Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Höherversicherungsbeiträgen
Beteiligte
Klägerin und Revisionsbeklagte |
Beklagte und Revisionsklägerin |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Höherversicherungsbeiträgen.
Die Klägerin war seit Kriegsende als versicherungspflichtige Angestellte beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde vom 4. März bis 22. Juli 1985 "wegen Krankheit unterbrochen". Im Juni 1985 bewilligte die Beklagte ihr eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation. Sie wurde durchgeführt, bevor die Klägerin im Dezember 1985 4.536 DM an Beiträgen zur Höherversicherung für Januar bis Dezember 1985 überwies. Im August 1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin, die inzwischen nach Produktionseinstellung und Kündigung durch ihren Arbeitgeber Arbeitslosengeld bezog, eine weitere Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, die im Dezember 1987/Januar 1988 stattfand.
Im März 1988 beantragte die Klägerin erstmals Rente, und zwar Altersruhegeld, das ihr die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1988 ab August 1988 gewährte. In einer Anlage zum Bescheid beanstandete sie die für April bis Juni 1985 entrichteten Höherversicherungsbeiträge. Sie seien zu Unrecht entrichtet und rechtsunwirksam, weil für die genannte Zeit keine Grundbeiträge entrichtet worden seien. Eine Rückzahlung komme dennoch nicht in Betracht, weil Gesundheitsmaßnahmen bewilligt worden seien. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Oktober 1988).
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Beklagte durch Urteil vom 14. April 1989 unter Abänderung des Bescheides verurteilt, die für April bis Juni 1985 entrichteten Höherversicherungsbeiträge zu erstatten. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat dieses durch Urteil vom 13. September 1989 bestätigt. Der Erstattung stehe die 1985 gewährte Heilmaßnahme nicht entgegen, weil die Höherversicherungsbeiträge erst danach entrichtet worden seien. Aber auch die zweite, Ende 1987/Anfang 1988 durchgeführte Heilmaßnahme schließe die Erstattung nicht aus, weil sie weder dem Grunde noch der Höhe nach auf den Höherversicherungsbeiträgen beruhe. Die von der Beklagten herangezogenen Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR 2200 § 1424 Nr. 2 und in BSGE 45, 251 = SozR 2200 § 1424 Nr. 7 seien zum früheren Recht ergangen und beträfen andere Sachverhalte. Eine Versagung der Erstattung begegne auch verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 26 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Diese Vorschrift zum Ausschluß der Beitragserstattung nach Leistungsgewährung entspreche der früher im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) enthaltenen Regelung. Deshalb sei auch die dazu ergangene Rechtsprechung zu übernehmen. Nach den beiden genannten Urteilen des BSG sei die Erstattung ausgeschlossen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
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das Urteil des LSG vom 13. September 1989 und das Urteil des SG vom 14. April 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
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Die Klägerin beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
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Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Grundsatz der prinzipiellen Äquivalenz von Beiträgen und Leistungen gebiete hier die Erstattung, weil aufgrund der Höherversicherungsbeiträge keine Leistungen erbracht worden seien.
Die Beklagte hat auf Anfrage erklärt, die Rehabilitations- Akten aus den Jahren 1985 und 1987 seien bereits vernichtet. Die Erläuterungen im "Gemeinsamen Rundschreiben" der Spitzenverbände zum SGB IV bezögen sich ausschließlich auf die Erstattung von Beiträgen, die im Lohnabzugsverfahren zu Unrecht entrichtet worden seien; nach Sinn und Zweck der getroffenen Absprachen hätten sie die Behandlung von Höherversicherungsbeiträgen nicht berührt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß der in einer Anlage zum Altersruhegeldbescheid enthaltene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, soweit darin die Erstattung der Höherversicherungsbeiträge für April bis Juni 1985 abgelehnt worden ist. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung dieser Beiträge.
Rechtsgrundlage hierfür ist der hier noch anzuwendende, bis zum 31. Dezember 1988 geltende Abs. 1 (aF) des § 26 SGB IV, der seither als Abs. 2 (nF) unverändert weitergilt. Danach sind zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten, es sei denn, daß der Versicherungsträger bis zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs auf Grund dieser Beiträge oder für den Zeitraum, für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, Leistungen erbracht oder zu erbringen hat (Halbs 1); Beiträge, die für Zeiten entrichtet worden sind, die während des Bezuges von Leistungen beitragsfrei sind, sind jedoch zu erstatten (Halbs 2).
Diese Regelung geht, von einer lediglich klarstellenden Umformulierung des Halbs 2 im Gesetzgebungsverfahren abgesehen, auf § 27 des Regierungsentwurfs zurück. Zu ihrer Begründung heißt es dort (BT-Drucks 7/4122, S. 34) : § 27 entspreche einem allgemeinen Rechtsgrundsatz; er verallgemeinere und modernisiere die bisher in der Rentenversicherung und der Altershilfe für Landwirte getroffenen Regelungen (§ 1424 RVO, § 27a GAL). Abs. 1 Halbs 2 trage vor allem den Bedürfnissen der Krankenversicherung Rechnung.
Höherversicherungsbeiträge kann der Versicherte nach § 11 Abs. 1 AVG (§ 1234 Abs. 1 Reichsversicherungsordnung -RVO) nur neben Beiträgen entrichten, die auf Grund der Versicherungspflicht oder der Berechtigung zur freiwilligen Versicherung entrichtet sind. Solche Grundbeiträge fehlen für die genannte Zeit. Die Höherversicherungsbeiträge sind insoweit "isoliert" und zu Unrecht entrichtet (vgl. Urteil des BSG vom 16. Dezember 1980 - 11 RA 128/79). Sie sind daher grundsätzlich zu erstatten. Dem stehen bei der Klägerin die beiden Verfallklauseln des § 26 Abs. 1 a.F. (Abs 2 nF) SGB IV nicht entgegen.
Die erste Verfallklausel, nach der "auf Grund dieser Beiträge" Leistungen erbracht worden oder zu erbringen sind, hat nach den erwähnten Motiven ihren Vorläufer erkennbar in dem früheren § 1424 Abs. 3 RVO (§ 146 Abs. 3 AVG). Danach war die Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Versicherten bereits "aus diesen Beiträgen" eine Regelleistung bewilligt worden war. Das sind ebenso wie Leistungen, die "auf Grund dieser Beiträge" erbracht werden, vornehmlich Renten aus der Rentenversicherung. Das BSG hat die frühere Verfallklausel jedoch auch nach einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation aus der Rentenversicherung angewandt (Urteile vom 5. Februar 1976 in SozR 2200 § 1424 Nr. 2 und vom 15. Dezember 1977 in BSGE 45, 251 = SozR 2200 § 1424 Nr. 7). Wenn es damit ohne nähere Ausführungen auch solche Leistungen als aus Beiträgen erbracht angesehen hat, so gilt das auch für die entsprechende Verfallklausel neuen Rechts. Denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die medizinischen Leistungen zur Rehabilitation in § 1236 Abs. 1a RVO (§ 13 Abs. 1a AVG) werden mit Beitragszeiten erfüllt oder mit Versicherungszeiten, für die in der Regel Beiträge tatsächlich entrichtet worden sind.
In den beiden Urteilen handelte es sich bei den zurückgeforderten Beiträgen indes um freiwillige Beiträge (Grundbeiträge). Bei ihnen hat das BSG für den Verfall der Rückforderung den Nachweis, daß sich der einzelne Beitrag auf die rechtliche Grundlage des Heilverfahrens konkret ausgewirkt hatte, nicht gefordert. Zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der Leistung waren die freiwilligen Grundbeiträge - von der zu Unrecht erfolgten Entrichtung abgesehen - jedoch als solche geeignet. Das trifft auf die Höherversicherungsbeiträge nicht zu. Sie konnten die Bewilligung der ersten, 1985 durchgeführten Maßnahme schon deswegen nicht beeinflussen, weil sie erst nachher (im Dezember 1985) entrichtet worden sind. Aber auch die Bewilligung der nach ihrer Entrichtung erbrachten zweiten Maßnahme (1987/1988) konnten sie nicht mitbewirken, weil sie ihrer Art nach rechtlich ungeeignet waren, zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer solchen Maßnahme beizutragen. Da sie im Versicherungsverlauf auch eindeutig als Höherversicherungsbeiträge ausgewiesen waren, ist es ausgeschlossen, daß sie zur Bewilligung der Maßnahme beigetragen haben könnten. Dazu führten vielmehr allein die vorhandenen Pflichtbeitragszeiten von fast 40 Jahren.
Auch die Höhe der Leistungen kann durch die - nicht gehaltsbezogenen - Höherversicherungsbeiträge weder unmittelbar noch mittelbar beeinflußt worden sein. Dieses käme überhaupt nur in dem Ausnahmefall des § 18d Abs. 5 AVG (§ 1241d Abs. 5 RVO) in Betracht. Danach ist, wenn der Versicherte in den Fällen der Abs. 2 und 4 dieser Vorschriften Anspruch auf Rente hat, weil Anspruch auf Übergangsgeld nicht besteht, anstelle der Rente Übergangsgeld in Höhe der Rente zu zahlen. Es ist jedoch wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld vor der zweiten Maßnahme (zur Berechnung von Übergangsgeld in solchen Fällen § 18 Abs. 3 AVG; § 1241 Abs. 3 RVO) und weil keine Anhaltspunkte für eine damals bestehende Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit erkennbar sind, auszuschließen, daß die Beklagte damals zur Berechnung von Übergangsgeld eine Rentenberechnung unter Berücksichtigung der Höherversicherungsbeiträge vorgenommen hat.
Die zweite Verfallklausel des § 26 Abs. 1 a.F. = Abs. 2 n.F. SGB IV greift ebenfalls nicht ein. "Für den Zeitraum", für den die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden sind, werden Leistungen vor allem in der Krankenversicherung erbracht, wo diese Verfallklausel die Erstattung aller für die Zeit bis zum Ende, d.h. vor und während des Leistungszeitraums entrichteten Beiträge ausschließt (Urteil des Senats vom 25. April 1991 - 12 RK 40/90, zur Veröffentlichung bestimmt). Für die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in der Rentenversicherung kann das nicht gelten (grundsätzlich zutreffend Schwerdtfeger im Gesamtkommentar § 26 SGB IV Anm. 9a, 10a; anders jedoch für das Übergangsgeld in Anm. 10b). In diesem Versicherungszweig geht die Beitragsentrichtung der Leistungsbewilligung voraus; während der Leistungserbringung entrichtete Beiträge sind auf diese Leistung nach Grund und Höhe ohne Einfluß und wirken sich erst bei Eintritt eines weiteren Versicherungsfalles aus. Würde die zweite Verfallklausel dennoch auch in der Rentenversicherung angewandt, so hätte die erste Verfallklausel keinen Anwendungsbereich mehr, weil die zweite die Fälle der ersten miterfassen würde. Dann wäre auch etwa nach Bewilligung einer Dauerrente wegen Berufsunfähigkeit die Erstattung aller später noch zu Unrecht entrichteten Beiträge von vornherein ausgeschlossen. Dieses kann vom Gesetz nicht gewollt sein. Das Wort "oder" zwischen den beiden Verfallklauseln ist demnach so zu verstehen, daß versicherungszweigbezogen in der Rentenversicherung nur die erste Verfallklausel anzuwenden ist.
Die Vorschrift über den Ausschluß der Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge (§ 26 Abs. 1 a.F. = Abs. 2 n.F. SGB IV) ist nicht i.S. der für die Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge geltenden Verfallklausel des § 1303 Abs. 5 RVO (§ 82 Abs. 5 AVG) anzuwenden (vgl. zu der früheren Regelung BSG Nr. 6 zu § 1424 RVO; SozR 2200 § 1424 Nr. 1). Nach ihr sind, wenn dem Versicherten eine Regelleistung aus der Versicherung gewährt worden ist, nur die später entrichteten Beiträge zu erstatten. Hierzu hat das BSG entschieden, daß ein Heilverfahren außer den Grundbeiträgen auch die zu Recht entrichteten Höherversicherungsbeiträge verfallen läßt (Urteil vom 28. Mai 1968 in SozR Nr. 7 zu § 1303 RVO) und daß die Gewährung einer allein auf Höherversicherungsbeiträgen beruhenden Rente auch die Erstattung der Grundbeiträge ausschließt (Urteil vom 19. März 1980 in SozR 2200 § 1303 Nr. 16). Ob der erkennende Senat dieser Rechtsprechung folgen würde, kann offen bleiben. Jedenfalls wäre sie auf § 26 Abs. 1 a.F. = Abs. 2 n.F. SGB IV nicht zu übertragen. Diese Vorschrift hat einen anderen Wortlaut als § 1303 Abs. 5 RVO und § 82 Abs. 5 AVG, die für den Verfall rechtmäßig entrichteter Beiträge allein auf das Ende der Gewährung einer Regelleistung abstellen. Sie gelten im übrigen nach dem Inkrafttreten des SGB IV weiter und gehören nach den erwähnten Materialien zu § 26 SGB IV nicht zu den Vorschriften, die durch § 26 SGB IV "verallgemeinert und modernisiert" werden sollten (dort ist nur § 27a GAL erwähnt, der allerdings ebenfalls die Erstattung zu Recht entrichteter Beiträge betrifft). Auch materiell-rechtlich ist eine einheitliche Ausgestaltung und Anwendung der Verfallklauseln nicht zwingend geboten. Denn während der Versicherungsträger die zu Unrecht entrichteten Beiträge in den vorgesehenen zeitlichen Grenzen jederzeit beanstanden konnte, war dieses bei den zu Recht entrichteten Beiträgen ausgeschlossen. Bei ihnen mußte er daher bis zum Ende der Leistungsgewährung unausweichlich das Risiko des Eintritts eines weiteren Versicherungsfalls tragen.
In einem "Gemeinsamen Rundschreiben" der Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, der Beklagten und der Bundesanstalt für Arbeit zur Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge aus dem Jahre 1977 (abgedruckt im Gesamtkommentar § 26 SGB IV Anm. 20) heißt es unter Erläuterung anhand von Beispielsfällen mit Lösungen ebenfalls, die Erstattung scheide lediglich dann aus, wenn die Beiträge in einem unmittelbaren Zusammenhang mit den gewährten Leistungen stünden (Ziff 2 Abs. 1). Ein solcher Zusammenhang besteht hier zwischen den Höherversicherungsbeiträgen und den Rehabilitationsmaßnahmen nicht. Die Beklagte macht zwar geltend, das Rundschreiben beziehe sich nur auf Beiträge, die im Lohnabzugsverfahren entrichtet worden seien. Nach der Art und Weise der Beitragsentrichtung unterscheidet jedoch die Erstattungsregelung in § 26 Abs. 1 a.F. = Abs. 2 n.F. SGB IV nicht.
Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen und über die Kosten nach § 193 SGG entschieden.12/1 RA 65/89
BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen