Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat dem Beigeladenen dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen einen Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten, mit dem dieser festgestellt hat, daß für die Zeit des in Bayern ab 24. Februar 1995 geführten Arbeitskampfes in den anderen Tarifgebieten der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie und des Tarifgebiets Berlin I von der Klägerin eine Forderung erhoben worden sei, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes in Bayern nach Art und Umfang gleich sei, und daß die Annahme gerechtfertigt sei, das bayerische Arbeitskampfergebnis werde aller Voraussicht nach in diesen anderen Tarifgebieten übernommen.
Ende 1994 kündigten die Bezirksleitungen der Klägerin die für die westdeutsche Metallindustrie geltenden regionalen Tarifverträge über Löhne, Gehälter und Ausbildungsvergütungen gegenüber den dem Beigeladenen angeschlossenen regionalen Arbeitgeberverbänden. Gleiches galt für die Verträge der Schmuck- und Metallwarenindustrie Birkenfeld und des Tarifgebiets Osthessen/Fulda, die mit Arbeitgeberverbänden abgeschlossen waren, die nicht Mitglieder des Beigeladenen sind. Nicht gekündigt wurden die Tarifverträge für die Werke der Volkswagen AG und die für die neuen Bundesländer geschlossenen Tarifverträge.
Es wurde ua eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 6 % (teilweise linear, teilweise “im Volumen” unter Einschluß einer sozialen Komponente für untere Lohn- und Gehaltsgruppen) und eine Anhebung der Ausbildungsvergütungen in unterschiedlicher Höhe gefordert. Nachdem die Verhandlungen erfolglos geblieben waren und die Klägerin einen Vorschlag des Beigeladenen, in Bayern als Pilotbezirk Verhandlungen durchzuführen, abgelehnt hatte, kam es auf Beschluß des Vorstands der Klägerin in der Zeit vom 20. bis 22. Februar 1995 in Bayern zu einer Urabstimmung über die Durchführung eines Streiks. Zu dieser Urabstimmung hatte die Bezirksleitung München der Klägerin in den Stimmzetteln mit der Forderung nach Erhöhung der Tariflöhne und Tarifgehälter mit Wirkung ab 1. Januar 1995 um 6 % (unter Einschluß einer sozialen Komponente für untere Einkommensgruppen) und der tariflichen monatlichen Ausbildungsvergütung um 100,-- DM brutto aufgerufen. Gestreikt wurde aufgrund der Urabstimmung (Ergebnis: 88,36 % für Streik) ab 24. Februar 1995. Am 7. März 1995 wurde mit dem Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie (VBM) eine Einigung ua dahin erzielt, daß die Entgelte für Januar bis April 1995 pauschal um je 152,50 DM monatlich, ab Mai 1995 um 3,4 % und ab November 1995 um weitere 3,6 % erhöht würden. Am 8./9. März 1995 sprachen sich die Mitglieder der Klägerin in Bayern für die Annahme dieser Vereinbarung aus; am 15. März 1995 wurde das Tarifergebnis sodann vom VBM gebilligt und in der Folgezeit in den anderen Tarifgebieten (mit gekündigten Tarifverträgen) übernommen.
Als Reaktion auf den Streik beschloß der VBM am 2. März 1995 die Durchführung einer Abwehraussperrung, allerdings unter zeitlichem Aufschub bis 8. März 1995, und der Vorstand des Beigeladenen empfahl seinen übrigen Mitgliedsverbänden für die Zeit nach dem 8. März 1995 ebenfalls die Durchführung von Abwehraussperrungen. Zu mittelbaren Auswirkungen des Streiks, die die Klägerin durch die gezielte Auswahl von bestreikten Betrieben von vornherein vermeiden wollte, kam es nicht.
