Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die für den Kläger durch die Beigeladene für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis zum 31. Dezember 1977 entrichteten Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung zu Recht beanstandet hat.
Die Beklagte hat den Kläger mit Bescheid vom 14. Februar 1966 gemäß Art 2 S. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) i.d.F. des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl. I, 476) von der Pflichtversicherung befreit. In dem Bescheid heißt es abschließend, der Kläger könne auf die Befreiung von der Versicherungspflicht durch schriftliche Erklärung gegenüber der Beklagten mit Wirkung vom Beginn des nächsten Monats an verzichten. Hiervon hat der Kläger bis zum Ende der hier streitigen Zeit (31. Dezember 1977) keinen Gebrauch gemacht.
Zum 1. Januar 1975 hatte der Kläger sein früheres Beschäftigungsverhältnis aufgegeben und ein Dienstverhältnis bei der Beigeladenen begonnen. Die Beigeladene hat in Kenntnis des Bescheides vom 14. Februar 1966 ab 1. Januar 1975 Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung abgeführt. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 26. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1978 die Entrichtung dieser Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1975 bis zum 31. Dezember 1977 mit näherer Begründung beanstandet und über die sich daraus ergebenden Folgerungen entschieden. Der Kläger habe die Befreiung von der Versicherungspflicht nur innerhalb der in Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des Rentenreformgesetzes (RRG) bestimmten Frist beenden können, eine solche Erklärung aber nicht abgegeben. Die Klage und die Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Würzburg vom 15. Mai 1979 und des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG) vom 23. Januar 1980). Der erkennende Senat hat das LSG-Urteil vom 23. Januar 1980 wegen der zunächst unterbliebenen Beiladung der jetzigen Arbeitgeberin des Klägers aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Das LSG hat mit Urteil vom 28. Oktober 1981 die Berufung des Klägers erneut mit der Begründung zurückgewiesen, daß mit dem Inkrafttreten des Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des RRG gegenüber der dem Kläger in dem Bescheid vom 14. Februar 1966 erteilten "Belehrung" eine Änderung der Rechtslage eingetreten sei. Der Kläger habe die Beendigung der Befreiung von der Versicherungspflicht nicht innerhalb der Frist des Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des RRG erklärt; er habe auch keinen sozialrechtlichen Schadenersatzanspruch auf die Nachholung dieser Erklärung, weil die Beklagte keine individuelle Beratungspflicht gegenüber dem Kläger verletzt habe.
Zur Begründung seiner - vom LSG erneut zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, der in Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des RRG neu und nur befristet eingeführte Befreiungsverzicht habe für ihn nicht gegolten. Zumindest habe er von der Beklagten ausdrücklich und individuell auf diese Änderung der Rechtslage hingewiesen werden müssen. Deshalb sei er zur Fortsetzung der Pflichtversicherung ab 1. Januar 1975 berechtigt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 1981, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15. Mai 1979 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1978 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
II
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Ob die Beklagte die von der Beigeladenen für den Kläger für die Zeit von Januar 1975 bis Dezember 1977 entrichteten Pflichtbeiträge zu Recht beanstandet hat, kann erst entschieden werden, wenn das LSG die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen für die Beurteilung der Frage nachgeholt hat, ob ein Beratungsfehler vorliegt, der kausal dafür war, daß der Kläger erst 1978 (rückwirkend) auf die Befreiung verzichtet hat. Hiervon hängt es ab, ob die vom Kläger mit seinem Schreiben vom 18. April 1979 abgegebenen Erklärung unter Berücksichtigung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches als rückwirkende Ausübung des ihm in dem Befreiungsbescheid von 14. Februar 1966 eröffneten Rechts auf Verzicht auf die Befreiung anzusehen ist, so daß die Entrichtung der beanstandeten Pflichtbeiträge wirksam erfolgt ist.