherung gestanden habe (Bescheid vom 25. Juli 1986). Der Beklagte, dem der Vorgang unter Hinweis auf dessen Eintrittspflicht nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a Reichsversicherungsordnung (RVO) zugeleitet wurde, lehnte ebenfalls eine Entschädigung ab, weil der Kläger als Kapitän und Unternehmer des Reisebüros verpflichtet gewesen sei, Leben und Gesundheit der Besatzungsmitglieder zu schützen (Bescheid vom 12. Mai 1987).
Das Sozialgericht (SG) hat festgestellt, daß der Kläger am 6. März 1986 einen von dem Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 RVO iVm § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO erlitten habe (Urteil vom 13. Juni 1989). Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Februar 1990). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO lägen zwar vor. Der Umstand, daß sich der Vorfall im Ausland auf einer Yacht mit ausländischer Flagge ereignet habe, ändere daran nichts, sondern führe lediglich nach § 4 Abs 2 des Sozialgesetzbuches - Viertes Buch - (SGB IV) dazu, daß Ansprüche gegen die Beigeladene nicht bestünden. Über ihre Inanspruchnahme sei mangels entsprechender Antragstellung des Klägers auch nicht zu befinden. Gleichwohl sei ein Versicherungsschutz und damit eine Entschädigungspflicht des Beklagten zu verneinen. Wenn nämlich die Hilfeleistung sowohl der nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO versicherten Tätigkeit als auch dem Tatbestand des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO zugerechnet werden könne, so sei zu prüfen, welche Umstände rechtlich ins Gewicht fielen. Hier liege der Schwerpunkt der zum Unfall führenden Handlung auf der beruflichen oder betriebsbedingt gebotenen Handlungspflicht des Klägers, so daß ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO ausscheide.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO, § 4 Abs 2 SGB IV und § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Er sei zu der Hilfeleistung weder als Kapitän noch als Vertragspartner verpflichtet gewesen. Es habe sich vielmehr um ein überobligationsmäßiges Verhalten gehandelt, das den Charakter einer aufopferungsähnlichen Handlung getragen habe, zumal sie mit einer erheblichen eigenen Gefährdung verbunden gewesen sei. Eine solche risikoreiche Maßnahme könne von niemandem verlangt oder erwartet werden. Unabhängig davon sei auch die Ablehnung des Versicherungsschutzes durch die Beigeladene nicht zu Recht erfolgt. Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs 2 SGB IV machten nämlich deutlich, daß diese Vorschrift nur die Vertragsverhältnisse betreffe, für die die See-Berufsgenossenschaft der zuständige Versicherungsträger sei. Außerdem habe das LSG unter Verletzung des § 106 SGG nicht darauf hingewirkt, daß er - der Kläger - gemäß § 75 Abs 5 SGG seine Klage auch vorsorglich gegen die Beigeladene richte.
Der Kläger beantragt sinngemäß,das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 1990 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG Münster vom 13. Juni 1989 zurückzuweisen, hilfsweise,unter Änderung des Urteils des SG Münster vom 13. Juni 1989 festzustellen, daß er am 6. März 1986 einen von der Beigeladenen zu entschädigenden Arbeitsunfall iS des § 548 Abs 1 iVm § 539 RVO erlitten hat.
Der Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene beantragt,den hilfsweise gestellten Revisionsantrag zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß ein Zusammenhang mit den bei ihr als Berufsgenossenschaft für die Binnenschiffahrt versicherten Tätigkeiten nicht bestehe. Im übrigen gelte § 4 Abs 1 SGB IV nur für solche Personen, die grundsätzlich einer landgebundenen Beschäftigung nachgingen und mit der Seefahrt primär nichts zu tun hätten. Die Schiffsbesatzung und damit auch der Kläger fielen hingegen unter die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs 2 SGB IV.
II
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat am 6. März 1986 weder einen von dem Beklagten noch von der Beigeladenen zu entschädigenden Unfall erlitten. Das hat das LSG zutreffend entschieden.
Nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet.
