Entscheidungsstichwort (Thema)
Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. truppenärztliche Behandlung. frühere Behebung des Leidenszustandes bei freier Arztwahl. mittelbare Schädigungsfolge
Leitsatz (amtlich)
Soweit ein Leidenszustand, der bei freier Arztwahl durch eine andere Behandlungsmethode wahrscheinlich früher behoben worden wäre, infolge truppenärztlicher Behandlung länger fortbesteht, liegt darin eine Wehrdienstbeschädigung.
Orientierungssatz
Die Schädigung in Folge einer medizinischen Behandlung selbst ist - ebenso wie im Unfallversicherungsrecht (vgl BSG vom 27.6.1978 - 2 RU 20/78 = BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr 47, BSG vom 1.2.1979 - 2 RU 85/78 = SozR 2200 § 539 Nr 56) - nicht als Unfall bei der Durchführung einer Maßnahme der Heilbehandlung iS des § 81 Abs 2 Nr 2 Buchst b SVG anzusehen (vgl BSG vom 6.9.1989 - 9 RV 21/88 = SozR 3200 § 81 Nr 35). Die Bestimmung soll nicht die ohnehin bestehende Möglichkeit der Anerkennung mittelbarer Schädigungsfolgen gesetzlich normieren, sondern den Versorgungsschutz auf an sich schädigungsunabhängig eingetretene Unfälle erweitern, die sich ua bei der Durchführung einer Heilbehandlungsmaßnahme ereignen.
Normenkette
SVG §§ 80, 81 Abs. 1, 2 Nr. 2 Buchst. b
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Wehrdienstbeschädigungsfolgen nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).
Während seines Wehrdienstes bei der Bundeswehr erlitt der 1973 geborene Kläger am 15. April 1994 in Folge eines privaten Unfalls eine Bandruptur am linken oberen Sprunggelenk, die am 21. April 1994 im Evangelischen Krankenhaus Rheda durch Bandnaht operativ behandelt wurde. Dabei wurde er auch mit einer Knöchelschiene versorgt. Anfang Juni 1994 riet der Truppenarzt dem Kläger, wieder vorsichtig mit sportlicher Betätigung zu beginnen. Am 28. Juni 1994 knickte der Kläger bei privatem Krafttraining mit dem linken Fuß um. Nach truppenärztlicher Erstbehandlung wurde am 5. Juli 1994 im Bundeswehrkrankenhaus Kiel eine rezidivierende Außenbandläsion links festgestellt. Dabei äußerte der Kläger den Wunsch nach einer operativen Versorgung. Am gleichen Tage leitete der Truppenarzt eine konservative Behandlung (ua mit Gelcast-Schiene und Schonung) ein. Unter dem 27. Juli 1994 beschrieb er dann ein hervorragendes konservatives Ergebnis. Bei der Kontrolluntersuchung am 22. August 1994 gab der Kläger an, noch mäßige Beschwerden zu haben und regelmäßig zu joggen. Am 30. September 1994 wurde der Kläger aus der Bundeswehr entlassen.
Am 22. Februar 1995 wurde der Kläger wegen Instabilität des linken oberen Sprunggelenks im Evangelischen Krankenhaus Rheda operativ mit einer Periostlappenplastik versorgt. Wegen fortbestehender Instabilität erfolgte dort am 30. November 1995 eine Peronaeussehnenplastik.