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger durch den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1966 gemäß Art 2 § 1 AnVNG i.d.F. des RVÄndG vom 9. Juni 1965 an von der Versicherungspflicht befreit worden ist. Allerdings erschöpfte sich entgegen der von der Beklagten und dem LSG vertretenen Ansicht der Regelungsgehalt des Bescheides vom 14. Februar 1965 nicht in dieser Entscheidung. Vielmehr enthält auch der letzte Absatz dieses Bescheides - auf die Befreiung könne durch schriftliche Erklärung gegenüber der BfA mit Wirkung vom Beginn des nächsten Monats an verzichtet werden - einen den Kläger begünstigenden und die Beklagte bindenden Verwaltungsakt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in ständiger Rechtsprechung (BSGE 11, 248; 17, 124, 126) die Qualifikation der Erklärung einer Behörde als Verwaltungsakt danach bestimmt, wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles vor und bei Ergehen einer behördlichen Maßnahme zu deuten hatte. Die vorerwähnte Erklärung der Beklagten in dem Bescheid vom 14. Februar 1966 kann weder - entgegen der von der Beklagten in der Revision vertretenen Ansicht - als "Hinweis" oder als "Auskunft" noch - wie das LSG meint - als "Belehrung" angesehen werden. Vielmehr hat die Beklagte mit dieser Entscheidung dem Kläger das zeitlich nicht begrenzte Recht eingeräumt, mit einer formgebundenen (schriftlichen) rechtsgestaltenden Willenserklärung auf die Befreiung zu verzichten. Wie das BSG (Urteil vom 13. August 1965 - 11/1 RA 207/62 -, BSGE 23, 241, 244) bereits vor Erlaß des Bescheides vom 14. Februar 1966 entschieden hatte, war zwar ein solches Verzichtrecht gesetzlich nicht vorgesehen. Wenn aber die Beklagte gleichwohl - unter Außerachtlassung des Urteils vom 13. August 1965 und unter zu weit gehender Auslegung der Gründe des Urteils des BSG vom 20. Juni 1962 - 1 RA 66/59 - (BSGE 17, 124, 126) - davon ausging, daß dem Befreiten das Recht zum Verzicht auf die Befreiung jederzeit zustand und einem Antragsteller in dem Befreiungsbescheid den Verzicht auf die Befreiung vorbehielt, so handelte es sich bei diesem Vorbehalt nicht nur um einen Hinweis (Belehrung, Auskunft) auf eine - vermeintlich vorhandene - gesetzlich geregelte Gestaltungsmöglichkeit des Versicherten, sondern um ein für unbestimmte Zeit gewährtes Gestaltungsrecht. Infolgedessen durfte der Kläger den letzten Absatz des Bescheides vom 14. Februar 1966 so verstehen, daß die Beklagte ihm damit unbefristet die anderweitige Gestaltung des Versicherungsverhältnisses, nämlich die Fortsetzung der Versicherung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen der Versicherungspflicht vom Beginn des auf die formgerechte Abgabe der Verzichtserklärung folgenden Monats an vorbehalten wollte und vorbehalten hat. Zu dieser Auslegung des letzten Absatzes des Bescheides vom 14. Februar 1966 besteht um so mehr Anlaß, als im Zeitpunkt der Erteilung dieses Bescheides das Recht auf den Verzicht auf die Befreiungswirkung oder ein anders geartetes Recht auf die Beendigung dieser Rechtswirkung gesetzlich nicht geregelt war; für den Empfänger eines mit einem solchen Vorbehalt versehenen Bescheides war infolgedessen auch nicht erkennbar, daß die Beklagte ihn mit dem letzten Absatz des Bescheidwortlautes nur über das Bestehen eines - gesetzlich nicht geregelten - Gestaltungsrechtes belehren und nicht - wie sie in der Revision auch selbst vorgetragen hat - ihm ein solches Gestaltungsrecht vorbehalten wollte. Diese Entscheidung der Beklagten war zwar rechtswidrig jedoch nicht nichtig (vgl. erkennender Senat, Urteil vom 13. September 1979 - 12 RK 60/78 -, SozR 5750 Art 2 § 51 a Nr. 30).
Diese Rechtswirkung des letzten Absatzes des Bescheides vom 14. Februar 1966 ist nicht dadurch entfallen, daß durch ein späteres Gesetz (Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des RRG vom 16. Oktober 1972) den nach Art 2 S. 1 AnVNG befreiten Angestellten das Recht eingeräumt wurde, bis zum 31. Dezember 1973 zu erklären, daß ihre Befreiung von der Versicherungspflicht enden solle. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber zwar erst und auch nur befristet die Beendigung der Befreiungswirkung zugelassen, von der die Beklagte unzutreffend bereits ausgegangen war. Die gesetzliche Eröffnung des Rechts auf Abgabe der Beendigungserklärung und vor allem dessen gesetzliche Befristung hat aber das dem Kläger schon durch den vorangegangenen und bindend gewordenen Verwaltungsakt unbefristet eröffnete Recht, auf die Befreiung zu verzichten, nicht berührt. Insbesondere hat die befristete Einführung des Rechts auf Beendigung der Befreiung durch Art 2 § 1 Abs. 4 AnVNG i.d.F. des RRG die weitergehende Regelung durch den bindend gewordenen Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1966 nicht gegenstandslos gemacht oder inhaltlich eingeschränkt. Vielmehr konnte die Beklagte diese Regelung nur nach den Grundsätzen über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (vgl. jetzt § 45 SGB X) zurücknehmen. Ob die Voraussetzungen dafür vorgelegen haben, ist hier nicht zu entscheiden, weil die Beklagte einen Verwaltungsakt dieses Inhalts nicht erlassen hat und der angefochtene Beanstandungsbescheid sich auch nicht in einen Rücknahmebescheid i.S. des § 45 SGB X umdeuten läßt.
Von dem ihm danach auch noch über den 31. Dezember 1973 hinaus zustehenden Recht auf Beendigung der Befreiung von der Versicherungspflicht hat der Kläger allerdings erst mit seinem Schreiben vom 18. April 1978 Gebrauch gemacht. Der Kläger konnte die Verzichtserklärung nur gegenüber der Beklagten und nur schriftlich abgeben. Diese Anforderungen an die Wirksamkeit der Beendigungserklärung hatte der Kläger noch nicht dadurch erfüllt, daß er seinen Arbeitgeber zur Beitragszahlung veranlaßte oder daß dieser von sich aus Beiträge abführte, weil er die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht als erfüllt erachtete. Allein durch die Abführung von Beiträgen konnte weder die gestaltende Dauerwirkung des befreienden Bescheides vom 14. Februar 1966 beseitigt werden noch die formgebundene - ebenfalls auf Dauer für die Zukunft wirksame - Gestaltung des Versicherungsverhältnisses durch Verzicht auf die Befreiungswirkung erfolgen. Demgemäß war die Entrichtung der von der Beklagten beanstandeten Beiträge für die Jahre 1975 bis 1977 fehlerhaft.
Da die Beklagte aber nach den zuvor getroffenen Feststellungen dem Kläger im Befreiungsbescheid vom 14. Februar 1966 bindend vorbehalten hatte, jederzeit durch die form- und fristgerechte Abgabe der Verzichtserklärung die Befreiung von der Versicherungspflicht zu beenden und von da an - bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen - auch Pflichtbeiträge für ihn entrichtet werden mußten, kann allerdings die vom LSG - von seinem rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend - nicht geprüfte Frage Bedeutung erlangen, ob der Kläger - wie er behauptet - infolge einer unrichtigen Beratung durch den Versichertenältesten der Beklagten davon abgehalten worden ist, zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses bei der Beigeladenen oder alsbald danach die ihm vorbehaltene rechtsgestaltende Verzichtserklärung abzugeben. Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, löst ein Beratungsfehler der Behörde, der dazu führt, daß ein Gestaltungsrecht nicht rechtzeitig ausgeübt wird, einen Herstellungsanspruch aus (s. z.B. BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr. 18 S. 30). Dieser begründet eine Verpflichtung der Beklagten, dem Versicherten die Rechtsposition einzuräumen, die er hätte, wenn er richtig beraten worden wäre (vgl. dazu BSGE 49, 76, 78 ff.). Ein solcher Herstellungsanspruch wird auch dann ausgelöst, wenn die unzutreffende Beratung nicht durch eine Dienststelle der Beklagten, sondern durch einen Versichertenältesten erfolgt ist. Den Versichertenältesten ist in § 25 Abs. 3 der Satzung der Beklagten in der hier maßgeblichen Fassung vom 6. Mai 1974 u.a. die Aufgabe übertragen worden, "in Fragen der Angestelltenversicherung Rat und Auskunft zu erteilen" (s. auch § 39 Abs. 3 SGB IV). Dieser Auftrag enthält keine Einschränkungen. Die Versichertenältesten nehmen also, wenn sie beraten, in satzungsgemäßer Weise die gesetzliche Aufgabe der Beklagten zur Beratung der Versicherten (§ 14 SGB I) wahr. Für die ordnungsgemäße Erfüllung dieser Aufgabe hat die Beklagte einzustehen, gleich durch wen sie sie wahrnehmen läßt.
Der Kläger hat in seinem Schreiben vom 18. April 1978 die rückwirkende Aufhebung der Befreiung zum 1. Januar 1975 beantragt. Würde festgestellt werden, daß er von der Abgabe des ihm vorbehaltenen Verzichts durch eine der Beklagten zuzurechnende fehlerhafte Beratung durch einen Versichertenältesten der Beklagten abgehalten worden ist, so muß dem am 18. April 1978 rückwirkend zum 1. Januar 1975 erklärten Verzicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches dergestalt Rückwirkung auf diesen Zeitpunkt beigemessen werden, daß die Beklagte die Wirksamkeit der vom Arbeitgeber des Klägers (der Beigeladenen) als Pflichtbeiträge entrichteten Beiträge für die Jahre 1975 bis 1977 nicht beanstanden darf.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.12 RK 69/81
Bundessozialgericht
Fundstellen