Der gegen den Beklagten gerichtete Feststellungsanspruch im Rahmen des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO setzt zunächst voraus, daß der Kläger bei einem Unglücksfall oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe geleistet oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternommen hat. Diese Tatbestandsvoraussetzungen hat der Kläger zwar erfüllt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG lag zum Zeitpunkt des Eingreifens durch den Kläger ein Unglücksfall vor. Denn es bestand zumindest für das als Ausguck eingesetzte Besatzungsmitglied die Gefahr, von dem überschwenkenden Großbaum getroffen und dadurch über Bord geworfen zu werden oder sich in die Plicht fallen lassen oder flach an Deck werfen zu müssen. In jedem Fall drohten diesem Besatzungsmitglied nicht nur unerhebliche Verletzungen, sondern sogar für den Fall des Überbordgehens Lebensgefahr. Indem der Kläger auf den Hilferuf des Ausgucks hin den überschwenkenden Großbaum zurückhielt, beseitigte er diese Gefahr und leistete damit Hilfe iS des § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO. Daß die Hilfeleistung im Ausland und damit außerhalb des Geltungsbereichs des SGB erfolgte, ist nach § 539 Abs 3 Satz 2 RVO für den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO unerheblich, wenn, was beim Kläger der Fall ist, der Helfer seinen Wohnsitz innerhalb des Geltungsbereichs des SGB hat.
Gleichwohl besteht kein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO, weil die Hilfe des Klägers im Rahmen der mit den Besatzungsmitgliedern der Segelyacht abgeschlossenen Verträge und damit seines Unternehmens geleistet wurde. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSGE 35, 212, 215; vgl auch BSG, Urteil vom 17. Dezember 1975 - 2 RU 233/73 - Breithaupt 1976, 737, 739) kommt ein Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO dann nicht in Betracht, wenn die Hilfe im Rahmen eines unabhängigen Dienstvertrages erbracht wird, auch und gerade wenn es sich um eine versicherungsfreie Tätigkeit handelt. Aus den vom LSG näher dargelegten Reisebedingungen iVm seiner Stellung als Kapitän der Segelyacht ergab sich für den Kläger die grundsätzliche Verpflichtung, Unglücksfälle bei Durchführung der Segeltouren zu vermeiden und bei dennoch eintretenden Unglücksfällen Hilfe zu leisten. Darüber hinaus gilt sowohl für die Binnenschiffahrt als auch für die Seeschiffahrt als Arbeitsunfall auch ein Unfall beim Retten und Bergen von Menschen oder Sachen (§§ 552 Nr 4, 838 Nr 5 RVO). Daraus folgt, daß die Rettungshandlung des Klägers seinem Unternehmen zuzurechnen ist. Das wird letztlich vom Kläger nicht bestritten. Er vertritt vielmehr die Auffassung, daß es sich bei der Hilfeleistung als einer aufopferungsähnlichen Handlung um ein überobligationsmäßiges Verhalten gehandelt habe, zu dem er nicht verpflichtet gewesen sei.
Darauf, ob der im Rahmen des Dienstvertrages Tätige zu der konkreten Rettungshandlung verpflichtet war oder nicht, kommt es für die Entscheidung, ob der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO ausgeschlossen ist, aber nicht an.
§ 539 Abs 1 Nr 9 RVO bildet eine besondere Gestaltungsform öffentlicher Unfallfürsorge (vgl BSG Urteil vom 11. Juni 1990 - 2 RU 60/89 -; Vollmar, BG 1971, S 148). Ihr entspricht es, daß der sich aus dieser Vorschrift ergebende Unfallversicherungsschutz nur hilfsweise in Betracht kommt, wenn die unfallbringende Tätigkeit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nicht schon im Rahmen anderer gesetzlicher Vorschriften, insbesondere des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO, geschützt ist (BSG SozR Nr 46 zu § 537 RVO aF; BSG Urteil vom 31. März 1976 - 2 RU 287/73 - USK 7629; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl, S 473d; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 539 Anm 59 Buchst e). Mit ihr soll das Erfordernis für nicht schon gesetzlich oder kraft Satzung versicherte Unternehmer, freiwillig der Unfallversicherung beizutreten, um so für im Rahmen ihres Unternehmens verrichtete Tätigkeiten Versicherungsschutz zu erhalten, nicht umgangen werden. Erst wenn die Hilfeleistung im Rahmen der Tätigkeiten des Unternehmers von so untergeordneter Bedeutung ist, daß sie gegenüber den Umständen, die den Versicherungsschutz nach § 539 Abs 1 Nr 9 Buchst a RVO begründen, zurücktritt, besteht Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift (vgl BSG Urteil vom 15. Dezember 1966 - 2 RU 66/65 -; BSG SozR 2200 § 539 Nr 116 aE; BSG Urteil vom 26. November 1987 - 2 RU 37/87 - HV-Info 1988, 446). Das ist hier jedoch nicht der Fall. Die Rettungshandlung des Klägers als Kapitän der Segelyacht und Leiter der Reise stand in enger Verknüpfung mit seinem Aufgabenbereich. Davon abgesehen machen die Regelungen in §§ 552 Nr 4 und 838 Nr 5 RVO hinreichend deutlich, daß der Gesetzgeber Rettungshandlungen auf See eine besondere Bedeutung beigemessen und sie ausdrücklich in den allgemeinen Unfallversicherungsschutz der Seeleute mit einbezogen hat. Die Handlung des Klägers ist damit - wie das LSG zutreffend gewertet hat - nach Lage des Falles dem Gegenstand des nautischen Unternehmens des Klägers zuzurechnen.