Bereits im November 1994 beantragte der Kläger beim Beklagten Versorgung nach dem SVG, wobei er seine im linken Sprunggelenk bestehenden Beschwerden auf einen truppenärztlichen Behandlungsfehler zurückführte. Der Beklagte lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 13. Oktober 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1996 ab. Das vom Kläger angerufene Sozialgericht Detmold (SG) hat den Beklagten verurteilt, iS der Verschlimmerung ab Oktober 1994 eine Bandinstabilität am linken Sprunggelenk und ab 30. November 1995 geringe Bewegungseinschränkungen im unteren Sprunggelenk links, diskrete Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus suralis nach Bandersatzplastik am linken Fußaußenknöchel als Wehrdienstbeschädigungsfolgen anzuerkennen (Urteil vom 22. Mai 1998). Die Berufung des Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) hat sein Urteil vom 19. Dezember 2002 im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:
Ein truppenärztlicher Behandlungsfehler sei nicht feststellbar. Gleichwohl hafte der Beklagte für die Folgen der vom Kläger geltend gemachten Schädigung. Es reiche aus, wenn nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich bei freier Arztwahl die konkret eingetretene Schädigung in dieser Form nicht ergeben hätte. Das sei hier der Fall. Es spreche sogar mehr dafür als dagegen, dass bei einer der Reruptur unmittelbar nachfolgenden Operation die anzuerkennenden Wehrdienstbeschädigungsfolgen nicht bzw nicht in dieser Form eingetreten wären. Bei der bis zur letzten Operation am 30. November 1995 bestehenden Bandinstabilität liege dies auf der Hand; mit einer schon früher erfolgten Operation hätte die Instabilität beseitigt werden können. Hinsichtlich der Bewegungseinschränkung und Sensibilitätsstörung überzeuge die Auffassung des Sachverständigen Dr. S. Dieser habe nämlich ausgeführt, dass bei einer zeitnahen Operation noch Bandstümpfe vorhanden gewesen wären und sich eine Operation damit einfacher, dh risikoloser, gestaltet hätte.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte ua geltend: Die Entscheidung des LSG verletzte die §§ 80, 81 SVG sowie § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Vorinstanz habe den Begriff der wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse verkannt. Aus dem Umstand, dass evtl andere Ärzte ein anderes therapeutisches Vorgehen befürwortet und praktiziert hätten als der behandelnde Truppenarzt, könne nicht schon auf eine Besonderheit des Wehrdienstes geschlossen werden. Darüber hinaus könne eine konservative ärztliche Behandlung, die kunstgerecht durchgeführt worden sei, nicht als schädigender Vorgang angesehen werden. Ferner habe das LSG keine Tatsachenfeststellungen zum Eintritt einer wehrdienstbedingten primären gesundheitlichen Schädigung getroffen. Schließlich sei hinsichtlich der geltend gemachten Gesundheitsstörungen die Wahrscheinlichkeit eines Kausalzusammenhanges unter Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung angenommen worden. Zum einen sei der Sachverständige Dr. S - entgegen der berufungsgerichtlichen Darstellung - nur von der Möglichkeit ausgegangen, bei einer frühzeitigen Operation ggf noch vorhandene Bandstümpfe direkt nähen zu können. Zum anderen hätten beide gehörten Sachverständigen das Auftreten einer Nervenschädigung überhaupt nicht mit dem Zeitpunkt der Operation in Verbindung gebracht.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG vom 19. Dezember 2001 und des SG vom 22. Mai 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Er verteidigt die vorinstanzlichen Urteile.
Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland schließt sich dem Antrag des Beklagten an.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. Das Berufungsurteil hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung stand. Das LSG hat die erstinstanzliche Verurteilung des Beklagten, beim Kläger bestimmte Wehrdienstbeschädigungsfolgen iS der Verschlimmerung anzuerkennen, zu Recht bestätigt.
Nach § 80 SVG erhält ein Soldat, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Wehrdienstbeschädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Wehrdienstbeschädigung ist nach § 81 Abs 1 SVG eine gesundheitliche Schädigung, die durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse herbeigeführt worden ist.