Mit der (am 30. März erhobenen) Klage macht die Klägerin geltend, § 116 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Neutralitätsgesetzes vom 15. Mai 1986 sei verfassungswidrig, da er ihr Koalitionsgrundrecht aus Art 9 Abs 3 Grundgesetz (GG) und die Grundrechte der mittelbar durch den Arbeitskampf außerhalb des Kampfgebietes betroffenen Arbeitnehmer aus Art 14 und Art 3 GG verletze. Der Beschluß vom 1. März 1995 verstoße deshalb ebenfalls gegen die Verfassung. Das Verfahren müsse zumindest ausgesetzt und gemäß Art 100 Abs 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) eingeholt werden. Der Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten sei jedoch schon deshalb rechtswidrig, weil entgegen der Annahme des Neutralitätsausschusses außerhalb des bayerischen Tarifgebiets keine Forderung erhoben worden sei, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes in Bayern nach Art und Umfang gleich gewesen sei. Ebensowenig sei die Annahme gerechtfertigt gewesen, daß das in Bayern erzielte Arbeitskampfergebnis aller Voraussicht nach in den anderen Tarifgebieten der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Tarifgebiets Berlin I im wesentlichen übernommen werde. Das Tarifgebiet der Schmuck- und Metallwarenindustrie Birkenfeld und das Tarifgebiet Osthessen/Fulda hätten sogar einen abweichenden fachlichen Geltungsbereich, weil die dortigen Tarifpartner nicht Mitglieder des Beigeladenen seien und es sich bei der Schmuck- und Metallwarenindustrie um eine andere Branche handele. Die Forderungen in den einzelnen Tarifgebieten seien nicht vergleichbar; bei den geltend gemachten 6 % müsse nämlich zwischen linearer und volumensmäßiger Erhöhung – letztere unter Einschluß einer sozialen Komponente – unterschieden werden. Bei den Tariflöhnen differierten zudem das Verhältnis der unteren Lohngruppen zu den Ecklöhnen und die Zahl der einzelnen Lohngruppen; hieraus resultierten Abweichungen in der tariflichen Ausgangslage für die Verdienststeigerungen. Bei den Tarifgehältern gebe es nicht einmal Eckwerte, so daß dort die Erhöhungen betragsmäßig völlig unterschiedlich ausfielen. Bei den Ausbildungsvergütungen seien schließlich sogar prozentual unterschiedliche Erhöhungen gefordert worden (im Ergebnis zwischen 8,2 % und 22,6 %). Abgesehen von der Ungleichheit der Forderungen sei außerdem nicht die Annahme gerechtfertigt gewesen, daß das bayerische Arbeitskampfergebnis in den anderen Tarifgebieten übernommen werde. Vor dem Hintergrund bevorstehender Aussperrungen durch die Arbeitgeber mit bundesweit zu erwartenden massenhaften Fernwirkungen sei die Übernahmeprognose im Gegenteil völlig offen gewesen. Der Klage fehle schließlich nicht das Rechtsschutzbedürfnis; ggf sei sie als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Zwar sei es weder im Verlauf des Streiks noch in der Folgezeit zu mittelbaren Auswirkungen gegenüber am Streik nicht beteiligten Arbeitnehmern gekommen; schon der Beschluß des Neutralitätsausschusses habe jedoch in ihr (der Klägerin) Koalitionsrecht aus Art 9 Abs 3 GG eingegriffen. Wenn sich dann später herausstelle, daß Fernwirkungen, dh mittelbare Auswirkungen (Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit) des Arbeitskampfes außerhalb des Tarifgebietes, tatsächlich nicht eingetreten seien, müsse eine gerichtliche Überprüfung des Beschlusses weiterhin zulässig sein. Hierzu habe das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, daß § 116 Abs 5 und 6 AFG eine Spezialregelung gegenüber dem Klagesystem der §§ 54, 55 Sozialgerichtsgesetz (SGG) enthalte und in Abweichung von § 55 Abs 1 SGG nicht zu prüfen sei, ob ein berechtigtes Interesse an der begehrten baldigen Feststellung bestehe. Dies sei indes vorliegend ohnehin zu bejahen, weil ein Urteil geeignet sei, bestehende Unsicherheiten über rechtsgrundsätzliche Fragen zu beseitigen, und so zur Richtschnur für künftiges Verhalten werden könne.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluß des Neutralitätsausschusses von 1. März 1995 in Punkt 1 aufzuheben, hilfsweise abzuändern, und festzustellen, daß in der Zeit vom 24.02.1995 bis zum Ende des Arbeitskampfes im Tarifgebiet Bayern der Metall- und Elektroindustrie (09.03.1995)
- in keinem anderen Tarifgebiet, hilfsweise nicht in allen anderen Tarifgebieten, der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Tarifgebietes Berlin I eine Forderung erhoben worden ist, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes in Bayern nach Art und Umfang gleich war und
- nicht die Annahme gerechtfertigt war, daß ein Arbeitskampfergebnis des Tarifgebiets Bayern aller Voraussicht nach in den anderen Tarifgebieten der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Tarifgebietes Berlin I im wesentlichen übernommen werde.
