Orientierungssatz
Arbeitsverhältnis iS des MuSchG - Ausschluß selbständiger Mütter - Verfassungsmäßigkeit:
1. Unter Arbeitsverhältnis iS des § 1 Nr 1 und § 13 Abs 2 MuSchG ist ausschließlich ein Arbeitsverhältnis iS des Arbeitsrechts zu verstehen, denn das MuSchG gehört als ein den Arbeitsschutz regelndes Gesetz in das Gebiet des Arbeitsrechts (vergleiche BSG vom 1977-11-09 3 RK 63/76 = BSGE 45, 114 mwN).
2. Organmitglieder juristischer Personen sowie die Geschäftsführer der Personengesellschaften stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis iS des MuSchG. Da ihnen die Willensbildung im Verband und die Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktionen obliegen, stellt sich ihre Tätigkeit, auch wenn ein gesonderter Anstellungsvertrag abgeschlossen worden ist, nicht als abhängige Arbeitsleistung dar.
3. Soweit das MuSchG nur eine Regelung für die in einem abhängigen Arbeitsverhältnis stehenden Mütter und nicht auch für selbständig tätige Mütter enthält, verstößt es nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Normenkette
MuSchG § 1 Nr. 1; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; MuSchG § 13 Abs. 2 Fassung: 1979-06-25
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 14.07.1982; Aktenzeichen L 8 Kr 1502/81) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.10.1981; Aktenzeichen S 9 Kr 112/80) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Mutterschaftsgeld nach § 13 Abs 2 des Mutterschutzgesetzes (MuschG). Sie hat im April 1980 entbunden. Damals war sie alleinige Geschäftsführerin und Gesellschafterin der S-T-GmbH in . Nach dem zwischen ihr und der GmbH geschlossenen "Arbeitsvertrag" begann das Arbeitsverhältnis am 1. Juli 1975; es wurde ein Monatslohn von 8.000,-- DM brutto festgesetzt. Seit Juni 1979 war die Klägerin im Besitz aller Geschäftsanteile der GmbH. Sie war nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert.
Den am 25. Februar 1980 gestellten Antrag auf Gewährung von Mutterschaftsgeld lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin vor Beginn der Schutzfrist nicht in einem Arbeitsverhältnis iS des § 13 Abs 2 MuschG gestanden habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Leistung verurteilt. Nach seiner Auffassung müsse der Begriff des Arbeitsverhältnisses hier weit ausgelegt werden; der Gesetzgeber habe alle erwerbstätigen Frauen erfassen wollen, unabhängig davon, in welchem Grade der Abhängigkeit sie zu ihrem Arbeitgeber stehen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Unter Arbeitsverhältnis iS von § 13 Abs 2 MuschG sei ebenso wie in § 1 Nr 1 MuschG ein Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne zu verstehen. Daraus folge, daß den auf privatrechtlicher Basis arbeitenden Frauen ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld nicht zustehe, wenn sie selbständig berufstätig oder aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages oder eines sonstigen Rechtsverhältnisses arbeitgeber- bzw unternehmerähnlich tätig sind. Nicht jeder auf wirtschaftlichen Austausch von Dienstleistung und Vergütung gerichteter schuldrechtlicher Vertrag begründe ein Arbeitsverhältnis. Dieses sei vielmehr von der Verpflichtung zur Leistung persönlich abhängiger Arbeit gekennzeichnet. Eine solche persönliche Abhängigkeit scheide jedoch aus, wenn der Gesellschafter - wie hier - vermöge seiner Kapitalbeteiligung sowohl einen entscheidenden Einfluß auf Abschluß und Gestaltung seines Anstellungsverhältnisses ausüben sowie verhindern kann, daß ihm nicht genehme Weisungen iS des Direktionsrechts erteilt werden. Bei einer Kapitalbeteiligung von 100 Prozent liege geradezu der klassische Fall arbeitgeber- bzw unternehmerähnlicher Tätigkeit vor. Der Ausschluß von der Gewährung eines Mutterschaftsgeldes begegne schließlich auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere liege kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vor.
Mit der Revision rügt die Klägerin, das LSG habe § 13 Abs 2 MuschG und Art 3 GG verletzt. Seine restriktive Auslegung des Begriffes "Arbeitsverhältnis" iS eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses werde durch den Gesetzeswortlaut, den Gesetzeszusammenhang und der "ratio legis" nicht gedeckt. § 13 Abs 2 MuschG spreche ausdrücklich von einem "Arbeitsverhältnis" im Gegensatz zum "Beschäftigungsverhältnis" des Sozialversicherungsrechts. Eine Gegenüberstellung der Vorschriften des § 13 Abs 1 MuschG und des § 200 der Reichsversicherungsordnung (RVO) einerseits und des § 13 Abs 2 MuschG andererseits mache deutlich, daß im Rahmen der letzteren Vorschrift ein auf einem Arbeitsvertrag beruhendes privatrechtliches Beschäftigungsverhältnis als Anspruchsvoraussetzung ausreiche. Durch § 13 Abs 2 MuschG sollten alle Mütter, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, durch Gewährung eines finanziellen Anreizes dazu gebracht werden, während der ersten Lebensmonate eines Kindes sich ausschließlich mit der Kinderbetreuung zu befassen. Es gebe keine sachlichen Gründe für die vom LSG vorgenommene Differenzierung zwischen Personen, die in einem persönlich abhängigen Beschäftigungsverhältnis, und solchen, die in einem Arbeitsverhältnis kraft Arbeitsvertrages stehen. Die Angehörigen beider Personengruppen müßten die persönliche Arbeitsleistung einstellen, wenn sie die vom Gesetz intendierte "Mutter-Kind-Betreuung" selbst durchführen wollten. Der Umstand, daß Arbeitnehmerinnen wie die Klägerin außer ihren Einkünften aus unselbständiger Arbeit noch Einkünfte aus Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft beziehen, rechtfertige eine Ungleichbehandlung schon deshalb nicht, weil das Gesetz diesen Gesichtspunkt wie auch die Höhe des Verdienstes völlig außer Betracht lasse. Schließlich sei auch die Auffassung des LSG nicht haltbar, daß es sich bei der Klägerin um eine selbständig erwerbstätige Frau handele. Dem stehe der zwischen der Klägerin und der GmbH abgeschlossene Arbeitsvertrag entgegen. Die von der Klägerin aufgrund des Arbeitsvertrages bezogenen Entgelte stellten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit dar. Dieser Arbeitsvertrag sei aber nicht nur steuerrechtlich, sondern auch arbeitsrechtlich relevant.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 1982 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 30. Oktober 1981 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das LSG hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen. Die mit der Klage angefochtene Verwaltungsentscheidung ist rechtmäßig. Der Klägerin steht das von ihr beanspruchte Mutterschaftsgeld nicht zu. Da sie in der hier fraglichen Zeit nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war, kommt als Rechtsgrundlage der begehrten Leistung nur § 13 Abs 2 MuschG idF vom 25. Juni 1979 (BGBl I 797) in Betracht. Nach dieser inzwischen erneut geänderten Vorschrift (vgl Art 4 Nr 1 des Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetzes vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1578) erhielten nichtversicherte Frauen für die Zeit der Schutzfristen des § 3 Abs 2 und des § 6 Abs 1 MuschG Mutterschaftsgeld zu Lasten des Bundes in entsprechender Anwendung der Vorschriften der RVO über das Mutterschaftsgeld, wenn sie bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs 2 MuschG in einem Arbeitsverhältnis standen oder in Heimarbeit beschäftigt waren oder ihr Arbeitsverhältnis während ihrer Schwangerschaft vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst worden war. Die Klägerin erfüllt keine dieser Voraussetzungen.
Dem LSG ist insbesondere zuzustimmen, daß es sich bei dem "arbeitsvertraglichen" Dienstverhältnis zwischen der Klägerin und der -GmbH in dem hier maßgebenden Zeitraum nicht um ein Arbeitsverhältnis iS des § 13 Abs 2 MuschG gehandelt hat. Unter Arbeitsverhältnis in diesem Sinne ist ebenso wie in § 1 MuschG, der den persönlichen Geltungsbereich des Gesetzes festlegt, ausschließlich ein Arbeitsverhältnis iS des Arbeitsrechts zu verstehen, denn das MuschG gehört als ein den Arbeitsschutz regelndes Gesetz in das Gebiet des Arbeitsrechts (BSGE 45, 114 ff mwN). Davon geht auch das LSG aus. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang beanstandet, das LSG lege den Begriff "Arbeitsverhältnis" in unzulässiger Weise restriktiv iS eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus, so beachtet sie nicht, daß auch für das Arbeitsverhältnis im arbeitsrechtlichen Sinne wesentliches Merkmal die persönliche Abhängigkeit des Dienstverpflichteten vom Dienstberechtigten ist (BAG 9. September 1981 -5 AZR 477/79- AP Nr 38 zu § 611 BGB-Abhängigkeit). Persönliche Abhängigkeit besteht darin, daß der Dienstverpflichtete fremdbestimmte Arbeit zu leisten hat (BAG vom 15. März 1978 -5 AZR 819/76- AP Nr 26 zu § 611 BGB-Abhängigkeit; Bulla/Buchner, Mutterschutzgesetz, Komm, 5. Aufl, RdNr 9 ff zu § 1; Gröninger/ Thomas, Mutterschutzgesetz, Komm, 1982, Anm 3 zu § 1; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 4. Aufl, Seite 29 ff). Dementsprechend wird in der arbeitsrechtlichen Literatur überwiegend angenommen, daß die Organmitglieder der juristischen Personen sowie die Geschäftsführer der Personengesellschaften nicht in einem Arbeitsverhältnis iS des MuschG stehen. Da ihnen die Willensbildung im Verband und die Wahrnehmung der Arbeitgeberfunktionen obliegen, stellt sich ihre Tätigkeit, auch wenn ein gesonderter Anstellungsvertrag abgeschlossen worden ist, nicht als abhängige Arbeitsleistung dar (Bulla/Buchner aaO, RdNr 69 zu § 1; Gröninger/Thomas aaO, Anm 5.a) zu § 1; Schaub aaO, Seite 53). Die Rechtsprechung des BSG zum versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis differenziert demgegenüber nach dem Umfang der Entscheidungs- und Direktionsbefugnisse, die dem zur Dienstleistung Verpflichteten eingeräumt sind (SozR 2100 § 7 SGB IV Nr 7 mwN).
Nach den unangegriffenen Tatsachenfeststellungen des LSG, an die der Senat gebunden ist (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-), war die Klägerin alleinige Geschäftsführerin der -GmbH und seit Juni 1979 auch Inhaberin aller Geschäftsanteile der Gesellschaft. Sie stand daher bei Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs 2 MuschG (Entbindung im April 1980) weder in einem arbeitsrechtlichen Arbeitsverhältnis noch in einem sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis. Sie war in dieser Zeit bei Ausübung ihrer Erwerbstätigkeit nicht mehr von einem anderen, einem Dienstberechtigten persönlich abhängig. Sie hatte selbst über die zu verrichtende Arbeit zu bestimmen, sie leistete also keine fremdbestimmte Arbeit.
Die vom LSG vorgenommene Auslegung entspricht somit dem Gesetz. Soweit dieses nur eine Regelung für die in einem abhängigen Arbeitsverhältnis stehenden Mütter und nicht auch für selbständig tätige Mütter enthält, verstößt es nicht gegen Art 3 Abs 1 GG. Der gesetzliche Mutterschutz verfolgt das Ziel, den Widerstreit zwischen den Aufgaben der Frau als Mutter und ihrer Stellung im Berufsleben als Arbeitnehmerin im Interesse der Gesunderhaltung von Mutter und Kind auszugleichen (BVerfGE 37, 121, 125). Die besondere Schutzbedürftigkeit der Mutter, die in einem von persönlicher Abhängigkeit geprägten Arbeitsverhältnis steht, ist ein sachlicher Grund für die mit dem MuschG vorgenommene Differenzierung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
RegNr, 12067 |
USK, 83151 (ST1-3) |
Die Leistungen 1984, 285-287 (ST1-3) |
ErsK 1984, 184 (ST1-3) |