Entsprechend diesen gesetzlichen Bestimmungen ist für die vorliegend streitige Anerkennung von Schädigungsfolgen eine dreigliedrige Kausalkette zu prüfen: Ein mit dem Wehrdienst zusammenhängender schädigender Vorgang muss zu einer primären Schädigung geführt haben, die wiederum die geltend gemachten Schädigungsfolgen bedingt hat. Dabei müssen sich die drei Glieder selbst mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lassen, während für den ursächlichen Zusammenhang grundsätzlich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreicht (vgl § 81 Abs 6 Satz 1 SVG). Die vom SG ausgeurteilte Anerkennung von Schädigungsfolgen iS der Verschlimmerung setzt voraus, dass das Grundleiden vor Beginn des schädigenden Vorganges bereits bestanden hat; sie bedeutet, dass die Gesundheitsstörung nicht mit allen ihren weiteren Entwicklungen, sondern nur insoweit als Schädigungsfolge anzusehen ist, als sie dem Einfluss des Wehrdienstes zuzurechnen ist (vgl dazu Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl, § 1 BVG RdNr 71 mwN).
In Übereinstimmung mit der Zweiteilung im erstinstanzlichen Urteilsausspruch ist die Anerkennung einer "Bandinstabilität am linken Sprunggelenk" (für die Zeit von Oktober 1994 bis zum 30. November 1995) und von "geringen Bewegungseinschränkungen im unteren Sprunggelenk links, diskreten Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus suralis nach Bandersatzplastik am linken Fußaußenknöchel" (für die Zeit ab 30. November 1995) jeweils gesondert zu behandeln. Während für die erstgenannte Gesundheitsstörung die bis August 1994 erfolgte truppenärztliche Behandlung unmittelbar ursächlich gewesen sein kann, ist dies hinsichtlich der ab 30. November 1995 bestehenden Verhältnisse nicht der Fall, da die an diesem Tag durchgeführte Operation außerhalb der Zeit des Wehrdienstes lag.
Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, beim Kläger für die Zeit von Oktober 1994 bis zum 30. November 1994 eine Bandinstabilität am linken Sprunggelenk als Wehrdienstbeschädigungsfolge iS der Verschlimmerung anzuerkennen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehören die Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung, in der sich der Kläger während seines Wehrdienstes wegen der im privaten Bereich erlittenen Bandruptur am linken oberen Sprunggelenk befand, zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen iS des § 81 Abs 1 SVG. Ein deutlicher Unterschied zum Zivilleben besteht insbesondere insoweit, als der Soldat dabei keine freie Arztwahl hat (vgl zB BSGE 57, 171 = SozR 3200 § 81 Nr 20; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 17). Diese wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse waren im vorliegenden Fall auch wesentliche Ursache für eine gesundheitliche Schädigung des Klägers (vgl dazu allg BSG SozR 3200 § 81 Nr 31 S 125).
Auch eine truppenärztliche Handlung oder Unterlassung kann als schädigender Vorgang zu werten sein. Dies leuchtet insbesondere dann ein, wenn ein ärztlicher Kunstfehler vorliegt; auf ein Verschulden kommt es insoweit nicht an (vgl BSG, Urteil vom 15. Juli 1959 - 9 RV 468/55 - Umdruck S 9 f; Urteil vom 13. Dezember 1984 - 9a RVs 2/83 - USK 84268; Urteil vom 30. Januar 1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149; allg dazu auch BGH NJW 1992, 744). Besteht die Behandlung in einem (operativen) Eingriff, kann darin nach der Rechtsprechung unabhängig von der Feststellung eines Kunstfehlers ein schädigender Vorgang gesehen werden (vgl BSGE 28, 145, 148 = SozR Nr 31 zu § 30 BVG; BSG SozR 3200 § 80 Nr 2; SozR 7190 § 4 Nr 1; BSGE 57, 171, 178 = SozR 3200 § 81 Nr 20). Entsprechendes hat auch für eine konservative Behandlung zu gelten, die an sich sachgerecht ist (anders allerdings BSG, Urteil vom 15. Juli 1959 - 9 RV 468/55 - Umdruck S 9 f; vgl dazu auch BSG, Urteil vom 4. Oktober 1966 - 10 RV 675/64 - Umdruck S 6 ff). Sie kann ebenfalls zu einer gesundheitlichen Schädigung führen. Die entscheidende Abgrenzung hat nicht bei der Frage eines schädigenden Vorganges, sondern bei der Beurteilung anzusetzen, ob eine Schädigung eingetreten ist, die wesentlich auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückgeführt werden kann (vgl dazu allg BSGE 73, 37 = SozR 3-3100 § 1 Nr 11).
Eine gesundheitliche Schädigung setzt nach allgemeinem Sprachgebrauch grundsätzlich eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes voraus (vgl dazu BSG, Urteil vom 15. Juli 1959 - 9 RV 468/55 - Umdruck S 10). Bei einer ärztlichen Behandlung kann eine Schädigung danach sowohl in einer Verstärkung der dem zu behandelnden Leiden eigentümlichen Beschwerden als auch im Auftreten von anderen Gesundheitsstörungen (iS von Nebenwirkungen oder Komplikationen) liegen (vgl dazu BSGE 28, 145, 147 = SozR Nr 31 zu § 30 BVG; BSGE 57, 171, 173, 178 = SozR 3200 § 81 Nr 20). Entsprechendes gilt beim Unterlassen von ärztlichen Maßnahmen (vgl BSG, Urteil vom 12. Dezember 1969 - 8 RV 307/69 -; BSG SozR 3200 § 81 Nr 15; BSG, Urteil vom 13. Dezember 1984 - 9a RVs 2/83 - USK 84268; BSG, Urteil vom 30. Januar 1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149; BSGE 73, 37 = SozR 3-3100 § 1 Nr 11). Dagegen stellt zB das Entfernen von schadhaften Zähnen keine gesundheitliche Schädigung dar (vgl RVGE 5, 145). Zu der im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Frage, ob auch das Ausbleiben eines Heilerfolges, also die Fortdauer eines Leidenszustandes, als Schädigung einzustufen ist, gibt es - soweit ersichtlich - noch keine Entscheidung des BSG. Vergleicht man den tatsächlichen Zustand mit demjenigen, der bei einer erfolgreichen Behandlung eingetreten wäre, ist es sachgerecht, eine Schädigung bereits in dem Fortbestehen eines behebbaren Leidens zu sehen. Immerhin muss der Betroffene dabei die mit der Gesundheitsstörung verbundenen Beschwerden und Beschränkungen länger als nötig erdulden.
Ein derart erweitertes Verständnis des Schädigungsbegriffs entspricht dem Sinn und Zweck des Versorgungsschutzes bei truppenärztlicher Behandlung. Es sollen damit grundsätzlich alle Risiken abgedeckt werden, die sich bei freier Arztwahl hätten vermeiden lassen (vgl dazu allg, BSG, Urteil vom 30. Januar 1991 - 9a/9 RV 26/89 - USK 9149). Fehlt es an einer auf truppenärztliche Maßnahmen zurückzuführenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes, so reicht es allerdings nicht aus, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei freier Arztwahl ein günstigerer Zustand eingetreten wäre, das Krankheitsgeschehen mithin keinen unabänderlichen, schicksalhaften Verlauf genommen hat. Vielmehr ist zu fordern, dass ein anderer Arzt (mit anderer Behandlungsmethode) wahrscheinlich einen besseren Heilerfolg erzielt hätte. Denn erst aus dem Vergleich des tatsächlichen und des hypothetischen Behandlungsergebnisses lässt sich die Bejahung einer gesundheitlichen Schädigung herleiten (vgl dazu allg BSGE 73, 37, 39 ff = SozR 3-3100 § 1 Nr 11).
Gemessen an diesen Kriterien hat das LSG mit hinreichender Deutlichkeit eine gesundheitliche Schädigung des Klägers im Zusammenhang mit der truppenärztlichen Behandlung der Reruptur des linken Sprunggelenk-Außenbandes festgestellt, die sich dieser am 28. Juni 1994 bei privatem Krafttraining zugezogen hatte. Wie sich aus dem Verbleiben einer Bandinstabilität ergibt, hat der Truppenarzt bei der von ihm veranlassten konservativen Behandlung nur einen ungenügenden Heilerfolg erzielt. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang weiter, dass der Berufungssenat zu der Beurteilung gelangt ist, es spreche mehr dafür als dagegen, dass bei einer der Reruptur unmittelbar nachfolgenden Operation die anzuerkennenden Wehrdienstbeschädigungsfolgen nicht bzw nicht in dieser Form eingetreten wären. Danach ist mithin davon auszugehen, dass durch eine entsprechende operative Behandlung die Bandinstabilität bereits Anfang Juli 1994 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit hätte beseitig werden können.
An diese berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen ist der erkennende Senat gemäß § 163 SGG gebunden, da der Beklagte insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht hat. Zwar hat es der Beklagte als Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl § 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gerügt, dass die Vorinstanz die Aussage des Sachverständigen Dr. S in ihrem tatsächlichen Inhalt verkannt habe. Dabei ist jedoch unberücksichtigt geblieben, dass sich das LSG nur hinsichtlich der Bewegungseinschränkungen und Sensibilitätsstörungen, die erst in Folge der am 30. November 1995 durchgeführten Operation eingetreten sind, auf die Beurteilung dieses Sachverständigen gestützt hat. Soweit es die bis dahin bestehende Bandinstabilität anbelangt, ist das LSG ohne weiteres davon ausgegangen, es liege auf der Hand, dass diese Erscheinung mit einer schon früher erfolgten Operation hätte beseitigt werden können.
Nach den Umständen des vorliegenden Falles sind die Besonderheiten der truppenärztlichen Behandlung wesentliche (Mit-)Ursache für die eingetretene Schädigung gewesen (vgl dazu allg BSG SozR 3-1750 § 411 Nr 1). Für diese haftungsbegründende Kausalität genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (vgl BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16). Wie sich aus den Feststellungen des LSG ergibt, hätte sich der Kläger bei freier Arztwahl Anfang Juli 1994 erneut operieren lassen und damit wahrscheinlich in diesem Zeitpunkt eine Beseitigung der Bandinstabilität am linken Sprunggelenk erreicht. Der Beklagte zieht in diesem Zusammenhang einen wesentlichen Einfluss wehrdiensteigentümlicher Verhältnisse insbesondere deswegen in Zweifel, weil der Umstand, dass der Truppenarzt eine von zwei sachgerechten Behandlungsmethoden gewählt habe, auch im Zivilleben auftreten könne. Dabei übersieht er, dass der Kläger sich nach der Beratung im Bundeswehrkrankenhaus ausdrücklich für eine operative Behandlung ausgesprochen hatte, dieser Wunsch jedoch beim Truppenarzt keine Berücksichtigung fand. Damit unterscheidet sich der vorliegende Ablauf wesentlich von den Verhältnissen im Zivilleben.
Mit diesem Ergebnis steht zugleich fest, dass auch die in der Zeit von Oktober 1994 bis zum 30. November 1995 gegebene Bandinstabilität am linken Sprunggelenk mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich auf die truppenärztliche Behandlung zurückzuführen ist. Die Anerkennung als Wehrdienstbeschädigungsfolge iS der Verschlimmerung trägt dem Umstand Rechnung, dass das Ausgangsleiden (wiederholte Bandruptur am linken oberen Sprunggelenk) selbst nicht schädigungsbedingt ist.
Ausgehend davon ist auch die Verurteilung des Beklagten zur Anerkennung von "geringen Bewegungseinschränkungen im unteren Sprunggelenk links, diskreten Sensibilitätsstörungen im Bereich des Nervus suralis nach Bandersatzplastik am linken Fußaußenknöchel" als Wehrdienstbeschädigungsfolgen rechtlich nicht zu beanstanden. Es handelt sich dabei um Folgen der Operation vom 30. November 1995, die der Behandlung der als Schädigungsfolge iS der Verschlimmerung anzuerkennenden Bandinstabilität im linken Sprunggelenk gedient hat.
Die Sonderregelung des § 81 Abs 2 Nr 2 Buchst b SVG greift hier nicht ein. Danach ist eine Wehrdienstbeschädigung ua auch eine gesundheitliche Schädigung, die durch einen Unfall bei der Durchführung einer Maßnahme der Heilbehandlung herbeigeführt worden ist. Die Schädigung in Folge einer medizinischen Behandlung selbst ist - ebenso wie im Unfallversicherungsrecht (vgl BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr 47; BSG SozR 2200 § 539 Nr 56, 71) - nicht als Unfall bei der Durchführung einer Maßnahme der Heilbehandlung iS dieser Vorschrift anzusehen (vgl dazu BSG SozR 3200 § 81 Nr 35 S 130; aA wohl noch BSG SozR 3200 § 80 Nr 2). Die Bestimmung soll nicht die ohnehin bestehende Möglichkeit der Anerkennung mittelbarer Schädigungsfolgen (vgl dazu Verwaltungsvorschrift Nr 4 zu § 1 BVG) gesetzlich normieren, sondern den Versorgungsschutz auf an sich schädigungsunabhängig eingetretene Unfälle erweitern, die sich ua bei der Durchführung einer Heilbehandlungsmaßnahme ereignen (vgl allg dazu BT-Drucks VI/154 ≪neu≫ S 2).
Gesundheitsstörungen, die durch ärztliche Behandlung von Schädigungsfolgen hervorgerufen werden, können als mittelbare Schädigungsfolgen anerkannt werden (vgl BSGE 17, 60 = SozR Nr 59 zu § 1 BVG; zum Unfallversicherungsrecht s auch BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 13). So verhält es sich hier. Zwar ist die am 30. November 1995 operativ behandelte Bandinstabilität nur iS der Verschlimmerung als Wehrdienstbeschädigungsfolge anzusehen, es ist jedoch davon auszugehen, dass der fragliche Eingriff gerade auch den schädigungsbedingten Teil des Leidens betraf (vgl dazu BSGE 16, 198 = SozR Nr 2 zu § 10 BVG). Der bis zum 30. November 1995 bestehende Zustand am linken Sprunggelenk des Klägers ist wesentlich auf die erfolglose truppenärztliche Behandlung zurückzuführen. Denn das LSG hat insoweit festgestellt, dass die Bandinstabilität durch eine frühzeitige Operation hätte beseitigt werden können. Auf die Frage, ob sich die in Folge der Operation aufgetretenen Bewegungseinschränkungen und Sensibilitätsstörungen wahrscheinlich auch bei einer im Juli 1994 durchgeführten Operation gezeigt hätten, kommt es nicht an, da insoweit grundsätzlich von dem tatsächlichen und nicht von einem hypothetischer Ablauf auszugehen ist. Anders wäre es allenfalls dann, wenn auch ein früherer Eingriff zwangsläufig zu entsprechenden Auswirkungen geführt hätte. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte. Ebenso wenig ist erheblich, ob den Ärzten bei dem operativen Eingriff vom 30. November 1995 ein Kunstfehler unterlaufen ist. Jedenfalls lässt sich kein völlig unsachgemäßes Vorgehen feststellen, das allein den ursächlichen Zusammenhang mit den Wehrdienstbeschädigungsfolgen verdrängen könnte (vgl BSGE 17, 60, 62 = SozR Nr 59 zu § 1 BVG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
SGb 2004, 361 |
SGb 2005, 168 |
SozR 4-3200 § 81, Nr.1 |
AUR 2004, 399 |