Hilfsweise beantragt sie die Feststellung, daß der Beschluß des Neutralitätsausschusses vom 1. März 1995 in Punkt 1 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Klage sei, wenn nicht als Aufhebungs- und Feststellungsklage, zumindest als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, weil sich noch offene Grundsatzfragen bei künftigen Auseinandersetzungen im Bereich der Metallindustrie voraussichtlich erneut stellten und die Entscheidung des Gerichts deshalb der Klarheit der Rechtsanwendung diene. Die Klage sei allerdings unbegründet, weil der Neutralitätsausschuß zu Recht eine Forderungsgleichheit iS des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) AFG angenommen und die Übernahme des Arbeitskampfergebnisses in den anderen Tarifgebieten gemäß § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst b) AFG prognostiziert habe. Hauptforderung des Arbeitskampfes in Bayern sei eine Erhöhung der Entgelte um 6 % gewesen; mit dieser Forderung habe die Klägerin ihre Mitglieder für den Arbeitskampf mobilisiert. Ob neben dieser einen Hauptforderung weitere Forderungen erhoben worden seien, sei unerheblich. Dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung genüge die Identität der in allen betroffenen Tarifgebieten geforderten Prozentsätze; die unterschiedliche Struktur und das unterschiedliche Niveau der einzelnen Tariflöhne bzw -gehälter stünden dem nicht entgegen. Im Hinblick auf die bisherigen Erfahrungen im Zusammenhang mit Tarifauseinandersetzungen und Arbeitskämpfen in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen sei unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklung des Arbeitskampfes davon auszugehen gewesen, daß ein in Bayern erzieltes Ergebnis in den anderen Gebieten – ggf mit unwesentlichen Modifikationen zur Berücksichtigung regionaler Besonderheiten – übernommen werde. Die Tarifentwicklung in der Metall- und Elektroindustrie Westdeutschlands (einschließlich des Tarifgebiets Berlin I) habe sich nämlich bis zum Beginn des Arbeitskampfes durch einen deutlich erkennbaren Gleichklang ausgezeichnet, wobei Bayern bei der Durchführung von Urabstimmungen und eines Streiks zeitlich nur “vorn gelegen” habe. Widersprechende Meinungsäußerungen im Verlauf einer Tarifauseinandersetzung aus einem Lager der Arbeitskampfparteien, wie hier seitens der Arbeitgeber, seien nicht ungewöhnlich und sprächen nicht gegen eine Übernahmeprognose. Die tatsächliche Entwicklung unmittelbar im Anschluß an das Ergebnis der Tarifauseinandersetzung in Bayern habe im übrigen die vom Neutralitätsausschuß getroffene Entscheidung bestätigt. Die angefochtene Entscheidung sei auch hinsichtlich der Tarifgebiete der Schmuck- und Metallwarenindustrie (Birkenfeld) und Osthessen/Fulda rechtmäßig; die von den dortigen Tarifverträgen erfaßten Betriebe würden, lägen sie in Bayern, vom bayerischen Tarifvertrag erfaßt. Daß sie nicht mit dem Beigeladenen zugehörigen Arbeitgeberverbänden geschlossen worden seien, sei für § 116 Abs 3 AFG ohne Bedeutung. Die Tarifergebnisse seien bisher jedenfalls im wesentlichen übernommen worden.
Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Klage sei unzulässig, weil es der Klägerin mangels mittelbarer Auswirkungen des Arbeitskampfes gegenüber nicht am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmern an einem Rechtsschutzinteresse fehle. Der Beschluß des Neutralitätsausschusses sei lediglich Grundlage für mögliche Folgeverwaltungsakte über individuelle Ansprüche von Arbeitnehmern gegenüber der Beklagten. Da arbeitskampfbedingte Kurzarbeit bzw Arbeitslosigkeit nicht eingetreten sei, sei es indes zu derartigen Folgebescheiden überhaupt nicht gekommen. Die Fortsetzung des Rechtsstreits laufe deshalb auf eine unzulässige gutachtliche Stellungnahme durch das Gericht in Urteilsform hinaus. Abgesehen davon habe der Neutralitätsausschuß sachlich richtig entschieden. Außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des bayerischen Tarifvertrags seien im fachlichen Geltungsbereich des bayerischen Tarifvertrags Forderungen erhoben worden, die einer Hauptforderung des Arbeitskampfes im Kampfgebiet nach Art und Umfang gleich gewesen seien, ohne mit ihr übereinstimmen zu müssen. Hauptforderung in Bayern sei die Erhöhung der Tariflöhne und -gehälter um 6 % gewesen. Diese Forderung sei in allen sonstigen von Nr 1 des Beschlusses erfaßten Tarifbezirken erhoben worden. Daß daneben die Erhöhung der tariflichen monatlichen Ausbildungsvergütungen unterschiedlich ausfallen sollte, sei ebenso ohne Bedeutung wie der Umstand, daß die Vergütungshöhe als solche unterschiedlich gewesen sei. Der Neutralitätsausschuß habe zu Recht die Übernahme des bayerischen Arbeitskampfergebnisses auf die anderen in Nr 1 des Beschlusses genannten Tarifgebiete prognostiziert, wie gerade der spätere Verlauf der Auseinandersetzungen gezeigt habe.
Entscheidungsgründe
II
Die Klage ist unzulässig.
Gegenstand der von der Klägerin form- und fristgerecht gemäß § 116 Abs 6 AFG (idF des Gesetzes zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit ≪BA≫ bei Arbeitskämpfen – Neutralitätsgesetz – vom 15. Mai 1986 – BGBl I 740) erhobenen Klage ist der Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten vom 1. März 1995. Gegen diesen Beschluß wehrt sich die Klägerin im Hauptantrag mit einer Aufhebungs- und Feststellungsklage (vgl hierzu: BSGE 75, 97, 102 ff = SozR 3-4100 § 116 Nr 2), hilfsweise mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Mit der im Hauptantrag gemäß § 116 Abs 6 Satz 1 AFG kumulativ neben der Aufhebungsklage erhobenen Feststellungsklage erstrebt sie dabei konkrete gerichtliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) und b) AFG, nicht nur – wie bei der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG) – einen allgemeinen Ausspruch über die Rechtswidrigkeit des Beschlusses. Daß die Klägerin nur noch letzteres begehrt, kann nicht angenommen werden, auch wenn der Senat an die Fassung der Anträge nicht gebunden ist (§ 123 SGG). Ein Aufhebungsantrag kann nämlich nur dann als Antrag iS einer Fortsetzungsfeststellungsklage gewertet werden, wenn der Klagevortrag dies rechtfertigt (vgl: BSGE 42, 212, 215 f = SozR 1500 § 131 Nr 3; BSGE 56, 45, 50 = SozR 2100 § 70 Nr 1). Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall; vielmehr besteht die Klägerin in Kenntnis der später zu erörternden Erledigungsproblematik ausdrücklich und vorrangig auf der kassatorischen Aufhebungs- und der kumulativen Feststellungsklage (§ 116 Abs 6 Satz 1 AFG).
Die Aufhebungsklage ist indes unzulässig, weil sich der angefochtene Beschluß erledigt hat (vgl zu dieser Rechtsfolge bei erledigenden Ereignissen: Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl 1993, Vor § 51 RdNr 18, § 54 RdNr 8 und § 131 RdNr 7, jeweils mwN; Kopp, VwGO, 10. Aufl 1994, § 113 RdNr 47 mwN). Insoweit gelten für die Aufhebungsklage des § 116 Abs 6 AFG keine anderen Regelungen als für eine Anfechtungsklage iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGG, weil nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Gesetzgeber in diesem Punkt von allgemeinen Prozeßvoraussetzungen abweichende Regelungen gewollt hat. Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck des § 116 Abs 6 AFG bieten dafür irgendwelche Anhaltspunkte.
Der Senat hat vielmehr bereits in seiner Entscheidung vom 4. Oktober 1994 darauf hingewiesen, daß die Aufhebungsklage des § 116 Abs 6 Satz 1 AFG ihrem Wesen und ihrer Struktur nach der Anfechtungsklage des § 54 Abs 1 SGG nahesteht und deshalb grundsätzlich die Vorschriften über die Anfechtungsklage entsprechend anzuwenden sind (BSGE 75, 97, 102 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). In der Entscheidung blieb zwar unentschieden, ob anders als nach § 54 Abs 1 Satz 2 SGG auf das Erfordernis der üblichen Klagebefugnis (als besonderer Ausprägung des allgemeinen Rechtsschutzinteresses) verzichtet werden kann (BSGE aaO, S 103); dies bedeutet allerdings nicht, daß auch gegen erledigte Beschlüsse des Neutralitätsausschusses der Beklagten noch die Aufhebungsklage zulässig ist. Es besteht keine Veranlassung, in diesem Punkt auf die Voraussetzungen des allgemeinen Rechtsschutzinteresse zu verzichten und damit von dem Grundsatz abzuweichen, daß kein Gericht zu einer bestimmten Sachentscheidung gezwungen werden kann, wenn insoweit Rechtsschutz nicht mehr benötigt wird (vgl BVerwG NVwZ 1990, 360).
Für eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses fehlt es an diesem Rechtsschutzinteresse; vom Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten gehen nämlich gegenwärtig keine belastenden Wirkungen mehr aus (vgl zu dieser Voraussetzung: Meyer-Ladewig, aaO, § 131 RdNr 7; Kopp, aaO, § 113 RdNr 51); er hat sich damit erledigt. Ob die Erledigung bereits vor Klageerhebung eingetreten ist, kann für die Aufhebungsklage dahinstehen; dieser Umstand kann allenfalls für die Fortsetzungsfeststellungsklage von Bedeutung sein (vgl M. Behn, SozVers 1996, 144 ff), ändert aber nichts daran, daß der Beschluß iS von § 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫ unwirksam geworden ist. Zwar hat der Senat in seiner Entscheidung vom 4. Oktober 1994 die Verwaltungsentscheidung des Neutralitätsausschusses als eine solche sui generis bezeichnet (BSGE 75, 97, 106 ff = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Gleichzeitig hat er aber ausgeführt, daß sie Elemente des Typus “Verwaltungsakt” aufweist und deshalb die Regelungen des SGB X entsprechend anzuwenden sind (BSGE 75, 97, 109 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2); dies gilt auch für § 39 Abs 2 SGB X.
Danach bleibt ein Verwaltungsakt (nur) wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Der Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten hat sich in diesem Sinne auf andere Weise erledigt, nachdem der Arbeitskampf beendet und der Beschluß nicht zur Grundlage weiterer Entscheidungen der Beklagten über individuelle Leistungsansprüche mittelbar betroffener Arbeitnehmer geworden ist bzw werden kann. Die bezeichnete Rechtsfolge ergibt sich aus der Funktion des § 116 AFG und dem Regelungsgehalt des angefochtenen Beschlusses (vgl zu dieser Voraussetzung: BVerwG NVwZ 1991, 570, 571 mwN) unter Berücksichtigung der von ihm ausgehenden Wirkungen.
Nach der Rechtsprechung des Senats hat § 116 AFG nur die Aufgabe, die Folgen eines Arbeitskampfes sozialrechtlich aufzufangen; er stellt keine den Arbeitskampf regelnde Norm dar (BSGE 69, 25, 60 = SozR 3-4100 § 116 Nr 1; BSGE 75, 97, 107 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Die Entscheidung des Neutralitätsausschusses dient vielmehr ausschließlich dem Zweck, eine notwendigerweise einheitliche Teilentscheidung hinsichtlich des Ruhens individueller Leistungsansprüche mittelbar betroffener Arbeitnehmer vorwegzunehmen (BSGE 75, 97, 104, 134 f und 152 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2), um ein ansonsten mögliches Entscheidungschaos zu verhindern (BSGE 75, 97, 135 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Sein Ziel ist nicht ein Eingriff in das Kampfgleichgewicht der Koalitionen, sondern im Gegenteil die Wahrung der – passiven – Neutralität der Beklagten (BVerfGE 92, 365, 397 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 3; BSGE 69, 25, 37 = SozR 3-4100 § 116 Nr 1; BSGE 75, 97, 107 f und 152 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Regelungsgehalt ist insoweit allein die Frage, ob die Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) und b) AFG erfüllt sind, dh, die Feststellung, daß bestimmte Elemente individueller Leistungsansprüche gegeben oder nicht gegeben sind.
- Zwar können von einem Beschluß des Neutralitätsausschusses faktische, – mittelbar – belastende (Dritt-)Wirkungen für die Arbeitskampfparteien und damit für die Klägerin ausgehen, etwa wenn sich die Klägerin aufgrund eines solchen Beschlusses (und nicht nur aufgrund des § 116 AFG selbst) zu einer Einschränkung ihrer Streiktaktik gezwungen sieht. Diese Wirkungen sind jedoch notwendig auf die Dauer des konkreten Arbeitskampfes beschränkt und nicht Regelungsgegenstand des Beschlusses. Vielmehr ist dem Neutralitätsausschuß die Entscheidungskompetenz (nur) über folgende Einzelgesichtspunkte eingeräumt worden:
- Vorliegen eines inländischen Arbeitskampfes,
- räumlicher und fachlicher Geltungsbereich des Tarifvertrags, um dessen Abschluß der Arbeitskampf geführt wird,
- Dauer des Arbeitskampfes,
- Hauptforderung des Arbeitskampfes,
- außerhalb des räumlichen, aber innerhalb des fachlichen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertrags erhobene tarifvertragliche Forderung,
- Gleichheit dieser Forderung nach Art und Umfang mit einer Hauptforderung des Arbeitskampfes, ohne mit dieser übereinstimmen zu müssen (möglicherweise nicht in Identität mit dem Rechtszustand vor Inkrafttreten des Neutralitätsgesetzes; anders aber der Senat im Urteil vom 4. Oktober 1994 – BSGE 75, 97, 123 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2) und
- voraussichtliche Übernahme des erzielten Arbeitskampfergebnisses im wesentlichen in anderen Tarifgebieten.
Gegenstand eines solchen Beschlusses, der im Rahmen eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens ergeht (BSGE 75, 97, 109 und 114 ff = SozR 3-4100 § 116 Nr 2), ist es also lediglich, einzelne Elemente individueller Leistungsansprüche verbindlich vorab zu regeln, und zwar vorsorglich auch für den Fall, daß es zur Geltendmachung von Leistungsansprüchen überhaupt nicht kommt. Darin erschöpfen sich seine unmittelbaren rechtlichen Wirkungen. Diese entfallen, wenn er seine regelnde Wirkung – wie hier – durch Wegfall des Regelungsobjekts verloren hat. Ist es nämlich zu keinem Zeitpunkt zu mittelbaren Auswirkungen des Arbeitskampfes gekommen, so geht der Beschluß des Neutralitätsausschusses ins Leere; die von ihm möglicherweise ausgehende mittelbare, belastende Wirkung gegenüber den am Arbeitskampf Beteiligten ist ohnedies spätestens nach dem Arbeitskampf selbst entfallen.
Offenbleiben kann in diesem Zusammenhang, wann das erledigende Ereignis eingetreten ist. Die von der Klägerin begehrte gerichtliche Aufhebung des Beschlusses vom 1. März 1995 ist jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht mehr erforderlich und damit ausgeschlossen. Mit der beantragten Entscheidung des Gerichts iS einer Aufhebung kann weder eine eventuelle faktische Betroffenheit der Klägerin während des Arbeitskampfes nachträglich beseitigt oder gemildert werden, noch können Grundlagen geschaffen oder nachträglich verändert werden, die für individuelle Leistungsansprüche mittelbar betroffener Arbeitnehmer bedeutsam sind. Gehen aber vom Beschluß des Neutralitätsausschusses keine aktuellen Wirkungen mehr aus, so ist es für die Zulässigkeit der Aufhebungsklage ohne Bedeutung, ob er überhaupt in Grundrechte eingegriffen hat.
Aus der Unzulässigkeit der Aufhebungsklage resultiert die Unzulässigkeit der mit ihr verbundenen Klage auf Feststellung, daß die Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) und b) AFG insgesamt oder zum Teil nicht vorlagen. In seiner Entscheidung vom 4. Oktober 1994 hat der Senat zu dieser Klage ausgeführt, daß sie gemäß § 116 Abs 6 Satz 1 AFG nur kumulativ neben der Aufhebungsklage erhoben werden kann (BSGE 75, 97, 104 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Ziel der neben der Aufhebung oder Teilaufhebung des Beschlusses begehrten Feststellung ist nämlich lediglich ein förmlicher Ausspruch dessen, was ohnedies schon im Rahmen der Entscheidung über die Aufhebungsklage entschieden werden müßte. Insoweit haben von den Feststellungen des Neutralitätsausschusses abweichende (andere) Feststellungen des Gerichts ausschließlich eine klarstellende Funktion (BSGE, aaO). Wie der Beschluß des Neutralitätsausschusses, so kann auch die Entscheidung des Gerichts für eine Vielzahl von individuellen Leistungsansprüchen von Bedeutung sein. Anders ausgedrückt: Der Inhalt des Beschlusses und dem Inhalt des Beschlusses widersprechende Feststellungen durch das Gericht haben eine Publikationsfunktion. Gerade dieser Funktion dienen indes andere als im Beschluß des Neutralitätsausschusses enthaltene Feststellungen durch das Gericht dann nicht mehr, wenn es zu mittelbaren Auswirkungen des Arbeitskampfes überhaupt nicht gekommen ist. Feststellungen durch das Gericht wären dann nicht mehr Grundlage für Entscheidungen über das Ruhen individueller Leistungsansprüche, sondern hätten lediglich noch rechtsgutachtliche Bedeutung; insoweit ist ein rechtlich geschütztes Interesse zu verneinen. Dem widerspricht nicht die Formulierung des Senats in seinem Urteil vom 4. Oktober 1994, abweichend von § 55 Abs 1 SGG sei nicht zu prüfen, ob die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung habe (BSGE 75, 97, 104 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Diese Ausführungen betrafen ersichtlich nur die Zulässigkeit der neben einer zulässigen Aufhebungsklage kumulativ erhobenen Feststellungsklage; sie enthalten keinerlei Aussage über das Verhältnis der Feststellungsklage zur Aufhebungsklage bei fehlendem allgemeinen Rechtsschutzinteresse. In diesem Punkt jedenfalls ist die Feststellungsklage des § 116 Abs 6 Satz 1 AFG gegenüber der Aufhebungsklage dieser Vorschrift akzessorisch.
Die Klage ist schließlich nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig; die Klägerin hat mangels berechtigten Interesses keinen prozessualen Anspruch darauf, daß der Senat über die Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 1. März 1995 als solche – ohne konkrete Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) und b) AFG – befindet. Da der Beschluß Elemente des Typus “Verwaltungsakt” aufweist, ist es insoweit nicht gerechtfertigt, von den für die Anfechtung eines Verwaltungsaktes geltenden prozessualen Regelungen – einschließlich des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG – abzuweichen.
Auch unter Berücksichtigung der spezifischen Situation des Beschlusses bedarf es allerdings keiner Entscheidung, ob er sich vor oder nach Klageerhebung erledigt hat und ob bei Erledigung vor Klageerhebung die Fortsetzungsfeststellungsklage die richtige und – abgesehen von weiteren Voraussetzungen – zulässige Klageart ist (vgl zu dieser Problematik: M. Behn, SozVers 1996, 144 ff). Wäre das erledigende Ereignis nach Klageerhebung eingetreten, mithin § 131 Abs 1 Satz 3 SGG, der sich auf erledigte Verwaltungsakte bezieht, (hier entsprechend) anwendbar, so fehlte ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung. Nichts anderes würde gelten, wenn man – der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu § 113 Abs 1 Satz 4 Verwaltungsgerichtsordnung folgend – trotz Erledigung des Beschlusses vor Klageerhebung § 131 Abs 1 Satz 3 SGG anwenden wollte (vgl BVerwGE 12, 87, 90; BVerwG NJW 1958, 312, 314; BVerwG DVBl 1991, 169). Würde man demgegenüber, statt § 131 Abs 1 Satz 3 SGG entsprechend anzuwenden, auf die allgemeine Feststellungsklage des § 55 SGG ausweichen, so müßte diese Vorschrift erweiternd ausgelegt werden, weil sie gerade keine Klage ermöglicht, mit der die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes – hier eines Beschlusses –, insbesondere die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes, festgestellt werden soll. Auch bei Anwendung des § 55 SGG müßte dann aber ein Feststellungsinteresse unter den gleichen Voraussetzungen verneint werden, wie sie für § 131 Abs 1 Satz 3 SGG gelten (so in anderem Zusammenhang: BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 12; BVerwGE 80, 355, 365 f). Wollte man bei Erledigung vor Klageerhebung auch § 55 SGG nicht anwenden, wäre die Klage ohnedies unzulässig. Jedenfalls fehlt es am berechtigten Interesse der Klägerin an der Feststellung, daß der Beschluß des Neutralitätsausschusses rechtswidrig war.
Auf dieses Interesse kann entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, auch nicht im Hinblick auf die Besonderheiten des § 116 Abs 6 AFG, verzichtet werden. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Urteil des Senats vom 4. Oktober 1994. Darin hat sich der Senat nicht zur Fortsetzungsfeststellungsklage geäußert, sondern für die Feststellungsklage des § 116 Abs 6 Satz 1 AFG abweichend von § 55 Abs 1 SGG auf ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung verzichtet. Diese Ausführungen (BSGE 75, 97, 104 = SozR 3-4100 § 116 Nr 2) gelten ersichtlich nur für die gemäß § 116 Abs 6 Satz 1 AFG kumulativ neben der Aufhebungsklage erhobene Feststellungsklage. Von dieser unterscheidet sich die Fortsetzungsfeststellungsklage wesentlich dadurch, daß mit ihr ausschließlich ein Ausspruch über die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes – hier eines Beschlusses – erwirkt werden kann, während mit der Feststellungsklage des § 116 Abs 6 Satz 1 AFG konkrete gerichtliche Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 116 Abs 3 Satz 1 Nr 2 Buchst a) und b) AFG verlangt werden können. § 116 Abs 6 AFG trifft indes für allgemeine Klagen – wie die Fortsetzungsfeststellungsklage – und deren Voraussetzungen keine Regelung. Aus Art 9 Abs 3 GG und der übergreifenden Bedeutung der Entscheidung des Neutralitätsausschusses folgt nichts anderes; die Forderung nach einem berechtigten Interesse für Feststellungsklagen, die sich gegen erledigte Verwaltungsakte, hier gegen einen erledigten Beschluß, richten, verstößt auch nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG (BVerwG NVwZ 1990, 360, 361). Rechtsschutz wird nicht als Selbstzweck gewährt, sondern verlangt immer ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung.
Ein solches schutzwürdiges Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeler Natur sein (BSG SozR 4100 § 91 Nr 5 mwN; SozR 3-7815 Art 1 § 3 Nr 4 mwN). Ein Feststellungsinteresse kommt damit – abgesehen von Fällen der hier nicht einschlägigen Präjudiziabilität (vgl Kopp, aaO, § 113 RdNr 62 mwN) – in drei verschiedenen Richtungen in Betracht: als Schadensinteresse, als Rehabilitationsinteresse (bei Entscheidungen mit diskriminierender oder die Menschenwürde bzw Persönlichkeitsrechte oder das Ansehen erheblich beeinträchtigender Wirkung, ggf auch generell bei Verletzung von Grundrechten) und als Interesse, einer Wiederholung der Entscheidung vorzubeugen (BSG, aaO; Meyer-Ladewig, aaO, § 131 RdNr 10 mwN; Kopp, aaO, § 113 RdNrn 58 bis 63 mwN). Dabei sind vom Rechtsuchenden naturgemäß die Umstände darlegen, die sein Feststellungsinteresse begründen (BVerwGE 53, 134, 137; BVerwG NVwZ 1991, 570, 571; Kopp, aaO, § 113 RdNr 57), weil nur er selbst dazu in der Lage ist.
Nach dem Vortrag der Klägerin ist ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 1. März 1995 zu verneinen. Die Klägerin führt hierzu an, daß der Beschluß vom 1. März 1995 in Grundrechte eingegriffen habe, rechtsgrundsätzliche Fragen übergreifender Bedeutung (Vergleichbarkeit der Forderungen, Übernahmeprognose) zu entscheiden seien und die Entscheidung des Gerichts Verhaltensrichtschnur für künftige Arbeitskämpfe werden könne. Dieser Vortrag bietet keinerlei Anhaltspunkte für ein bei der Klägerin bestehendes Schadensinteresse.
Soweit sie der Ansicht ist, der Beschluß habe in Grundrechte eingegriffen und müsse schon deshalb für rechtswidrig erklärt werden, ist dem nicht zu folgen. Grundrechte von Arbeitnehmern (vgl zur prozessualen Stellung der Klägerin in diesem Punkt: BSGE 75, 97, 137 ff = SozR 3-4100 § 116 Nr 2) sind nicht einmal tangiert, weil es überhaupt nicht zu mittelbaren Auswirkungen gekommen ist. Auch in das Koalitionsrecht der Klägerin (Art 9 Abs 3 GG) ist nicht eingegriffen. Selbst wenn der Beschluß mittelbare (faktische) Auswirkungen zu Lasten der Klägerin mit sich gebracht hätte, wäre dadurch jedenfalls Art 9 Abs 3 GG nicht verletzt, wie die Entscheidung des BVerfG mit Blick auf den hier streitigen Arbeitskampf bestätigt hat (BVerfGE 92, 365, 393 ff, 400 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 3). Das BVerfG hat ausgeführt, eine verfassungswidrige Störung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sei noch nicht feststellbar. Insbesondere die Tarifauseinandersetzung des Jahres 1994/1995 in Bayern habe gezeigt, daß die Klägerin in der Lage sei, auch unter Geltung der angegriffenen Regelung (§ 116 AFG) ihre Positionen gleichgewichtig zu vertreten; das Ergebnis gerade dieses Arbeitskampfes werde allgemein als Erfolg der Gewerkschaft angesehen. Nach diesen zutreffenden Ausführungen des BVerfG war die Klägerin durch den Beschluß des Neutralitätsausschusses der Beklagten nicht einmal erheblich beeinträchtigt, so daß dahinstehen kann, ob eine erhebliche Beeinträchtigung, die noch nicht zu einer Grundrechtsverletzung führt, ein berechtigtes Interesse für die Fortsetzungsfeststellungsklage begründen kann.
Ein berechtigtes Interesse ist auch nicht wegen Wiederholungsgefahr zu bejahen. Es reicht insbesondere nicht aus, daß das Urteil des Senats abstrakt eine bestehende rechtliche Unsicherheit beenden bzw Richtschnur für künftiges Verhalten werden könnte. Generell unzureichend ist das abstrakte Interesse an der Klärung der Rechtslage; die Wiederholungsgefahr setzt vielmehr eine hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr voraus, daß unter im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Beschluß wieder ergehen wird (BSGE 74, 257, 258 = SozR 3-5540 § 5 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 12; SozR 3-5525 § 32b Nr 1; BVerwG Buchholz 310 § 113 Nr 162; BVerwG DVBl 1994, 168, 169) oder daß trotz veränderter Verhältnisse zumindest eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende Entscheidung zu erwarten ist, weil die Behörde eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (BVerwG DVBl 1994, 168, 169). Letzteres hat die Klägerin nicht geltend gemacht, obwohl dies uU wegen einer fehlenden Begründung des Beschlusses (§ 35 SGB X) möglich gewesen wäre, worauf später noch eingegangen wird. Stützt aber die Klägerin ihr berechtigtes Interesse nicht hierauf, so darf hinsichtlich der vorbezeichneten ersten Alternative nicht völlig ungewiß bleiben, ob künftig gleiche Verhältnisse wieder Grundlage eines inhaltlich ähnlichen Beschlusses sein werden (BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 12; BSG, Urteil vom 7. September 1988 – 10 RAr 8/87 –, unveröffentlicht; BVerwG Buchholz 310 § 113 Nr 162).
Gerade dies muß jedoch vorliegend angenommen werden, weil Arbeitskämpfe in der Vergangenheit immer wieder wesentlich durch unterschiedliche Forderungen und Taktiken geprägt waren und dies in Zukunft ebenfalls zu erwarten ist. Hinzu kommt, daß die Feststellung, der Beschluß des Neutralitätsausschusses sei rechtswidrig gewesen, nicht nur abhängig ist von der Bewertung der Gleichheit einer außerhalb des Arbeitskampfgebiets erhobenen Forderung mit einer Hauptforderung im Arbeitskampfgebiet, sondern auch von einer Übernahmeprognose, beide Voraussetzungen indes wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängen (BSGE 75, 97, 123 f und 126 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2). Aufgabe des Senats kann es nicht sein, abstrakte Rechtsfragen iS eines Rechtsgutachtens zu erörtern; dies gilt um so mehr, wenn wegen des Erfordernisses der Einzelfallprüfung mit der Sachentscheidung ein erheblicher Ermittlungsaufwand verbunden wäre, der ausschließlich dem Zweck diente, den Arbeitskampfparteien für künftige Arbeitskämpfe bessere oder wirkungsvollere Arbeitskampftaktiken zu ermöglichen. Ohne die Bejahung einer Wiederholungsgefahr unter den üblichen Voraussetzungen könnte das Gericht dadurch in prozessual zweifelhafter Weise künftige Arbeitskämpfe beeinflussen.
Deshalb war der Senat an einem Ausspruch über die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Beschlusses vom 1. März 1995 gehindert, nachdem die Klägerin ihr berechtigtes Interesse nicht auf die Gefahr gestützt hat, daß die Beklagte in Zukunft ihre Beschlüsse weiterhin nicht mit einer Begründung versieht, daß also trotz veränderter Verhältnisse erkennbar auf gleichartigen Erwägungen zum Verwaltungsverfahrensrecht beruhende Beschlüsse zu erwarten seien. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, wie die für den Beschluß des Neutralitätsausschusses erforderliche Begründung (vgl BSGE 75, 97, 111 f = SozR 3-4100 § 116 Nr 2) mit Rücksicht auf ihre Aufgabe (vgl hierzu: Schroeder-Printzen ua, SGB X, 2. Aufl 1990, § 35 Anm 1 mwN; Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl 1996, § 39 RdNr 3 mwN) und auf die Publikationsfunktion des Beschlusses zu gestalten ist, ob die Voraussetzungen des § 35 Abs 2 SGB X für den Verzicht auf die Wiedergabe von Entscheidungsgründen vorlagen, obwohl nicht einmal auf die den Beteiligten übersandte Beratungsunterlage verwiesen worden ist, und ob ein Ausspruch des Gerichts über die Rechtswidrigkeit des Beschlusses allein deshalb und trotz § 42 SGB X möglich gewesen wäre (vgl etwa: Schroeder-Printzen, aaO, § 42 Anm 2; Kopp, aaO, RdNr 4; offengelassen in BVerwGE 68, 267, 276).
Da die Klage insgesamt unzulässig ist, bedurfte es mangels Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen nicht der Vorlage an das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 71 |
NJW 1997, 1391 |
NZA 1997, 285 |