Der gegen die Beigeladene gerichtete Feststellungsanspruch ist ebenfalls nicht begründet. Zwar ist im Hinblick auf § 75 Abs 5 SGG der im Revisionsverfahren erstmalig gestellte Antrag des Klägers keine - nach § 168 SGG unzulässige - Klageänderung (BSG SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG SozR 2200 § 1425 Nr 3); damit kommt es auch auf die vom Kläger erhobene Verfahrensrüge, das LSG habe unter Verletzung des § 106 SGG nicht auf einen entsprechenden gegen die Beigeladene gerichteten Antrag hingewirkt, nicht an.
Gegen den Versicherungsschutz des Klägers im Rahmen der freiwilligen Versicherung bei der Beigeladenen spricht jedoch bereits, daß sich der Unfall auf hoher See an Bord eines Seeschiffes ereignet hatte. Ein Zusammenhang mit den bei der Beigeladenen versicherten Tätigkeiten liegt nicht vor. Dieses Risiko ist vielmehr grundsätzlich durch eine Versicherung bei der See-Berufsgenossenschaft und nicht bei der Beigeladenen zu versichern (§ 836 Nr 1 RVO). Davon abgesehen ereignete sich der Unfall nicht im Geltungsbereich des SGB mit der Folge, daß - entgegen der Auffassung der Revision - nach § 3 SGB IV die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung grundsätzlich nicht gelten. Zwar sieht § 4 Abs 1 SGB IV die sogenannte Ausstrahlung der Versicherungsbestimmungen unter bestimmten Voraussetzungen auch für Personen, die sich im Ausland aufhalten, vor. Zutreffend hat das LSG jedoch eine solche Ausstrahlung unter Hinweis auf § 4 Abs 2 und 3 SGB IV verneint. Nach dieser Vorschrift kommt eine Ausstrahlung nicht für solche Personen in Betracht, die auf ein Seeschiff entsandt werden, das nicht berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen und der Unfallverhütung und Schiffssicherheitsüberwachung durch die See-Berufsgenossenschaft nicht unterliegt. Da der Kläger zum Unfallzeitpunkt ein Seeschiff (s § 13 Abs 2 SGB IV) führte, das einem ausländischen Eigentümer gehörte und unter der Flagge von Jamaika segelte, greift der Tatbestand des § 4 Abs 2 und 3 SGB IV bereits schon von seinem Wortlaut her ein. Eine Begrenzung nur auf Versicherungsverhältnisse, für die die See-Berufsgenossenschaft der Versicherungsträger ist, sieht diese Vorschrift nicht vor. Auch aus dem Zweck der Regelung folgt entgegen der Ansicht des Klägers kein anderes Ergebnis. Zwar mag der Gesetzgeber in erster Linie an die Versicherungsverhältnisse gedacht haben, bei denen die See-Berufsgenossenschaft der Versicherungsträger ist. Mit der in § 4 Abs 2 SGB IV enthaltenen Ausnahme sollte aber vor allem den Besonderheiten der Seeschiffahrt Rechnung getragen werden, die hauptsächlich darin liegen, daß Seeschiffe unter ausländischer Flagge grundsätzlich nicht den deutschen Unfallverhütungs- und Schiffssicherheitsvorschriften entsprechen müssen (vgl BT-Drucks, 7/5457, S 3 zu § 4; s auch Leffler in HANSA 1978, 1345, 1346). Diese Besonderheiten gelten aber für die Seefahrt allgemein und nicht nur dann, wenn Versicherungsträger die See-Berufsgenossenschaft ist.
Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen