Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Modellvorhaben. Satzungsnachtrag. Genehmigungsfähigkeit. Pflegedienst. Eigeneinrichtung. Leistungserbringer. Wahlfreiheit. Wahlrecht. Pluralitätsgebot. Subsidiaritätsgebot. Freiwilligkeit. Teilnahmepflicht. angestellte Pflegeperson. ergänzendes Leistungsangebot)
Leitsatz (amtlich)
Die Satzungsbestimmung einer gesetzlichen Krankenkasse über ein Modellvorhaben, wonach die Versicherten Leistungen der häuslichen Krankenpflege nur durch einen von der Krankenkasse selbst betriebenen Pflegedienst in Anspruch nehmen können, ist nicht genehmigungsfähig.
Normenkette
SGB V § 2 Abs. 2, § 37 Abs. 1, § 63 Abs. 3 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 132a Abs. 1-2, § 140 Abs. 2, § 194 Abs. 2, § 195; SGB I §§ 31, 33; SGB IV § 34 Abs. 1; SGB XI § 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
Verfahrensgang
SG Berlin (Urteil vom 16.11.2001; Aktenzeichen S 88 KR 1821/01) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Genehmigungsfähigkeit eines Satzungsnachtrags über die Durchführung eines Modellvorhabens zur häuslichen Krankenpflege.
Im Jahre 2000 plante die klagende Betriebskrankenkasse (BKK), ab Mitte 2001 die häusliche Krankenpflege ihrer Versicherten aus Kostengründen nur noch durch einen eigenen Pflegedienst durchführen zu lassen. Dazu wollte sie einen bereits am Markt tätigen Pflegedienst übernehmen und als Eigeneinrichtung fortführen. Vorsorglich wurden alle Versorgungsverträge mit den örtlichen Pflegediensten zum 30. Juni 2001 gekündigt.
Nachdem die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen (jetzt: Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz) des beklagten Landes als Aufsichtsbehörde unter Bezugnahme auf eingeholte Stellungnahmen der zuständigen Ministerien der anderen Bundesländer sowie des Bundesministeriums für Gesundheit rechtliche Bedenken geäußert hatte, weil gegen das Gebot der Vielfalt der Leistungserbringer (Pluralitätsgebot) verstoßen werde und in Berlin die Versorgung durch vorhandene Pflegedienste gewährleistet sei (Subsidiaritätsgebot), sollte das Projekt in Form eines mehrjährigen Modellvorhabens nach § 63 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) umgesetzt werden. Dazu beschloss der Verwaltungsrat der Klägerin am 5. April 2001 einen 15. Nachtrag zur Satzung, durch den mit Wirkung ab 1. Juli 2001 ein § 14b (“Modellvorhaben häusliche Krankenpflege”) eingefügt werden sollte:
“Zur Verbesserung von Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung der Versicherten mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V stellt die BKK Berlin im Rahmen eines Modellvorhabens nach § 63 Abs 1 SGB V eigenes Pflegepersonal zur Durchführung der Pflegeleistung ein. Das Modellvorhaben erstreckt sich über die Dauer von sechs Jahren und beginnt am 1. Juli 2001. Bedingung für die Teilnahme am Modellvorhaben ist das Eintreten der Notwendigkeit einer Versorgung mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege eines Versicherten der BKK Berlin im genannten Zeitraum. Im Rahmen des Modellvorhabens werden Verfahren zum Pflegequalitätsmanagement entwickelt und umgesetzt. Eine enge Verzahnung mit dem leistungsartübergreifenden Fallmanagement der BKK Berlin führt zur Prozessoptimierung der gesamten Behandlungskette der betroffenen Versicherten. Im Rahmen des Modellversuchs wird eng mit den Patienten, deren Angehörigen sowie mit niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern und Heil- und Hilfsmittel-Leistungserbringern zusammengearbeitet. Auf diese Weise werden neben der Qualitätsverbesserung von Pflegeleistung und medizinischer Versorgung erhebliche Kosteneinsparungen in den Leistungsausgabensegmenten “stationäre Leistungen”, “Arzneimittelausgaben” und “Heil- und Hilfsmittel” erzielt. Die wissenschaftliche Begleitung und Bewertung erfolgt gemäß § 65 SGB V durch ein unabhängiges, einschlägiges wissenschaftliches Institut und umfasst Indikatoren der Prozess- und Ergebnisqualität.”
Der Beklagte lehnte die Genehmigung dieses Satzungsnachtrags ab, weil die Regelung gegen das Gebot der Freiwilligkeit der Teilnahme der Versicherten an dem Modellvorhaben verstoße (Bescheid vom 30. April 2001).
Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und vorgetragen, aus dem Wortlaut des § 63 SGB V lasse sich die vom Beklagten verlangte Freiwilligkeit der Teilnahme der Versicherten nicht herleiten. Der Verzicht des Gesetzgebers, eine solche Voraussetzung zu normieren, eröffne die Möglichkeit, die Versorgung ihrer Versicherten mit häuslicher Krankenpflege auf das Modellvorhaben zu begrenzen, zumal allein auf diese Weise die beabsichtigte Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven sowie die Bereitstellung ausreichender Daten zur wissenschaftlichen Auswertung des Vorhabens (§ 65 SGB V) verwirklicht werden könnten. Auch die in § 132a SGB V erwähnte Pluralität des Leistungsangebots könne jedenfalls im Rahmen eines Modellvorhabens, bei dem nach § 63 Abs 3 Satz 1 SGB V von den Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V (§§ 69 bis 140h SGB V) abgewichen werden dürfe, außer Betracht bleiben.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 16. November 2001) und die Sprungrevision zugelassen (Beschluss vom 11. Januar 2002). Es teilt die Auffassung des Beklagten, dass die Teilnahme an dem Modellvorhaben nur auf freiwilliger Basis erfolgen dürfe. Da alle leistungsberechtigten Versicherten der Klägerin während der Dauer des Projekts den hauseigenen Pflegedienst zwingend in Anspruch nehmen müssten, ihnen also die Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Leistungserbringern genommen werde, könne die Satzungsänderung nicht genehmigt werden.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 63 und 132a SGB V. Sie meint, die Teilnahme an dem Modellvorhaben sei nicht mit einer unzulässigen Leistungseinschränkung – durch Aufhebung der Wahlfreiheit – verbunden. § 132a SGB V gestattete den Krankenkassen ohnehin, die häusliche Krankenpflege der Versicherten durch eigene Pflegekräfte sicherzustellen (Abs 2 Satz 4); das Subsidiaritätsgebot gelte im Bereich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege nicht.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 16. November 2001 zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 30. April 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den 15. Nachtrag zur Satzung der BKK Berlin “§ 14b Modellvorhaben häusliche Krankenpflege” vom 5. April 2001 zu genehmigen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil als zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 124 Abs 2, 153 Abs 1, 165 SGG einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig, aber in der Sache nicht begründet. Der Beklagte, damals vertreten durch die Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales und Frauen, hat als zuständige Aufsichtsbehörde dem für die Durchführung des Modellvorhabens nach § 63 Abs 5 Satz 1 SGB V notwendigen Satzungsnachtrag die nach § 34 Abs 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) iVm § 195 Abs 1 SGB V erforderliche Genehmigung zu Recht versagt. Die Regelung des § 14b idF des 15. Satzungsnachtrags vom 5. April 2001 widerspricht wegen der vorgesehenen verpflichtenden Teilnahme aller betroffenen Versicherten der Klägerin wesentlichen Grundsätzen der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich der Leistungserbringung bei der häuslichen Krankenpflege (§§ 132a, 194 Abs 2 SGB V) sowie den Grundsätzen über die Durchführung von Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgung (§ 63 SGB V).
Die Genehmigung war nicht etwa schon deshalb zu erteilen, weil – wie die Klägerin meint – die Krankenkassen nach § 132a SGB V ohnehin das Recht hätten, einen eigenen Pflegedienst zur Versorgung mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu gründen und zu unterhalten und im Gegenzug auf die Beauftragung externer Pflegedienste zu verzichten. Dieser Interpretation der Regelung des § 132a SGB V kann nicht zugestimmt werden.
Nach § 2 Abs 2 Satz 2 SGB V schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 69 – 140h SGB V) Verträge mit den Leistungserbringern über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dieser Grundsatz wird in § 132a Abs 1 Satz 1 SGB V für den Bereich der häuslichen Krankenpflege wiederholt und konkretisiert, indem die Krankenkassen verpflichtet werden, “über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege sowie über die Preise und deren Abrechnung” Verträge mit den Leistungserbringern zu schließen, wobei darauf zu achten ist, dass die Leistungen wirtschaftlich und preisgünstig erbracht werden (Satz 2). § 132a Abs 2 Satz 3 SGB V verpflichtet dabei die Krankenkassen zur Beachtung der Vielfalt der Leistungserbringer unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung der freien Wohlfahrtspflege. Alle Träger von geeigneten, wirtschaftlich arbeitenden Pflegediensten haben nach § 132a Abs 2 Satz 1 SGB V iVm Art 12 Grundgesetz (GG) einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags; ein gesondertes Zulassungsverfahren und eine Bedarfsprüfung finden nicht statt. Dieses Pluralitätsgebot ist Ausfluss der gesetzlich garantierten Wahlfreiheit der Versicherten unter den verschiedenen Leistungsanbietern, und es sichert zugleich diese Wahlfreiheit.
Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die Wahlfreiheit auch nicht durch § 132a Abs 2 Satz 4 SGB V eingeschränkt. Danach kann die Krankenkasse, abweichend von Satz 1 (dh der Vorschrift über den Inhalt von Verträgen mit externen Leistungserbringern), zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege “geeignete Personen” anstellen. Es ist bereits fraglich, ob die Befugnis zur Beschäftigung “geeigneter Personen” nicht nur die Anstellung einzelner Pflegekräfte als Ausnahmefall in besonderen Versorgungssituationen erlaubt, sondern darüber hinaus auch dazu berechtigt, einen kasseneigenen Krankenpflegedienst als Eigeneinrichtung zu gründen und zu unterhalten, wie es die Klägerin vorhat. Wortlaut und Wortsinn des § 132a Abs 2 Satz 4 SGB V sprechen eher gegen eine solche erweiternde Auslegung. Letztlich kann diese Frage aber offen bleiben. Selbst wenn man annimmt, aus der Regelung des § 132a Abs 2 Satz 4 SGB V sei auch die Befugnis zur Unterhaltung eines hauseigenen Pflegedienstes abzuleiten, berechtigt dies die Krankenkasse als Trägerin dieses Pflegedienstes nicht ferner dazu, ihre Versicherten im Rahmen des Sachleistungsprinzips (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) darauf zu verweisen, allein diesen Pflegedienst in Anspruch zu nehmen, ihre Wahlfreiheit also aufzuheben.
Bei der Befugnis zur Anstellung “geeigneter Personen” zwecks Gewährung häuslicher Krankenpflege, die nach § 37 Abs 1 Satz 1 SGB V durch “geeignete Pflegekräfte” zu erfolgen hat, handelt es sich um eine Ergänzung zur allgemeinen Regelung des § 140 SGB V, wonach Eigeneinrichtungen der Krankenkassen, die am 1. Januar 1989 bestanden haben, zwar bedarfsunabhängig weiterbetrieben werden dürfen (Abs 1), Neugründungen von Eigeneinrichtungen aber nur noch zulässig sind, soweit die Krankenkassen die Durchführung ihrer Aufgaben bei der Gesundheitsvorsorge (§ 23 SGB V) und der Rehabilitation (§ 40 SGB V) auf andere Weise nicht sicherstellen können (Abs 2 Satz 1) oder wenn mit ihnen der Sicherstellungsauftrag im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung (§ 72a Abs 1 SGB V) erfüllt werden soll (Abs 2 Satz 2).
Die – in § 140 SGB V nicht erwähnte – Erfüllung des Sicherstellungsauftrages der Krankenkassen bei der häuslichen Krankenpflege in Fällen offenen Bedarfs wegen unzureichender personeller Ausstattung der externen Leistungsanbieter hatte der Gesetzgeber vor Augen, als er die Regelung des § 132a Abs 2 Satz 4 SGB V schuf. Gleiches gilt im Übrigen für die Versorgung mit Haushaltshilfe (§ 38 SGB V), zu deren Sicherstellung die Krankenkassen nach § 132 Abs 1 Satz 1 SGB V “geeignete Personen” anstellen dürfen. Allerdings kommt die Beschränkung der Befugnis zur Beschäftigung geeigneter Personen auf die Situation des personellen Ausgleiches einer eingetretenen oder drohenden Versorgungslücke im Wortlaut der §§ 132 Abs 1 Satz 1 und 132a Abs 2 Satz 4 SGB V nicht zum Ausdruck. Auch die Vorgängerregelungen in § 376b Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 132 SGB V aF kannten nach dem Wortlaut keine Beschränkung auf Fälle akuten Bedarfs. Der insoweit abweichende Wortlaut zu § 140 SGB V, in dem die Beschränkung auf den notwendigen Bedarf ausdrücklich niedergelegt ist (“auf andere Weise nicht sicherstellen können”), spricht aber nicht entscheidend gegen die Beschränkung der Anstellungsbefugnis in § 132a Abs 2 Satz 4 SGB V auf Notsituationen. Die Funktion als Ausnahmeregelung zur Schließung einer Versorgungslücke ergibt sich sowohl aus dem systematischen Zusammenhang mit der Regelung des § 140 SGB V, die für den Bereich der häuslichen Krankenpflege ergänzt wird, als auch aus der Regelung in 132a Abs 2 Satz 4 SGB V selbst. Denn die Befugnis zur Anstellung eigener Pflegekräfte ist dort nur “abweichend von Satz 1”, also der Vorschrift über den Abschluss von Versorgungsverträgen mit externen Pflegediensten (§ 2 Abs 2 Satz 2 SGB V), eingeräumt, nicht aber abweichend von Satz 3, also der Vorschrift über das Gebot zur Beachtung der Vielfalt der Leistungserbringer. Zudem findet sich dort keine Regelung über eine Einschränkung des Wahlrechts, wie sie zB in § 40 Abs 3 Satz 1 SGB V bezüglich der Bestimmung der Einrichtung bei ambulanten und stationären Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation vorgesehen ist. Auch der Gesetzgeber hatte ausweislich der Materialien (vgl BR-Drucks 200/88 S 206 zu § 141 E) nur eine dem Grundsatz der Subsidiarität der Leistungserbringung mit eigenen Kräften entsprechende Regelung im Blick.
Schließlich können auch die Bestimmungen des § 77 Abs 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) und § 77 Abs 2 SGB XI für die vorstehende Auslegung herangezogen werden. Nach § 77 Abs 1 Satz 1 SGB XI kann die Pflegekasse mit einzelnen geeigneten Pflegekräften Verträge zur Sicherstellung der häuslichen Pflege und hauswirtschaftlichen Versorgung schließen, “soweit und solange eine Versorgung nicht durch einen zugelassenen Pflegedienst gewährleistet werden kann”, und nach Abs 2 dieser Vorschrift können die Pflegekassen “bei Bedarf” einzelne Pflegekräfte zur Sicherstellung der häuslichen Pflege anstellen. Diese im Jahre 1995 eingeführten Regelungen, die 1996 ihre jetzige Fassung erhielten, waren bereits in Kraft, als durch das Zweite Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung (2. GKV-NOG) vom 23. Juni 1997 (BGBl I 1520, 1529) die Neuregelung des § 132a SGB V mit Wirkung ab 1. Juli 1997 geschaffen wurde. Dass die Beschränkung auf Fälle akuten Bedarfs aus diesem Anlass nicht in das SGB V übernommen worden ist, beruht aber nicht auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers zu einer inhaltlich abweichenden Regelung beider vergleichbaren Komplexe; der Gesetzgeber hatte keine Veranlassung zur Ergänzung des § 132a SGB V, weil er – wie erwähnt – ohnehin davon ausging, dass die Anstellung geeigneter Pflegepersonen nur in Fällen akuten Bedarfs erfolgen würde (BR-Drucks 200/88 S 206 zu § 141 E). Es wäre auch nicht einzusehen, weshalb bei der Sicherstellung der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V insoweit andere Kriterien gelten sollten als bei der ambulanten Pflege pflegebedürftiger Personen nach dem SGB XI.
Die Regelung des § 132a SGB V gestattet also die Leistungsgewährung durch angestellte Pflegepersonen nur als ergänzendes Leistungsangebot, das die Wahlfreiheit der Versicherten nicht beschränkt, sondern sichert und fördert. Es dient damit zugleich dem auf dem Gesundheitsmarkt gewünschten Wettbewerb unter den Leistungserbringern und der Verhinderung einer Monopolstellung.
Auch als Modellvorhaben ist die Satzungsbestimmung nicht genehmigungsfähig. Nach § 63 Abs 1 SGB V können die Krankenkassen und ihre Verbände im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenstellung zur Verbesserung der Qualität und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Verfahrens-, Organisations-, Finanzierungs- und Vergütungsformen der Leistungserbringung durchführen oder nach § 64 SGB V vereinbaren. Das Vorhaben der Klägerin, die häusliche Krankenpflege (§ 37 SGB V) ihrer Versicherten für die Dauer von sechs Jahren nur noch durch einen hauseigenen Pflegedienst durchführen zu lassen, fällt insofern unter diese Regelung, als es um die “Weiterentwicklung der Organisationsformen der Leistungserbringung” geht. Ziele, Dauer, Art und allgemeine Vorgaben zur Ausgestaltung solcher Modellvorhaben sowie die Bedingungen für die Teilnahme von Versicherten sind in der Satzung festzulegen (§ 63 Abs 5 SGB V). Diese Festlegungen sind in dem vorgesehenen 15. Satzungsnachtrag idF vom 5. April 2000 erfolgt. Das Vorhaben hält sich mit der geplanten Dauer von sechs Jahren auch an den gesetzlichen Rahmen von “im Regelfall längstens acht Jahre” (§ 63 Abs 5 Satz 2 SGB V).
Das Vorhaben scheitert aber an dem vorgesehenen Teilnahmezwang der Versicherten, obwohl die Vorschriften der §§ 63 ff SGB V darüber, ob den Versicherten die Teilnahme an einem Modellvorhaben freigestellt werden muss oder ob sie zur Teilnahme auch verpflichtet werden können, keine ausdrückliche Regelung enthält. Allerdings ging die Gesetzesbegründung davon aus, die Teilnahme von Versicherten und Leistungserbringern an Modellvorhaben nach den §§ 63 ff SGB V müsse freiwillig sein (BT-Drucks 13/7264 S 62). Im Wortlaut der §§ 63 ff SGB V hat diese Vorstellung aber keinen eindeutigen Niederschlag gefunden. Der Begriff “Teilnahme” in § 63 Abs 5 Satz 1 SGB V (“Bedingungen für die Teilnahme von Versicherten”) ist insofern mehrdeutig; er schließt verpflichtende Teilnahmen jedenfalls nicht zwingend aus, auch wenn im herkömmlichen Verständnis der “Teilnahme” an einem Projekt eher der Charakter einer auf Freiwilligkeit beruhenden Entscheidung beigelegt werden dürfte. Im Gegensatz zur unklaren Regelung in § 63 Abs 5 Satz 1 SGB V hat der Wille des Gesetzgebers, den Versicherten die Teilnahme freizustellen, zB in § 140a Abs 2 Satz 1 SGB V im Zusammenhang mit der Durchführung neuartiger integrierter Versorgungsformen (§§ 140a ff SGB V) ausdrücklich Niederschlag gefunden (“Die Teilnahme der Versicherten … ist freiwillig.”).
Es kann dahinstehen, ob Modellvorhaben, die sich ausschließlich mit der Weiterentwicklung von Verfahrensformen bei der Leistungserbringung befassen und in die Rechtsstellung der Versicherten nicht eingreifen, die verpflichtende Teilnahme aller Versicherten vorschreiben könnten. Die Freiwilligkeit der Teilnahme der Versicherten an einem Modellvorhaben nach den §§ 63 ff SGB V ist jedenfalls dann zu verlangen, wenn damit eine Änderung von gesetzlichen Ansprüchen des Versicherten verbunden ist. Denn Sozialleistungsansprüche dürfen nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt oder geändert werden (§ 31 SGB I). Die rechtliche Befugnis der Krankenkassen, Modellvorhaben zu initiieren und durchzuführen, ermächtigt nicht bereits aus sich heraus dazu, über eine Teilnahmepflicht gesetzliche Ansprüche zu modifizieren (Höfler in KassKomm zum Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2000, § 63 SGB V RdNr 7).
Im vorliegenden Fall wäre mit der verpflichtenden Teilnahme eine wesentliche Leistungseinschränkung verbunden, weil alle betroffenen Versicherten der Klägerin für die Dauer des Projekts darauf beschränkt sein sollen, Leistungen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 SGB V) ausschließlich von Mitarbeitern des geplanten hauseigenen Pflegedienstes der Klägerin zu beziehen. Die Versicherten verlören damit ihr aus § 2 Abs 3 SGB V, § 33 SGB I und § 9 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) abzuleitendes Recht, zwischen den verschiedenen am Markt tätigen Pflegediensten, die durch Versorgungsvertrag (§§ 2 Abs 2 Satz 2, 132a Abs 2 SGB V) zur Abgabe von Leistungen der häuslichen Krankenpflege berechtigt sind, zu wählen.
Nach § 63 Abs 3 Satz 1 SGB V idF des Art 3 Nr 1 des Gesetzes zur Änderung des Apothekengesetzes vom 21. August 2002 (BGBl I S 3352, 3353) kann allerdings bei der Vereinbarung und Durchführung von Modellvorhaben nach Abs 1 von den Vorschriften des Vierten Kapitels (§§ 69 – 140h SGB V) sowie des Zehnten Kapitels (§§ 284 – 305a SGB V, mit Ausnahme des § 284 Abs 1 Satz 5 SGB V, vgl § 63 Abs 3 Satz 4 SGB V) und von den nach diesen Vorschriften getroffenen Regelungen abgewichen werden, soweit es für die Modellvorhaben erforderlich ist; ferner kann von den Vorschriften des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) abgewichen werden. Hiernach könnte vom Grundsatz der Wahlfreiheit unter den verschiedenen Leistungsanbietern im Rahmen von Modellvorhaben dann abgewichen werden, wenn dieser Grundsatz in einem der von § 63 Abs 3 Satz 1 SGB V beschriebenen Vorschriftenkomplexen niedergelegt wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Wahlfreiheit der Versicherten ist in Vorschriften geregelt (§ 2 Abs 3 SGB V, § 33 SGB I, § 9 SGB IX), die von § 63 Abs 3 Satz 1 SGB V nicht erfasst werden. Die Einschränkung der Wahlfreiheit kann daher nur auf freiwilliger Basis erfolgen, wie das SG und der Beklagte zutreffend hervorgehoben haben.
Die Satzungsbestimmung lässt sich auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, die Versicherten hätten im Falle fehlenden Einverständnisses mit dem Modellvorhaben die Möglichkeit, ihre Mitgliedschaft bei der Klägerin zu kündigen und in eine andere Krankenkasse zu wechseln. Zum einen wäre ein allein aus Gründen einer erzwungenen Einschränkung bestehender Rechte veranlasster Kassenwechsel für die Versicherten unzumutbar. Zum anderen sehen die §§ 194, 195 SGB V die Herstellung der Genehmigungsfähigkeit einer an sich mit dem Gesetz unvereinbaren Satzungsbestimmung durch Einräumung eines Sonderkündigungsrechts gerade nicht vor.
Da der Beklagte die Genehmigung schon wegen der mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Teilnahmepflicht aller Mitglieder der Klägerin versagen musste, kommt es nicht darauf an, ob auch die vom SG aufgezeigten datenschutzrechtlichen Bedenken die Ablehnung der Genehmigung rechtfertigen würden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG aF (vgl BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 – B 6 KA 12/01 R – ).
Fundstellen
BSGE 2003, 84 |
BSGE 90, 84 |
NZS 2003, 654 |
SozR 3-2500 § 63, Nr. 1 |
PflR 2003, 171 |
GuS 2003, 59 |